Rechtsangleichung im Entgeltfortzahlungsrecht der Arbeiter und Angestellten

RENÉSCHINDLER (WIEN)
Knapp vor dem 100 Jahre-Jubiläum des Angestelltengesetzes (AngG) wurden 2017 dessen Regeln zur Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Arbeitsunfall erstmals wesentlich geändert. Damit wurde auch diesbezüglich die Rechtsangleichung zwischen ArbeiterInnen und Angestellten erreicht. Natürlich werfen die neuen Regeln etliche Fragen auf.
  1. Überblick

  2. Die geschichtliche Entwicklung

    1. Die Entwicklung bis 2017

    2. Initiativen der Sozialpartner im Vorfeld der Novelle 2017

    3. Die parlamentarische Beschlussfassung

    4. Sozialpolitische Hintergründe der beschlossenen Lösung

  3. Die Inhalte der Neuregelung im Überblick

  4. Bestehen weiter Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten?

    1. Vorbemerkung

    2. Die Struktur der bestehenden Textunterschiede

    3. Unterschiedlich formulierte Texte

    4. Regelungen, die nur im EFZG bestehen

    5. § 9 Abs 3 – die nur im AngG bestehende Norm

    6. Resümee

  5. Fortzahlung des Entgelts nach Ende des Arbeitsverhältnisses

  6. Die Übergangsregeln für KollV und BV der Angestellten

    1. Die Struktur der Übergangsregeln

    2. Auslegung weiter geltender Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen

    3. Überlegungen zur Neuregelung von Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen, die auch den „ermäßigten“ Anspruch erfassen

  7. Zusammenfassung

1.
Überblick

Die §§ 8 und 9 AngG wurden mit dem Ziel gleicher Rechte für ArbeiterInnen und Angestellte 2017 geändert.* Erstmals in diesem Gleichstellungsprozess, der sich schon über Jahrzehnte hinzieht, wurde die für ArbeiterInnen geltende Regelung als die geeignetere angesehen. Kap 2 behandelt, nach einem kurzen Überblick über die historische Entwicklung, die Gründe dafür. In diesem Zusammenhang informiere ich auch kurz über jene Sozialpartnerverhandlungen, die zwei Jahre vor der Neuregelung auf Fachebene abgeschlossen, aber niemals politisch umgesetzt wurden. Ich war auf AN-Seite daran beteiligt.

Kap 3 enthält eine kurze Darstellung der nun geltenden, im Kern ja bekannten Rechtslage. Allerdings ist – jedenfalls nach Auffassung des OGH – keine vollständige Gleichstellung erfolgt. Ob und gegebenenfalls welche Unterschiede im Entgeltfortzahlungsrecht weiterhin zwischen den beiden AN-Gruppen bestehen, untersuche ich in Kap 4. Kap 5 widmet sich jener neuen Regelung, wonach auch bei einvernehmlicher Auflösung wegen oder 105 während einer Erkrankung die Entgeltfortzahlung gegebenenfalls über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zu erbringen ist. Last but not least befasst sich Kap 6 mit jenen Bestimmungen in KollV und BV, die Besserstellungen von Angestellten gegenüber der alten Rechtslage vorsehen.

2.
Die geschichtliche Entwicklung
2.1.
Die Entwicklung bis 2017

Die §§ 8 und 9 AngG wurden nur äußerst selten geändert: § 8 AngG entsprach bis 2017 weitgehend der Fassung von 1921. Im Kern ist lediglich die Einführung der geringen Begünstigung bei Arbeitsunfällen/ Berufskrankheiten für AN mit weniger als sechs Dienstjahren durch BGBl 1975/418 zu nennen. Hintergrund war wohl die 1974 erfolgte Schaffung des EFZG.* Mit dieser Novelle wurde ferner in § 9 AngG die – abgesehen vom Fall der einvernehmlichen Auflösung (Kap 5) – bis heute gültige Regelung der Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus verankert.

2.2.
Initiativen der Sozialpartner im Vorfeld der Novelle 2017

Die schrittweise Aufhebung der Ungleichbehandlung von ArbeiterInnen und Angestellten ist ein beständiges Thema der österreichischen Sozialpolitik schon seit den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Die Gleichstellung wurde aber nie vollendet, auch mit den 2017 beschlossenen Regelungen ist sie keineswegs abgeschlossen.* Das ist auch rechtlich bedenklich, da mit guten Gründen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit unterschiedlicher Regelungen schon lange bezweifelt wird.*

2013 starteten die Sozialpartner einen neuen Anlauf, um eine endgültige Lösung der Gleichstellung zu vereinbaren. Es zeigte sich aber sehr schnell, dass mangels einer klaren politischen Grundeinigung der Sozialpartnerspitze auf ExpertInnenebene keine Fortschritte zu erzielen waren. Daher begannen 2014 auf das einfachste Thema beschränkte Gespräche: Bei den Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Unfall waren beide Seiten am meisten an einer Lösung interessiert (zu den Gründen gleich unter 2.4.) und es handelt sich um eine praktisch weit bedeutungsvollere Materie als zB das technisch äußerst schwierige Entlassungsund Austrittsrecht.

Zwischen Regierung und den Sozialpartnern wurden daher in den Jahren 2014-2016 die üblichen, tripartistischen Verhandlungen über eine Neuregelung geführt. Sie wurden auf ExpertInnenebene erfolgreich abgeschlossen; die politische Umsetzung der gefundenen Lösungen scheiterte in der Folge aber am verhärteten Klima zwischen den Sozialpartnern. Grundlage der Gespräche war eine von einem Forschungsinstitut erarbeitete Untersuchung über die finanziellen Folgen verschiedener Varianten einer Umstellung des Entgeltfortzahlungssystems der Angestellten auf jenes der ArbeiterInnen. Die Studie wurde auf Basis der anonymisierten Echtdaten von in der SV erfassten Krankheitsverläufen der AN mehrerer Bundesländer in zwei aufeinanderfolgenden Jahren erstellt. Wie zu erwarten war, zeigte sich, dass die Einführung eines getrennten Anspruchs auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfällen auch für Angestellte zu keinen relevanten Kostenfolgen führt. Hingegen ergab sich zur allgemeinen Überraschung, dass das Jahressystem der ArbeiterInnen fast gleich hohe Leistungen erbrachte wie das Angestelltensystem! Und das, obwohl das Angestelltensystem auf einer Sechs-Monate-Zusammenrechnung beruht und nur dort der „ermäßigte“ Anspruch („Topf 2“) zusätzlich zum (für beide Gruppen gleichen) Grundanspruch bestand.

Der Grund dafür ist, dass die am Papier weit höheren Ansprüche der Angestellten nur bei einem sehr untypischen Krankheitsverlauf wirksam werden (vorerst ein kurzer Krankenstand, dann mehrere längere). Während einer durchgehenden langen Erkrankung fallen aber, nach dem Ausschöpfen des Grundanspruchs, keine Leistungen mehr an! Im ArbeiterInnensystem hingegen entsteht mit dem Beginn jedes neuen Arbeitsjahres ein neuer Anspruch, auch bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit. Bei kurzen Krankenständen ist der Unterschied der Systeme belanglos.

