Neue Versuche: Unzulässige Arbeit auf Abruf

LUDWIGDVOŘÁK

„Arbeit auf Abruf” hat sich in den letzten Jahren als prekarisierte Arbeitsform in vielen europäischen Ländern ausgebreitet.* In Österreich wurden in der Lehre bereits früh Zweifel an der Zulässigkeit von Arbeitsverträgen geäußert, die das wirtschaftliche Risiko vom AG auf den AN abwälzen, indem sie den AG einseitig über das Ausmaß und die Lage der Normalarbeitszeit disponieren lassen.* Der OGH hat diese Überlegungen in seiner Rsp aufgegriffen und unter Hinweis auf die §§ 19c und 19d AZG klargestellt, dass Teilzeitrahmenarbeitsverträge, welche Ausmaß und Lage der Arbeitszeit nicht festlegen (Arbeit nach Bedarf des AG), gesetzwidrig und daher teilnichtig sind.* Trotz dieser klaren Rsp sind aktuell einzelne Versuche bemerkbar, im Ausland gängige Modelle von „Arbeit auf Abruf” zu etablieren, die jedoch auch zuletzt vor den Gerichten keinen Bestand hatten.

1..
Das Unwesen der „zero-hours contracts“

Im Vereinigten Königreich sind Arbeitsverträge ohne Festlegung eines bestimmten Arbeitszeitausmaßes als „zero-hours contracts“ (ZHCs) bekannt. Bezahlt werden nur tatsächlich geleistete Arbeitsstunden. Das Risiko geringeren Arbeitskräftebedarfs oder auch des Entgeltausfalls bei Krankheit oder Schwangerschaft wird einseitig auf den AN überwälzt, wobei Branchen wie der Handel und das Gastgewerbe besonders betroffen sind.* Rund 1,8 Mio solcher Verträge wurden 2017 in Großbritannien geschlossen. Damit legten rund 6 % aller britischen Arbeitsverträge keine garantierte Mindestarbeitszeit fest.* Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Beschäftigten, für die ZHCs die Grundlage ihrer beruflichen Haupttätigkeit darstellt, von 200.000 auf 901.000 vervielfacht, wobei die Forschung davon ausgeht, dass das Phänomen zahlenmäßig weiterhin untererfasst ist.*

Obwohl das deutsche Arbeitsrecht deutlich strengere Regeln für Abrufarbeit vorsieht, ist auch dort der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor bei AN ohne vertraglich vereinbarter Arbeitszeit doppelt so hoch wie im Schnitt aller AN und es bestehen rechtliche Grauzonen,* die zur Umgehung der zuletzt verschärften gesetzlichen Bestimmungen zur Abrufarbeit genutzt werden.*

2..
Beschäftigung „nach Bedarf“?

Es ist insofern wenig überraschend, dass es immer wieder auch in Österreich Versuche gibt, derartige Modelle zu etablieren. Sie stoßen hier allerdings auf eine höchstgerichtliche Rechtsprechungslinie,* die rechtswidriger Überwälzung unternehmerischer Risiken auf AN entgegentritt und der zutreffend – wenn auch als Kritik gemeint – zugeschrieben wurde, „entgegen … dem Zeitentrend im Arbeitsleben ein deutliches Stoppsignal”gegen derartige Modelle von Arbeit auf Abruf gesendet zu haben.*

2.1..
Arbeit auf Abruf bei bekannter Bekleidungsfirma

Konkret hatte das Handelsunternehmen zu Beginn des 21. Jahrhunderts einem Pool an AN „Rahmenverträge“ mit einem Arbeitszeitmodell namens „Beschäftigung nach Bedarf“ angeboten. Es wurde darin kein konkretes Arbeitszeitausmaß festgelegt, sondern vereinbart, dass der AG eine Woche im Voraus einen Dienstplan mit konkreten Einsatzangeboten an die AN vorlegen werde und die AN dann sanktionslos entscheiden können, ob sie zu den angebotenen Arbeitszeiten arbeiten wollen oder nicht. Eine Bezahlung war nur für geleistete Arbeitsstunden vorgesehen. Im Anlassverfahren wurde den AN auf Nachfrage gesagt, dass sie als Größenordnung mit Arbeitsangeboten an drei Tagen pro Woche und an jedem zweiten Samstag rechnen können. Dem Klagebegehren, das Entgeltdifferenzen geltend machte, hielt der AG entgegen, dass die AN keine Pflicht getroffen habe, sich zum Arbeitseinsatz bereitzuhalten, weshalb mangels Arbeitspflicht auch keine „Arbeit auf Abruf“ vorliege.414

