39

Videokamera in Umkleideraum – berechtigter Austritt wegen sexueller Belästigung

DANIELALUKSCH (LINZ)
  1. Der Austritt bzw die Kündigung unter Berufung auf den Austrittsgrund ist nicht verfristet, wenn 2 Tage nach Kenntnis des Vorfalls der Austritt erklärt wird, und vorher zum Ausdruck gebracht wurde, dass noch weitere Schritte überlegt werden.

  2. Wenn der/die AN zum Setzen weiterer rechtlicher Schritte eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen will, ist dies zuzubilligen und führt keinesfalls zu einer Verfristung. Dabei ist es nicht zu erwarten, noch am selben Tag einen Termin bei der Arbeiterkammer zu erhalten, sodass aus der Fortsetzung der Beschäftigung am Folgetag noch nicht auf einen Verzicht auf die Beendigung geschlossen werden darf. Wenn unmittelbar nach der Abklärung der rechtlichen Situation reagiert und die Beendigung des Dienstverhältnisses erklärt wird, ist die Unverzüglichkeit gewahrt.

Die Kl war ab 1.8.2000 bei der Bekl bzw bei ihrer Rechtsvorgängerin zuerst als Lehrling und in weiterer Folge als Konditorin beschäftigt. Am 14.6.2019 kündigte sie ihr Dienstverhältnis zum 7.7.2019 unter Hinweis auf das Vorliegen eines Austrittsgrundes auf. Dass eine sexuelle Belästigung vorlag, welche einen Austrittsgrund darstellt, ist im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig; Streitpunkt ist die Frage der Unverzüglichkeit der Austrittserklärung und folglich die Höhe der Abfertigung.

Mit der gegenständlichen Klage begehrte die Kl € 13.160,– brutto (6 Monatsentgelte à € 1.880,– zuzüglich Sonderzahlungen) an Abfertigung und (ausgedehnt) € 1.500,– netto an Schadenersatz wegen sexueller Belästigung. Der leitende Angestellte D* habe am 28.5.2019 eine Kamera im Umkleideraum aufgestellt und die Kl bei ihrem Dienst am 29.5.2019 beim Umziehen beobachten können. Davon habe die Kl erstmals am 12.6.2019 erfahren. Sie habe wegen ihrer Betreuungspflichten für zwei Kinder Elternteilzeit nach dem MSchG vereinbart, sodass ihr gem § 23 Abs 8 AngG die Abfertigung auf Basis des Entgeltes für die Normalarbeitszeit zustehe. Jedenfalls gebühre der Kl, sollte keine Teilzeitbeschäftigung nach dem MSchG vorliegen, eine Abfertigung gem § 14 Abs 3 AVRAG.

Die Bekl beantragte Klagsabweisung. An besagtem Tag sei die Kamera nicht eingeschaltet gewesen, daher liege kein Austrittsgrund vor, jedenfalls aber sei dessen Geltendmachung durch die Kl verspätet erfolgt. [...] Eine vereinbarte Elternteilzeit liege nicht vor, vielmehr habe die Kl dauerhaft geringfügig beschäftigt werden wollen. Aufgrund ihrer AN-Kündigung sowie des Umstandes, dass keine Elternteilzeit vereinbart gewesen sei, stehe der Kl kein Abfertigungsanspruch zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von € 5.449,01 brutto und € 1.500,– netto s.A. statt, wies das Mehrbegehren von € 7.710,99 s.A. ab und traf zusammengefasst folgende, für das Berufungsverfahren noch wesentliche Sachverhaltsfeststellungen:

Die Kl war bis zur Geburt ihres ersten Kindes am 27.3.2015 bei der Bekl in Vollzeit mit 38,5 Wochenstunden tätig. Von 10.11. bis 31.12.2015 war sie mit 20 Wochenstunden beschäftigt und anschließend bis 31.3.2016 mit 9 Wochenstunden. Nach der Geburt des zweiten Kindes am 28.5.2016 war die Kl zwei Jahre zu Hause. Am 28.5.2018 wollte sie wieder zu arbeiten beginnen und stellte sich aufgrund ihrer Betreuungspflichten 10 bis 12 Stunden pro Woche vor. Die Kl besprach diesen Vorschlag 403 mit ihrem Vorgesetzten D*, der das Zeitausmaß auf 9 Stunden pro Woche heruntersetzen wollte, weil dann die Beschäftigung noch geringfügig war. Damit war die Kl einverstanden.

