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Entgeltfortzahlung nach einvernehmlicher Lösung im Krankenstand unabhängig davon, wer diese initiiert hat

MANFREDTINHOF

Für eine teleologische Reduktion des § 5 EFZG dahin, dass nur bestimmte Arten der einvernehmlichen Auflösung (vom AG ausgehende oder im Interesse beider Vertragsparteien liegende) während einer Arbeitsverhinderung den Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen, besteht keine Grundlage.

Sachverhalt

Das Dienstverhältnis des Kl begann im November 2018. Im Zeitraum von 3.5. bis 8.5.2019 befand er sich im Krankenstand. Am 24.6.2019 war er neuerlich krankheitsbedingt arbeitsunfähig. An diesem Tag sprach sein AG die Entlassung aus. Das vom Kl gegen den AG angestrengte arbeitsgerichtliche Verfahren endete am 8.10.2019 mit einem Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis nicht durch Entlassung zum 24.6.2019, sondern durch einvernehmliche Auflösung zum 12.7.2019 enden sollte. Im Vergleich war vereinbart, dass sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis abschließend bereinigt und verglichen sein sollten. In der Folge war der Kl noch bis 28.7.2020 arbeitsunfähig.

Die bekl Gesundheitskasse leistete dem Kl Krankengeld in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Ausmaßes für den Zeitraum von 31.7. bis 28.8.2019. Für den Zeitraum von 29.8.2019 bis 28.7.2020 leistete sie Krankengeld in voller Höhe. Mit Bescheid vom 21.4.2020 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Zahlung des (vollen) Krankengeldes für den Zeitraum von 13.7. bis 28.8.2019 ab, welcher nun klagsgegenständlich ist.

Verfahren und Entscheidung

Das Erstgericht wies das Begehren des Kl auf Krankengeld im vollen gesetzlichen Ausmaß für den beantragten Zeitraum ab. Dass der Kl im Wege des gerichtlichen Vergleichs auf seine Entgeltfortzahlungsansprüche gegenüber seinem früheren AG ab dem 13.7.2019 verzichtet habe, ändere nichts daran, dass der Anspruch auf Krankengeld für jenen Zeitraum ruhe, für den der Kl Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem AG gehabt hätte.

Das Berufungsgericht gab der vom Kl erhobenen Berufung Folge. § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153, der seinem Wortlaut nach nunmehr eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auch bei allen einvernehmlichen Beendigungen während einer Arbeitsverhinderung anordne, sei teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des AG geschlossen würden und den von § 5 EFZG vor der Novellierung erfassten Beendigungsarten (materiell) gleichgelagert seien. Da die im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs vereinbarte einvernehmliche Auflösung im beiderseitigen Interesse der Parteien gelegen sei, sei sie von § 5 EFZG nicht erfasst.

Der OGH gab der Revision der Bekl iSd Wiederherstellung des Ersturteiles Folge.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[1] […] Strittig ist, ob dem Kläger im Zusammenhang mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnis380ses Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber zukommt (in welchem Fall sein Krankengeldanspruch gemäß § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht – Standpunkt der Beklagten) oder ob er Anspruch auf Krankengeld hat (§ 5 EFZG idF BGBl I 2017/153 – Standpunkt des Klägers). […]

[35] Nach der Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2017/153 sollten die Entgeltfortzahlungsbestimmungen des § 5 Abs 1 EFZG bzw § 9 Abs 1 AngG (nur) verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst ([…] 9 ObA 123/10v; RIS-Justiz RS0109426 [T1]; zuletzt 8 ObA 53/17b). Wie sich aus dem klaren Wortlaut ergibt, kann seit der Novellierung der Bestimmungen […] nicht mehr (allein) von diesem Normzweck ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich der Bestimmung ausdrücklich um einvernehmliche Auflösungen während einer Arbeitsverhinderung analog zur Arbeitgeberkündigung sowie um einvernehmliche Auflösungen im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung erweitert. Damit wurden eindeutig auch Konstellationen unter den Schutz der Entgeltfortzahlungsbestimmungen gestellt, die vom bisherigen Normzweck nicht erfasst waren. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Novelle bloß „die bisherige Entwicklung in der Rechtsprechung nachzubilden“ versucht hätte, „dabei jedoch über die Grenzen legistisch hinausschoss“ (Stella, ecolex 2018, 8 [10]), bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte. […]

[39] 7.1 Die (rückwirkend) vereinbarte einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterliegt der Bestimmung des § 5 EFZG, weil der Endtermin unstrittig in den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit des Klägers fällt. Im Hinblick auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung bestand der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem früheren Arbeitgeber gemäß § 5 Abs 1 EFZG auch über das Ende seines Dienstverhältnisses mit 12.7.2019 hinaus weiter.

[40] 7.2 Dass der Kläger mit seinem früheren Arbeitgeber im Vergleich vom 8.10.2019 sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis „abschließend bereinigt und verglichen“ hat (also einschließlich seines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung über den 12.7.2019 hinaus), führt zu keinem anderen Ergebnis:

[41] Für das Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG kommt es nur auf das Bestehen eines gesetzlichen oder vertraglichen (Rechts-)Anspruchs auf Weiterleistung der Geldbezüge und Sachbezüge in entsprechender Höhe an, nicht aber darauf, in welcher Höhe dieser Anspruch verglichen oder gar liquidiert wurde (RS0083975; 10 ObS 290/88 SSV-NF 2/127).