2.2..
Teilnichtigkeit von Arbeitsverträgen ohne Arbeitszeitausmaß

Den OGH überzeugte das Argument des vertraglichen „Konsensprinzips“, das formalrechtlich jedem Arbeitseinsatz eine eigene Vereinbarung zugrunde legte, nicht:* Bereits die Rahmenvereinbarung sei in Hinblick auf die beabsichtigte regelmäßige und in kurzen Abständen erfolgende Arbeitserbringung als Arbeitsvertrag anzusehen. Der/Die AN befinde sich durch das Fehlen einer Vereinbarung über Lage und Ausmaß der Arbeitszeit in einer Art dauerndem Verhandlungszustand über diese gesetzlich verpflichtend zu regelnden Punkte. Damit würden Ausmaß und Lage der Arbeitszeit von einem völlig der Willkür des AG überlassenen Anbot abhängig gemacht. Unter Berufung auf die in den §§ 19c und 19d AZG festgelegte Verpflichtung zur Festlegung von Ausmaß und Lage der Arbeitszeit* und der aus den Materialien erkennbaren Absicht des Gesetzgebers,* eine Überwälzung wirtschaftlicher Risiken auf Teilzeitbeschäftigte verhindern zu wollen, erkannte der OGH die in der Lehre* aufgezeigte Gefahr einer unzulässigen Gesetzesumgehung. Die getroffene Vereinbarung sei hinsichtlich der Nichtfestlegung von Ausmaß und Lage der Arbeitszeit gesetzwidrig und daher teilnichtig. Unter Heranziehung der §§ 6 AngG und 1153 ABGB sei aus den begleitenden Erklärungen von AG und AN und in weiterer Folge aus dem faktischen Vollzug zu ermitteln, welches Arbeitszeitausmaß der „Art und Umfang“ nach den Umständen angemessen sei. Dafür sei ein Jahresdurchschnitt, bei kürzeren Arbeitsverhältnissen ein 13-Wochen-Schnitt, zu bilden und als Normalarbeitszeit zugrunde zu legen.

2.3..
Rahmenvereinbarung als Arbeitsvertrag oder unzulässige Kettenbefristung?

Von Teilen der Lehre wurde kritisiert, dass die Qualifikation der Rahmenvereinbarung als Arbeitsvertrag in den AN-Begriff eingreife: Mangels Arbeitspflicht, die „unabdingbare Voraussetzung“ für ein Arbeitsverhältnis sei, könne gar kein Arbeitsvertrag vorliegen.* Um zum gleichen Ergebnis eines einheitlichen Arbeitsvertrags zu gelangen, wäre es nach dieser Lesart vorzuziehen gewesen, die einzelnen Arbeitseinsätze als befristete Arbeitsverträge nach den Regeln der Kettenbefristung zu beurteilen.* Eine unzulässige Kettenbefristung bestritt der AG allerdings unter Hinweis auf die unbefristet geschlossene Rahmenvereinbarung, die das Arbeitszeitmodell „Beschäftigung nach Bedarf“ zu Schrödingers Katze des Arbeitsvertragsrechts mutieren ließ: gleichermaßen befristet und unbefristet, je nachdem, ob es dem AG darum geht, die Qualifikation als unzulässigen Kettenvertrag auszuschließen oder die Vorteile zeitlich befristeter, wechselnder Arbeitszeitvolumen abrufen zu können.

Der vom OGH in der E vom 22.12.2004, 8 ObA 116/04y, gewählte Zugang, „die Verpflichtung zur Arbeitsleistung nur als ein (wenn auch wichtiges) Element des AN-Begriffs“ zu verstehen und „die (tatsächlich gegebene) Möglichkeit der Ablehnung eines Einsatzes“ das Bestehen der persönlichen Abhängigkeit nicht von vornherein ausschließen zu lassen,* erweist sich vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in der Arbeitswelt* mE als lebensnah und geradezu zukunftsweisend. Die von Mosler angestellte Überlegung, dass für die Qualifikation einer solchen Rahmenvereinbarung als Arbeitsvertrag ausschlaggebend ist, wie hoch Einsatzdichte und -intensität in der Praxis sind,* bestätigte der OGH implizit auch in jenen nachfolgenden Entscheidungen, in denen er Rahmenvereinbarungen nicht als Arbeitsverträge bzw Kettenbefristung beurteilte. Er machte dort die geringe Einsatzdichte, selbstbestimmte längere Einsatzpausen und die aus der gelebten Praxis erkennbare Absicht, ein auf Dauer angelegtes Arbeitsverhältnis einzugehen, als entscheidungswesentlich fest.* In der Praxis nimmt dies auch der dogmatischen „Konkurrenz“ zwischen einheitlichem Arbeitsvertrag und unzulässiger Kettenbefristung insofern die Schärfe, als der OGH für deren Beurteilung die Judikatur ganz ähnliche Kriterien heranzieht.*

