13Überstunden-, Sonn- und Feiertagszuschläge sind verfassungsrechtlich Arbeitnehmerschutz
Überstunden-, Sonn- und Feiertagszuschläge sind verfassungsrechtlich Arbeitnehmerschutz
Zwischen den Regelungen zur Begrenzung der Arbeitszeit und zur Einhaltung bestimmter Ruhezeiten einerseits und den Bestimmungen zur Entlohnung der Überstunden und der Sonn- und Feiertagsarbeit andererseits besteht ein derart enger Konnex, dass auch letztere durchaus dem AN-Schutz zugeordnet werden können (RS0133121 [T1]).
Die Arbeitszeit- und Überstundenregelungen des Landarbeitsgesetzes (LAG) 1984 bzw der Landarbeitsordnung (LAO) 2000 für das Land Tirol sind unter den Kompetenztatbestand des „Angestelltenschutzes“ nach Art 12 Abs 1 Z 6 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) idF vor BGBl I 2019/14BGBl I 2019/14 subsumierbar (RS0133121).
Der Kl war aufgrund des Dienstvertrags vom 31.3.2015 für die bekl Gesellschaft ab 1.4.2015 als Revierjäger tätig. [...] Mit Schreiben vom 3.8.2015 sprach die Bekl gegenüber dem Kl die Kündigung zum 30.9.2015 aus. Am 14.8.2015 wurde der Kl (unbegründet) entlassen.
Im Revisionsverfahren noch strittig sind 12.536,99 € brutto für Überstundengrundentgelte, 50 %ige Zuschläge für „normale“ Überstunden, 100 %ige Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtstunden sowie eine Abgeltung für nicht konsumierte freie Tage, die der Kl unter Berufung auf das Gutsangestelltengesetz (GAngG), die Tiroler LAO 2000 und den KollV für die im Land Tirol tätigen Berufsjäger begehrt. [...]
[...]
II. Zu den Rechtsgrundlagen des Dienstverhältnisses:
II.1. Zum Gutsangestelltengesetz:
II.1.1 Gemäß § 1 Abs 1 GAngG, BGBl 1923/538, gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes für das Dienstverhältnis von Personen, die in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben oder deren Nebengewerbe vorwiegend zur Leistung höherer oder kaufmännischer Dienste oder zu Kanzleiarbeiten angestellt sind. Den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben iS dieses Gesetzes ist ua die Jagd gleichgestellt.
II.1.2 Der Begriff „höherer Dienst“ ist im GAngG nicht umgrenzt. Entscheidend ist, ob es sich um Dienste handelt, die ihrer Natur nach regelmäßig eine besondere Eignung, eine gewisse höhere Qualifikation (Vorbildung und besondere Vertrautheit mit dem Aufgabenkreis) voraussetzen, wie etwa die Hege und Pflege eines Jagdbereichs (Haager, Die rechtliche Stellung der privaten Gutsangestellten2 [1933] 9, 14 ff). Ein selbständiger Revierjäger, dem die Pirschführung und das Bestätigen des Wildes und gelegentlich die Wildverwertung obliegt, unterliegt dem GAngG (SZ 28/3; RS0061106). Davon, dass die Tätigkeit des Kl als Revierjäger dem GAngG unterliegt, geht auch die Revisionswerberin aus.
II.2. Zum LAG 1984, BGBl 1984/287, und zur LAO 2000, LGBl 2000/27, für das Land Tirol:
II.2.1 Das GAngG enthält keine Regelungen für Überstunden. Für Angestellte in der Land- und Forstwirtschaft, die dem GAngG bzw dem LAG unterliegen, gelten aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht die Arbeitszeitbestimmungen des AZG und das ARG (§ 1 Abs 2 Z 2 AZG; § 1 Abs 2 Z 6 lit d ARG), sondern jene des LAG 1984 (das ein Grundsatzgesetz des Bundes darstellt) sowie die Arbeitszeitbestimmungen der ausführenden Landesgesetze (Landarbeitsordnungen) einschließlich der relevanten Strafbestimmungen (Schrank, Arbeitszeit Kommentar5 § 1 Rz 19; Grillberger in Grillberger Arbeitszeitgesetz3 [2011] § 1 Rz 17; Auer-Mayer in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 § 1 [Stand 1.3.2019] Rz 17).
