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Urlaubsverjährung bei fachkundiger Büroleiterin

MANFREDTINHOF

Wusste eine AN als diejenige, unter deren Leitung die Urlaubsverfalllisten standen, ohnehin vom ihr jeweils drohenden Urlaubsverfall, bestand in diesem Zusammenhang arbeitgeberseitig keine Notwendigkeit, sie auf ihre offenen Urlaubsansprüche aufmerksam zu machen.

Sachverhalt

Die Kl war bei der Bekl vom 1.9.1985 bis 31.7.2016 in Vollzeit als Büroleiterin beschäftigt und ua für Personalagenden der Mitarbeiter, wie die Administration von Krankenständen und Urlauben, zuständig. Auf ihr Arbeitsverhältnis fand der KollV der Sozialwirtschaft Österreich Anwendung.

In den Jahren 1998 bis 2000 beabsichtigte die Kl, einen „Leiter-Lehrgang“ in der Dauer von insgesamt 15 Wochen zu absolvieren, mit dem sie sich für eine Tätigkeit als Führungskraft qualifizieren konnte. Die Bekl verpflichtete sich, nach Maßgabe der Ausbildungsvereinbarung dessen Kosten zu tragen und der Kl von der Gesamtausbildungszeit für 1998 zwei Wochen, 1999 drei Wochen und 2000 zwei Wochen als Dienstzeit anzurechnen. Die restliche Ausbildungszeit sollte nicht als Dienstzeit angerechnet, die Kl dafür aber auch nicht ohne Entgeltanspruch karenziert werden. Sie sollte dafür Urlaub nehmen. Die Kl unterzeichnete die Ausbildungsvereinbarung und absolvierte in der Folge den Lehrgang unter diesen Bedingungen, insb auch unter Akzeptanz der jeweiligen Urlaubsabzüge.

In der Endabrechnung wurde der Urlaubsrest der Kl mit Null ausgewiesen.

Die Kl begehrte eine Urlaubsersatzleistung für zwei Gruppen von ihr nicht konsumierter Urlaube: Zum einen ging es der Kl um die oben beschriebene Ausbildungszeit, für die ihr Urlaub im Ausmaß von 54 Arbeitstagen angerechnet worden war. Sie bestritt das Vorliegen einer Urlaubsvereinbarung, da die Ausbildung nicht ihrer Erholung gedient habe. Diese Tage wären nach den Maßstäben des Unionsrechts auch noch nicht als verjährt anzusehen. Zum anderen seien der Kl von der Bekl in den Jahren 2006 und 2008 weitere 59,5 Stunden Urlaub als verjährt abgezogen worden. Zu dieser Verjährung sei es deshalb gekommen 391 , weil die Bekl die Kl nicht auf die drohende Verjährung hingewiesen habe.

Verfahren und Entscheidung

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung der Kl die Klageabweisung. Der OGH hielt die außerordentliche Revision der Kl zur rechtlichen Klarstellung zwar für zulässig, jedoch nicht für berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[14] 1.2. Die Klägerin bringt gegen die Annahme einer Urlaubsvereinbarung vor, dass die Ausbildung nicht ihrer Erholung gedient habe.

[15] Wie in der Entscheidung 9 ObA 69/20t ausgeführt, muss es, wenn es um den regulären gesetzlichen Urlaubsanspruch geht, dem Arbeitnehmer freistehen, den Urlaub nach Belieben zu verbringen. Urlaub soll dem Arbeitnehmer durch den vorübergehenden Entfall der arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen nämlich in erster Linie einen Freiraum zur Selbstbestimmung geben, damit er sich erholen kann […]. Wenn auch der Erholungszweck zu den Charakteristika des Urlaubsanspruchs gehört, bleibt es einem Arbeitnehmer grundsätzlich unbenommen, in seiner Freizeit auch Tätigkeiten nachzugehen, die nicht primär erholsam sind. Denn der Erholungszweck wird schon dadurch erreicht, dass vorübergehend die arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen – unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts – entfallen […].

[16] Die Frage, ob aufgrund der für die Ausbildung erfolgten Zweckbindung jener Urlaubstage von der Unwirksamkeit der Urlaubsvereinbarung auszugehen ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Auseinandersetzung, weil die Urlaubsansprüche jedenfalls verjährt sind. […]

[18] 2.1. Nach § 4 Abs 5 UrlG verjährt der Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist.