2.4..
Flexibilitätszuschlag

Der OGH ging in der zit E aber noch weiter: Die explizite Nichtregelung der Lage der Arbeitszeit sei ebenfalls gesetzwidrig und wäre bei redlichen Vertragspartnern davon auszugehen, dass die in der ersten Arbeitswoche angebotene Arbeitszeit als regelmäßig vertraglich vereinbarte Lage der Normalarbeitszeit zu gelten habe.* Auch hier widersetzt sich der OGH der Freiwilligkeits-Fiktion und nimmt eine lebensnahe Interpretation der gelebten Vereinbarung vor: Faktisch erfolge eine einseitige Anordnung der Änderung der Lage der Arbeitszeit, der es an einer Rechtsgrundlage fehle. Die AN seien „ex ante“ zur Verweigerung der Arbeitsleistung berechtigt. Würden sie der unzulässigen Anordnung Folge leisten, seien die Vor415teile, die der AG aus der rechtswidrigen Vertragsgestaltung und der besseren Verfügbarkeit des AN ziehe, durch das Arbeitsentgelt nicht abgedeckt. Hierfür gebühre der AN „ex post“ ein „Flexibilitätszuschlag“ in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Grundstundenlohns. Dieser Prozentsatz müsse umso höher sein, je kürzer die Vorankündigungszeit und die jeweilige Einsatzzeit ausfiele, weil sie der AN besondere Flexibilität abverlange. Obereder/Trenner schlugen zur Umsetzung dieser Judikatur ein praktikables abgestuftes System mit Zuschlägen zwischen 25 % und 100 % vor.*

3..
Aktuelle Fälle unzulässiger Arbeit auf Abruf

In Kombination mit der Einführung des Mehrarbeitszuschlags im Zuge der AZG-Novelle 2008 geht Kietaibl wohl mit Recht davon aus, dass in Österreich „Arbeit auf Abruf im bisherigen Sinn kaum noch möglich ist“,* wobei dies wohl auf AG einzuschränken ist, die sich rechtskonform verhalten.

3.1..
1-Minuten-Verträge

Offenbar inspiriert von britischen ZHCs und der in Deutschland gängigen Praxis, Abruf-Arbeitsverträge mit sehr geringen Mindestarbeitszeiten zu vereinbaren,* traten zuletzt nämlich auch in Österreich 1-Minuten-Arbeitsverträge in Erscheinung. In einem solchen Vertrag wird eine Normalarbeitszeit von einer Minute pro Woche festgelegt, die Lohnhöhe wird auf Minutenbasis angegeben. Tatsächlich leistet der AN real eine wesentlich höhere Stundenanzahl, soll aber bei Fehlverhalten oder fehlender Auslastung von einem Wochendienstplan zum nächsten im Arbeitszeitausmaß faktisch auf null gesetzt werden können. Auch wenn im Unterschied zur bekannten Bekleidungsfirma-Konstellation der Vertrag eine konkrete Festlegung von Ausmaß und Lage der Arbeitszeit enthält, handelt es sich um eine gesetzwidrige Umgehung, wenn der AG regelmäßig Mehrstundenleistungen abruft. Die nicht bedarfsgerechte, rein symbolische Festlegung einer Normalarbeitszeit ist ebenfalls als teilnichtig anzusehen.*

3.2..
Ansprüche bei gesetzwidriger Vertragsgestaltung

Ruft der AG regelmäßig Mehrleistungen in einem gleichbleibenden Ausmaß ab, so ist er auch zur Leistung von Mehrstundenzuschlägen verpflichtet. In solchen Fällen wird aus Sicht der AN eine Berufung auf die Teilnichtigkeit praktisch geringe Bedeutung haben, weil der AN damit seiner Forderung nach Mehrstundenzuschlägen die Grundlage entziehen würde. Da die §§ 19c und 19d AZG als Schutznorm zugunsten der AN aufzufassen sind, die (auch) dem Schutz der AN vor Arbeit nach Bedarf dienen,* ist von einer relativen Teilnichtigkeit auszugehen. Dem AG ist eine Berufung auf die Teilnichtigkeit verwehrt.*