II.2.3 Nach § 4 Abs 1 LAO 2000 für Tirol gilt der (ebenfalls) mit „Arbeitsschutz“ übertitelte Abschnitt V (der die entsprechenden landesrechtlichen arbeitszeitrechtlichen Regelungen enthält) auch für land- und forstwirtschaftliche Angestellte (zur Definition dieses Begriffs siehe § 2 Abs 2 LAO). § 79 LAO 2000 idF LGBl 2000/27 regelt die Entlohnung der Überstunden und der Sonn- und Feiertagsarbeit und sieht für jede Überstunde eine besondere Entlohnung von zumindest 50 vH des Stundenlohns vor; für Arbeiten während der Nachtruhezeit, an Sonntagen und an für Sonntagsarbeit gewährten Ersatzruhetagen gebührt ein hundertprozentiger Aufschlag zum Stundenlohn (§ 79 Abs 2 LAO 2000 idF LGBl 2000/27). [...]
III. Die Revisionswerberin bestreitet nun die vom Kl geltend gemachten Ansprüche auch insofern, als sie die Anwendbarkeit der Arbeitszeitbestimmungen des LAG 1984 und der LAO 2000 auf das Dienstverhältnis des Kl in Frage stellt. Unter Darlegung der historischen Entwicklung des Landarbeiterrechts sowie kompetenzrechtlicher Überlegungen zielt sie mit ihren Ausführungen zusammengefasst darauf ab, dass die bezughabenden Bestimmungen kompetenzwidrig wären und teleologisch „auf denjenigen Umfang zu reduzieren seien, der kompetenzrechtlich noch gedeckt ist“. Sollten das LAG 1984 und die LAO 2000 den Kompetenzbereich des jeweiligen Gesetzgebers überschreiten, werde – falls der OGH die Bedenken teilen sollte – ein Gesetzesprüfungsantrag an den VfGH zu stellen sein. Auch der KollV sei hier nicht anwendbar.
Dazu ist auszuführen:
III.1 Gem Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG ist Arbeitsrecht Bundessache, soweit es nicht (idF vor Inkrafttreten der BVG-Novelle BGBl I 2019/14BGBl I 2019/14mit 1.1.2020) 142 unter Art 12 fällt. Nach Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG idF vor Inkrafttreten der BVG-Novelle BGBl I 2019/14BGBl I 2019/14 mit 1.1.2020 sind Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt, Bundessache nur in der Grundsatzgesetzgebung, Landessache jedoch in der Erlassung von Ausführungsgesetzen und der Vollziehung.
Aufgrund dieser Verfassungsbestimmungen erging das LAG 1984, das nicht nur das Arbeitsvertragsrecht der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter (Landarbeiterrecht) regelt, sondern auch den Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt. Aufgrund dieses Grundsatzgesetzes wurden die Landarbeitsordnungen der verschiedenen Bundesländer erlassen. Unter diesen befindet sich auch die auf den gegenständlichen Fall anzuwendende LAO 2000 für Tirol.
III.2. Im Hinblick auf die Revisionsausführungen ist demnach die Auslegung des Kompetenztatbestands „Angestelltenschutz“ maßgeblich bzw die Frage, ob die Arbeitszeit- und Überstundenregelungen des LAG 1984 bzw der LAO 2000 für das Land Tirol unter diesen Kompetenztatbestand zu subsumieren sind.
III.2.1 Der VfGH hat in seinem Erk vom 1.12.1976, G 14/75 (VfSlg 7932/1976), als maßgeblichen Zeitpunkt für die Auslegung des Kompetenztatbestands Arbeiter- und Angestelltenschutz („Versteinerungszeitpunkt“) nicht den 1.10.1925 angesehen, sondern auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der B-VG-Novelle 1974/444 am 1.1.1975 und den damaligen Stand der Rechtsordnung abgestellt. Damals stand bereits das AZG, BGBl 1969/461 idF BGBl 1971/238 in Geltung, das Überstundenzuschläge als verpflichtende Entgeltbestandteile enthält.