Exakt jene Lösung, die in der Novelle 2017 letztlich beschlossen wurde, ist in der Studie nicht simuliert worden. Aufgrund deren Ergebnisse ist aber klar, dass sie insgesamt nur mit marginalen Mehrkosten für AG verbunden ist. Sozialpolitisch gesehen hat die Novelle im Wesentlichen die Situation der Angestellten verbessert, vor allem bei schweren Erkrankungen und Arbeitsunfällen.* Das mag im Rahmen der Gleichstellung ein überraschendes Ergebnis sein, aber es ist gewiss ein gutes und zeigt einmal mehr, was auch im Bereich anderer benachteiligter Gruppen (Frauen, migrantische Arbeitskräfte) immer wieder sichtbar wird: Tatsächliche Gleichstellung ist meist auch für die scheinbar bevorzugten Gruppen von Vorteil!

2.3.
Die parlamentarische Beschlussfassung

Es ist eine Ironie der Geschichte, mit leider ungünstigen Folgen für die Lesbarkeit der einschlägigen Regelungen, dass die Gleichstellung hinsichtlich der Entgeltfortzahlung nun erneut „überfallsartig“ erfolgt ist: Bekanntlich war der letzte Gleichstellungsschritt im Jahr 2000 durch das damalige Arbeitsrechtsänderungsgesetz (ARÄG 2000) erfolgt. Das beruhte zwar auf einer Regierungsvorlage, wurde aber im „speed kills“-Modus beschlossen 106 und zudem im Sozialausschuss durch die überraschende Abschaffung des bis dahin bestehenden Erstattungssystems massiv verändert.* Ähnlich verlief auch diesmal das parlamentarische Verfahren. Dieses erfolgte zwar auf dem Hintergrund der dargestellten Verhandlungen,* allerdings ohne jegliches Begutachtungsverfahren. Basis der Verhandlungen im NR war ein offenbar schnell formulierter Initiativantrag, der noch dazu in letzter Minute neuerlich verändert wurde. In einem solchen Fall ist die Bedeutung der reinen Textinterpretation eher gering zu veranschlagen. Und wie noch zu zeigen ist (vgl Kap 4.4.), potenziert die zweimalige Eile die Interpretationsprobleme.

2.4.
Sozialpolitische Hintergründe der beschlossenen Lösung

Bei allen anderen Schritten der Gleichstellung der Rechte von ArbeiterInnen und Angestellten (Abfertigung alt; Urlaub etc) wurde als gemeinsame neue Regelung jene der Angestellten gewählt; und diese noch etwas verbessert. Diesmal hingegen hat der Gesetzgeber die für ArbeiterInnen gültige Regelung auf die Angestellten ausgedehnt – und geringfügig verbessert. Warum wurde nicht, wie üblich, der umgekehrte Weg gewählt? Da die Neuregelung auf einem Initiativantrag beruht, steht nur dessen kursorische Begründung zur Verfügung. Sie enthält dazu keinerlei Informationen.

Allerdings gab es in den gerade erwähnten Gesprächen der Sozialpartner darüber eine Einigung, die gute Gründe hatte. Mangels jeden gegenteiligen Anhaltspunktes und da der Initiativantrag von einem Abgeordneten eingebracht wurde, der Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz war und ist, wird man davon ausgehen dürfen, dass diese Überlegungen auch für die Gestaltung der Neuregelung wesentlich waren.

Maßgeblich waren demnach folgende Schwächen des Angestelltensystems der Entgeltfortzahlung:

  • Es war äußerst verwaltungsaufwändig: Die Dauer des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung in jedem Fall einer Arbeitsunfähigkeit hing davon ab, wie viele vorherige Erkrankungen mit der aktuellen Erkrankung zusammenzurechnen sind. Dazu musste zwischen Vorerkrankungen unterschieden werden, die ihrerseits die sechsmonatige Zusammenrechnungsfrist auslösen und solchen, auf die das nicht zutrifft. Im Extremfall (keine zusammenhängenden sechs Monate, in denen überhaupt keine Arbeitsunfähigkeit vorlag) mussten alle Krankenstände zurück bis zum Beginn des Arbeitsverhältnisses bewertet werden!

  • Wie oben dargestellt, generierten eine Vielzahl vergleichsweise kürzerer Krankenstände weit längere Entgeltfortzahlungsansprüche, als eine einzelne, aber lange Erkrankung.

  • Aufgrund der weit verbreiteten Praxis, wonach AG bei Erkrankungen von bis zu drei Tagen Dauer auf eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verzichten, wurden solche kurzen Erkrankungen der Gesundheitskasse idR gar nicht bekannt. Sie war dann nicht in der Lage, zu überprüfen, ob das vom AG behauptete Ende des Entgeltfortzahlungsanspruches stimmt.

  • Kleinere Gewerbetreibende konnten die Berechnung oft nicht vornehmen und haben dann zT ohne Berücksichtigung von Vorerkrankungen gezahlt. Nicht zuletzt waren auch AN und oft selbst Betriebsräte überfordert.

  • Ein von Erkrankungen unabhängiger Anspruch für Arbeits- bzw Wegunfälle oder Berufskrankheiten bestand nicht. Auch wenn die Bedeutung dieses Unterschieds wegen der niedrigen Zahl von Unfällen gering war, bewirkte sie für im Einzelfall Betroffene eine massive Ungerechtigkeit.

  • Die Viertel-Entgeltfortzahlung führte zu keinem Ruhen des Anspruches auf Krankengeld, so dass sie zusätzlich zum vollen Krankengeld geleistet wurde. Dadurch kam es in der letzten Phase des Anspruches auf Entgeltfortzahlung zu einer Erhöhung der Leistung. Danach fiel das Einkommen scharf auf lediglich das Krankengeld zurück. Ein solcher Verlauf der Höhe der Ersatzleistung ist wenig sinnvoll.