Kommt es hingegen zu starken Schwankungen im Arbeitsvolumen oder unterlässt der AG die Einteilung zum Dienst, kommt der Rsp des OGH nicht nur in Hinblick auf die Ermittlung der Normalarbeitszeit Bedeutung zu, sondern sind auch die in der Judikatur entwickelten Flexibilitätszuschläge näher ins Auge zu fassen. Diese stehen auch nach der Einführung des gesetzlichen Mehrarbeitszuschlags zu, weil sie über den gesetzlich zulässigen flexiblen Einsatz der AN eben auch die rechtswidrigen Nachteile für den AN ausgleichen sollen* und daher nicht dem Kumulierungsverbot des § 19d Abs 3d AZG unterliegen.* Sie können daher auch neben den Mehrarbeitszuschlägen geltend gemacht werden.

3.3..
Unbezahlte Arbeitsbereitschaft?

Eine andere Form unzulässiger „Arbeit auf Abruf” stellen auch unbezahlte Arbeitsbereitschaften dar. In einem aktuellen Fall hatte ein für ein Musikfestival engagiertes Bewachungsunternehmen „Reserveleute“ auf dem Festivalgelände gesammelt. Diese sollten sich, ohne zunächst aktiv tätig zu werden, für Notfälle bereithalten. Sie durften keinen Alkohol konsumieren, hatten sich dunkel zu kleiden und regelmäßig bei der Einsatzleitung zu melden. „Reserveleute” erhielten einen Festivalpass im Wert von € 299,90, aber keine Bezahlung. Vor dem ASG Wien verfing die Argumentation des AG, er habe lediglich eine Rahmenvereinbarung geschlossen, welche weder einen konkreten Arbeitseinsatz noch einen Arbeitsort festgelegt hätte, nicht.* Das Gericht stellte fest, dass sich der AN an einem vom AG bestimmten Ort zum sofortigen Arbeitsantritt bereitzuhalten hatte und qualifizierte dies als Arbeitsbereitschaft. Dem AN wurde der nach dem KollV Bewachungsgewerbe zustehende Mindestlohn für Normalarbeitszeit zugesprochen. Die Frage eines „Flexibiliätszuschlags“ stellte sich in concreto mangels erfolgtem Arbeitseinsatz nicht. Für Phasen reiner Arbeitsbereitschaft geht die Rsp – bei Nichtvorliegen abweichender Ver416einbarungen – von einer Entlohnung wie bei normaler Arbeitszeit aus. Auch bei Überschreitung der Normalarbeitszeit kann eine unter dem Überstundenentgelt liegende Entlohnung vereinbart werden („Überstunden minderer Art“).*

Ganz allgemein wäre die Vereinbarung einer geringeren Entlohnung für Zeiten der Arbeitsbereitschaft nach Rsp* und Lehre* auch innerhalb der Grenzen der Normalarbeitszeit zulässig. Eine solche Vereinbarung wurde im konkreten Fall aber nicht festgestellt. Es wären aber auch dabei die Grenzen des KollV bzw der Sittenwidrigkeit zu berücksichtigen gewesen. Im konkreten Fall sieht § 9 KollV Bewachungsgewerbe ausdrücklich vor, dass Zeiten der Arbeitsbereitschaft als Arbeitszeit gelten und erscheint eine einzelvertragliche Abrede der Minderentlohnung daher unzulässig.

4..
Conclusio

Der Rsp des OGH zu Arbeit auf Abruf kommt auch knapp 20 Jahre nach ihrem Entstehen hohe praktische Bedeutung zu und stellt eine wichtige rechtliche Schranke gegen die „Atomisierung des Arbeitsrechts“ dar. Aktuelle Versuche, mit 1-Minuten-Verträgen in gesetzwidriger Weise wirtschaftliche Risiken auf AN zu überwälzen und sie zu disziplinieren, sind auch ein geeigneter Anlass, um den vom OGH entwickelten Gedanken eines Flexibilitätszuschlags mit Leben zu erfüllen.