[19] Dass ihre strittigen Urlaubsansprüche daher nach innerstaatlichem Recht verjährt sind, bestreitet die Klägerin nicht. Sie erachtet die genannte Bestimmung aber vor allem unter Verweis auf die Entscheidung des EuGHC-619/16, Kreuziger, für nicht anwendbar. Darin ist ihr nicht zu folgen. […]

[20] 2.2. Der Rechtssache Kreuziger lag ein Fall zugrunde, in dem der eine Urlaubsabgeltung begehrende Arbeitnehmer keinen Urlaubsantrag gestellt hatte. Der EuGH verwies darin (mwN) auf seine Rechtsprechung, dass Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gezahlt wird, wenn es ihm nicht möglich war, den gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der ihm vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zustand, weil er sich zB während des gesamten Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon im Krankheitsurlaub befand. Art 7 Abs 1 der Richtlinie 2003/88/EG steht grundsätzlich einer nationalen Regelung, die für die Wahrnehmung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfassen, nicht entgegen, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen (Kreuziger, Rnr 42 mwN). Damit soll eine Situation vermieden werden, in der die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert würde, während der Arbeitgeber damit die Möglichkeit erhielte, (dort:) sich unter Berufung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers seiner eigenen Pflichten zu entziehen (Rnr 50). Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, einen solchen Anspruch wahrzunehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun und ihm gegebenenfalls den sonstigen Verfall mitteilt (Rnr 51 f mwN; idS auch EuGH 6.11.2018, C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft).

[21] 2.3. Im streitgegenständlichen Verfahren liegt kein Fall vor, in dem sich der Arbeitgeber dieser Pflichten entzogen hätte:

[22] Der Urlaubskonsum für den Zeitraum 1998–2000 war hier nicht von einer formellen Initiative der Klägerin (Antrag) oder sonst von besonderen Voraussetzungen abhängig. Es lag auch keine Konstellation vor, in der es ihr etwa infolge von Krankheit (vgl EuGH 20.1.2009, verb Rs C-350/06 und C-520/06, Schultz-Hoff ua) unmöglich gewesen wäre, Urlaub zu konsumieren oder sie gezwungen gewesen wäre, bei fehlender Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs zunächst unbezahlten Urlaub zu nehmen, um in der Folge vor einem Gericht auf bezahlten Urlaub zu klagen (vgl EuGH 29.11.2017, C-214/16, King). Der Urlaubsverbrauch der Klägerin erforderte vielmehr den Abschluss einer Urlaubsvereinbarung, die nach dem Verständnis der Streitteile im Zusammenhang mit der Ausbildungsvereinbarung, wie dargelegt, auch tatsächlich abgeschlossen wurde. Zwischen ihnen wurde ausdrücklich auf den Verbrauch von Urlaub Bezug genommen. Auch inhaltlich enthielt die Abrede die wesentlichen Elemente einer Urlaubsvereinbarung, nämlich die Freistellung der Klägerin von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung ihres Entgeltanspruchs bei bestimmbarer zeitlicher Lagerung und Dauer. Anders als in den Rechtssachen Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft bedurfte die Klägerin damit auch keines weiteren förmlichen Hinweises auf 392offene Urlaubsansprüche, weil auch sie davon in Kenntnis und zu deren Verbrauch zu Ausbildungszwecken bereit war. Selbst bei Annahme der Unwirksamkeit der vereinbarten Zweckbindung des Urlaubs lag insgesamt ein anderer Sachverhalt als in den vom EuGH entschiedenen Fällen vor. Der erkennende Senat sieht hier daher auch nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH kein Verhalten der Beklagten, mit dem sie sich der dargelegten „Urlaubssorgepflicht“ entzogen hätte. Es bleibt bei der Anwendung des § 4 Abs 5 UrlG. […]

[24] 4. Zu den in den Jahren 2006 und 2008 verjährten Urlaubsansprüchen der Klägerin (30 + 29,5 Arbeitsstunden) hielt das Berufungsgericht […] fest, dass ein Vorbringen, aus dem sich ableiten ließe, dass die Beklagte zu verantworten hat, dass der Klägerin ein Urlaubskonsum bis 1.9.2006 bzw 1.9.2008 nicht möglich gewesen sei, nicht erstattet wurde. Das wird in der Revision nicht in Frage gestellt. Nach den Feststellungen wusste die Klägerin als diejenige, unter deren Leitung die Urlaubsverfalllisten standen, ohnehin vom ihr jeweils drohenden Urlaubsverfall, sodass auch in diesem Zusammenhang keine Notwendigkeit bestand, sie auf ihre offenen Urlaubsansprüche aufmerksam zu machen. Soweit sie die Beklagte zur Vorbeugung des Urlaubsverfalls darauf aufmerksam gemacht und um Verlängerung des Zeitraums für den Urlaubskonsum ersucht hatte, hatte die Beklagte dem entsprochen. In zwei Fällen konnten die von der Klägerin konkret beantragten Urlaube zwar nicht genehmigt werden. Das erlaubt in der besonderen Fallkonstellation aber noch nicht die Annahme, dass die Beklagte einen Verbrauch jenes Urlaubs überhaupt nicht ermöglichen wollte.“