3.
Die Inhalte der Neuregelung im Überblick

Primär wurde die Zusammenrechnungsregel auf das transparente sowie gut administrierbare Arbeitersystem umgestellt. Die Anspruchsdauer ist für ein Arbeitsjahr (oder Kalenderjahr) festgesetzt. Alle Erkrankungen in diesem Zeitraum werden zusammengezählt, nur Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen eines Arbeitsunfalles zählen nicht dazu. Mit Beginn des nächsten Jahres entsteht aber jedenfalls ein neuer Anspruch, auch wenn eine ununterbrochene Krankheit vorliegt.* Die Dauer und Höhe der Ansprüche auf Entgeltfortzahlung blieben im Kern gleich, lediglich der Anspruch auf acht Wochen volles (und vier Wochen halbes) Entgelt besteht bereits ab dem zweiten (vorher erst dem sechsten) Dienstjahr. Auch für Angestellte gilt nun ein eigenständiger, von den Fällen der Krankheit getrennter Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit infolge von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten. Die Rechtslage bei wichtigen Dienstverhinderungsgründen ist nun für ArbeiterInnen und Angestellte wirklich gleich.* Diese Änderungen bedürfen mE keiner weiteren Erläuterung und das einschlägige Übergangsrecht ist bereits abgelaufen. Lediglich in jenen Fällen, in denen für Angestellte kollektivrechtliche Besserstellungen bestehen, die auch den „ermäßigten“ 107 Anspruch betreffen, gelten noch Übergangsregelungen (Kap 6).

Die Regelungen über die Fortzahlung des Entgelts auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus, wurden um den Fall der Beendigung durch einvernehmliche Auflösung erweitert bzw dieser Fall ausdrücklich geregelt. Die neue Regelung hat verschiedene Fragen aufgeworfen – vgl Kap 5.

4.
Bestehen weiter Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten?
4.1.
Vorbemerkung

Der OGH hat in einer aktuellen E ausgesprochen, die Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten hinsichtlich der Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Unfall sei auch durch die vorliegende Novelle nicht vollständig vorgenommen worden.* Leider erfolgte diese Behauptung fast nebenher, in einem einzigen Satz und ohne jede nähere Untersuchung oder Begründung. Die Berufung auf eine Vorentscheidung,* in der eine „weitgehende Angleichung“ durch das ARÄG 2000 behandelt wurde, legt die Annahme nahe, dass das Höchstgericht den elementaren Unterschied zwischen der grundsätzlichen Gleichstellung insb der Zusammenrechnungsregeln, die – siehe oben – völlig getrennte Welten dargestellt hatten und der damaligen, bloßen Gleichstellung des Grundanspruches übersehen hat. Die E überzeugt auch sonst nicht, setzt sie sich doch mit der Frage, inwieweit Krankheit noch einen Entlassungsgrund darstellen kann, erneut nicht umfassend auseinander.*

Im vorliegenden Zusammenhang ist aber nur die Bedeutung der Novelle 2017 maßgeblich. Dabei ist zu bedenken, dass unterschiedliche Regelungen zwischen den beiden Gruppen angesichts des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes einer sachlichen Begründung bedürften.* Deren Vorliegen hat bekanntlich das deutsche Bundesverfassungsgericht (sogar) im Kündigungsrecht wiederholt verneint.* Im Bereich der Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Unfall ist ein sachlicher Grund für unterschiedliche Regelungen noch viel weniger ersichtlich!

Tatsächlich wurzeln die jahrzehntelang unterschiedlichen Regelungen wohl nur in einem historisch überholten Verständnis von sozialen Hierarchien, die einer in „Stände“ gegliederten Gesellschaft entsprachen. Gänzlich überwunden ist dieses Denken noch keineswegs! Als zB im (Arbeiter-)KollV der Metallindustrie 199815) eine materielle Annäherung an die Rechte der Angestellten verankert wurde, haben wochenlange Ansprüche auf Krankengeldzuschuss (samt der Gleichstellung der Kündigungsfristen!) keinerlei Probleme gemacht. Eine kleine Regelung allerdings führte zu heftigen Konflikten: Die Anordnung, dass auch ArbeiterInnen für die ersten drei Tage einer Erkrankung dann kein ärztliches Zeugnis vorlegen müssen, wenn ein solches von den Angestellten des Betriebes nicht verlangt wird – eine bekanntlich ohne jegliche gesetzliche Grundlage bei Angestellten weit verbreitete Regelung. Dass ein gleicher „Vertrauensvorschuss“ nun auch ArbeiterInnen eingeräumt werden musste, erschien vielen Unternehmen bzw Personalverantwortlichen immer noch ein Problem zu sein! Dass ArbeiterInnen nicht länger AN „zweiter Klasse“ sind, wollten sie nicht akzeptieren.

Untersuchen wir also sämtliche noch bestehenden Textunterschiede im Detail, aber auch die Frage, ob sie sachlich gerechtfertigt werden können!

4.2.
Die Struktur der bestehenden Textunterschiede

Die Neuregelung ist in Form von nahezu wortidenten Änderungen in allen betroffenen Gesetzen vorgenommen worden. Diese umfassen aber jeweils nur jene Passagen, in denen Änderungen unvermeidbar waren. Dadurch sind im übrigen Rechtsbestand bestehende Unterschiede nicht erfasst und somit auch nicht im Text beseitigt worden. Handelt es sich dabei um redaktionelle Fehler bzw in der Eile hingenommene Unschärfen, oder wollte der Gesetzgeber gezielt bestimmte Unterschiede aufrechterhalten? In der Begründung des Antrags, der dem Gesetzesbeschluss zu Grunde liegt, wird zweimal als dessen Ziel die „Angleichung des Entgeltfortzahlungsrechts der Angestellten an das der Arbeiter“ genannt, hingegen wird eine Absicht, irgendwelche Unterschiede aufrecht zu erhalten, nirgends erwähnt.* Es verdient zudem Beachtung, dass mit demselben Antrag und Gesetz auch die Kündigungsregeln gleichgestellt wurden; in jenem Zusammenhang wurde aber durch einen Abänderungsantrag* ein Unterschied zwischen den Regelungen für ArbeiterInnen und für Angestellte geschaffen und begründet (§ 1159 Abs 2 und 4 ABGB – Kollektivvertragsdispositivität der neuen Regelungen in Saisonbranchen).

Der Einfachheit halber stelle ich die einschlägigen Regelungen im Folgenden anhand des EFZG und 108 des AngG dar und übergehe weitere Gesetze. Ich betrachte zunächst die Gruppe jener Regelungen, die – seit jeher – unterschiedlich formuliert sind und nicht geändert wurden. Anschließend wende ich mich jenen Regelungen zu, die nur im EFZG bestehen und im AngG, gleichfalls seit jeher, fehlen. Letztlich gibt es eine Anordnung, die seit je nur im AngG besteht, nicht aber im EFZG. Festzuhalten ist, dass es keine Texte gibt, die bisher gleich waren und erst durch die Novelle 2017 abweichend formuliert worden wären.

