Kietaibl/Resch (Hrsg)Der Betriebsbegriff in der modernen Arbeitswelt

Verlag des ÖGB, Wien 2020, 80 Seiten, broschiert, € 24,90

THOMASMATHY (LINZ)

Das vorliegende von Christoph Kietaibl und Reinhard Resch herausgegebene Buch widmet sich einem der Grundbegriffe des österreichischen Arbeitsrechts: dem Betrieb. Dabei gilt es vorweg klarzustellen, dass sich die Beiträge von Hannes Schneller, Harun Pacic und Thomas Dullinger aus verschiedenen Blickwinkeln mit dem Betriebsbegriff des § 34 ArbVG auseinandersetzen. Zwar wird der Definition des § 34 ArbVG über die Grenzen des Betriebsverfassungsrechts hinaus Bedeutung beigemessen (vgl OGH 12.10.1995, 8 Ob 15/95), das schließt es jedoch nicht aus, dass dem Begriff „Betrieb“ je nach (arbeitsrechtlicher) Regelungsmaterie ein unterschiedlicher Inhalt beizumessen ist (vgl zB OGH 16.9.1987, 14 ObA 85/87).

Weshalb eine Auseinandersetzung mit der Definition des Betriebs in § 34 ArbVG ein Gebot der Stunde darstellt, ist spätestens nach Lektüre des ersten Beitrags klar. In diesem widmet sich Schneller der sich wandelnden Arbeitswelt und den damit einhergehenden Auswirkungen auf den Betriebsbegriff. Dabei nimmt er den/die LeserIn zunächst mit auf eine Tour d‘Horizon durch die jüngere Geschichte der Managementtrends und der sogenannten „neuen Arbeitsformen“. Diese führen dazu, dass die Organisationseinheit „Betrieb“ an Fassbarkeit verliert. Auf der Grundlage des geltenden Rechts bietet Schneller für dieses Problem zwei Lösungsansätze: teleologische Interpretation und „Agreements“ zwischen AN-Seite und AG-Seite. Uneingeschränkt zu folgen ist Schneller darin, dass die äußerst abstrakte Definition des Betriebs in der Praxis durch teleologische Interpretation zu konturieren ist. Dabei gilt es, auf eine Einheit abzustellen, innerhalb der „eine wirksame Tätigkeit und Aufgabenerfüllung der Belegschaftsvertretung [...] tatsächlich möglich ist“. Letztlich spiegelt sich in dieser Auffassung nichts anderes als die im Schrifttum bereits mehrfach hervorgestrichene Bedeutung des § 38 ArbVG als Interpretationsmaxime für das gesamte Betriebsverfassungsrecht (zB Gahleitner in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVR II6 [2020] § 38 Rz 4). Demgegenüber lässt das Betriebsverfassungsrecht aufgrund seines absolut zwingenden Charakters für die von Schneller durchwegs positiv beurteilten „Agreements“ über die Reichweite eines Betriebs und damit den Zuständigkeitsbereich der Belegschaftsorgane wenig Platz. Diesen „Agreements“ ist zudem die Gefahr von Vertretungslücken immanent: Dies hat seine Ursache weniger in der Gefahr der Nichtigkeit einer den Betriebsbegriff verkennenden Betriebsratswahl (vgl OGH8 ObA 224/94

[Marhold]), 167 sondern vielmehr darin, dass – zumindest nach dem Wortlaut des Gesetzes – die AN der nicht einbezogenen Betriebsteile an der Bildung eines (Abteilungs-)BR durch eine Wahlanfechtung des Betriebsinhabers (BI) gehindert werden können (vgl Dusak, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Betriebsratswahlen, in Tomandl [Hrsg], Offene Fragen des Betriebsverfassungsrechts [1989] 16 [40 ff] sowie den Beitrag von Dullinger im vorliegenden Buch; dagegen jedoch mit beachtlichen teleologischen Argumenten Jabornegg, Den Betrieben gleichgestellte Arbeitsstätten, in FS Tomandl [1998] 171 [180 ff]). Mehr Gestaltungsmöglichkeiten bietet insofern die von Schneller ebenfalls kurz dargestellte deutsche Rechtslage, die insb dem Tarifvertrag eine eingeschränkte Möglichkeit zur Adaption des betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts einräumt. Im Vorfeld der Schaffung des ArbVG wurde freilich auch in Österreich ein solches Modell gefordert (Strasser, Die Gestaltung der Betriebsverfassung als gesellschaftspolitisches Problem, in FS Schmitz I [1967] 295 [301]), jedoch zugunsten eines einheitlichen Organisationsmodells nicht umgesetzt (Jabornegg, Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht, in FS Strasser [1983] 367 [374 f]).