III.2.2 Der Begriff des AN-Schutzes wurde vom VfGH dahin definiert, dass davon alle jene Maßnahmen umfasst sind, die zum Schutz der AN gegen eine Ausbeutung oder vorzeitige Abnützung ihrer Arbeitskraft (persönlicher Arbeitsschutz) und gegen eine Gefährdung ihres Lebens, ihrer Gesundheit und ihrer Sittlichkeit in den Betrieben (technischer Arbeitsschutz) erlassen werden. Weiters wies der VfGH darauf hin, dass als AN-Schutz ieS diejenigen Vorschriften bezeichnet werden, die mit öffentlichrechtlichen Sanktionen bewehrt sind, bei denen also ein Verstoß zum unmittelbaren Einschreiten einer Behörde führt (VfGH 11.6.2004, G 44/01 ua).
III.2.3 Seinem Wesen nach stellt das Arbeitszeitrecht bzw der Arbeitszeitschutz einen Teil des AN-Schutzrechts dar (RS0050631 [T2]; Pfeil in Zell- Komm2 § 1 AZG Rz 1). Davon geht auch der Bundes-(grundsatz-)gesetzgeber des LAG 1984 aus, indem dieses Gesetz in seinem 4. Abschnitt („Arbeitsschutz“) die Regelung des § 65 über die Entlohnung von Überstunden und der Sonnund Feiertagsarbeit sowie der Arbeit während der Sonntagsruhezeiten enthält. Dieser Auffassung folgt auch die Einteilung der LAO 2000 des Landes Tirol, indem dort unter Abschnitt V („Arbeitsschutz“) in Unterabschnitt A Regelungen zur Arbeitszeit und zum Urlaub getroffen werden.
III.2.4 Ausgehend davon, dass zum AN-Schutz Vorschriften gezählt werden, die mit öffentlichrechtlichen Sanktionen bewehrt sind, hat der VfGH bspw den bei Zuwiderhandeln mit Verwaltungsstrafe bedrohten § 9 Abs 5 ARG (§ 27 Abs 1 ARG) als arbeitnehmerschutzrechtliche Regelung angesehen, nach dem während der Feiertagsruhe erbrachte Arbeitsleistungen zusätzlich zur einfachen Bezahlung noch einmal im Ausmaß des für die geleistete Arbeit gebührenden Entgelts abzugelten sind (VfGHG 344/01 = DRdA 2005, 155 [mit Anm B. Schwarz]). Auch nach der Rsp des OGH gehören zum AN-Schutz neben den Regeln über den Feiertagsruheanspruch als solchen (§ 7 ARG) auch die Regeln über das Entgelt, das der AN zu bekommen hat, wenn er trotz und während der Feiertagsruhe beschäftigt wird (9 ObA 215/99d; RS0113370; RS0113369).
III.3 Im vorliegenden Fall stellt die LAO 2000 nur die Einhaltung der Arbeitszeit sowie der Ruhezeiten unter Strafsanktion, nicht jedoch die Entlohnung der Überstunden und der Sonn- und Feiertagsarbeit. § 329 Abs 1 lit a LAO 2000 sieht Strafbestimmungen lediglich für Übertretungen der §§ 68 bis 78a LAO 2000, weiters für die Regelungen zur Begrenzung der Arbeitszeit sowie zur Einhaltung bestimmter Ruhezeiten vor, lässt jedoch die Nichtbezahlung des Entgelts nach § 79 LAO 2000 ohne Sanktion.
III.4 Dennoch besteht zwischen den Regelungen zur Begrenzung der Arbeitszeit und zur Einhaltung bestimmter Ruhezeiten einerseits und den Bestimmungen zur Entlohnung der Überstunden und der Sonn- und Feiertagsarbeit andererseits ein derart enger Konnex, dass auch letztere durchaus dem AN-Schutz zugeordnet werden können (B. Schwarz, Anm zu VfGH344/01 in DRdA 2005, 155 [158]). Der AG soll keinen Vorteil daraus ziehen, wenn er einen AN über die Normalarbeitszeit hinaus in Anspruch nimmt oder trotz Arbeitsruhe an einem Sonn- oder Feiertag beschäftigt. Auch im vorliegenden Fall wäre der gesetzliche Schutz der AN ohne die – die Regelungen zur Sonn- und Feiertagsruhe begleitende – Entgeltvorschrift des § 79 LAO 2000 nur ein Torso, weil dem einzelnen AN kein wirksames Mittel zur Durchsetzung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche gegenüber seinem DG zustünde (vgl 9 ObA 215/99d). Der Zweck der zwingenden Festlegung des Überstundenzuschlags, die Mehrbelastung des AN abzugelten und andererseits den AG anzuhalten, Überstunden nur in begründeten Fällen anzuordnen, würde durch eine Regelung, bei der die Anordnung von Überstunden zu keiner finanziellen Mehrbelastung des AG führt, vereitelt (RS0051870).
