Henkes/Hugendubel/Meyn/Schmidt (Hrsg)Ordnung(en) der Arbeit

Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2019, 322 Seiten, € 32,–

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Der hier besprochene Sammelband vereinigt 16 Beiträge zu Grundsatzfragen der Arbeit. Das Buch erhebt den ambitionierten Anspruch, die im Wandel begriffenen und fragilen Ordnungsprinzipien und Ordnungsprozesse aus einer Vielzahl von Perspektiven heraus zu diskutieren. Arbeit wird dabei als diskursives Phänomen verstanden, das immer wieder neu „ausgehandelt“ werden muss.

Ausgangspunkt war eine Konferenz „Die Ordnung(en) der Arbeit. Fiktionen und De-/Konstruktionen einer geordneten und ordnenden Arbeitswelt“, die im November 2018 im Kulturwissenschaftlichen Institut Essen stattgefunden hat (Näheres siehe https://www.uni-due.de/promotionskolleg_arbeit/konferenz_2018https://www.uni-due.de/promotionskolleg_arbeit/konferenz_2018). Im Rahmen dieser Tagung wurden staatliche und legitimatorische Ordnungskontexte sowie unterschiedliche gewerkschaftliche Ansätze ua auch gouvernementalitätstheoretisch reflektiert. Sozialordnungsstiftende Funktionen wurden dekonstruiert, Räume von Arbeit wurden unter dem Aspekt von Inklusions- und Exklusionsprozessen offengelegt. Thema waren auch kreative Formen des Widerstands in aktivistischen Bewegungen und literarischen Werken, ua bemerkenswerterweise auch die „männliche Nabelschau auf das Normalarbeitsverhältnis“.

Interessant ist der zunehmend seltener vernehmbare Befund, wir würden nach wie vor in einer Arbeitsgesellschaft leben, nur die Erscheinungsformen und Arbeitsverständnisse würden sich rapide ändern. Es gäbe mannigfaltige und parallel laufende Entwicklungen. Diese Umbrüche würden durch Begriffe wie Subjektivierung der Arbeit, Flexibilisierung, Entgrenzung, Prekarisierung, Arbeit 4.0 uä gekennzeichnet.

Im Mittelpunkt steht entsprechend dem Titel der Begriff „Ordnung“. Es wird darauf bestanden, dass Ordnungen als verbindlich geregelte Strukturen realisiert sind, aber auch Macht- und Herrschaftsstrukturen zum Ausdruck bringen. Soziale Ordnungen seien niemals statisch. Diskursordnungen müssen ins Blickfeld gerückt werden. So gesehen gäbe es unzählige Möglichkeiten, Arbeit zu denken. Die einzelnen Analysen des Bandes wechseln zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene. Die Arbeitsweise wird im Vorwort als „kaleidoskopartige Zusammenschau“ bezeichnet. Das trifft es ganz gut.

Die Ordnungen der Arbeit werden in vier übergeordnete Themenbereiche gegliedert: (Neu-)Ordnungen von (Un-)Gleichheit, Subjekte in Arbeits(un)ordnungen, prekäre Arbeit und Geschlechterverhältnisse sowie schließlich Widerstand und emanzipatorische Bewegungen.

Die Vielfalt der Themen und die Komplexität der wechselseitigen Vernetzungen zwischen diesen lässt eine angemessene Besprechung des zT sehr abstrakten und oft diffusen Thesenapparats (die Beiträge greifen aber dennoch sehr konkrete Arbeitsfelder auf) nicht zu. Hervorgehoben sei, dass die einzelnen Beiträge auch sehr gut für sich gelesen werden können, ohne sich durch das gesamte Buch zu bemühen.

Ich greife im Folgenden einige auch für JuristInnen und im Bereich der Arbeitspolitik tätige Personen besonders bemerkenswerte Beiträge heraus.

Johanna Degen thematisiert einen etwas nervenden und in seiner politischen Zuordnung schwierigen Modetrend: „Ordnung durch Diversity, Wie die Charta der Vielfalt die Arbeitswelt strukturiert“. Sie zeigt, dass hier ökonomische Ziele dominieren, während außenwirksam eher mit ethischen Komponenten argumentiert wird. Zum einen werde Diversität mit humanitären Werten aus einer Gerechtigkeitsperspektive argumentiert, zum anderen würden die Maßnahmen einen rein marktökonomischen Mehrwert anstreben. Das herrschende Diversity-Verständnis gehe mit hoher Leistungsfähigkeit, Kreativität, Innovation und Perspektivenreichtum einher.

Kernthese des Beitrags von Benjamin Neumann in seiner Untersuchung zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes ist, dass hier Familienpolitik als Wachstumspolitik begriffen wird. Erwähnt wird mE völlig zu Recht, dass auch das progressiv konnotierte Gender Mainstreaming Konzept ökonomischem Denken entspringt. In diesen Regelungswerken komme das Konzept des aktivierenden Sozialstaats und das Prinzip „Fördern und Fordern“ zum Ausdruck. Die gouvernementale Vernunft, die hier waltet, geht weg von Sanktionen und Verboten, hin zur Erzeugung eines Möglichkeitsraumes. In der Folge entstehe dann eine spezifische Anreizstruktur. Die Leistungsfähigkeit der Erwerbstätigen werde nämlich tendenziell durch Fürsorgetätigkeiten gefährdet. Besser kann man das neoliberale, zT als feministisch verkaufte familienpolitische Normalmodell unserer Zeit nicht beschreiben. Neue rechtspolitische Vorschläge von SPD und Grünen würden ebenfalls in dieser neoliberalen Rationalität verfangen sein, meint der Autor nicht unplausibel. Etwas schade ist, dass er die Fragestellung nicht noch stärker auf den modernisierungsfixierten Feminismus anwendet.