Im zweiten Beitrag analysiert Pacic den Begriff des Betriebs gem § 34 ArbVG. Der gefestigten Auffassung in Judikatur und Lehre folgend werden die Anforderungen an die Tatbestandsmerkmale des § 34 ArbVG skizziert. Nähere Beachtung verdienen die Ausführungen hinsichtlich der Kleinstbetriebe: Wenn der Schwellenwert des § 40 Abs 1 ArbVG nicht erreicht wird, habe dies nicht zwangsläufig zur Konsequenz, dass die AN eines solchen Kleinstbetriebs nicht dennoch von einem BR vertreten werden. Vielmehr komme es darauf an, ob dieser Kleinstbetrieb einem Hauptbetrieb bei- oder nebengeordnet ist. Sofern dies zutrifft, sei der BR des Hauptbetriebs auch für den Kleinstbetrieb zuständig (vgl schon Tomandl, Betriebsverfassungsrechtliche Fragen des Kleinstbetriebes, ZAS 1981, 123 ff). Überzeugend leitet Pacic dieses Ergebnis aus der von der hA allgemein akzeptierten Auffassung ab, dass der Betriebsbegriff eine Auslegung erfordert, die eine wirksame Interessenvertretung tatsächlich ermöglicht. Problematisch erweist sich jedoch die Aussage, dass dann, wenn ein Kleinstbetrieb nicht einem Hauptbetrieb bei- oder untergeordnet ist, die Betriebsverfassung „ohne Belang“ sei. Zwar knüpfen die Organbildungsvorschriften der §§ 40 ff ArbVG und damit in weiterer Folge auch die Befugnisse der §§ 89 ff ArbVG an die Zahl von zumindest fünf dauernd beschäftigten AN (§ 40 Abs 1 ArbVG) an. Allerdings stellt das gegenüber dem BI bestehende betriebsverfassungsrechtliche Interventionsrecht des § 37 Abs 2 ArbVG nicht auf eine Mindestanzahl von AN ab; insoweit besteht auch in diesen Kleinstbetrieben eine betriebsverfassungsrechtliche Befugnis, die auch durch das Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot des § 37 Abs 1 ArbVG abgesichert ist (ausführlich Mathy/Trost, Ende der Betriebsratsfunktionsperiode durch Vergleich über Wahlanfechtung? – Ein Beitrag zur möglichen Lückenhaftigkeit des § 62 ArbVG, DRdA 2018, 381 [384 f]).