Nachdem aus der Kassa im Büro Geldbeträge weggekommen waren, entschloss sich D* Kameras zu installieren, ohne die Mitarbeiter zu informieren. Am 28.5.2019 wollte er die 3. Kamera im Umkleideraum anbringen und legte sie eingeschaltet auf ein Regalbrett mit Blickwinkel auf die Spinde. Die Kl hatte am 29.5.2019 Dienst und zog sich im Umkleideraum wie gewöhnlich um. Eine Kollegin entdeckte am 31.5.2019 die Kamera und verständigte die Polizei. Die Kl war das nächste Mal am 6.6.2019 im Dienst, erfuhr aber nichts von dem Vorfall. Erst bei ihrem nächsten Dienst am Mittwoch, 12.6.2019, wurde sie von einer Kollegin über die Kamera informiert. Die Kl war schockiert und panisch. Am 12.6.2019 sprach auch D* sie auf den Vorfall an und entschuldigte sich bei ihr. Die Kl war entrüstet und fragte, ob sie da jetzt sozusagen halbnackt auf den Fotos der Kameras sei. D* verneinte dies, deutete auf eine Stelle in Wadenhöhe und bot an, sich die Bilder anzuschauen, was sie ablehnte.

Die Kl arbeitete am 12.6.2019 noch bis 11.30 Uhr und meinte gegenüber D*, sie wisse nicht, was sie jetzt mache, sie müsse sich das überlegen. Nach Dienstschluss rief sie aufgeregt ihren Gatten an, der versuchte bei der Arbeiterkammer eine Auskunft zu erhalten. In der Bezirksstelle [...] gelang es nicht, daraufhin setzte er sich mit dem spezialisierten Frauenbüro der Arbeiterkammer Linz in Verbindung und vereinbarte ein telefonisches Beratungsgespräch, welches allerdings nicht mehr Mittwoch, dem 12.6.2019 stattfand. [...] Die Kl war am 13.6.2019 eingeteilt und arbeitete ihre normale Dienstzeit von 6:00 bis 11:00 Uhr. Danach führte sie das Beratungsgespräch mit der Arbeiterkammer. Am Freitag, den 14.6.2019 brachte die Kl ein mit „Kündigung mit Austrittsgrund“ tituliertes Schreiben zur Bekl, in welchem sie unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 7.7.2019 kündigte und darauf hinwies, dass es für sie aufgrund der in der Umkleidekabine installierten Kamera nicht mehr zumutbar sei, weiterhin bei der Bekl zu arbeiten; es liege ein Grund für den berechtigten Austritt vor. [...]

Der Bruttolohn der Kl während der Vollzeitbeschäftigung betrug € 1.880,–. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Kl in den letzten 5 Jahren betrug 31,88 Stunden, der durchschnittliche Lohn € 1.556,86.

In seiner rechtlichen Beurteilung erachtete das Erstgericht die Austrittserklärung, da die Kl am 12. und 13.6. weitergearbeitet habe, als verspätet. Ausgehend von einer Kündigung stehe der Kl eine Abfertigung gem § 23 Abs 4 AngG iVm § 2 ArbAbfG zu. Die Reduktion der Arbeitszeit sei aufgrund des Betreuungsbedarfs ihrer Kinder vereinbart worden, sodass eine Teilzeitbeschäftigung iSd § 15i MSchG (nicht mehr als 20 DN) vorliege und die Kl Anspruch [auf] die halbe Abfertigung (3 Monats entgelte) auf Basis von einer 31,88 Wochenstunden habe. [...] Den Schadenersatz gem § 12 Abs 1 GlBG erachtete das Erstgericht in der begehrten Höhe für angemessen.

Gegen die teilweise Abweisung des Klagebegehrens richtete sich die rechtzeitige Berufung der Kl wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine gänzliche Klagsstattgabe. [...]

