Abermann/Czech/Kind/PeyrlNAG – Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz inkl Integrationsgesetz

2. Auflage, Verlag Österreich, Wien 2019, 1.306 Seiten, gebunden, € 289,–

BARBARATROST (LINZ)

Das sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis aktive AutorInnenteam spricht bereits zur ersten Auflage (S VII) 2015/16, bezogen auf das NAG, von einem „hohen Grad an Komplexität“. Und die KommentatorInnen setzen ebendort ihre unverhohlene Kritik an der Regelung der gesamten Materie („eine zum Teil an die Grenzen des Legalitätsprinzips rührende Unverständlichkeit“; S VII) an den Beginn. Warum nach nur vier Jahren eine Neuauflage erforderlich wurde, erklärt sich aus der dynamischen Entwicklung des Migrationsrechtes – hier wieder im Besonderen des europäischen Migrationsrechtes – an sich. Der Anpassungsbedarf seit dem Erscheinen der Erstauflage ergibt sich zum einen aus einer Fülle von Entscheidungen, insb des VwGH, aber auch des EuGH, zum anderen aber auch aus zahlreichen Änderungen auf Gesetzesebene. Neben jenen, die in das NAG Eingang gefunden haben (wie zB das Materien- Datenschutz-Anpassungsgesetz, BGBl I 32/2018BGBl I 32/2018; vgl die Kommentierung von Czech zum 7. Hauptstück, S 517 ff), war auch als völlig eigenständiges, die Materie aber stark beeinflussendes Gesetz das Bundesgesetz zur Integration rechtmäßig in Österreich aufhältiger Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft (IntegrationsgesetzIntG) aufzunehmen (S 1083 ff; mit Kommentierung von Philip Czech und Johannes Peyrl).

Das ehrgeizige Vorhaben, auch mit der Neuauflage zu diesem umfassenden Werk ein Handwerkszeug für die Praxis auf hohem wissenschaftlichen Niveau vorzulegen, ist zum größten Teil gelungen. Reich an Informationsgehalt liest sich auch in der zweiten Auflage wieder die Einführung in das Migrationswesen an sich (Einl S 1 ff). Rasch gewinnt man hier, auch wenn man mit der Thematik noch nicht vertraut war, einen Einblick in die spannende Historie der Migration, speziell aus österreichischer Perspektive. In Rz 8 der Einleitung irritiert im Kontext mit der Anzahl der einen Asylantrag stellenden Flüchtlinge der Satz: „2015 werden es wesentlich mehr sein“, könnte doch hier der Eindruck entstehen, es wäre die Einleitung seit der 2016 erschienenen Erstauflage nicht überarbeitet worden. In der Tat vermisst man bis zum Ende dieses Abschnittes auch die wohl nicht minder spannende Weiterentwicklung der Migration im Zuge der immer noch aktuellen Flüchtlingsbewegungen. Gleich in Rz 10 der Einleitung wird klar, dass diese natürlich aktualisiert wurde, ist doch hier korrekt von den sage und schreibe 29 (!) Novellierungen des NAG bis zum Redaktionsschluss dieser Auflage 2019 die Rede. Mit Recht ist also von einer das Migrationsrecht prägenden „Dynamik“ zu sprechen (S V).

Der wissenschaftlichen Verwendung kommt entgegen, dass das Schrifttum dankenswerterweise nicht nur in einer Gesamtübersicht am Ende (S 1253 ff), sondern auch sortiert zu den einzelnen Paragrafen abgedruckt ist. Dort finden sich auch vorab in einer für Publikationen dieser Art überraschenden Ausführlichkeit Auszüge aus den Materialien, welche – für die wissenschaftliche Verwendung eher sparsam – als „EB zu BGBl ...“ bezeichnet werden, wiewohl doch gelegentlich (aber nicht immer) im Text selbst (zB § 19 Rz 30), selten (wie zB im Falle eines IA; S 659) sogar im Vorspann LeserInnen mit der Beilagennummer verwöhnt werden. Dieser leise Anflug von Kritik ist aber gleich wieder zu relativieren: Unvollständige Materialienzitate stören heutzutage nur mehr WissenschafterInnen, die in altmodischer Manier vor Bücherschränken mit Stenografischen Protokollen stehen – wer munter drauf los googelt, findet ohnehin alles Nötige im Netz.