4.3.
Unterschiedlich formulierte Texte

Was unterschiedlich formulierte Texte betrifft, gibt es zunächst eine Reihe rein semantischer Abweichungen: So spricht das AngG oft von „Dienst“ und entsprechenden Abwandlungen, das EFZG von „Arbeit“. Das weist durchaus auf einen kulturellen Unterschied hin, hat aber ganz offenbar keine juridische Bedeutung. Auch „bekanntgeben“ (§ 4 Abs 1 EFZG) und „anzeigen“ (§ 8 Abs 8 AngG) sind offenkundig bedeutungsgleich. Dass die Voraussetzung, den „Dienst“ (§ 2 Abs 1 EFZG) bzw „das Dienstverhältnis“ (§ 8 Abs 1 AngG) angetreten zu haben, gleichen Inhalt hat, ist unbestritten.* Auch dass das EFZG über die zu bescheinigende „Ursache und Dauer“ einer Arbeitsunfähigkeit hinaus auch noch deren „Beginn“ zu bestätigen anordnet, dafür aber präzise formuliert, dass natürlich nur die „voraussichtliche“ Dauer anzuführen ist, bewirkt keinen materiellen Unterschied.* Somit verbleibt der Umstand, dass das AngG auch Amtsärzte zur Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ermächtigt, das EFZG hingegen nur Gemeindeärzte. Auch die Bedeutungslosigkeit dieses Unterschiedes* stand bereits vor der Novelle fest.

4.4.
Regelungen, die nur im EFZG bestehen

Das EFZG enthält zu verschiedenen Themen exaktere Regelungen als das AngG. Das ist mE vor allem durch das seinerzeitige Erstattungssystem bedingt: Im Hinblick auf die von der KV verwalteten Erstattungsfonds wurden etliche Regelungen „verwaltungsgenau“ und ganz explizit getroffen (wie im ASVG), auch wenn es im Bereich der Angestellten dazu nie Probleme gegeben hatte. Das bewirkt an sich noch keinen materiellen Unterschied.

Dass zB alle Regelungen zur Gleichstellung von Kuraufenthalten udgl mit Erkrankungen auch für Angestellte gelten, obwohl die §§ 2 Abs 2, 4 Abs 3 und 6 EFZG im AngG kein Gegenstück haben, war stets klar.* Auch hinsichtlich der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts scheint eine deutliche Tendenz zu einer Gleichstellung unübersehbar* und ich denke, dass angesichts des expliziten Gleichstellungsziels der Novelle ohne Probleme zu unterstellen ist, dass der Entgeltbegriff des § 8 AngG iSd Präzisierungen des § 3 EFZG zu verstehen ist. Die Konzepte des Bezugs- versus Ausfallprinzips hätten faktisch nur bei schwankenden Entgelten unterschiedliche Auswirkungen. Gerade dann vertritt die Rsp einheitlich einen je nach Lage drei- oder zwölfmonatigen Betrachtungszeitraum.* Problematisch ist theoretisch, dass die Ermächtigung des § 3 Abs 5 EFZG, durch General- bzw Branchen-KollV abweichende, also auch ungünstigere Regelungen – wenngleich unter Bindung an die Grundsätze des § 3 EFZG* – zu beschließen als das Gesetz vorsieht, sich weiterhin nur auf ArbeiterInnen bezieht; § 8 AngG ist nicht kollektivvertragsdispositiv. Allerdings dürfte es sich um ein nur theoretisches Problem handeln: Der General-KollV schließt keine Leistungen des AG vom Entgeltbegriff aus, die nach allgemeinem Arbeitsrecht Entgelt wären. Und mir sind auch keine Branchen-Kollektivverträge bekannt, die ungünstigere Berechnungsarten zum Inhalt hätten. Gewiss wäre aber eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in allen betroffenen Gesetzen, die eine zeitgemäße, kurze Zusammenfassung sowohl des Inhalts des § 3 Abs 1-4 EFZG als auch des General-KollV zum Inhalt hat, viel „bürgerfreundlicher“. § 3 Abs 5 EFZG könnte dann problemlos entfallen: Günstigere Regelungen durch KollV sind immer zulässig.

Komplexer ist die Rechtslage bei Unterbrechungen im Arbeitsverhältnis und bei der Anrechnung von Vordienstzeiten. Diese Regelungen des EFZG nehmen Bedacht auf die seinerzeit, jedenfalls in einigen Branchen häufigen Unterbrechungen der Arbeitsverhältnisse der ArbeiterInnen. Ob dies eine generelle Benachteiligung der Angestellten rechtfertigen kann, ist aber äußerst zweifelhaft.* Die hL hat schon vor der Novelle 2017 vertreten, dass kurze Unterbrechungen eines Arbeitsverhältnisses auch bei Angestellten unschädlich sind.* Die Präzisierung, die das EFZG hinsichtlich der Frage enthält, was in diesem Zusammenhang als kurz zu betrachten ist (60 Tage), scheint mir daher gut übertragbar.* Dies vor allem, weil – auch wegen des Einsatzes von Leih-AN – die Unterschiede wohl stark abgenommen haben; vor allem aber wegen des ausdrücklichen Gleichstellungsziels der Novelle 2017.

Was „Vordienstzeiten“ betrifft, sind die kumulativen Voraussetzungen des § 2 Abs 3a EFZG durch die Regelungen zum Betriebsübergang bereits 109 überholt; insb die in Z 2 formulierte Voraussetzung ist als richtlinienwidrig unbeachtlich.* Wegen der strikten Rsp des EuGH zu Art 5 Betriebsübergangs-RL* hat die Regelung nur mehr geringe Bedeutung. In den wenigen verbliebenen Anwendungsfällen* ist eine unterschiedliche Behandlung von ArbeiterInnen und Angestellten aber sachlich nicht begründbar. Die Berücksichtigung einer früheren Tätigkeit als ArbeiterIn bei einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis für die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruches als Angestellter ist unstrittig.* Ob auch Zeiten als Lehrling desselben AG anzurechnen sind, hat der OGH jüngst offen gelassen,* doch spricht sich die aktuelle Lehre unter Hinweis auf den Zweck der Dienstzeitstaffelung wie auch die erfolgten Gleichstellungsregelungen zu Recht dafür aus.*

4.5.
§ 9 Abs 3 – die nur im AngG bestehende Norm

Somit verbleibt der eine Fall, in dem eine Formulierung des AngG im EFZG fehlt (er liegt der eingangs dargestellten E des OGH40) zu Grunde): Jene Ergänzung, die § 9 Abs 1 AngG durch Abs 3 erfährt, fehlt im EFZG. § 9 Abs 3 AngG ist gegenüber der Stammfassung bis heute unverändert. Seine ursprüngliche Bedeutung hat er weithin verloren: Sie bestand vor allem darin, die seinerzeit in Abs 1 lediglich für den Fall der Kündigung angeordnete Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus, zu ergänzen: Die Regelungen stellten im Umkehrschluss klar, dass auch bei unberechtigter Entlassung oder Entlassung wegen Krankheit oder Unglücksfall dieser Anspruch besteht. Mit Ausnahme des letztgenannten Falles ist all dies seit der Novelle 1975 in § 9 Abs 1 AngG ausdrücklich geregelt. Dessen Textierung wurde damals wortident dem gerade geschaffenen § 5 EFZG angeglichen. Dass der dadurch weitgehend überholte § 9 Abs 3 AngG im Rahmen der Beschlussfassung der Novelle 2017 übersehen wurde, scheint erklärlich – vgl Kap 2.3. Dass hingegen ein Gesetzgeber, der in sämtlichen anderen Inhalten eine völlige Gleichstellung der Regelungen herbeigeführt hat, gerade hinsichtlich der Ansprüche bei Entlassung wegen110Krankheit eine Ungleichbehandlung aufrechterhalten wollte: Spricht eigentlich irgendetwas für diese Annahme? Wenn nicht, so muss wohl eine planwidrige Unvollständigkeit der Novelle vorliegen. Und entgegen der oben erwähnten E ist daher der einzig relevante, verbliebene Inhalt des § 9 Abs 3 AngG auch auf ArbeiterInnen anzuwenden* – sofern man nicht ohnedies, wie ich glaube zu Recht, davon ausgeht, dass schon das Entlassungsrecht diese Frage löst.*