1. Die Kl wandte sich gegen die Annahme, sie habe ihren Austritt nicht unverzüglich ausgesprochen. Indem sie der Bekl zu verstehen gegeben habe, dass sie noch Überlegungszeit brauche, habe diese von keinem konkludenten Verzicht ausgehen können. Die vom Erstgericht zugestandene Frist sei auch aufgrund des Angewiesenseins auf den Arbeitsplatz und den Schock der Kl zu kurz bemessen. Sie habe sofort die Arbeiterkammer kontaktiert, sei ans Frauenbüro verwiesen worden, um dort eine spezielle Beratung zu erhalten, und habe noch in der Nacht auf den 14.6.2019 die Entscheidung zur Beendigung getroffen. Gerade in Fällen sexueller Belästigung dürfe laut OGH (9 ObA 112/05v) die Obliegenheit zur unverzüglichen Erklärung des Austrittes nicht überspannt werden. [...]

2. Auch der DN ist verpflichtet, seinen vorzeitigen Austritt nach Bekanntwerden des Austrittsgrundes unverzüglich zu erklären (RIS-Justiz RS0028677). Durch Zuwarten verliert der DN sein Recht, den Austritt geltend zu machen. Grundgedanke dieses Prinzips ist letztlich, dass derjenige, der den wichtigen Grund gesetzt hat, sich möglichst bald über die Rechtsfolgen im Klaren sein soll. Der Verlust des Rechtes zur sofortigen Auflösung wird durch die Unzumutbarkeit einer auch bloß kurzfristigen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt (RIS-Justiz RS0028677 [T1]).

Treten Umstände ein, die einen wichtigen Grund zu einer vorzeitigen Lösung des Dienstverhältnisses abzugeben vermögen, so ist diese nach Kenntnis ohne Verzug auszusprechen. Dies gilt für die fristlose Entlassung des DN durch den DG und den vorzeitigen Austritt des DN aus dem Dienstverhältnis in gleicher Weise. Die unverzügliche Geltendmachung stellt einen von der Rsp und der Arbeitsrechtslehre allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz dar. Dieser darf jedoch nicht überspitzt werden und bedarf einer verständnisvollen Anwendung, wenn er nicht mit den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und der Betriebserfordernisse in Widerspruch geraten soll (9 ObA 50/94, 9 ObA 112/05v).

Dem AG muss zwischen dem Bekanntwerden des Entlassungsgrundes und dem Ausspruch der Entlassung eine angemessene Überlegungsfrist gewährt und ihm Gelegenheit gegeben werden, sich über die Rechtslage zu informieren (RIS-Justiz RS0031587[T3, T5], RS0104546). Dass auch dem AN dieses Recht zusteht, versteht sich von selbst, gelten doch für Entlassung und Austritt dieselben Grundsätze.

3. Richtig ist, dass die von der Kl zitierte E 9 ObA 112/05v abgesehen von der Tatsache, dass es um eine sexuelle Belästigung ging, mit dem vorliegenden Fall kaum etwas gemeinsam hat. Allerdings lag der E 9 ObA 50/94 ein durchaus vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Die dortige Kl wurde an einem Donnerstag beschimpft und bedroht, nahm am Freitag einen vom AG bereits bekannten Arzttermin war und teilte via Anrufbeantworter 404 dem Geschäftsführer mit, sich weitere Schritte überlegen zu müssen. Am darauffolgenden Montag verfasste sie das Austrittsschreiben, sodass zwischen Vorfall und Zugang des Schreibens am Dienstag 4 Tage lagen. Der OGH hielt der Kl insb die psychische Ausnahmesituation und die Mitteilung auf dem Anrufbeantworter zugute. Auch das kurzfristige Weiterarbeiten eines Fußballtrainers (Training am selben Tag, Trainingslager und Match am nächsten Tag) vor der Austrittserklärung wurde vom Höchstgericht in der E 9 ObA 42/05z gebilligt und der Austritt als rechtzeitig beurteilt.

