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Auslegung einer kollektivvertraglichen Kündigungsschutzklausel; fristgerechte Zustellung der Arbeitgeberkündigung

DAVIDKOXEDER
§ 29 Abs 2 lit f KollV für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen; § 105 Abs 4 ArbVG

Die Kl, die bei der Bekl ab 2.5.1991 beschäftigt war, wurde mit Schreiben vom 28.6.2018 von der Bekl zum 31.12.2018 gekündigt, woraufhin sie auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, in eventu Kündigungsanfechtung, klagte. Nach § 29 Abs 2 lit f des auf das Dienstverhältnis zwischen den Parteien anwendbaren KollV für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen (KVI) können Angestellte ab dem vollendeten 24. Lebensjahr, die das fünfte Dienstjahr vollendet haben, nur gekündigt werden, „wenn eine Personalreduktion notwendig ist, sowie eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens trotz Verlangens des Angestellten, auch unter Beachtung des grundsätzlichen Beschäftigungsvorrangs jener Angestellten, die bereits dem besonderen Kündigungsschutz unterstehen, betrieblich nicht sinnvoll ist“.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31.12.2018 mit der Begründung ab, dass die Kündigung der Kl betrieblich erforderlich gewesen sei und es eine andere Beschäftigungsmöglichkeit für sie nicht gegeben habe.

Der OGH sah in der von der Kl erhobenen Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO und hielt in seiner rechtlichen Beurteilung ua fest, dass der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung dann keine erhebliche Bedeutung zukommt, wenn die Auslegung der fraglichen Bestimmung – wie im gegenständlichen Fall – klar und eindeutig ist.

Nach Ansicht des OGH ist dem Wortlaut des besonderen Kündigungsschutzes nach § 29 Abs 2 lit f KVI nicht zu entnehmen, dass – wie beim allgemeinen Kündigungsschutz nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG – eine Abwägung der durch die Kündigung beeinträchtigten wesentlichen Interessen des AN mit den Interessen des Betriebs stattzufinden hat. Der besondere Bestandschutz des § 29 Abs 2 lit f KVI und der allgemeine Kündigungsschutz des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG verfolgen grundsätzlich unterschiedliche Schutzwirkungen und normieren demnach auch unterschiedliche Tatbestandsmerkmale. Das Erfordernis einer (nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG prioritär vorzunehmenden) Prüfung, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt werden, folgt aus dem Wortlaut der gegenständlichen Kollektivvertragsbestimmung jedoch nicht. Der OGH gab daher der von der Kl erhobenen Revision nicht Folge.

Das von der Kl gestellte Eventualbegehren auf Kündigungsanfechtung wurde von den Vorinstanzen zurückgewiesen, da die schriftliche Kündigung der Bekl der Kl durch Einlegen in das Hausbrieffach am 29.6.2018 zugestellt und die erst am 20.7.2018 erhobene Anfechtungsklage somit außerhalb der gem § 105 Abs 4 ArbVG normierten Anfechtungsfrist von 14 Tagen erhoben worden sei. Die Kl war bereits am 21.6.2018 durch den BR von der Kündigungsabsicht der Bekl in Kenntnis gesetzt worden. Am 28.6.2018, dem letzten Arbeitstag der Kl vor ihrem Urlaub, fand ein Zustellversuch durch einen Botendienst statt, wobei allerdings der Ehemann der Kl die Annahme der Sendung verweigerte. Ein zweiter Zustellversuch erfolgte am 29.6.2018, 11:15 Uhr, wobei die Kl von diesem Zustellversuch telefonisch durch einen Wohnungsnachbar informiert wurde. Da die Türe nicht geöffnet wurde, legte der Bote das Schreiben in das Hausbrieffach der Kl ein. Die Kl war am 30.6.2018 an ihrer Wohnadresse anwesend, sah jedoch vor ihre Abreise nicht in das Hausbrieffach.

Der OGH vertrat die Rechtsauffassung, dass unter Berücksichtigung der sogenannten Empfangstheorie eine schriftliche Kündigung als zugegangen gilt, sobald das Kündigungsschreiben in den „Machtbereich“ des Adressaten gelangt ist, so dass er sich unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis verschaffen konnte, und wenn eine solche Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihm erwartet werden musste, selbst wenn er diese persönlich nicht erhalten hat. Es genügt die Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Erklärung. Nach stRsp sind für die Frage des rechtzeitigen Zugangs einer empfangsbedürftigen Erklärung und für die Beurteilung, ob objektiv mit einer Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden kann, immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Da sich nach Ansicht des OGH die angefochtene E im Rahmen der Grundsätze dieser Rsp bewegt, war mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage auch der außerordentliche Revisionsrekurs der Kl zurückzuweisen. 386