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Entziehung des Rehabilitationsgeldes – anderer Entziehungsgrund im Gerichtsverfahren zulässig

MONIKAWEISSENSTEINER

Mit Bescheid vom 28.4.2015 wurde der Antrag der Kl auf Weitergewährung der Invaliditätspension abgelehnt und ausgesprochen, dass vorübergehende Invalidität vorliege und Anspruch auf Rehabilitationsgeld bestehe. Aufgrund eines Vergleichs in einem Sozialgerichtsverfahren vom 17.10.2017 wurde das Rehabilitationsgeld über den 30.11.2016 weitergewährt.

Mit Bescheid vom 29.9.2018 wurde das Rehabilitationsgeld mit 31.10.2018 entzogen, weil sich der Gesundheitszustand kalkülsrelevant verbessert habe und eine auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit möglich sei. Die Kl begehrte die Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes. Im Verfahren wiederholte die Bekl ihren im Bescheid vertretenen Standpunkt und brachte vor, dass die Entziehung auch wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten durch die Kl gerechtfertigt sei.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Kl auch über den 31.10.2018 hinaus Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe. Es stellte keine Verbesserung des Gesundheitszustands oder des Leistungskalküls fest. Die Kl sei bei Abschluss des Vergleichs darauf hingewiesen worden, dass sie sich einem Rehabilitationsaufenthalt unterziehen müsse, andernfalls der Anspruch auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes nicht bestehe. In der Folge wurde ein Aufenthalt in einem psychosomatischen Rehabilitationszentrum bewilligt; die Kl trat diesen aus nicht feststellbaren Gründen nicht an. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Bekl sich jedoch nicht auf den Entziehungsgrund der Verletzung der Mitwirkungspflichten stützen könne, weil im Bescheid nicht über diesen Entziehungsgrund abgesprochen worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl (Anmerkung: im Urteil irrtümlich der Kl) Folge und änderte das Urteil in eine Klagsabweisung. Streitgegenstand sei die Entziehung des Rehabilitationsgeldes, die Bekl könne sich auch auf einen weiteren bzw anderen Entziehungsgrund als im Verwaltungsverfahren stützen.

Der OGH wies die außerordentliche Revision der Kl mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurück.395

Die Bekl hat im Bescheid ausgesprochen, dass vorübergehende Invalidität nicht mehr vorliegt; in der Begründung wurde ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand der Kl kalkülsrelevant gebessert habe. Das Sozialgerichtsverfahren ist kein kontrollierendes Rechtsmittelverfahren, das Gericht führt ein eigenes Verfahren durch und hat neu zu entscheiden. Die Bekl war berechtigt, einen zusätzlichen Entziehungsgrund geltend zu machen. Bereits vor Einführung des Rehabilitationsgeldes wurde zu OGH vom 7.3.2006, 10 ObS 188/04a, entschieden, dass dann, wenn erst im Gerichtsverfahren hervorkommt, dass eine relevante Änderung zwar nicht eingetreten sei, aber durch eine dem Versicherten zumutbare ärztliche Behandlung herbeigeführt werden könne, eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch Nichtabsolvierung dieser Behandlung zu einer Entziehung gem § 99 Abs 1 ASVG berechtige, wenn die Verletzung der Mitwirkungspflichten vorwerfbar war. Alle zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingetretenen Sachverhaltsänderungen seien zu berücksichtigen. Das mit dem SRÄG 2012 eingeführte Rehabilitationsgeld wird so lange gewährt, als vorübergehende Invalidität bzw Berufsunfähigkeit bestehe und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig sind. Mit dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz (SVAG) 2015 wurde in § 99 Abs 1a ASVG der neue Entziehungstatbestand der Verletzung der Mitwirkungspflichten geschaffen; es handelt sich um einen echten Anspruchsverlust. (Anmerkung der Bearbeiterin: Eigentlich wurde der vorher in § 143a Abs 4 bereits bestehende Entziehungsgrund nur in § 99 ASVG transferiert.) Der Versicherte solle es nicht in der Hand haben, durch eine Verweigerung der Rehabilitation den Weiterbezug der Leistung zu erreichen.

Nur weil im Verwaltungsverfahren (in der Begründung des angefochtenen Bescheids) als Entziehungsgrund allein die Besserung des Gesundheitszustands herangezogen wurde (§ 99 Abs 3 Z 1 lit a ASVG) und nicht auch eine etwaige Verletzung der Mitwirkungspflicht an medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation (§ 99 Abs 1a ASVG), war im Gerichtsverfahren nicht über einen anderen Anspruch als jenen auf Rehabilitationsgeld zu entscheiden.

Die Frage, ob und allenfalls aus welchen Gründen eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht gegeben sei bzw der Kl nicht vorwerfbar sein sollte, werde in der außerordentlichen Revision nicht releviert.

Anmerkung:

Eine Entscheidungsbesprechung der Bearbeiterin erscheint in DRdA 6/2021.