4. Übertragen auf den Fall der Kl bedeutet dies, dass sie ihren Austritt bzw ihre Kündigung unter Berufung auf einen Austrittsgrund nicht verspätet erklärte. Sie erfuhr am 12.6.2019 erstmals von der Kamera im Umkleideraum und teilte noch vor dem Heimgehen D* mit, nicht zu wissen, was sie nun tun solle. Damit war für die Bekl klar, dass sich die Kl nicht ohne weiteres mit der Entschuldigung ihres Vorgesetzten zufriedengeben wird, sondern dass sie sich noch weitere Schritte überlegt. Wenn die Kl zum Setzen weiterer Schritte eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen wollte, ist ihr das zuzubilligen und führt keinesfalls zu einer Verfristung. Dabei ist nicht zu erwarten, noch am selben Tag einen Termin bei der Arbeiterkammer zu erhalten, sodass auch aus der Fortsetzung der Beschäftigung am Folgetag noch nicht auf einen Verzicht auf die Beendigung geschlossen werden durfte. Die – sicher nicht zu verlangende -Alternative wäre gewesen, sich unter einem fadenscheinigen Vorwand krank zu melden oder zu riskieren, wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst entlassen zu werden. Unmittelbar nach der Abklärung der rechtlichen Situation hat die Kl ohnehin reagiert und die Beendigung des Dienstverhältnisses erklärt. Damit ist die Unverzüglichkeit gewahrt.

[...]

6. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass ein Austrittsgrund vorliegt (heimliche Installierung der Kamera im Umkleideraum) und die Kl sich rechtzeitig auf das Vorliegen dieses Grundes berufen hat.

7. Dennoch steht der Kl nicht die gesamte begehrte Abfertigung von 6 Monatsentgelten (nach mehr als 15 Dienstjahren) auf Basis des letzten Vollzeitentgeltes zu.

Der von ihr bemühte § 23 Abs 8 AngG (iVm § 2 Abs 1 ArbAbfG) setzt für die Ermittlung des Entgeltes nach der früheren Normalarbeitszeit voraus, dass das Dienstverhältnis während einer Teilzeitbeschäftigung nach MSchG oder VKG infolge eines begründeten Austrittes beendet wurde.

Da im Betrieb der Bekl nicht mehr als 20 DN beschäftigt sind, ist bei der Kl für die Vereinbarung von Teilzeit § 15i MSchG einschlägig. Vereinbart werden kann die Teilzeit bis zum Ablauf des 4. Lebensjahres und die wöchentliche Normalarbeitszeit muss um mindestens 20 % reduziert werden, darf aber 12 Stunden nicht unterschreiten (gilt gem § 40 Abs 26 MSchG für Geburten ab dem 1.1.2016).

Nach dem festgestellten Sachverhalt arbeitete die Kl 9 Wochenstunden und daher fällt sie nicht in den Anwendungsbereich des § 15i MSchG und damit auch nicht des § 23 Abs 8 AngG.

8. Bleibt noch § 14 AVRAG als Anspruchsgrundlage für den Abfertigungsanspruch. Auf diese Bestimmung kann sich derjenige berufen, der die engeren Voraussetzungen des MSchG oder VKG nicht erfüllt (9 ObA 41/17w, 9 ObA 126/18x).

§ 14 Abs 1 Z 2 AVRAG ermöglicht die Vereinbarung einer Herabsetzung der Normalarbeitszeit zur Erfüllung nicht nur vorübergehender Betreuungspflichten naher Angehöriger, wobei ein Betreuungsbedarf für gesunde Kinder bis zum 7. Lebensjahr notorisch ist (9 ObA 41/17w). Dass die Kl wegen der Betreuung ihrer Kinder eine Herabsetzung der Normalarbeitszeit vereinbarte, war im Berufungsverfahren nicht mehr strittig.

§ 14 Abs 3 AVRAG sieht für einen Fall wie den vorliegenden, in welchem die Herabsetzung der Normalarbeitszeit zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses länger als 2 Jahre gedauert hat, vor, dass – sofern keine andere Vereinbarung abgeschlossen wird – bei der Berechnung einer nach dem AngG oder dem ArbAbfG zustehenden Abfertigung für die Ermittlung des Monatsentgeltes vom Durchschnitt der während der für die Abfertigung maßgeblichen Dienstjahre geleisteten Arbeitszeit auszugehen ist.

9. Festgestellt wurde, dass die Kl in den letzten 5 Jahren vor der Beendigung ihres Dienstverhältnisses durchschnittlich 31,88 Wochenstunden arbeitete (US 8). [...] Verbleibt ein Zeitraum von [...], das sind 11 Jahre und 1 Monat und 27 Tage bzw 11,16 Jahre mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden.