Erläuterung

Die Klage der AN lautete auf Bezahlung einer Urlaubsersatzleistung. Allerdings wurde diese Klage erst mehr als zweieinhalb Jahre nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingebracht. Dieser Umstand veranlasste das Erstgericht, die Klage unter Hinweis auf die kollektivvertragliche Verfallsklausel abzuweisen, welche aktuell lautet: „Ansprüche nach diesem Kollektivvertrag müssen binnen neun Monaten nach Fälligkeit bei sonstigem Verfall geltend gemacht werden“ (§ 40 Abs 1 KollV der Sozialwirtschaft Österreich). War die Urlaubsersatzleistung nun ein Anspruch nach diesem KollV? Das Berufungsgericht teilte die Ansicht des Erstgerichts nicht. Bestimmungen über den Urlaub finden sich lediglich in § 16 des KollV. Dort ist allerdings nur geregelt, dass sich das Urlaubsausmaß abgestuft nach Betriebszugehörigkeit erhöht (nach einem Jahr auf 31 Werktage, nach fünf Jahren auf 32 Werktage usw). § 16 KollV normiert somit eine Besserstellung der AN gegenüber der gesetzlichen Regelung. Der Anspruch der Kl auf Urlaubsersatzleistung hat sich somit nicht aus dieser Norm ableiten lassen, sondern basierte auf der gesetzlichen Regelung und konnte daher nicht verfallen.

Deswegen war zu prüfen, ob der Urlaub verjährt war, sodass eine Urlaubsersatzleistung gar nicht entstehen konnte. Dass die gegenständlichen Urlaubsansprüche nach innerstaatlichem Recht verjährt sind, war im Verfahren nicht strittig. Die Kl berief sich jedoch auf zwei Judikate des EuGH (6.11.2018, C-619/16, Kreuziger und 6.11.2018, C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft). Danach ist der AG verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der AN tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun. Außerdem hat der AG – damit sichergestellt ist, dass der Urlaub dem AN noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, dem AN klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugs- oder eines zulässigen Übertragungszeitraumes oder am Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn dies in einen solchen Zeitraum fällt, verfallen wird. Die Frage war, ob es sich hier um Sachverhalte handelt, auf welche diese Judikate anwendbar sind. Musste die Bekl hier ihrer grundsätzlichen Verpflichtung, auf die bevorstehende Verjährung des Urlaubsanspruchs hinzuweisen, nachkommen bzw konnte die Kl ein diesbezügliches pflichtwidriges Verhalten der Bekl glaubhaft darstellen?

Bezüglich des Urlaubs aus den Jahren 1998 bis 2000 konnte der OGH keinen mit den genannten EuGH-Entscheidungen vergleichbaren Sachverhalt feststellen. Anders als in den genannten Rechtssachen bedurfte die Kl keines weiteren förmlichen Hinweises auf offene Urlaubsansprüche, weil auch sie davon in Kenntnis und zu deren Verbrauch zu Ausbildungszwecken bereit war. Der OGH konnte auch kein Verhalten der Bekl erkennen, mit dem diese sich der dargelegten „Urlaubssorgepflicht“ entzogen hätte. Bezüglich der Urlaubsstunden aus den Jahren 2006 und 2008 konnten die Gerichte ebenso wenig ein pflichtwidriges Verhalten der Bekl feststellen. Die Kl konnte dazu kein Vorbringen erstatten. Außerdem wusste die Kl als Büroleiterin ohnehin vom ihr jeweils drohenden Urlaubsverfall, sodass auch in diesem Zusammenhang keine Notwendigkeit bestand, sie auf ihre offenen Urlaubsansprüche aufmerksam zu machen. Der Kl wurde somit im Ergebnis weder eine Urlaubsersatzleistung für den Urlaubsanspruch aus den Jahren 1998 bis 2000 noch für denjenigen aus den Jahren 2006 und 2008 zugesprochen. 393