DusseKrise des Kompromisses? Zur Kontinuität des selektiven Korporatismus am Beispiel der Arbeitsmarktpolitik Dänemarks, Deutschlands und Italiens

Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2019, 361 Seiten, € 35,–

WALTERSCHERRER (SALZBURG)

In diesem Buch wird die Entwicklung der Arbeitsmarktregimes und der Gestaltung von Arbeitsmarktinstitutionen in drei ausgewählten Ländern der Europäischen Union nachgezeichnet. Insb wird vier Fragen nachgegangen: Erstens, hat sich die Arbeitsmarktpolitik der Nationalstaaten in der EU im Zuge der Durchsetzung einer wettbewerbsorientierten Integrationsweise angeglichen? Zweitens, wie gestaltet sich die Arbeitsmarktpolitik konzeptionell und in der Praxis: Hat sie sich entsprechend den Erfordernissen eines „flexibilisierten, postfordistischen Kapitalismus“ gewandelt? Drittens, werden Gewerkschaften in die Neuausrichtung des Arbeitsmarktregimes integriert oder entwickeln sie eigene Strategien? Und viertens, führt die Krise des Postfordismus zu einem erneuten Wandel in der Arbeitsmarktpolitik: zB weg von disziplinierenden Ansätzen oder verstärken sich diese?

Der konzeptionelle Kern der Arbeit ist der Begriff des selektiven Korporatismus, unter dem die Einbindung von Teilen der Arbeiterklasse in die Kapitalstrategien verstanden wird. Die Arbeit untersucht, „ob sich die daraus resultierenden Spaltungslinien im nationalen Wohlfahrtsstaat fordistischer Prägung im postfordistischen Arbeitsmarktregime vertieft haben und ebendiese sexistischen und rassistischen Spaltungslinien eine solidarische Klassenpolitik erschweren“ (S 14). Vor dem Hintergrund werden längerfristig wirksame Entwicklungstendenzen der politischen und rechtlichen Gestaltung der Arbeitsmarktregulierung in den drei Ländern Dänemark, Deutschland und Italien untersucht. Brigita Dusse zieht aus 32 leitfadengestützten Interviews mit ExpertInnen und der Auswertung von Rechtsquellen und Politikdokumenten und -aussagen vielfältige Schlussfolgerungen.

In den Interviews werden Fragen zur Rekommodifizierung von Arbeit (Flexibilisierung von Arbeit, „Aktivierung“ von Arbeitskräften) und zum Rescaling der Arbeitsmarktpolitik (Dezentralisierung und Europäisierung der Arbeitsmarktpolitik) gestellt. Es wird eine angebotsorientierte Wende der Arbeitsmarktpolitik konstatiert, die zur Individualisierung des Arbeitslosigkeitsproblems führt bzw darin zum Ausdruck kommt. In allen drei untersuchten Ländern zeigt sich in den Interviews ein grundsätzlich positiver Bezug zum Aktivierungsansatz der Arbeitsmarktpolitik, wobei – nicht ganz überraschend – die AG-Seite zu Ansätzen neigt, die in Richtung Sozialdisziplinierung tendieren, während die AN-Seite den Qualifizierungsansatz bevorzugt. Im Ergebnis habe die Arbeitsmarktflexibilisierung in Deutschland und in Italien zugenommen, in Dänemark sei sie zum Befragungszeitpunkt bereits hoch gewesen. Die Entstandardisierung der Arbeitsverhältnisse habe – vor allem in Italien – zu einer „Myriade an Arbeitsvertragsformen“ geführt. Seit 2008 zeichne sich eine „neoliberal-autoritäre“ Wende der Arbeitsmarktpolitik ab, die EU-Kompetenzen auch auf die nicht vergemeinschaftete Arbeitsmarktpolitik ausdehnte.

Eine Stärke der Arbeit ist die Nachzeichnung der Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik in den drei untersuchten Ländern. Einige Schwachpunkte sind aber ebenfalls anzuführen: Während das Buch das Erscheinungsjahr 2019 ausweist, wurden die Interviews bereits in den Jahren zwischen 2007 und 2009 durchgeführt. Auch das Literaturverzeichnis enthält kaum Quellen, die nach 2012 publiziert wurden (das trifft auch auf Rechtsquellen zu), was eine Analyse der Auswirkungen der Krise des Postfordismus auf die Arbeitsmarktpolitik – was als Ziel der Arbeit genannt wird – im besten Fall nur stark eingeschränkt möglich erscheinen lässt.

Weiters werden in der Arbeit wichtige Aspekte ausgeblendet. So wird aus Interviews und der Analyse von Rechtsquellen und anderen Dokumenten eine neoliberal-autoritäre Wende in der Arbeitsmarktpolitik abgeleitet. Wie schlimm aber sind die Auswirkungen einer derartigen Wende auf dem Arbeitsmarkt, dass sich also die Arbeitsmarktpolitik entsprechend den Erfordernissen eines „flexibilisierten, postfordistischen Kapitalismus“ gewandelt hat? Es wird zwar darauf verwiesen, dass die „Entwicklung der Arbeitsmarktstrukturdaten im Laufe des wettbewerbsstaatlichen Umbaus ... sich als ‚spaltende Integration‘ beschreiben“ lässt. Es erfolgt aber keine fundierte Analyse der angesprochenen Arbeitsmarktstrukturdaten, die empirische Aussagen darüber trifft, welche Auswirkungen dieser behauptete Umbau auf den Arbeitsmärkten (und nicht nur in den Arbeitsmarktregimen!) der drei Länder zeitigte. Statistisches Material zu Arbeitsplatz- und Berufswechsel, zur regionalen Mobilität und zur zeitlichen Flexibilität von Arbeitskräften, zu geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktaspekten, zur Dauer von Beschäftigungsverhältnissen und der individuellen Arbeitslosigkeit, zur Einkommensverteilung – um nur einige relevante Dimensionen zu nennen – stünde für solche Analysen reichlich und leicht zugänglich zur Verfügung. Einen empirischen Nachweis der Auswirkungen der von ihr vorgebrachten Ergebnisse auf die Entwicklung der Arbeitsmärkte in den drei untersuchten Ländern bringt die Autorin aber nicht einmal ansatzweise. Sie belässt es vielmehr bei einer langen, manchmal etwas langatmigen und an vielen Stellen mit klassenkämpferischer Terminologie verbrämten konzeptionellen Darstellung. 173