NiederfrinigerRechtsprobleme der Gleitzeitarbeit
Manz Verlag, Wien 2019, XXXII, 232 Seiten, broschiert, € 59,–
NiederfrinigerRechtsprobleme der Gleitzeitarbeit
Die gleitende Arbeitszeit ist in Österreich praktisch von großer Bedeutung und erscheint – trotz dem Vorliegen von nur vereinzelter einschlägiger OGH-Rsp – eigentlich ganz gut literarisch aufgearbeitet. Zudem haben die Änderungen im Zusammenhang mit dem Arbeitszeitpaket 2018 (BGBl I 2018/53BGBl I 2018/53) eine Fülle an Aufsätzen zu Einzelfragen hervorgebracht. Auch sind die AZG-Kommentare von Schrank, Auer-Mayer/Felten/Pfeil sowie von Gasteiger/Heilegger/Klein nunmehr alle überarbeitet, sodass sich die Frage stellt, warum es eigentlich ein Buch wie das vorliegende braucht? Diese Frage ist leicht zu beantworten: Weil bei der bestehenden Fülle an Material ein zusammenfassender Überblick notwendig ist. Wenn dieser dann auch noch wissenschaftlich fundiert ist, neben der Breite auch ordentlich Tiefe aufweist und außerdem noch eigene Positionen entwickelt werden, dann hat man ein wirklich gutes Buch vor sich. Das ist hier bei der Arbeit von Mario Niederfriniger, die auf seine während seiner Assistententätigkeit verfasste und an der Universität Innsbruck approbierte Dissertation zurückgeht, in der Tat der Fall.
Das Buch ist in sieben große Kapitel gegliedert: Nach einer Einleitung (I.) und den arbeitszeitrechtlichen Grundlagen (II.) wird die Gleitzeitvereinbarung hinsichtlich der Regelungszuständigkeit und der Regelungsinhalte behandelt (III.). Daran schließen Kapitel zu Zeitguthaben und Zeitschulden (IV.), die Zeitsouveränität der AN bzw deren Beschränkung (V.), die Dienstabwesenheit (VI.) und die abgabenrechtliche Behandlung (VII.) an. Ich selbst hätte die äußerst umstrittene Frage der Überstunden bei Gleitzeit stärker hervorgehoben und ihr ein eigenes Kapitel gewidmet, aber das ist letztlich Geschmackssache. Sie wird in dem Buch hinsichtlich der Eingriffe in die Arbeitszeitsouveränität unter dem Titel „Einordnung der Arbeitsleistung“ (Rz 487 ff) und betreffend der Überhänge am Ende der Gleitzeitperiode (Rz 247 ff) bzw am Ende des Dienstverhältnisses (Rz 322 ff) behandelt.
Auf zwei inhaltliche, in dem Buch behandelte Fragen ist hier noch kurz einzugehen. Es geht um die Problematik von „Kappungsklauseln“, zu denen der OGH mittlerweile eine E (30.10.2019, 9 ObA 75/19y) getroffen hat. Generelle „Kappungsklauseln“, dh dass alle nicht übertragbaren Zeitguthaben am Ende der Gleitzeitperiode verfallen, werden in dieser als unzulässig angesehen. Ein derartiger undifferenzierter Verfall eines Zeitguthabens kann nämlich auch dann zu einem Entfall des Entlohnungsanspruchs führen, wenn ihm keine „aufgedrängten“ Arbeitsleistungen zugrunde liegen. Die E ist nicht unbedingt klar und klärt insb nicht, wann eine zulässige differenzierende Kappungsklausel vorliegt. Niederfriniger behandelt diese Problematik ausführlich (Rz 339 ff) und kommt – wie wohl auch der OGH – zu dem Schluss, dass danach zu differenzieren ist, wem das Entstehen der Zeitguthaben eher zuzuordnen ist. Sind sie dem AG zuzurechnen, ist ein Kappen ausgeschlossen und sind die Arbeitsstunden zu vergüten. Sind sie hingegen den AN zuzurechnen, ist ein Kappen nach Niederfriniger (Rz 348) prinzipiell möglich. Dabei soll es nicht zuletzt auch auf ein allfälliges Verschulden der AN ankommen; hatte zB der AN etwa subjektiv gar keine Möglichkeit, das Zeitguthaben abzubauen (bspw auf Grund einer Dienstverhinderung), werde man ein Kappen ebenfalls ablehnen müssen. In der Folge wird dann zusätzlich eine Hinweisobliegenheit der AG angenommen, dh dass AG ihre Mehrleistungen ablehnende Haltung entsprechend Ausdruck zu verleihen haben (bspw