Im letzten Beitrag des Buches lotet Dullinger die Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf den Betriebsbegriff aus. Da der Betriebsbegriff des § 34 ArbVG zwar durch das Gesetz mehrfach modifiziert wird (vgl insb § 134 ArbVG), jedoch keiner privatautonomen Umgestaltung zugänglich ist, wird der Fokus auf die Veränderbarkeit der Betriebs- bzw Unternehmensstruktur gelegt und deren Auswirkungen auf das Betriebsverfassungsrecht untersucht. Dabei werden zahlreiche denkbare Fallkonstellationen behandelt, aus denen an dieser Stelle eine besonders hervorgehoben werden soll: Dullinger prüft, ob das absichtliche Unterschreiten eines Schwellenwertes, den das ArbVG hinsichtlich der Anzahl der AN aufstellt (zB §§ 40 Abs 1, 50 Abs 1, 97 Abs 3, 111 f, 117 ff ArbVG), als Rechtsmissbrauch bzw absichtliche sittenwidrige Schädigung qualifiziert werden könne. Dabei werden drei Fallgruppen ausgemacht: die Bildung möglichst weniger Betriebe, das Unterschreiten durch Nicht-Einstellen und die gezielte Bildung vieler kleiner Betriebe. Letztlich soll ein Rechtsmissbrauch bzw eine absichtliche sittenwidrige Schädigung nur bei gezielter Bildung zahlreicher kleiner Betriebe in Betracht kommen. Welche Rechtsfolgen daraus resultieren, bleibt jedoch vage: Während ein Anspruch auf Naturalrestitution abgelehnt wird, wird erwogen, das Vorliegen eines einheitlichen Betriebs zu fingieren oder den einzelnen AN Anspruch auf Schadenersatz zuzugestehen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Maßstab des Rechtsmissbrauchs bzw der absichtlichen sittenwidrigen Schädigung nicht zu grob gewählt ist. Denn mit Recht zeigt Dullinger auf, dass das ArbVG Vorkehrungen für „Umgehungsbestrebungen“ trifft: Die §§ 111 Abs 1 Satz 2, 112 Abs 1 letzter Satz, 117 Abs 3 ArbVG nehmen auf die Bildung mehrerer kleinerer Betriebe unter dem Dach eines Unternehmens Bedacht (vgl auch die Regelung betreffend Konzernsachverhalte in § 117 Abs 5 ArbVG); zudem ist hinsichtlich der Bildung von Kleinstbetrieben mit weniger als fünf AN der Betriebsbegriff einer den Zwecken der Betriebsverfassung entsprechenden Interpretation zugänglich. Es wäre lohnend gewesen, diesen Ansätzen weiter nachzuspüren; dies nicht zuletzt deshalb, weil das ungeschriebene Recht (Rechtsmissbrauch, gute Sitten etc) anhand der Wertungen des geschriebenen Rechts zu bestimmen ist. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang bspw an den allgemeinen Kündigungsschutz: Anders als noch § 25 Abs 4 BRG 1947, der hinsichtlich der Mindestbeschäftigungsdauer für die Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit auf eine Beschäftigung „im Betrieb“ abgestellt hat, lässt § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG neben einer Beschäftigung „im Betrieb“ auch eine Beschäftigung im „Unternehmen, dem der Betrieb angehört“ genügen; die Judikatur hat dies zT auch auf eine Beschäftigung im Konzern erweitert (vgl OGH9 ObA 177/08g ZAS 2010, 177 [Felten]; dazu auch Trost in Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 105 Rz 234). Im Einklang damit wird auch die soziale Gestaltungspflicht nicht mehr bloß betriebsbezogen, sondern vielmehr unternehmensbezogen und uU sogar konzernbezogen verstanden (Trost in Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 105 Rz 312 f). Eine ähnliche Entwicklung wie beim allgemeinen Kündigungsschutz ist auch hinsichtlich des Erfordernisses der Mindestbeschäftigungsdauer in Bezug auf das passive Wahlrecht zu konstatieren (vgl § 8 Abs 3 BRG 1947, § 53 Abs 1 ArbVG sowie Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3 [2016] 592). Es stellt sich die Frage, ob diese verschiedentlichen Ansatzpunkte einer Verallgemeinerung zugänglich sind. 168 Aber auch wenn dem nicht so sein sollte, zeigt das Zusammenspiel zwischen den Instrumenten des ArbVG mitunter Lösungsansätze auf: So etwa für die Frage, ob das gezielte Unterschreiten der Schwellenwerte des § 117 ArbVG mit dem Konzept des ArbVG vereinbar ist. Der Versuch, auf diese Weise eine permanente Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes zu verhindern, wird nicht erst durch § 117 Abs 3 und 5 ArbVG durchkreuzt, sondern bereits aufgrund der Wechselwirkung zwischen der Ad-hoc-Freistellung des § 116 ArbVG und der permanenten Freistellung des § 117 ArbVG: Da die permanente Freistellung gem § 117 ArbVG an den mit zunehmender Anzahl von AN einhergehenden gesteigerten Arbeitsanfall für den BR anknüpft, erscheint es alles andere als ausgeschlossen, dass ein vergleichbarer Arbeitsanfall auch dann vorliegt, wenn die Schwellenwerte des § 117 ArbVG bloß geringfügig unterschritten werden; liegt jedoch ein entsprechender Arbeitsanfall vor, kann sich die Ad-hoc-Freistellung einer permanenten Freistellung annähern (Jabornegg, Eine umstrittene Arbeitsfreistellung,

[56]; aA Resch in Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 116 Rz 30).

Das vorliegende Buch spannt hinsichtlich der Definition des Betriebs in § 34 ArbVG den Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft, ohne dabei das geltende Recht und dessen Antworten auf gegenwärtige Problemstellungen zu vernachlässigen. Damit ist es den Autoren gelungen, ein handliches Nachschlagewerk zu schaffen, das gleichsam zum Nach- und Weiterdenken anregt.