4.6.
Resümee

Es zeigt sich also, dass die verbliebenen Textunterschiede allesamt irrelevant sind. Weder geringe Unterschiede in den Formulierungen noch Themen, die nur im EFZG oder nur im AngG detailliert geregelt sind, bewirken materielle Unterschiede. Die Rechtslage wurde mit der Novelle 2017 vollständig harmonisiert.*

5.
Fortzahlung des Entgelts nach Ende des Arbeitsverhältnisses

Die diesbezügliche Änderung betrifft die einvernehmliche Auflösung während oder im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit. Dieser Fall war bisher im Text nicht erwähnt. In der Literatur wurde die Gleichstellung mit den explizit geregelten Fällen im Wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung von Umgehungen bejaht,* jedenfalls für den – einzig plausiblen – Fall einer einvernehmlichen Auflösung über Initiative des AG. Die nunmehrige Regelung unterscheidet zwischen zwei Fallgruppen, die gewiss zusammenhängen, indem sie einander sinnvoll, ja notwendig ergänzen. Dennoch ist zunächst eine getrennte Betrachtung für ein klares Verständnis nützlich:

Einerseits löst eine einvernehmliche Auflösung den Anspruch aus, die während einer Dienstverhinderung erfolgt. Bei diesem rein zeitlich definierten Tatbestand sind die Motive der Parteien und damit zusammenhängende Fragen zunächst irrelevant:* Es geht einzig um die Frage, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestehende Entgeltfortzahlungsansprüche tatsächlich unterläuft oder nicht. Die Regelung hat keinen pönalisierenden Charakter, die Auflösung ist und bleibt rechtmäßig. Sie sichert nur den sozialen Schutz der AN und die vorgesehene Lastenverteilung zwischen AG und SV. Nur einseitige Beendigungserklärungen des/der AN bzw ein zur Entlassung berechtigendes Verhalten sollen diese Folge nicht haben, weil der AG dann die Beendigung nicht zu vertreten hat. Eine einvernehmliche Auflösung hingegen benötigt dessen Zustimmung.

Stella`s Auffassung, wonach der Unterfall einer Auflösung über Initiative des/der AN keine Ansprüche begründen soll (teleologische Reduktion),* ist zunächst lebensfremd: Welche/r AN würde das während einer Erkrankung für einen Zeitpunkt vor deren absehbarem Ende aus welchen Gründen vorschlagen? Der von ihm erwähnte Wunsch, den Arbeitsplatz ausgerechnet während einer Periode der Arbeitsunfähigkeit zu wechseln, ist idR absurd! Soll eine Tätigkeit aufgenommen werden, die im Gegensatz zur aktuellen gesundheitlich geleistet werden kann, würde das zu einer Beendigung des Krankenstandes führen – dann stellt sich die Frage nicht. Und gerade dann, wenn die Parteien der Vereinbarung eine Lösung in „beiderseitigem Interesse“ finden,* idR indem sie einen „Glückstopf“* zur Zahlung veranlassen, darf nach dem klaren Ziel der Regelung die Pflicht zur Fortzahlung des Entgelts nicht umgangen werden. Stella übersieht bei seiner Darstellung der Ziele der Regelung sowohl den Schutz vor Überwälzung des Entgeltrisikos auf Dritte,* als auch die Notwendigkeit einer klaren und rechtssicheren Regelung. Wer tatsächlich Initiator einer einvernehmlichen Auflösung war, können insb betroffene Dritte kaum eruieren. Der Gesetzgeber hat mit gutem Grund eine lebensnahe Regelung getroffen. Einem AN-Wunsch nach einer einvernehmlichen Auflösung während einer Arbeitsunfähigkeit können AG ohne Risiko ablehnen oder zum Zeitpunkt deren Endes (oder des Endes jeden Entgeltanspruchs) entsprechen. Sollte irgendein Fall von arglistiger Täuschung seitens der/des AN vorliegen, so wäre die Auflösungsvereinbarung selbst unwirksam. Dies ist die einzige denkbare Konsequenz von Willensmängeln in diesem Zusammenhang. Undenkbar ist aber, dass einerseits die Auflösung wirksam bliebe, andererseits aber die Folge des Entgeltanspruchs auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nicht eintreten sollte. Gleiches gilt für die Bedenken Glowacka´s* hinsichtlich Vereinbarungen in Unkenntnis des AG über das Vorliegen einer Erkrankung. Gerade eine Willensübereinstimmung setzt eine Kommunikation voraus, die jedenfalls die Möglichkeit zur Klärung dieser Frage bietet.

Der zweite – und gegenüber der Stammfassung des AngG gar nicht ganz neue* – Fall ist es, dass eine einvernehmliche Auflösung „im Hinblick“ auf eine Dienstverhinderung vereinbart wird. Hier ist der 111 Zeitpunkt der Vereinbarung nicht entscheidend, sehr wohl aber die Kenntnis einer bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Entgeltanspruch hinsichtlich einer faktisch schon bestehenden oder einer vorhersehbar erst eintretenden Arbeitsunfähigkeit beseitigen würde; ob dies zulasten des oder der AN, der Gesundheitskasse, des Arbeitsmarktservice oder wessen immer ginge; und auf wessen Vorschlag: Das alles ist bedeutungslos. Der Gesetzgeber hat sehr zu Recht nicht ein verpöntes Umgehungsmotiv normiert („wegen“),* das schwer zu beweisen wäre, sondern einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Kenntnis der (bevorstehenden) Arbeitsunfähigkeit und Auflösungsvereinbarung für entscheidend erklärt („im Hinblick auf“).