durch die Weisung, Zeitguthaben abzubauen), da andernfalls eine konkludente Entgegennahme der Arbeitsleistungen im Raum stehe, die wiederum zur Entgeltzahlung verpflichte (Rz 349). Wie auch der OGH unterscheidet jedoch Niederfriniger mE zu wenig zwischen dem Aufbau der Zeitguthaben, die idR vollkommen vereinbarungskonform im Rahmen der den AN eingeräumten Zeitautonomie erfolgen, und dem Abbau der so zulässigerweise aufgebauten Guthaben bzw das Unterlassen desselben. Dass die Verantwortung dafür allein den AN auferlegt werden soll, widerstrebt dabei auch offensichtlich Niederfriniger, der zahlreiche Einschränkungen vorsieht, die vor allem darauf abzielen, die AG ebenfalls in die Pflicht zu nehmen. Wirklich klare, die Praxis anleitende Aussagen finden sich hingegen, wie auch in der OGH-E, nicht. Letztlich hilft hier mE nur ein in der Gleitzeit-(betriebs-)vereinbarung niedergelegtes klares Verbot, Zeitguthaben aufzubauen, wenn eine gewisse Stundenanzahl erreicht ist (sogenanntes Ampelkonto, bei dem die Ampel auf „rot schaltet“; dazu Risak/Jöst/Patka/David, Praxishandbuch Gleitzeit2 [2016] 101 f). 169
Eine zweite Problematik ist hier ebenfalls kurz anzusprechen, nämlich, ob ein gewisses Mindestmaß an Arbeitszeitautonomie bestehen muss, damit von einer Gleitzeit iSd § 4b AZG ausgegangen werden kann. Obwohl das AZG dazu keinerlei Aussage trifft, vertritt Niederfriniger (Rz 427 ff; ähnlich ders, Mangelhafte Gleitzeitvereinbarungen und ihre Rechtsfolgen, JAS 2018, 105 [125]) im Anschluss an Jöst (Gleitzeit- und Durchrechnungsvereinbarungen, 2011/21, 121; ders in Risak/Jöst/Patka/David, Praxishandbuch Gleitzeit2 94 f; nach der AZG-Novelle 2018 ders, Die „neue“ Gleitzeit, ecolex 2018, 796 [798 f]), dass zumindest 25 % der Arbeitszeit vom AN selbstbestimmbar sein müssen. Dies wird von Jöst damit begründet, dass, wenn die zuschlagsfreie tägliche Normalarbeitszeit um zwei Stunden ausgedehnt wird, im selben Ausmaß Arbeitszeitautonomie vorliegen muss. Niederfriniger findet das überzeugend (Rz 430) und plausibel begründet (Rz 432). Er führt zusätzlich noch den „dem Gleitzeitmodell innewohnenden Gedanken“ ins Treffen, dass „die Zeitsouveränität als Ausgleich für den Wegfall der Mehrarbeits- und Überstundenzuschläge gedacht ist“. Dies ist jedoch unzutreffend, da dieser Wegfall Folge, aber nicht Grund für die Zeitsouveränität ist – es geht bei der Gleitzeit in erster Linie darum, AN Zeitsouveränität einzuräumen (so auch § 4b AZG); immer wenn die Lage von Arbeitsstunden autonom festgelegt werden kann, dann fallen in Folge die Zuschläge weg (und auch nur dann, wenn ein entsprechender Ausgleich erfolgt). Es besteht somit mE keine Notwendigkeit für komplizierte, nicht im Gesetz angelegte Einschränkungen, die keinen erkennbaren Mehrwert für AN bringen. Geht es vielmehr darum, den Missbrauch dieses Modells durch AG wegen „verschleierter Überstunden“ zu verhindern, dann ist dagegen im Zusammenhang mit der Überstundenproblematik vorzugehen (siehe dazu Risak, Überstunden bei Gleitzeit durch ad-hoc-Eingriffe in die Zeitautonomie, in Liber Amicorum Mazal [2019] 141) und nicht durch die Einführung zusätzlicher einschränkender Voraussetzungen für Gleitzeitvereinbarungen.
Dass der Rezensent mit dem Verfasser in diesen Punkten nicht einer Meinung ist, tut freilich der Qualität des Werkes keinen Abbruch, sondern zeigt vielmehr, dass es zur kritischen Auseinandersetzung anregt, da es nicht nur einen aktuellen Überblick über den Stand der Diskussion verschafft, sondern bei den wichtigen Einzelfragen in die Tiefe geht und klar Position bezieht. Man kommt somit derzeit bei einer Beschäftigung mit der Gleitzeit nicht um dieses Buch herum. Es ist eine echte Bereicherung.