III.5 Voraussetzung der von der Revisionswerberin gewünschten teleologischen Reduktion der Kompetenzbestimmung „Angestelltenschutz“ wäre der Nachweis, dass der Tatbestand zu weit geraten ist, weil klar abgrenzbare Sachverhalte von seinen Grundwertungen und seinem Zweck nicht umfasst sind, sodass eine Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (P. Bydlinski in KBB5 § 7 Rz 5; 5 Ob 159/04z = SZ 2005/2). Im Hinblick darauf, dass die Entgeltvorschrift des 143.§ 79 LAO 2000 auch arbeitnehmerschutzrechtliche Zwecke verfolgt, ist dies gerade nicht der Fall, sodass die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion nicht vorliegen. [...]
III.6 Eine Pflicht des OGH zur Antragstellung beim VfGH setzt erhebliche Gründe voraus, die für eine Verfassungswidrigkeit der betreffenden gesetzlichen Bestimmung sprechen (RS0053641 [T3]). Solche Gründe zeigt die Revisionswerberin mit ihren Ausführungen aber nicht auf. [...]
Die bundesverfassungsrechtliche Kompetenzverteilung des Arbeitsrechts weicht im Bereich der Land- und Forstwirtschaft gegenüber allen anderen Bereichen der Privatwirtschaft deutlich ab. Verantwortlich für diese unterschiedliche Rechtsentwicklung waren nicht Verschiedenheiten der Land- und Forstwirtschaft in den einzelnen Bundesländern, die notwendigerweise berücksichtigt werden mussten, sondern die politischen Verhältnisse im 19. Jhdt, „die es den Agrariervertretern in den Landtagen gestatteten, sich ihr eigenes Landarbeitsrecht, bzw. richtiger formuliert, ihr eigenes Landarbeitsunrecht zu machen“ (so Dirschmied, Das österreichische Landarbeitsrecht und seine verfassungsgesetzlichen Hypotheken [I],
[126]), sodass die mittelalterliche Herrengewalt der feudalen Großgrundbesitzer einschließlich Züchtigungsrecht weiter tradiert werden konnte. Denn gestützt auf den Kompetenzbegriff „Landeskultur“ der Reichsverfassung 1867 erließen die Landtage „aus alter Gewohnheit“ zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der sogenannten Dienstboten, also dem hauseigenen Gesinde auch jenes in der Landwirtschaft, ihre jeweiligen Dienstbotenordnungen. Erst 1914 erhielten zumindest die Angestellten in der Landwirtschaft mit dem Güterbeamtengesetz, dem Vorläufer des heutigen GAngG, einen reichseinheitlichen Mindestschutz (vgl dazu insgesamt Heindl, Das Arbeitsrecht in der Land- und Forstwirtschaft [1925] 15, 29 f). Die Kompetenzabgrenzung zwischen Reich und Ländern war unklar und wurde erst in der Bundesverfassung fixiert, allerdings in einer zersplitterten Form, die eine „permanente Quelle der Rechtsunsicherheit“ (so Rabofsky, Landarbeitsrecht und Bundesverfassung, ÖJZ 1957, 505 [507]; Öhlinger, Das Arbeitsrecht in der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung, in FS Strasser [1983] 21 [23]) war.Nach dieser Kompetenzverteilung war gem Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG das „Arbeitsrecht, soweit es nicht unter Art. 12 fällt“, in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, während gem Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG „Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt“, in grundsätzlicher Gesetzgebung Bundes-, in ausführender Gesetzgebung sowie in Vollziehung jedoch Landessache waren. Davon wurde mit Bundesverfassungsgesetz, BGBl 1948/139, insofern „eine völlig ungewöhnliche Ergänzung“ (Rabofsky, ÖJZ 1957, 506) gemacht, als das Arbeiterrecht sowie der Arbeiter- und Angestelltenschutz für AN in Sägen, Harzverarbeitungsstätten, Mühlen und Molkereien, die von land- und forstwirtschaftlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften betrieben wurden, doch wieder zur Gänze der Kompetenz des Bundes unterstellt wurden, sofern in diesen eine durch (einfaches) Bundesgesetz bestimmte Anzahl von AN dauernd beschäftigt waren. Diese für Arbeiter und für Angestellte in der Land- und Forstwirtschaft auseinanderklaffende Kompetenzzuweisung bezüglich des Arbeitsvertragsrechts führte dazu, dass für Angestellte das GAngG als Bundesgesetz – basierend auf Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG – erlassen wurde, während für Arbeiter das LAG 1948 als Bundes-Grundsatzgesetz und die jeweiligen Landesordnungen als Ausführungsgesetze – hier streitgegenständlich die Tir LAO 2000 – galten. LAG und LAO enthielten aber auch gem Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG Regelungen zum „Arbeiter- und Angestelltenschutz“.