Diese beiden Fälle ergänzen einander: Die strikte zeitliche Sicht könnte ja leicht umgangen werden, indem die Vereinbarung vor einem absehbaren Krankenstand, während einer Unterbrechung zB durch einen „Arbeitsversuch“ udgl abgeschlossen (aber etwa auch eine einseitige Beendigungserklärung solcher Art ausgesprochen) wird. Durchaus überzeugend hat die Literatur daher schon vor der expliziten Normierung die ergänzende Sicht auf die Kenntnis des AG betont.*

Seit der Novelle besteht aber, folgt man nur dem reinen Gesetzeswortlaut, ein Unterschied zwischen den einseitigen Auflösungsformen und der einvernehmlichen Auflösung: Hinsichtlich letzterer ist die ergänzende Sicht auf die Kenntnis des AG nun ausdrücklich normiert, die Regelung betreffend der anderen Auflösungsformen wurde nicht verändert. Bringt der Gesetzgeber damit zum Ausdruck, dass er diese zusätzliche Prüfung bei einseitigen Auflösungserklärungen nicht mehr für maßgeblich hält? Dagegen spricht zunächst, dass keinerlei Grund für eine solche Änderung besteht. Der Zusammenhang der beiden Fälle und die Notwendigkeit, Umgehungen durch einen Blick auf die Hintergründe einer einseitigen Auflösungserklärung zu vermeiden, ist völlig unverändert. Die Frage hat auch keinerlei Zusammenhang mit der Gleichstellung zwischen ArbeiterInnen und Angestellten, diesbezüglich hat ja niemals ein Unterschied bestanden. Glücklicherweise gibt zudem der sonst eher wortkarge Initiativantrag hier ausdrücklich Auskunft: Danach soll der Fall der einvernehmlichen Auflösung „analog zur Arbeitgeberkündigung“ geregelt werden.* Damit ist klar, dass die Antragsteller und ihnen folgend der Normengeber davon ausgegangen sind, dass – wie das die Lehre vertritt – schon bisher auch eine „im Hinblick auf“ einen absehbaren Krankenstand ausgesprochene Auflösung den Anspruch gem § 9 AngG/§ 15 EFZG ausgelöst hat. Sonst bestünde ja keine Identität zwischen der bisherigen und der neu eingefügten Regelung. Beabsichtigt war also ausdrücklich keine Änderung der bestehenden Anordnungen, sondern nur deren Ergänzung um den Fall der einvernehmlichen Auflösung. Somit besteht eine vollkommen gleiche Regelung aller nunmehr erfassten Fälle der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, obwohl dies bedauerlicherweise aus dem Text selbst nicht klar hervorgeht.

6.
Die Übergangsregeln für KollV und BV der Angestellten
6.1.
Die Struktur der Übergangsregeln

Die von der Novelle 2017 vorgenommene Umstellung der Ansprüche der Angestellten auf eine Jahresbetrachtung verursacht zwangsläufig Probleme im Zusammenspiel der neuen gesetzlichen Regeln mit bisherigen Regelungen in KollV und/oder BV, die auf dem alten, komplexen System des AngG beruhen. Um diese zu lösen, besser: zu vermeiden, regelt Art X Abs 2 AngG in zwei Ziffern diesen Übergang. Zunächst gilt es, das Verhältnis der einschlägigen Z 17 und 18 zueinander zu klären. Art X Abs 2 Z 17 AngG bezieht sich ausdrücklich nur auf Besserstellungen durch KollV oder BV im Verhältnis zum neuen § 8 Abs 1 AngG: Solche Regelungen in KollV/BV „bleiben aufrecht“. Derlei bräuchte der Gesetzgeber nicht anordnen, da Regelungen der kollektiven Rechtsgestaltung grundsätzlich wegen Gesetzesänderungen nicht ihre Geltung verlieren, es sei denn, das Gesetz griffe in sie ein – was bei Kollektivverträgen schon im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit im Zweifel nie angenommen werden darf. Die Regelung erhält ihren Sinn sichtlich dadurch, dass sie Teil einer Gesamtregelung sein soll: Art X Abs 2 Z 18 AngG bezieht sich auf am 1.7.2017 bestehende Besserstellungen durch KollV/BV hinsichtlich der Ansprüche, wie sie § 8 Abs 2 AngG „alt“ vorgesehen hat; also Kollektivvertragsbesserstellungen betreffend den „ermäßigten“ Anspruch („Topf 2“). Die beiden Ziffern sollen wohl alle auf KollV oder BV beruhenden Besserstellungen so erfassen, dass entweder Z 17 oder Z 18 gilt. Auch letztere greift nicht in die Kollektivverträge/ Betriebsvereinbarungen ein, sieht aber die gewichtige Rechtsfolge vor, dass bei Bestehen solcher Regelungen § 8 Abs 2 AngG in der alten Fassung vorerst aufrecht bleibt!

Die auf den ersten Blick irritierende Bezugnahme einmal auf den neuen, das andere Mal aber auf den alten Rechtsbestand, ist bei näherer Betrachtung durchaus sinnvoll. Ein Günstigkeitsvergleich muss stets im Verhältnis zum geltenden Gesetzesrecht vorgenommen werden, deshalb muss sich die Z 17 auf die neue, Z 18 aber auf die weiter geltende alte Rechtslage beziehen.

Art X Abs 2 Z 17 AngG erfasst nur jene Kollektivverträge, die lediglich den Grundanspruch verbessern, nicht aber auch den Anspruch bei erneuten Erkrankungen. Das ist selten, mE sind vor allem jene Regelungen erfasst, die nur die Berechnung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung näher determinieren. Obwohl dieser Inhalt natürlich auch den „ermäßigten Anspruch“ betrifft, gilt mE Art X Abs 2 Z 18 AngG dafür nicht (teleologische Reduktion), weil es dessen Ziel ist, den eingangs erwähnten Systemkonflikt zu vermeiden.* Lediglich die 112 estlegung, zB des Ausfallprinzips als Berechnungsregel, ist aber vom System der Zusammenrechnung mehrerer Erkrankungen völlig unabhängig. Gleiches gilt für Regeln zur Anrechnung von Vordienstzeiten.

Einschlägige Regelungen umfassen im alten, diesbezüglich nicht differenzierenden System des AngG im Zweifel stets auch Arbeitsunfälle. Dieser Inhalt ist dem Wortlaut nach von Art X Abs 2 Z 17 AngG nicht erfasst, da der neue § 8 Abs 1 AngG nur die Ansprüche bei Erkrankungen regelt; der Anspruch bei Arbeitsunfall oder Berufskrankheit findet sich nun in § 8 Abs 2a AngG. ME ist diese einschränkende Sicht schon bei systematisch-teleologischer Auslegung der Norm nicht haltbar, aber darauf kommt es nicht an: Da § 8 Abs 1 AngG in der alten wie auch in der neuen Fassung nur einseitig zwingend ist, bleiben Besserstellungen durch KollV oder BV auch ohne diesbezügliche gesetzliche Anordnung aufrecht, also auch hinsichtlich der Ansprüche bei Arbeitsunfall.

