172

Sozialplanleistung kann vom Verzicht auf Kündigungsanfechtung abhängig gemacht werden

MARTINACHLESTIL

Bei der Bekl kommt eine BV über einen Sozialplan zur Anwendung, die zwischen der Bekl und dem Angestellten-BR im Jahr 2018 abgeschlossen wurde. Nach den Regelungen der BV gilt sie in personeller Hinsicht für AN, deren Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst oder vom AG aufgekündigt wird. Sie soll keine Anwendung finden, wenn diese Kündigung entweder vom BR oder vom AN gem § 105 ArbVG angefochten wird. Die AN, die in den persönlichen Anwendungsbereich der BV fallen, erhalten eine freiwillige Abfindung.

Im vorliegenden Fall kam eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kl und der Bekl nicht zustande und die Bekl kündigte das Arbeitsverhältnis des Kl zum 31.3.2020 auf. Der Kl hat die Kündigung ua nach § 105 ArbVG bei Gericht angefochten, das Verfahren ist noch anhängig.

Der Kl bekam von der Bekl keine freiwillige Abfindung laut Sozialplan. Diese ist ebenso Gegenstand des gegenständlichen Rekursverfahrens wie ein in eventu gestelltes Feststellungsbegehren, mit dem der Kl einen Anspruch auf die Abfindung nach dem Sozialplan nach einem Prozessverlust oder einer Klagsrückziehung im Kündigungsanfechtungsverfahren nach § 105 ArbVG geltend macht. Seiner Meinung nach sei der Ausschlusstatbestand, dass bei einer Kündigungsanfechtung keine Sozialplanleistungen gebührten, gem § 879 ABGB nichtig. Ein Anfechtungsverzicht des BR sei mit dem Zweck des Betriebsverfassungsrechts nicht vereinbar.

Während das Erstgericht die Klagebegehren abwies, vertrat das Berufungsgericht die Rechtsauffassung, dass der im Sozialplan vom BR für den von ihm vertretenen Kl vereinbarte Verzicht auf eine Anfechtung seiner Kündigung als Voraussetzung für die Erlangung der freiwilligen Abfindung aus dem Sozialplan unzulässig und damit rechtsunwirksam sei. Der Verzicht auf eine Kündigungsanfechtung durch den Kl verstoße gegen zwingendes Arbeitsverfassungsrecht und habe daher als teilnichtig zu entfallen. Der OGH folgt dieser Rechtsansicht nicht und führt aus wie folgt:

Nach der Rsp können die Betriebsvereinbarungsparteien auch im Rahmen der Zuerkennung von freiwilligen Abfertigungen bei einem Sozialplan nach § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG darauf abstellen, ob es zu einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist (OGH 29.3.2004, 8 ObA 77/03m). Dadurch werden die dem AN nach dem ArbVG zustehenden Anfechtungsrechte auch nicht unzulässig eingeschränkt. Lehnt der AN die ihm vom AG angebotene einvernehmliche Auflösung ab, so bleiben ihm die gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten (des ArbVG) jedenfalls gewahrt. Durch eine solche Vereinbarung wird verhindert, dass der AG einerseits Sozialplanleistungen zu erbringen hat, andererseits aber dem Risiko von Kündigungsanfechtungen ausgesetzt ist.

Dieser Zweck rechtfertigt es somit auch, dass in Sozialplänen die Sozialplanleistung einer freiwilligen Abfertigung vom Unterlassen der Anfechtung 376der Kündigung bei Gericht (§ 105 ArbVG) durch den AN abhängig gemacht wird. Eine derartige Vereinbarung soll im Lichte der notwendigen Auflösung von Arbeitsverhältnissen für alle Beteiligten Rechtssicherheit schaffen und den Rechtsfrieden wahren. In einer derartigen Vereinbarung liegt – anders als etwa in einem generellen Vorabverzicht des BR auf eine Anfechtung von (im Sozialplan noch gar nicht individualisierten) Kündigungen – keine Verletzung der in den Bestimmungen des ArbVG über die Betriebsverfassung abschließend und absolut zwingend geregelten Mitbestimmungsrechte der Belegschaft.

Im gegenständlichen Sozialplan verzichtet weder der BR bereits vorab (anders OGH 30.10.2003, 8ObA79/03f&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">8 ObA 79/03f) auf seine ihm nach dem ArbVG zustehenden Mitwirkungsrechte im Zusammenhang mit der Kündigung eines AN (§ 105 Abs 1, Abs 2 Satz 1, Abs 4 Satz 2 ArbVG) noch wird dem AN durch die in Rede stehende Gestaltung des Sozialplans sein (subsidiäres) Recht auf Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 4 ArbVG genommen.

Der AN kann bei der konkreten Gestaltung des vorliegenden Sozialplans wählen, ob er einer ihm vom AG angebotenen einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustimmt oder ob er eine allfällige AG-Kündigung hinnimmt. Möchte er das Arbeitsverhältnis nicht durch einvernehmliche Auflösung beenden, lehnt er das Anbot des AG ab. Wird er vom AG gekündigt, steht ihm die Möglichkeit einer Anfechtung der Kündigung bei Gericht, wie auch einem AN, der nicht dieser BV unterliegt, offen, wenn er die Kündigung nicht hinnehmen will. Dringt der AN mit seiner Kündigungsanfechtung durch, dann ist das Arbeitsverhältnis ohnehin weiter aufrecht und es stellt sich die Frage einer Sozialplanleistung nicht. Wird die Klage des AN abgewiesen, dann bleibt es bei der Kündigung; das Arbeitsverhältnis ist beendet. Der AN erhält wie bei der Ablehnung der einvernehmlichen Auflösung keine Sozialplanleistung, weil diese nach der Rsp und (überwiegenden) Lehre zulässigerweise an die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses geknüpft ist.

Zusammengefasst kann in Sozialplänen die Sozialplanleistung einer freiwilligen Abfindung vom Unterlassen der Anfechtung der Kündigung bei Gericht durch den AN gem § 105 ArbVG abhängig gemacht werden. Dem Rekurs der Bekl war daher Folge zu geben und das erstinstanzliche klageabweisende Urteil wiederherzustellen.