Aus diesen Zeiträumen lässt sich nun die durchschnittliche Wochenarbeitszeit während der gesamten für die Abfertigung maßgeblichen Dienstjahre folgendermaßen errechnen:

[(38,5 h mal 11,16 Jahre) plus (31,88 h mal 5 Jahre)] dividiert durch 16,16 Jahre = 36,45 h

Ausgehend von einem Vollzeit-Lohn von € 1.880,– ergibt sich für 36,45 Wochenstunden ein Lohn von € 1.779,90 (1.880 dividiert durch 38,5 mal 36,45) bzw einschließlich Sonderzahlungen (mal 14 dividiert durch 12) € 2.076,55. Dieser Betrag ist wegen der mehr als 15 Dienstjahre mit 6 zu multiplizieren, sodass der Kl eine Abfertigung von € 12.459,30 brutto zusteht.

ANMERKUNG

In der Rechtssache wurden durch das BG Linz und das OLG Linz mehrere interessante Themenfelder entschieden.

1.
Sexuelle Belästigung durch die Videokamera im Umkleideraum als Austrittsgrund

Das Erstgericht hat festgestellt, dass eine sexuelle Belästigung sowohl den Tatbestand der Ehrenbeleidigung als auch der Verletzung von Vertragsbestimmungen, nämlich der Fürsorgepflicht des AG, verwirklichen kann. Die Bekl brachte vor, dass die Videokamera einerseits nicht funktioniert hat und 405 sie andererseits so positioniert war, dass die Personen nur von den Füßen bis ungefähr zur Höhe der Knie erfasst werden konnten. Das Erstgericht hat festgestellt, dass es unerheblich ist, welcher konkrete Körperteil von der Kamera erfasst werden konnte. Denn das Überwachen und Filmen von MitarbeiterInnen in Umkleideräumen ohne deren Wissen ist eine Maßnahme, die die Menschenwürde verletzt und daher unzulässig ist. Dies stellt eine Verletzung der Fürsorgepflicht des AG dar. Damit ist klargestellt, dass eine sexuelle Belästigung zu einem berechtigten vorzeitigen Austritt gem § 82a Gewerbeordnung führen kann. Ein berechtigter Austrittsgrund lag vor. Die Handlungen des leitenden Angestellten (Vorgesetzten) wurde der AG zugerechnet.

Der Schadenersatz für die erlittene persönliche Beeinträchtigung gem § 12 Abs 11 GlBG wurde in Höhe des Mindestbetrags von € 1.000,– eingeklagt und auch zugesprochen. Weiters wurde Schadenersatz gem § 1328a ABGB wegen Verletzung der Privatsphäre in der Höhe von € 500,– eingeklagt. Das Erstgericht hat den gesamten eingeklagten Schadenersatz in Höhe von € 1.500,– gewährt. Es hat den Zuspruch damit begründet, dass das Filmen im Umkleideraum eine besonders verwerfliche Handlung darstellt, die die Kl dem Sachverhalt nach persönlich sehr berührte.

2.
Rechtzeitigkeit des Austrittes bzw der Selbstkündigung unter Hinweis auf den Austrittsgrund

Das Erstgericht stellte fest, dass die Selbstkündigung mit Hinweis auf den Austrittsgrund zu spät erfolgt ist und daher verfristet war. Die Kl hatte am Mittwoch, 12.6.2019, vom Geschehen erfahren und an diesem Tag und auch am nächsten Tag noch weitergearbeitet. Am 14.6.2019 hat sie ihre Selbstkündigung mit Austrittsgrund erklärt.