Was die Wissenschaft charakterisiert, sind ua – wenn nicht gar in der Hauptsache – Wille und Fähigkeit zu kritischer Auseinandersetzung. Beides beweisen die AutorInnen dieses Werks. Dies kann hier nur anhand einzelner Beispiele vorgeführt werden. Hier wäre etwa die Auseinandersetzung mit § 21 Abs 2 Z 4 NAG zu erwähnen. Weil § 21 Abs 1 NAG zunächst rigoros anordnet, dass Erstanträge auf Aufenthaltstitel vor Einreise in das Bundesgebiet im Ausland zu stellen sind, kommt dem Ausnahmenkatalog in Abs 2 große Bedeutung zu. Im Zentrum der Kritik steht hier vor allem Z 4, wonach die Ausnahme vom Prinzip der Erstantragstellung im Ausland für Kinder nur bis zum Ende des sechsten Lebensmonats gilt. Der Kommentator Martin Kind zieht für seine Kritik an dieser restriktiven Regelung zu Recht die Judikatur des VfGH heran, wonach unvollziehbare Gesetze dem rechtsstaatlichen Prinzip widerstreiten würden. Es stünde – so der Autor – eine Ausweisung eines Kindes wegen Versäumnisses der Antragstellung durch die Eltern „mit dem rechtsstaatlichen Gedanken und Art 8 EMRK in Konflikt“ (S 316). Ein weiteres Beispiel sachlich fundierter Kritik findet sich bei Peyrl zu § 41a Abs 10 NAG (S 629, Rz 18 zu § 41a NAG) und betrifft ebenfalls das Kindeswohl: Zwar sei der Aufenthaltstitel auf Basis der Rot-Weiß-Rot – Karte plus von einem „begründeten Antrag“ abhängig, doch sei an keiner Stelle angeführt, welche „Gründe“ für einen solchen Titel ins Treffen geführt werden könnten. Und um ein drittes Beispiel für eine kritische Auseinandersetzung zu nennen, sei auf Julia Abermann verwiesen, die zur Niederlassungsbewilligung Angehöriger in der Kommentierung des § 47 NAG den Umgang des NAG mit dem Assoziierungsabkommen EWG-Türkei kritisch aufs Korn nimmt: Während die Praxis (konkret insb die Rsp des VwGH) die europäischen Vorgaben längst umgesetzt habe, enthalte sich der Gesetzgeber im NAG nach wie vor einer entsprechenden Regelung des Familiennachzuges, was insgesamt die Intransparenz der ohnehin schwer überschaubaren Regelungen noch erhöhe (S 756 ff).

Neben dem zweifellos in hohem Maße erfüllten wissenschaftlichen Anspruch sollte auch der Nutzen des Werks für die Praxis gebührend gewürdigt werden. Dieser geht – wie sich gleich zu Beginn zB in den Ausführungen von Czech zeigt (zB S 28 ff) – selbstverständlich weit über den engeren Bereich des öffentlich-rechtlich determinierten Migrationsrechts hinaus: Die neuen Aufenthaltstitel „ICT“ („intra-corporate transfer“) – interessant vor allem für die betroffenen Unternehmen – werden in Rz 5a zu § 1 NAG praxisnah und verständlich erklärt.

Nicht an allen Stellen des Kommentars gelingt die sprachlich klare Umsetzung in diesem Maße. Wenn etwa in Rz 4a zu § 21a NAG nach einem „allenfalls“, das im ersten Satz mit einer im Kontext schwer verständlichen Negation gekoppelt wird, in einem einzigen zweiten 172 Satz, dann auch noch „andererseits“, „einerseits“ und gleich wieder „andererseits“ aufeinanderfolgen, bis schließlich nach mehrmaliger Lektüre im Ergebnis Verwirrung übrig bleibt, so nimmt man dies dennoch dem Autor nicht übel. Im Gegenteil: Man kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, handelt doch gerade dieser Teil des Kommentars von Sprachdiplomen zum Nachweis der Deutschkenntnisse!

Insgesamt bleibt nach Lektüre der zweiten Auflage dieses großen Kommentars ein durchwegs positiver Eindruck: Ein umfassendes, gründlich recherchiertes Werk, das sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis eine wertvolle Unterstützung zum Verständnis dieser überaus komplexen Materie bietet.