Was Art X Abs 2 Z 18 AngG betrifft, muss wohl mit Bedauern konstatiert werden, dass der Gesetzgeber hier vor der Schwierigkeit des Themas und wohl auch der Unüberblickbarkeit einschlägiger Regelungen kapituliert hat. Er ordnet schlicht für etliche Branchen und Betriebe die weitere Geltung des § 8 Abs 2 AngG in der „alten“ Fassung an, bis einschlägige Kollektivvertrags- oder Betriebsvereinbarungsnormen neu geregelt wurden. Damit gilt dort zwar die in § 8 Abs 1 AngG vorgesehene geringfügige Verlängerung des Grundanspruches (samt seiner Auswirkung auf den „ermäßigten“ Anspruch) sowie der eigenständige Anspruch bei Arbeitsunfällen gem § 8 Abs 2a AngG samt dessen grundsätzlich auf den Anlassfall bezogenen Betrachtungsweise. Aber bei Wiedererkrankungen, die nicht auf einem Arbeitsunfall beruhen, bleibt es beim eher komplexen, alten System des AngG. Die Unterscheidung in „fristauslösende“ und andere Erkrankungen und die Zusammenrechnung von Zeiten der Dienstverhinderung hat jedoch nunmehr ohne Berücksichtigung von Arbeitsunfällen zu erfolgen. Das ist systematisch konsequent und die vorgesehene Weitergeltung ausschließlich des § 8 Abs 2 AngG „alt“ lässt ein anderes Verständnis auch nicht zu: Die dort weiterhin nur auf § 8 Abs 1 AngG (nun aber „neu“!) bezogene Regelung umfasst Arbeitsunfälle nicht mehr.

Art X Abs 2 Z 18 AngG ist anwendbar, wenn Kollektivvertrags-/Betriebsvereinbarungsregelungen

  • entweder jene Ansprüche verbessern, die „gemäß § 8 AngG“ (oder gar ausdrücklich § 8 Abs 2 AngG) zustehen (zB KollV Banken, Sparkassen, Versicherungen/Innendienst, AUA etc);

  • oder für jeden Fall der Arbeitsunfähigkeit ohne Bezug auf gesetzlich zustehende Leistungen ein bestimmtes Leistungsniveau garantieren, denn dann gelten diese Ansprüche auch für Wiedererkrankungen (zB die meisten der für JournalistInnen gültigen Kollektivverträge).

Ob und gegebenenfalls welche Zusammenrechnungsregeln für die Kollektivvertragsansprüche selbst dieser festlegt, ist grundsätzlich belanglos, es darf nur deren Günstigkeit nicht beseitigen. Dabei entstehen heikle Fragen bei jenen Regelungen, deren Wortlaut, rigider als das Gesetz, die Zusammenrechnung jedweder Krankenstände vorsieht, gleichgültig ob es sich iSd § 8 „alt“ um fristauslösende Erkrankungen handelt oder nicht. Dann ist die Günstigkeit nur gewährleistet, wenn die angeordnete Leistungsdauer die gesetzlich vorgesehene deutlich übersteigt. Allerdings ist insb durch historische und systematische Auslegung zu überprüfen, ob ein solcher Inhalt tatsächlich angeordnet ist.*

6.2.
Auslegung weiter geltender Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen

Solange eine Neuregelung nicht erfolgt ist, darf den Kollektivvertragsregelungen kein veränderter Inhalt unterstellt werden. Das gilt in beiden Fällen des Art X Abs 2 AngG. Allein der Umstand einer Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen bewirkt keine Änderung des Inhaltes einer kollektivvertraglichen Regelung; und zwar auch dann nicht, wenn eine erneute Hinterlegung eines unveränderten Textes erfolgt ist.* Eine Änderung können nur die Kollektivvertragsparteien herbeiführen. Deren Schweigen hat keine Bedeutung, wie der Gesetzgeber diesmal für den Fall des Art X Abs 2 Z 18 AngG sogar ausdrücklich anordnet.* Sämtliche, in einschlägigen Regelungen verwendeten Parameter (Voraussetzungen, Beginn, Dauer des Anspruchs, Zusammenrechnungsregeln, Bedingungen des Entstehens eines erneuten Anspruchs udgl) sind daher weiterhin auf dem Hintergrund des alten Systems der Angestellten zu verstehen; auch bei Arbeitsunfällen! Der Inhalt der Regelung ist ja noch durch das alte System des AngG bestimmt und umfasst im Zweifel unterschiedslos beide Fälle. Daher ändern sich auch die faktischen Auswirkungen nur gering, aber doch: Geänderte gesetzliche Rahmenbedingungen können auch bei unverändertem Inhalt einer Kollektivvertragsnorm zu veränderten Ergebnissen führen. ZB fallen zusätzliche Ansprüche wegen der verbesserten gesetzlichen Ansprüche idR seltener an.

Wird daher etwa (wie zB im KollV Banken) angeordnet, dass volle Entgeltfortzahlung auch für jene Zeiten gebührt, in denen das Gesetz nur eine teilweise Fortzahlung des Entgelts anordnet, ist das nunmehr bei Arbeitsunfällen ohne Auswirkung: Eine nur teilweise Entgeltfortzahlung sieht § 8 Abs 2a AngG nicht vor. Wird eine Höchstdauer der Kollektivvertragsleistung unter Berücksichtigung von Ersterkrankungen wie auch neuerlichen Erkrankungen festgesetzt, ist diese Höchstdauer auch unter Berücksichtigung allfälliger Arbeitsunfälle zu ermitteln, obwohl das beim gesetzlichen 113 Anspruch nicht mehr so ist. Anders zB im KollV Versicherungen/Innendienst: Dort sind auf die festgelegte Höchstdauer Zeiten der vollen Entgeltfortzahlung nicht anzurechnen. Daher sind die Zeiten eines Arbeitsunfalles (doch nicht) anzurechnen, weil für sie nun immer volle (oder gar keine) Entgeltfortzahlung zusteht. Wenn (wie zB durch § 29 Abs 4 KollV Banken) angeordnet ist, dass Krankheitszeiten, die durch einen Zeitraum von nicht mehr als acht Wochen getrennt sind, zusammengezählt werden, so sind für diese Berechnung unterschiedslos Zeiten einer Dienstverhinderung wegen Erkrankung oder auch Arbeitsunfall schädlich. Wie ersichtlich, ist das Zusammenspiel zwischen Gesetz und KollV/BV mitunter nun anspruchsvoll.