Nur kurz erwähnt sei der bemerkenswerte Beitrag von Charlotte Marx über den Einfluss von Gleichstellungs- und Vereinbarkeitsmaßnahmen auf Geschlechterunterschiede im „psychologischen Vertrag“. Sie zeigt auf der Grundlage einer Befragung, dass die subjektive Zufriedenheit von Frauen eher geringer ist, wenn Gleichstellungs- und Vereinbarkeitsmaßnahmen im Unternehmen umgesetzt werden. Eine Paradoxie, die stärker wahrgenommen werden sollte.

Sarah Thanner geht der Frage nach, inwieweit „Persönlichkeit“ zu einem bedeutsamen Faktor in Bewerbungsverfahren wird. Die Autorin vertritt, dass zwar im postfordistischen Arbeitsparadigma der Faktor Persönlichkeit an Bedeutung gewinne, dieser aber deutlich komplexer sei als das Bild von einem „Unternehmer seiner selbst“.

Im Beitrag von Rolf Nohr zur „Verspielung“ von Gesellschaft und Arbeit („gamification“) wird abermals deutlich, dass Ordnungsprozesse verstärkt internalisiert und subjektiviert werden.

Alexandra Manske vertritt die These, dass die klassischen Gendernormen zwar dekonstruiert wurden, 451 dies aber nicht notwendig mit einer Schwächung männlicher Herrschaft verbunden sei.

Spannung verspricht der Beitrag von Catherine Teissier („Ist das noch Arbeit“), die an den vieldiskutierten Begriff der „mentalen Last“ („mental load“) anknüpft. Die Autorin stellt hinsichtlich des Phänomens der „unsichtbaren Arbeit“ die Frage, ob und wie Frauen an einer unsichtbaren Last leiden, die sie nicht abschütteln können, weil sie eben unsichtbar und nicht in Worte zu fassen ist. Das Thema ist aus der heutigen feministischen Diskussion nicht mehr wegzudenken.

Lisa Bor beschreibt und analysiert, wie und warum haushaltsnahe Dienstleistungen im Zuge der Digitalisierung kommodifiziert werden.

Im Abschnitt „Widerstand“ soll auf den Beitrag von Julia Tirler aufmerksam gemacht werden, die alternative Modelle des Arbeitskampfes im Bereich der Filmproduktion thematisiert – wichtig in einer Zeit, in der Arbeitskämpfe zu einer stumpfen Waffe geworden sind, obwohl es immer mehr an Konfliktpotenzial gibt. Drei Projekte werden dargestellt. Die filmischen Praxen sind als politische Strategie zu begreifen, die Arbeitskämpfe sichtbar macht. Zentral war dabei, dass die Produktionsmittel in den Händen der AkteurInnen lagen. Die herrschenden Arbeitsordnungen werden auf diese Weise radikal in Frage gestellt. Erhellende Beispiele für einen Ansatz, der Kunst und Interessenvertretung zusammendenkt, vielleicht als ein neues Mobilisierungsmodell?

Ebenfalls im künstlerischen Feld verankert geht es bei Laura Strack um das Kapitalwerden der Kunst in der Kulturstadt Berlin. Sie konstatiert etwa, dass der Imperativ der Flexibilität zur Majorisierung der Organisationsform „Projekt“ führe. Treffend ihre Beobachtung, dass die Arbeitenden in der „kreativen Stadt“ in höherem Ausmaß ausgebeutet werden als die Industriearbeiter, denn in der vermeintlichen Freiheit der künstlerisch strukturierten Arbeitsordnung liege der Ursprung eines tief in die Subjektivität eingreifenden Zwangs zur Vermarktung des Selbst, zur Kommodifizierung des Sozialen und zur Prekarisierung der eigenen Arbeit. Die Autorin berichtet über konkrete Versuche, in diesem Umfeld „klein“ zu bleiben und zur „Minorität“ zu werden (angelehnt an Deleuze, „alles in Moll zu transportieren“).

Das Buch bietet zusammenfassend eine äußerst anregende, teilweise auch provozierende Lektüre. Neue Sichtweisen und Brüche offenbaren eine Arbeitswelt, die weit schillernder ist, als man es aus rechtlicher und rechtspolitischer Perspektive vermuten würde. Emanzipationspotenzial wird freigelegt, oft in überraschenden sozialen Verhältnissen und an ungewohnten Orten. Die diskursanalytische Grundausrichtung des Bandes erschwert die Lektüre, die schillernde und vage Darstellungsweise in manchen Beiträgen muss man aber als methodisch gewollt hinnehmen.