192

Anspruch auf Waisenpension wegen Erwerbsunfähigkeit: Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit entscheidend

ALEXANDERPASZ

Bis zu seinem 18. Geburtstag hatte der 1976 geborene Kl keine sichtbaren psychotischen Symptome. Diese zeigten sich erst im Erwachsenenalter, in den Jahren 1999/2000. Im Jahr 2003 musste er dadurch seine Berufstätigkeit als Barista aufgeben. Aufgrund einer paranoiden Schizophrenie sind dem Kl zurzeit keine Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt mehr möglich. Eine Besserung ist nicht mehr zu erwarten.

Von 1995 bis 1997 arbeitete er im Betrieb seines Vaters als „Manager“ und war Vorgesetzter von zwei bis drei Mitarbeitern. Dabei bezog er von seinem Vater ein Taschengeld. 1998 zog er nach London, wo er von Februar 1998 bis Juni 1999 und von September 1999 bis September 2000 in London studierte. Unklar ist, welche Kurse er auf den zwei Universitäten abgeschlossen hat.

Nach dem Tod seines Vaters im Jahre 2016 beantragte der Kl die Zuerkennung der Waisenpension, welche die Pensionsversicherungsanstalt bescheidmäßg abwies. Im folgenden Gerichtsverfahren wies das Erstgericht das Klagebegehren ab, da die Kindeseigenschaft nicht durch die Studienzeiten des Kl in London verlängert worden sei. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts mit der Begründung, die Kindeseigenschaft sei durch die Erwerbstätigkeit des Kl im Unternehmen seines Vaters erloschen.

Der OGH hält aufgrund der daraufhin erhobenen außerordentlichen Revision Folgendes fest:

Nach § 260 ASVG haben nach dem Tod des Versicherten Kinder iSd § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 leg cit Anspruch auf Waisenpension. Dabei besteht die Kindeseigenschaft nach Vollendung des 18. Lebensjahres weiter, wenn und solange sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft ist durch den Vergleich der konkreten Auslastung der Arbeitskraft mit der von der geltenden Arbeits- und Sozialordnung, etwa im AZG oder in den Kollektivverträgen, für vertretbar gehaltenen Gesamtbelastung zu ermitteln. Richtschnur ist nach Rsp ein durchschnittliches wöchentliches Ausmaß von 20 Stunden.

Nach § 252 Abs 2 Z 3 ASVG besteht die Kindeseigenschaft nach der Vollendung des 18. Lebensjahres auch dann weiter, wenn und solange das Kind seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in § 252 Abs 2 Z 1 ASVG (Schul- oder Berufsausbildung) genannten Zeitraums infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist. Erwerbsunfähig ist, wer infolge Krankheit oder Gebrechens nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Verdienst zu erzielen.

Es ist daher für die Beurteilung der verlängerten Kindeseigenschaft unerheblich, ob das Kind vor der aktuellen Ausbildung bereits in einer anderen Schul- oder Berufsausbildung oder im Erwerbsleben gestanden ist, da das Wort „einer“ in § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nach der Rsp nicht als Zahlwort, sondern als unbestimmter Artikel verstanden wird (OGH10 ObS 216/91 SSV-NF 5/89). Auch ein mehrfacher Ausbildungswechsel lässt für sich allein genommen die Kindeseigenschaft nicht erlöschen (OGH10 ObS 169/91 SSV-NF 5/77). Daher ist es irrelevant, ob der Kl vor einer Schul- oder Berufsausbildung bereits erwerbstätig war. Wichtig für das Fortbestehen der Kindeseigenschaft iSd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG und damit für einen Anspruch auf Waisenpension ist, dass die Erwerbsunfähigkeit entweder bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres oder während der Schul- oder Berufsausbildung – die die Arbeitskraft überwiegend beansprucht – eingetreten ist und darüber hinaus andauert. Hintergrund ist, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Versorgungsansprüche eines Kindes erhalten bleiben, jedoch aber nicht Versorgungsansprüche für Personen neu geschaffen werden sollen, wenn ihre Erwerbsfähigkeit später verloren geht.

Nachdem noch Feststellungen zu den Fragen, wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist sowie ob während des Studiums die Arbeitskraft des Kl überwiegend beansprucht wurde, fehlen, hob der OGH die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht. 401