In der vorliegenden E war unstrittig, dass der Kl als Revierjäger mit eigenständigen Entscheidungsbefugnissen einen höheren Dienst ausübte und daher als Angestellter zu qualifizieren war. Zweifellos gehört auch die Jagd zur Land- und Forstwirtschaft. Der Kl begehrte nun ua die noch offenen Zuschläge für Überstunden und für Arbeiten an Sonn- und Feiertagen sowie während der Nachtruhezeit. Im allgemeinen Arbeitsrecht kennen zwar § 10 AZG und § 9 ARG zusätzliche Entgeltansprüche für Überstunden, für Feiertage und als Ersatz der Wochenendruhe, doch diese Vorschriften sind für AN, die dem LAG 1984 unterliegen, nicht anwendbar (§ 1 Abs 2 Z 2 AZG und § 1 Abs 2 Z 6 ARG). Das GAngG enthält dazu hingegen keine Regelung, sodass dem Kl auf Bundesebene durch keine Norm ein Rechtsanspruch auf sein Begehren begründet wird. Der Kl stützte sich jedoch auf § 79 Tir LAO 2000 – basierend auf § 65 LAG 1984 –, der gem § 4 Abs 1 Tir LAO 2000 auch für land- und forstwirtschaftliche Angestellte galt. Die entscheidende Frage ist nun, ob überhaupt die Länder verfassungsrechtlich kompetent waren, Entgeltzuschläge für Überstunden und für Arbeiten an Sonn- und Feiertagen sowie während der Nachtruhezeit gesetzlich zu regeln. Denn kompetent waren sie in Bezug auf land- und forstwirtschaftliche Angestellte nur zur Erlassung von Ausführungsgesetzen, soweit sie den „Angestelltenschutz“ betrafen, während sie nur für land- und forstwirtschaftliche Arbeiter zur Regelung des Arbeitsrechts schlechthin befugt waren. Es musste daher das zusätzliche Entgelt unter den Kompetenztatbestand „Angestelltenschutz“ subsumierbar sein, um dem Begehren des Kl als Angestellten stattgeben zu können, ansonsten LAG 1984 und Tir LAO 2000 hiezu verfassungswidrig und die Klage in Folge eines aufhebenden VfGH-Erkenntnisses abzuweisen war. 144 Das Problem der notwendigen Abgrenzung des Arbeitsvertragsrechtes vom Arbeitsschutzrecht und die daraus folgenden Systemschwierigkeiten des Landarbeitsrechts wurden schon früh gesehen (vgl Floretta, Arbeitnehmerschutzrecht und Arbeitsvertragsrecht,
1980 verließ der VfGH diese zweckorientierte Sichtweise und nahm einen eher formaleren Standpunkt ein, wonach zwar die Regelung der Höchstarbeitszeit, nicht aber der Normalarbeitszeit eine Angelegenheit des „Arbeitnehmerschutzes“ iSd Art 21 Abs 2 B-VG sei, weil Verstöße dagegen im Gesetzesentwurf, den der VfGH gem Art 138 Abs 2 B-VG prüfte, nicht mit öffentlich-rechtlichen Sanktionen bedroht waren; dieselben Erwägungen zog er auch für Regelungen über den (allgemeinen) Erholungsurlaub heran (VfGHK II-2/79 VfSlg 8830). Diesen öffentlich-rechtlichen Charakter erwähnte er auch, wenngleich in einem Nebensatz, in Bezug auf den „Arbeiter- und Angestelltenschutz“ des Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG (VfGHG 326/97 ua VfSlg 15.099). Hinsichtlich des doppelten Entgeltbezugs bei Feiertagsarbeiten gem § 9 Abs 5 ARG stützte sich der VfGH ebenso auf die öffentlich-rechtlichen Sanktionen gem § 27 Abs 1 ARG und ordnete nicht nur die Feiertagsruhe an sich, sondern auch die Vorschrift über das zusätzliche Entgelt für diese Arbeit dem Kompetenztatbestand AN-Schutz iSd Art 21 Abs 2 B-VG zu (VfGH G 344/01 ua VfSlg 17.206 = DRdA 2005/8, 155 [zust B. Schwarz]). Insgesamt neigt der VfGH mittlerweile dazu, die öffentlichrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten als Unterscheidungskriterium zwischen dem AN-Schutz und dem Arbeits(vertrags)recht heranzuziehen.
