7. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums zum Generalthema „Arbeitsrecht in der Corona-Krise“

MICHAELHAIDER

Nach einem Jahr Pause, welche – wie bei so vielen Veranstaltungen im Jahr 2020 – durch die Corona-Pandemie erforderlich war, fand am 27.5.2021 in verkürzter Form das 7. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums zum Thema „Arbeitsrecht in der Corona-Krise“ statt. Das Arbeitsrechtsforum wurde dabei erstmals als (nahezu) vollständig virtuelle Veranstaltung abgehalten, wobei sich die Vortragenden und das Organisationsteam im Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien aufhielten.

Im Rahmen der Corona-Pandemie rückten für einen großen Teil der Bevölkerung die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen und Sonderregelungen, die ua Arbeitsplätze sichern sollten, in den Fokus. Dementsprechend standen in der arbeitsrechtlichen Praxis insb Fragen zum Kündigungsschutz während Kurzarbeit im Mittelpunkt der Diskussion, wobei speziell in letzter Zeit Fragen der Test- und Impfpflicht und daraus abgeleitete Informationspflichten hinzutraten. Wie das Symposium gezeigt hat, werden diese Themen nicht nur in Österreich kontroversiell behandelt. Darüber hinaus kam während der Corona-Pandemie dem Bereich einstweiliger Rechtsschutz nicht unerhebliche Bedeutung im Zusammenhang mit der Einberufung von Betriebsversammlungen zu. Aus diesem Grund widmete sich ein Vortragender gänzlich diesem praxisrelevanten Thema.

RA Mag.aKrömer setzte sich in ihrem Vortrag „Hotspots der arbeitsrechtlichen Corona-Regelungen“ insb mit zwei Themenbereichen auseinander, nämlich der Zulässigkeit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen während Kurzarbeit sowie dem Testen und Impfen im Arbeitsverhältnis. Nachdem die Vortragende die Rechtsgrundlagen der österreichischen Kurzarbeit (insb § 37b AMSG, die Kurzarbeits-RL sowie die Sozialpartnervereinbarung) und deren wesentliche Regelungsinhalte darstellte, beschäftigte sich Krömer im Wesentlichen mit der Frage, ob die Kurzarbeitsregelungen einen besonderen Bestandschutz regeln würden. Dabei wurde vor allem das Urteil des OLG Linz vom 10.2.2021, 12 Ra 6/21w, wonach die Sozialpartnerkurzarbeitsvereinbarung AN keinen subjektiven Anspruch auf aufrechten Bestand des Arbeitsverhältnisses gewähren würde, sondern diese lediglich die gesetzlichen Vorgaben nach § 37b AMSG umsetze und rein arbeitsmarktpolitischen Zielen folgen würde, kontroversiell diskutiert.

Krömer ging in ihrem Vortrag zwar davon aus, dass § 37b AMSG an sich keinen Kündigungsschutz normiere. Sehr wohl beinhalte aber die Sozialpartnervereinbarung (egal ob Einzel- oder Betriebsvereinbarung) einen individuellen Kündigungsschutz, auf den sich jeder AN berufen könne. Krömer leitet aus der Formulierung und dem Telos der Sozialpartnervereinbarung aber ab, dass AN – trotz Kündigungsbeschränkung – kein Recht auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses zukomme. Begründend führte die Vortragende aus, dass die Vertragsparteien lediglich für den Zeitraum der Kurzarbeit einen Kündigungsverzicht vereinbaren wollten, weswegen nur ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung zustehe. Darüber hinaus würden gerichtliche Auseinandersetzungen über die Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses weit über die Dauer des ursprünglichen Kündigungsverzichts hinaus andauern und es nicht Zweck des Krisenmodells sein könne, dass AG im Falle eines Prozessverlusts das bis dahin anfallende Entgelt 422fortzahlen müssten. Während die Rechtsansicht, die Sozialpartnervereinbarung würde einen Kündigungsschutz beinhalten, vollkommen überzeugt, kann die für den AN daraus abgeleitete Folge mE nicht überzeugen. Geht man nämlich von einem vertraglichen bzw kollektiven Kündigungsschutz(-verzicht) des AG aus, so haben AN nach hA das Wahlrecht, die Kündigung gegen sich gelten zu lassen oder Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses zu begehren. Warum dieses Wahlrecht im Zusammenhang mit der Kurzarbeit nicht zustehen soll, erschließt sich nicht. Auch im Falle eines vertraglich befristet vereinbarten Kündigungsverzichts intendieren AG und AN den Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit lediglich für die vertraglich vereinbarte Laufzeit. Dennoch werden Kündigungen, die während des Kündigungsverzichtes ausgesprochen werden, als rechtsunwirksam betrachtet. Dementsprechend wird man aber auch bei Verstößen gegen die Sozialpartnervereinbarung von einer rechtsunwirksamen Kündigung auszugehen haben, die die bis dato anerkannten Folgen auslöst.