Dies wurde im Berufungsverfahren bekämpft und hat das OLG richtigerweise festgestellt, dass die Unverzüglichkeit gewahrt wurde, da die Kl noch am selben Tag, an dem sie Kenntnis vom Geschehen erlangte, dem AG mitgeteilt hatte, nicht zu wissen, was sie nun tun solle. Damit musste es für die Bekl klar sein, dass die Kl überlegt, weitere Schritte zu unternehmen. Und es ist nicht zu erwarten, noch am selben Tag einen Termin bei der Arbeiterkammer zu erhalten. Die (nicht zu verlangende) Alternative wäre gewesen, sich unter einem Vorwand krankschreiben zu lassen oder das Risiko einer Entlassung wegen Nichterscheinung einzugehen. Die Bekl argumentierte die Rechtzeitigkeit mit der OGH-E 3.8.2005, 9 ObA 112/05v, in der die sexuell Belästigte sich in einer derartigen psychischen Ausnahmesituation befunden hat und schockiert war, dass auch ein Austritt ca 2,5 Wochen nach der letzten Belästigungshandlung noch als rechtzeitig erachtet wurde. Für das Berufungsgericht war allerdings diese Entscheidung nicht ausschlaggebend, vielmehr hat es in der OGH-E vom 6.4.1994, 9 ObA 50/94, einen vergleichbaren Sachverhalt gefunden, in dem ein Austritt vier Tage später als rechtzeitig gewertet wurde.

Abgesehen davon wurde in zahlreichen Entlassungsverfahren davon ausgegangen, dass der AG Zeit und Gelegenheit haben muss, sich rechtlich und über den genauen Sachverhalt zu informieren. Dies muss selbstverständlich umgekehrt auch für den AN und sein Austrittsrecht gelten. Dabei ist die Judikatur auf Seiten der AG durchaus großzügig.

So wurde eine Entlassung, die sechs Tage (OGH 24.4.2020, 8 ObA 24/20) nach dem Bekanntwerden des Entlassungsgrundes ausgesprochen wurde, als rechtzeitig angesehen; wobei nach zwei Tagen die Suspendierung erfolgte, ein strafrechtliches Gutachten eingeholt und die Sachlage mit den Eigentümervertretern besprochen wurde.

In weiteren Entscheidungen wurden Entlassungen, die 26 Tage (OLG Linz 13.3.2019, 12 Ra 12/19z) bzw 18 Tage (OGH 24.9.2018, 8 ObA 57/18t) nach dem Bekanntwerden des Entlassungsgrundes ausgesprochen wurden, noch immer als rechtzeitig vom Gericht angesehen. Hintergrund dieser Judikatur ist, dass die Gestaltungsberechtigte in die Lage versetzt wird, sich ein rationales Bild über die rechtlichen Konsequenzen ihrer Willenserklärung zu verschaffen. Sie hat dabei mit der erforderlichen Raschheit vorzugehen, damit beim Erklärungsempfänger nicht der berechtigte Eindruck entsteht, man wolle vom Gestaltungsrecht keinen Gebrauch mehr machen.

Beim Austritt wegen sexueller Belästigung ist unbedingt zu berücksichtigen, dass sich die Betroffenen meist in einem psychischen Ausnahmezustand befinden.

Durch die sexuellen Übergriffe entsteht ein belastendes Arbeitsklima, das die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen nachhaltig beeinträchtigt. Sie fühlen sich in ihrer Bewegungsfreiheit am Arbeitsplatz eingeschränkt und stehen unter permanenter Anspannung. Die meisten Betroffenen – überwiegend Frauen – erleben sich ohnmächtig und hilflos einer Situation ausgeliefert, in der es für sie keine befriedigende Reaktionsmöglichkeit gibt. Sie fühlen sich gedemütigt, verletzt und erniedrigt. Die meisten Frauen versuchen zunächst aus Scham und Peinlichkeit die Situation ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Sie wählen daher oft zuerst defensive Formen der Gegenwehr, die das Problem nicht benennen, und versuchen vielfach, die Belästigungen zu ignorieren, und sich ihre Betroffenheit nicht anmerken zu lassen (vgl Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 [2021] § 15 [Stand 1.1.2021, rdb.at]).

Dieser psychische Ausnahmezustand muss auch in der Anwendung des Unverzüglichkeitsgrundsatzes Berücksichtigung finden. Daher ist dem OLG jedenfalls zuzustimmen, dass die Kündigung unter Angabe des Austrittsgrundes der sexuellen Belästigung zwei Tage nach Kenntnis der Belästigung und mit vorherigem Hinweis an den Bekl, dass die Kl noch nicht weiß, was sie tun soll, rechtzeitig war.