Weder im EFZG* noch für Angestellten- Kollektivverträge/-Betriebsvereinbarungen gilt (diesmal) eine Aufsaugklausel. Stegmüller* sieht das für das AngG richtig, führt allerdings in einem Beispiel doch das Gegenteil aus: Der KollV Banken sieht einen Krankengeldzuschuss für sechs Monate „ab dem Ende des Anspruches auf volles Entgelt gemäß § 8 Abs 1 AngG“ vor. Daher führt jede Änderung der Dauer dieses gesetzlichen Anspruches zwangsläufig dazu, dass die vom KollV vorgesehene Leistung entsprechend später anfällt, jedoch unverändert für sechs Monate zu erbringen ist. Die von Stegmüller behauptete „Überlagerung“ von Ansprüchen für denselben Zeitraum tritt hinsichtlich des (Grund-)Anspruches auf volles Entgelt nicht ein, weil der KollV Banken als Beginn seiner Leistung ausdrücklich das Ende dieses Anspruchs festlegt.* Zu einer „Überlagerung“ kommt es nur insofern, als der vom KollV vorgesehene Zuschuss von maximal 49 % des Entgelts während Zeiten, für die kraft Gesetz halbe Entgeltfortzahlung gebührt, mangels Günstigkeit nicht zusteht. Der Lauf der sechs Monate wird dadurch nicht unterbrochen. Das hat mit dem (geänderten) Gesetz nichts zu tun, sondern ist seit je Inhalt dieser Kollektivvertragsnorm.

Anders wäre es etwa bei einer Regelung, die eine Leistung für einen bestimmten Zeitraum ab dem Beginn der Erkrankung vorsieht, wie zB die meisten Journalisten-Kollektivverträge. Dann führt jede Verlängerung der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsdauer zu einer entsprechenden Verkürzung der vom KollV vorgesehenen Leistungsdauer, weil dieser eine Gesamtdauer der gesetzlichen und Kollektivvertragsansprüche festlegt. Es kommt also schlicht darauf an, welche Regelung ein KollV bzw eine BV vorsieht. Das Gesetz ändert diese Regelungen nicht.

6.3.
. Überlegungen zur Neuregelung von Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen, die auch den „ermäßigten“ Anspruch erfassen

Erstaunlicherweise sind bisher – soweit überblickbar – kaum einschlägige Kollektivverträge verändert worden. Die Gesundheitskasse Österreich hat über Anfrage mitgeteilt, dass auch keine Liste der von Art X Abs 2 Z 18 AngG erfassten Kollektivvertragsbereiche existiert; eine Liste solcher Betriebsvereinbarungen könnte mit vertretbarem Aufwand ohnedies nicht erstellt werden. Offenbar verlässt man sich darauf, dass betroffene AG korrekt abrechnen bzw kontrolliert das nur im Einzelfall.

Der typische Inhalt einschlägiger Regelungen ist es, wie etwa im KollV der Banken, der Versicherungen, aber auch der (Tages-)Zeitungen, dass anstelle des Anspruches auf Fortzahlung des halben bzw eines Viertels des Entgelts dieses zur Gänze geleistet wird, oft auch über die gesetzlichen Fristen hinaus. Und/Oder es wird ein Zuschuss zum Krankengeld vorgesehen. An sich würde eine Weiterführung solcher Regelungen im neuen System nichts Wesentliches ändern, wenn Kollektivvertragsleistungen an den Beginn einer Erkrankung anknüpfen. Aber Kollektivvertragsregelungen, die eine Leistung für sehr viele Monate und ab dem Ende des gesetzlichen Anspruchs vorsehen, können bei sehr langen Erkrankungen unbeabsichtigte Wirkungen zeitigen: Im alten System konnte/kann ein neuer Anspruch während einer durchgehenden Erkrankung nicht mehr entstehen, im System des Jahresanspruches geschieht das aber mit Beginn jedes neuen Dienstjahres, was zu unlimitierten Ansprüchen führen könnte. Dem ließe sich leicht abhelfen, indem (wie zB schon jetzt im KollV Banken) angeordnet wird, dass ein einmal zur Gänze ausgeschöpfter Kollektivvertragsanspruch erst dann wieder neu entsteht, wenn einige Wochen seit dem Wiederantritt der Arbeit verstrichen sind und nicht mit (je-) dem Ende der gesetzlichen Entgeltfortzahlung. Es ist aber durchaus sinnvoll, dass der Gesetzgeber solche Anpassungen den Kollektivvertragspartnern überlässt. Die verbesserten gesetzlichen Ansprüche sollten eine Einigung über eine Neuregelung sogar erleichtern, denn sie verringern tendenziell die Kollektivvertragsleistung – und sie gelten jedenfalls. AG können Ersparnisse durch die wesentlich vereinfachte Personalverrechnung aber nur erzielen, wenn der KollV/die BV geändert wird. Zudem geht es ganz generell um, gemessen an den gesamten Personalkosten, ganz bedeutungslose Beträge. Anders sieht es natürlich für im Einzelfall betroffene AN aus: Da kann es durchaus um die wirtschaftliche Existenz in einer auch gesundheitlich existenziellen Situation gehen!

7.
Zusammenfassung

1. Es ist kein Ruhmesblatt für die Sozialpartnerschaft und auch nicht für die politischen Parteien, 114 wohl aber für das Parlament: Die längst überfällige Beseitigung nicht mehr zu rechtfertigender Unterschiede zwischen den Rechten von ArbeiterInnen und Angestellten bei Erkrankung oder Unfall musste in einer kurzen Phase regierungsunabhängiger parlamentarischer Arbeit erfolgen. Diese Entstehungsgeschichte fordert ihren Preis, nämlich eine wenig gelungene legistische Umsetzung. Aber inhaltlich ist die Gleichstellung doch endlich erfolgt und es wurden – aufbauend auf Vorarbeiten der Sozialpartner – durchaus vernünftige und allseits tragbare Lösungen gefunden. Nun liegt es an den Gerichten, einem klaren Ziel des Gesetzgebers trotz der Mängel der Legistik zum Durchbruch zu verhelfen: In Änderung eines flüchtigen Urteils anzuerkennen, dass die einschlägigen Rechte und Pflichten der ArbeiterInnen und Angestellten nunmehr vollkommen gleich sind. Fehlende Details bzw nur allgemeine Regeln des § 8 AngG sind durch Rückgriff auf die detaillierten Anordnungen des EFZG zu präzisieren bzw zu ergänzen und umgekehrt. Noch schöner wäre es, würde der Gesetzgeber durch eine redaktionelle Überarbeitung der Regelungen Klarheit und Transparenz herstellen.

2. Die neuen Regelungen zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus im Falle dessen einvernehmlicher Auflösung ergänzen die bisherigen Regelungen systemkonform und ohne diese zu verändern. Sie gelten unabhängig davon, über wessen Initiative die Vereinbarung zustande kam.

3. Hinsichtlich Kollektivvertrags- oder Betriebsvereinbarungsregelungen, die Angestellte mit Bezug auf die alten Regelungen des AngG qualifiziert besserstellen, sind die Sozialpartner am Zug. Diese Besserstellungen gelten vorderhand unverändert weiter. Die beiderseitigen Vorteile, die die gesetzliche Neuregelung mit sich bringt, können in diesen Branchen bzw Betrieben aber nur lukriert werden, wenn die geltenden Regelungen überarbeitet werden. Das sollte in den Standardfällen gar nicht so schwierig sein.