Ob der historische Verfassungsgesetzgeber tatsächlich mehr als nur die mit öffentlich-rechtlichen Sanktionen bewehrten Schutzvorschriften in den Arbeiter- und Angestelltenschutz einbeziehen wollte, ist unklar, zumal im Gegensatz zu anderen Arbeitsrechtsordnungen das öffentlich-rechtliche AN-Schutzrecht und die privatrechtlichen Arbeitsrechtsnormen nicht stark getrennt werden (Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 7/002). Weil im B-VG „Arbeiter- und Angestelltenschutz“ nicht definiert ist und eines eindeutigen Inhalts entbehrt, ist der Begriffsinhalt nach dem Willen des historischen Verfassungsgesetzgebers und nach dem Stand der Rechtsordnung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Kompetenzbestimmung zu ermitteln. Als maßgebenden Versteinerungszeitpunkt zieht der VfGH nunmehr den 1.1.1975 heran, also das Datum des Inkrafttretens der B-VG-Novelle 1974, BGBl 1974/444 (VfGHG 14/75 VfSlg 7932; VfGH K II-2/79 VfSlg 8830). Auch wenn darin Art 12 Abs 1 B-VG nur textlich neu erlassen wurde und in Bezug auf Z 6 leg cit außer der Zahl kein Jota geändert wurde, so kann doch dem Bundesverfassungsgesetzgeber unterstellt werden, dass er sehenden Auges den „Arbeiter- und Angestelltenschutz“, so wie er von der Rechtsordnung 1975 verstanden wurde, der Ausführungsgesetzgebungskompetenz der Länder (weiterhin) zuweisen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war das AZG schon in Kraft. Damals stand aber darin die Nichtgewährung der Überstundenvergütung des § 10 AZG noch unter Strafdrohung, weil § 28 AZG eine Blankostrafnorm enthielt. Damit waren die Überstundenzuschläge problemlos dem AN-Schutz zuordenbar (so etwa Floretta,
Dass mittlerweile die Strafbewehrung hinsichtlich des AZG vom einfachen Bundesgesetzgeber (durch Art I Z 12 BGBl 1994/446), hinsichtlich des LAG vom einfachen Grundsatz-Bundesgesetzgeber (durch Art I Z 38 BGBl 1984/577) und hinsichtlich der LAO vom einfachen Landesgesetzgeber (durch Art I Z 53 Tir LGBl 1988/43) aufgehoben wurde, ist für die kompetenzrechtliche Zuordnung gerade nicht relevant: Es soll der einfache Gesetzgeber die vom Verfassungsgesetzgeber vorgegebene Kompetenzverteilung eben nicht durch spätere Änderungen verschieben können. Damit kann auch der streitgegenständliche § 79 Tir LAO 2000, der heute – von § 29 LSD-BG abgesehen – nicht mehr strafbewehrt ist, problemlos als „Arbeiter- und Angestelltenschutz“ qualifiziert werden. Der OGH 145 hat hingegen nicht die Strafbewehrung zum Versteinerungszeitpunkt im Blick, sondern beurteilt den Kompetenztatbestand funktional, indem er einen engen Konnex „zwischen den Regelungen zur Begrenzung der Arbeitszeit und zur Einhaltung bestimmter