3.
Elternteilzeit außerhalb der Bandbreite möglich? Auswirkung auf die Abfertigung alt

Die Kl befand sich im Abfertigungssystem alt. Sie war von 1.8.2000 bis zur Geburt des ersten Kindes am 27.3.2015 mit 38,5 Wochenstunden beschäftigt. 406 Von 10.11. bis 31.12.2015 war sie mit 20 Wochenstunden beschäftigt, von 1.1. bis 30.3.2016 mit neun Wochenstunden. Nach der Geburt des zweiten Kindes am 28.5.2016 war sie zwei Jahre in Karenz und ab 28.5.2018 bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses am 7.7.2019 war sie neun Stunden pro Woche beschäftigt. Das Erstgericht hat eine vereinbarte Elternteilzeit festgestellt. Das Erstgericht kam aufgrund der fehlenden Unverzüglichkeit der Selbstkündigung mit Austrittsgrund zur Rechtsansicht, dass eine normale Selbstkündigung vorliegt, auf die die Abfertigungsregelungen gem § 23 Abs 8 AngG zur Anwendung kommen. Der Kl wurde die halbe Abfertigung auf Basis der in den letzten 5 Jahren durchschnittlich geleisteten Wochenstunden zugestanden.

Zu einem anderen Ergebnis kam das OLG. Das OLG hat zwar die Selbstkündigung unter Angabe des Austrittsgrundes als rechtzeitig und berechtigt gewertet und kam daher zu einem Abfertigungsanspruch der Kl. Jedoch hat das OLG festgestellt, dass für Geburten ab 1.1.2016 in einem Betrieb, der nicht mehr als 20 DN beschäftigt § 15i MSchG einschlägig ist und eine Teilzeit bis zum Ablauf des 4. Lebensjahres innerhalb der Bandbreite zwischen zwölf Stunden und einer Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit um mindestens 20 % stattfinden muss. Deshalb wurde festgestellt, die Kl falle mit den vereinbarten neun Wochenstunden nicht in den Anwendungsbereich des § 15i MSchG und komme § 23 Abs 8 AngG nicht zur Anwendung. Die Abfertigung wurde auf Basis des § 14 AVRAG berechnet und wurde ihr in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern auf Basis des Durchschnitts der während der für die Abfertigung maßgeblichen Dienstjahre geleisteten Arbeitszeit zugesprochen.

Fraglich ist, warum das OLG § 15j Abs 10 MSchG nicht angewandt hat. In § 15j Abs 10 MSchG ist festgelegt, dass dennoch eine Teilzeitbeschäftigung iSd § 15h oder § 15i MSchG vorliegt, wenn es zu einer Vereinbarung über ein Teilzeitmodell außerhalb der Bandbreite kommt.

Auch bei der vereinbarten Elternteilzeit gilt für Geburten ab 1.1.2016 die Bandbreite, dh die wöchentliche Normalarbeitszeit muss um mindestens 20 % reduziert werden und darf zwölf Stunden nicht unterschreiten. Kommen die Vertragsparteien allerdings überein, ein Ausgestaltungsmodell der Teilzeit außerhalb der Bandbreite zu vereinbaren, finden aufgrund dieser Willensübereinstimmung die Bestimmungen über die Elternteilzeit Anwendung, ein solches Ausgestaltungsmodell kann allerdings nie Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (vgl Sabara, Elternteilzeit – Anspruch und Vereinbarung [Stand 20.12.2020, Lexis Briefings in lexis360.atlexis360.at]).

Dies führt wiederum zu einer Teilzeitvereinbarung laut MSchG und demzufolge zur Anwendung von § 23 Abs 8 AngG über die Abfertigung, wonach bei einem berechtigten vorzeitigen Austritt die volle Abfertigung auf Basis der Arbeitszeit vor der Elternteilzeit zusteht.

Demzufolge hätte die Kl den vollen Anspruch auf Abfertigung in Höhe von sechs Monatsentgelten auf Basis der 38,5 Wochenstunden vor der Geburt des ersten Kindes gehabt und nicht auf die sechs Bruttomonatsentgelte auf Basis des Durchschnitts der während der für die Abfertigung maßgeblichen Dienstjahre (in diesem Fall wurden 36,45 Wochenstunden durchschnittlich errechnet).