Klagges/SchraderDie Vergütung von Betriebsratsmitgliedern

C.H. Beck Verlag, München 2021, XIII, 136 Seiten, broschiert, € 39,–

HANNESSCHNELLER (WIEN)

Das von einer Fachanwältin und einem Fachanwalt (sowie Honorarprofessor der Leibniz Universität Hannover) verfasste Buch beruht auf mehreren Rechtsgutachten der VerfasserInnen. Nachdem sie vornehmlich in Niedersachsen tätig sind, kann einer der gutachterlichen Sachverhalte, einen Automobilkonzern betreffend, unschwer identifiziert werden. Neben vermutlich überhöhter Entlohnung (€ 750.000,– per anno; im vorliegenden Buch auf S 2 erwähnt) eines niedersächsischen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden waren weitere Fälle zur „überschießenden“ Entlohnung von Betriebsratsmitgliedern (im Banken- und Telekommunikationsbereich vor allem) Ausgangsfälle der erwähnten Rechtsgutachten und damit des vorliegenden Buchs. Eine kurze Literaturrecherche zeigt, dass man hier bereits von einem „Modethema“ sprechen könnte; in Österreich hat sich jüngst etwa Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter in der FS Marhold ([2020] 12 ff) mit den strafrechtlichen Aspekten des Themas auseinandergesetzt: „Zu den Grenzen des Tatbestandes der Untreue bei unzulässigen ‚Vergünstigungen‘ für Betriebsräte.“

Rhea-Christina Klagges und Peter Schrader haben auf den S 101-128 eine Rechtsprechungsauswertung aller 32 einschlägigen BAG-Entscheidungen von 17.5.1977 (das dt BetrVG trat 1973 in Kraft) bis 22.1.2020 vorgenommen und kommen zum Ergebnis: „Betrachtet man die bisherige Rechtsprechung zu § 37 Abs 4 BetrVG, aber auch verschiedener Landesarbeitsgerichte, zeigt sich, dass die Fallgestaltung idR immer ist, dass Betriebsratsmitglieder oder der Betriebsrat eine zu geringe Vergütung und damit einhergehend eine Schlechterstellung für sich reklamieren“ (S 7). Es sei nach den AutorInnen angemerkt, „dass die Fallkonstellation, dass Betriebsratsmitglieder vermeintlich ‚zu viel‘ Vergütung erhalten, bisher noch nicht Gegenstand arbeitsgerichtlicher Entscheidungen gewesen ist“ (S 3).

Ein „Modethema“ also, aber ein von JournalistInnen verständlicherweise gern aufgegriffenes.

Präziser als die §§ 116 und 117 ArbVG, in denen die Ausübung des Ehrenamts „unter Fortzahlung des Entgelts“ normiert ist (aber unter Normzweckbetrachtung wohl materiell sehr ähnlich), regelt § 37 Abs 4 des deutschen BetrVG: „(4) Das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats darf einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers.“ Flankiert wird diese Entgeltfortzahlungsanordnung vom Bevorzugungs- und Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG, ganz ähnlich also wie § 115 ArbVG die §§ 116, 117 flankiert bzw einleitet.

Was sind nun die Kernaussagen des vorliegenden Buchs zur Arbeitsentgeltbemessung von teilweise oder gänzlich freigestellten Betriebsratsmitgliedern? Es geht vor allem um die „Vergleichsgruppenbildung“ und die Fiktion, der/die freigestellte MandatarIn hätte ebenso wie vergleichbare AN diverse „Personalentwicklungsinstrumente“ positiv abgeschlossen und Karriere gemacht. Auf den S 53 bis 58 werden diese Methoden zur Fingierung gleicher Karriere wie die Vergleichsgruppen-AN zusammengefasst, wobei mir eine Passage äußerst plausibel erscheint (S 55 f): Es sei unzulässig, einem Betriebsratsmitglied eine Beförderung zu versagen, die es erhalten hätte, wenn es nicht freigestellt worden wäre. Nicht die vergangenheitsbezogene Nachzeichnung des hypothetischen Karriereverlaufs ist maßgeblich, sondern allein die (objektivierte) Entscheidung, auf welcher Position das Betriebsratsmitglied nun im Beurteilungszeitpunkt eingesetzt würde, wenn es nicht freigestellt wäre.

Praktische Tipps, Gestaltungs- und Lösungsansätze sowie Vereinbarungsmuster auf fast 20 Seiten runden das Buch ab; auch ein kurzes Kapitel über Freistellungen jenseits der gesetzlichen (Mindest-)Regelungen befindet sich im Anschluss daran.

Unter der Zwischenüberschrift „Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten“ findet sich ein rechtspolitisches Plädoyer der AutorInnen. Gerade bei Großunternehmen und Konzernen (oft mit Europäischen Betriebsratsfunktionen und damit einhergehenden Diversity-Management- und Sprachkompetenzen-Anforderungen an führende Betriebsratsmitglieder) wird man feststellen, dass die Verantwortung und die Aufgaben völlig andere sind als im Zeitpunkt der Freistellung, bei Verlassen des Arbeitsplatzes als FacharbeiterIn etwa. Man denke beispielsweise an Repräsentationsaufgaben als Aufsichtsratsvorsitzenden-Stellvertreter. Das BetrVG ist nach den AutorInnen, die auf die wohl einhellige deutsche Literatur verweisen, nicht mehr zeitgemäß und wäre teleologisch zu reduzieren, ohne jedoch Betriebsratsmitglieder „käuflich“ zu machen. Der bestehende Zustand (zB Vergleichsgruppe „Facharbeiter“ für die Entgeltbemessung) sei deshalb nicht mehr zeitgemäß, weil nach dem Selbstverständnis vieler Unternehmen (Personalleitungen) die Betriebsratsarbeit derartig komplex geworden sei, dass sowohl Unternehmensleitungen als auch Betriebsratsmitglieder eine „entsprechende Honorierung“ befürworten würden.

Wie diese Auffassungen mit dem Ehrenamts-Prinzip de lege lata vereinbart werden könnten, kann das Buch jedoch, abgesehen von vagen Hinweisen auf eine „teleologische Reduktion“ des § 37 Abs 4 BetrVG, nicht beantworten. Das methodische Problem, dass mehr als bloß ein „Telos“ im Regelungssystem „ehrenamtliche betriebliche Interessenvertretung“ zu beachten ist, wird nicht näher ausgeführt. Als konzentrierte Synopse der deutschen Rsp und Literatur zum Thema bietet das 458 Buch rasche Orientierung, die rechtspolitischen Ableitungen wirken hingegen unausgegoren.