Ruhezeiten einerseits und den Bestimmungen zur Entlohnung der Überstunden und der Sonn- und Feiertagsarbeit andererseits“ sieht. Diese Begründung ist ebenso berechtigt, denn es ist nicht nachvollziehbar, dass zwar die Entlohnung der Sonn- und Feiertagsarbeit ANSchutz sei, nicht aber der gesetzliche Überstundenzuschlag, zumal beide die gleiche Funktion besitzen: Die zusätzliche Entlohnung der Sonn- und Feiertagsarbeit wie auch der gesetzliche Überstundenzuschlag sollen nicht bloß die AN für ihr Ungemach zusätzlich entschädigen, sondern sie sollen auch die Arbeitsleistung für den AG verteuern, damit dieser seine AN nicht über Gebühr belastet und so ihre Gesundheit schützt (Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 [2018] § 10 AZG Rz 1; Felten in Auer-Mayer/Felten/Pfeil, AZG4 [2019] § 10 Rz 1; Klein in Gasteiger/Heilegger/Klein, AZG6 [2020] § 10 Rz 6; RS0051870). Entsprechend wird in Rsp (OGH8 Ob 77/18hDRdA 2020/44, 463 [Mosing]; OGH9 ObA 2267/96i ZAS 1997/21, 175 [Steininger]) und Literatur die Überstundenzuschlagspflicht weiterhin dem AN-Schutz zugeschlagen (Gasteiger/Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein, AZG6 § 1 Rz 2), die insofern ökonomisch den persönlichen Arbeitsschutz unterstützt (vgl Schrank, Arbeitszeit Kommentar5 [2018] § 10 AZG Rz 2). Mitunter wird sogar das Betriebsverfassungsrecht zu diesem Kompetenztatbestand gezählt (Runggaldier/Pfeil in Kneihs/Lienbacher, Bundesverfassungsrecht, Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG Rz 6; Rabofsky, ÖJZ 1957, 506).
Mit 1.1.2020 wurde durch BGBl I 2019/14BGBl I 2019/14 die Kompetenzverteilung insofern geändert, als die bisherige Kompetenz zur Ausführungsgesetzgebung von den Ländern zum Bund verschoben wurde (nunmehr Art 11 Abs 1 Z 9 B-VG); lediglich die Vollziehungskompetenz ist im selben Umfang wie bisher bei den Ländern verblieben. Gleichzeitig ist das Bundesverfassungsgesetz, BGBl 1948/139, aufgehoben und in Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG integriert worden (vgl Wachter, Die neue Kompetenzregelung für das Arbeitsrecht von Land- und Forstarbeitern, in Wachter [Hrsg], Jahrbuch Arbeits- und Sozialrecht 2020 [2020] 95; Bußjäger/Schramek, Grundsatzgesetzgebung ein Auslaufmodell? in Baumgartner [Hrsg], Jahrbuch Öffentliches Recht 2019 [2019] 11). Die jeweiligen Wortlaute sind zwar unverändert geblieben, doch der Versteinerungszeitpunkt wurde damit auf den 1.1.2020 aktualisiert. Zwar ist der Kompetenztatbestand „Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt“ nicht obsolet geworden, aber nur mehr für die Vollziehungskompetenz relevant. Bezüglich der hier anstehenden Rechtsfrage sind damit jegliche Zweifel beseitigt: ob nun Überstundenzuschläge eine Angelegenheit des Angestelltenschutzes sind oder des Arbeitsrechts – in jedem Fall ist der Bund zur Gesetzgebung zuständig. Und aufgrund der Übergangsregelung des Art 151 Abs 63 Z 4 B-VG ist der einschlägige § 79 Tir LAO 2000 zum Bundesgesetz erhoben worden. Für den Zweifelsfall bis zum 31.12.2019 hat der OGH im Ergebnis richtig entschieden.