[42] 7.3 Nach § 138 Abs 1 ASVG entstand der Anspruch des Klägers auf Krankengeld aufgrund seiner mit 24.6.2019 beginnenden Arbeitsunfähigkeit mit 27.6.2019, ruhte aber gemäß § 143 Abs 1 Z 3 ASVG für die Dauer und in dem Umfang, in dem ihm Anspruch auf Entgeltfortzahlung zukam. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit ab 24.6.2019 hatte er grundsätzlich Anspruch auf Fortzahlung des vollen Entgelts für sechs Wochen und Anspruch auf Fortzahlung des halben Entgelts für weitere vier Wochen (§ 2 Abs 1 EFZG).“

Erläuterung

Das vorliegende Judikat stammt zwar aufgrund der Beteiligung der Österreichischen Gesundheitskasse als Bekl vom Sozialrechtssenat des OGH, ist aber aufgrund des beherrschenden Themas der Entgeltfortzahlung durch den AG bei einvernehmlicher Auflösung des Dienstverhältnisses von überwiegend arbeitsrechtlicher Bedeutung. Der OGH hatte nämlich als arbeitsrechtliche Vorfrage zu klären, ob der AN in der vorliegenden Konstellation einer einvernehmlichen Lösung während des Krankenstandes grundsätzlich Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus hätte. Wenn dies nämlich der Fall ist, so ruht gem § 143 Abs 1 Z 3 ASVG der Krankengeldanspruch gegenüber der Gesundheitskasse.

Nach der Rechtslage vor dem 1.7.2018 bestand gem § 5 EFZG (Arbeiter) und § 9 Abs 1 AngG (Angestellte) ein Entgeltfortzahlungsanspruch auch über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus lediglich bei vom AG während des Krankenstandes des AN „veranlassten“ Beendigungsarten (AG-Kündigung, unberechtigte Entlassung, berechtigter Austritt). Der AG sollte dadurch im Wesentlichen von einer Kündigung im Krankenstand abgehalten werden, indem er von seiner Verpflichtung zur weitergehenden Entgeltfortzahlung wusste. Diese Bestimmung ist vorwiegend für Arbeiter mit kurzen Kündigungsfristen von Bedeutung, weniger für Angestellte.

Da es in der Praxis häufig passierte, dass AG ihre Mitarbeiter während deren Krankenstände – oftmals mit dem Versprechen einer Wiedereinstellung – zu sofortigen einvernehmlichen Lösungen drängten, um die Entgeltfortzahlungsverpflichtung zu vermeiden, wurden die oben genannten gesetzlichen Bestimmungen mit Wirkung 1.7.2018 dahingehend ergänzt, dass der Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auch bestehen bleibt, wenn dieses während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen Krankenstand einvernehmlich beendet wird.

Auf den gegenständlichen Fall ist unzweifelhaft die neue Gesetzeslage anzuwenden. Der OGH hatte erstmals die Frage zu beurteilen, ob die Intention des Gesetzgebers, auf der die Rechtslage bis zum 30.6.2018 beruhte, auch im novellierten Gesetz bei den einvernehmlichen Lösungen ihren 381Niederschlag finden sollte, sodass lediglich bei vom AG veranlassten einvernehmlichen Lösungen eine weitergehende Entgeltfortzahlungsverpflichtung bestünde. Das Berufungsgericht vertrat nämlich diese Auffassung. Der OGH folgte dem jedoch nicht: Mit der Novelle ist die Entgeltfortzahlung im Fall der Beendigung während einer Dienstverhinderung gem § 9 Abs 1 AngG bzw § 5 EFZG über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auf die einvernehmliche Beendigung ausgeweitet worden. Ihrem Wortlaut nach nimmt die neue Regelung keine Rücksicht darauf, aus welchen Motiven oder auf wessen Initiative die einvernehmliche Beendigung vereinbart wurde.

Eine weitere Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass die einvernehmliche Lösung des Arbeitsverhältnisses erst rückwirkend im Zuge eines gerichtlichen Vergleichs vereinbart wurde. Für den OGH war aber nicht zweifelhaft, dass diese (rückwirkend vereinbarte) einvernehmliche Lösung der Bestimmung des § 5 EFZG unterliegt, weil der Endtermin unstrittig in den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit des Kl gefallen ist. Die im Vergleich vereinbarte Generalbereinigungsklausel stand jedoch einer Geltendmachung des dem Grunde nach zustehenden Entgeltfortzahlungsanspruchs durch den Kl entgegen, weshalb er die Gesundheitskasse auf Krankengeld klagte. Nachdem er nun dieses Verfahren verloren hat, konnte der Kl für den sich an das Ende des Dienstverhältnisses anschließenden Zeitraum der ansonsten vollen Entgeltfortzahlung durch den AG keinerlei Entgelt lukrieren.