Wohl zutreffend nahm Krömer immer dann, wenn AG ein Interesse am Schutz anderer (Kollegen, Kunden) haben, eine Testpflicht für AN an. Eine solche bestünde aber nicht, wenn sich die AN in Homeoffice befinden. Anders bewertetKrömer eine Impfpflicht. Hier geht die Vortragende davon aus, dass AG AN zwar nicht zur Impfung verpflichten könnten, im Falle der Nichteinsetzbarkeit mangels Impfung stünde – nach der Prüfung einer möglichen Ersatztätigkeit – aber eine Kündigung offen.

Im zweiten Vortrag des Vormittags beschäftigte sich der Präsident des LAG Niedersachsen, Herr WilhelmMestwerdt, mit den korrespondierenden Corona-Regelungen in Deutschland. Anfänglich wies der Vortragende – neben der komplexen Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Länder – auf allgemeine Maßnahmen der Bekämpfung der Auswirkungen von Corona hin, so zB darauf, dass in Deutschland die Pflicht zur Anmeldung von Insolvenzen bei coronabedingten Schieflagen des Unternehmens (befristet bis 1.5.2021) ausgesetzt wurde, um übermäßige Insolvenzanzahlen zu verhindern.

Im Zusammenhang mit der Kurzarbeit bzw dem – wie es in Deutschland genannt wird – Kurzarbeitergeld betonte Mestwerdt, dass für die Corona-Krise die Voraussetzungen der bereits bestehenden Regularien deutlich abgeändert wurden. So wurde etwa hinsichtlich der betrieblichen Voraussetzungen für Kurzarbeit die notwendige Geschäftseinbuße auf Seiten des Unternehmens von mindestens 30 % auf (lediglich) mindestens 10 % herabgesetzt. Ebenso wurde das Kurzarbeitergeld von 60/67 % auf 70/77 % bis 80/87 % erhöht. Darüber hinaus wurde geregelt, dass sämtliche AG-Beiträge durch die Bundesagentur für Arbeit getragen werden. Mestwerdt legte damit dar, dass die AN während der Corona-Krise und Kurzarbeit keine Belastung für ihre AG waren. Dieses System machte sich in Deutschland bezahlt: Der Höchststand an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen in Kurzarbeit wurde im April 2020 mit 6 Mio AN verzeichnet, im April 2021 wurden lediglich 127.000 Arbeitslose mehr registriert als im April 2020. Mestwerdt legte instruktiv dar, dass dies auch mit der Frage der Kündigungsmöglichkeit während Kurzarbeit zusammenhängt. Zwar bestünde in Deutschland im Zusammenhang mit der Kurzarbeit kein explizites Verbot von (betriebsbedingten) Kündigungen. Grund dafür sei der andere gesetzliche Rahmen in Deutschland, insb das Kündigungsschutzgesetz, das Kündigungen von AN nur aus dringenden betrieblichen Gründen erlaubt, ein solcher Grund wäre ein dauerhafter Wegfall des Beschäftigtenbedarfs. Genau dieser Umstand hinderte viele AG daran, AN zu kündigen: Problematisch war nämlich, dass AG im Zusammenhang mit der Beantragung der Kurzarbeit angeben mussten, dass der Beschäftigtenbedarf lediglich vorübergehend gesunken war. Dieser Widerspruch in der Argumentation sei nur äußerst schwer aufzulösen. Darüber hinaus wird Kurzarbeitergeld nur für ungekündigte Arbeitsverhältnisse ausbezahlt. Ab dem Zeitpunkt der Kündigung hätten AG somit den vollen Lohn weiterzahlen müssen, ein Umstand, der kaum finanzierbar gewesen sei.

Im Zusammenhang mit Home-Office legte der Vortragende klar, dass es in Deutschland zwar eine Verpflichtung des AG gab, seinen AN bei Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten Home-Office anzubieten, sofern keine zwingenden betriebsbedingten Gründe dem entgegenstehen. AN hätten hingegen kein subjektives Recht auf Home-Office.

Interessant ist, dass das LAG Düsseldorf – abgeleitet aus allgemeinen Erwägungen der Risikotragung – im Zusammenhang mit der Entgeltfortzahlung bei Betriebsschließungen (ohne eine Sondernorm wie § 1155 Abs 3 ABGB) festhielt, dass eine Schließung des Unternehmens aufgrund der Covid-Maßnahmen dem Betriebsrisiko des AG zuzuordnen sei. Ausgehend davon stünde AN ihr Entgelt weiterhin zu. Im „umgekehrten“ Fall, also bei Leistungshindernis des AN, wird insb im Zusammenhang mit der Entgeltfortzahlung bei Quarantäne der AN ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung über § 616 BGB diskutiert, wobei dieser nur für verhältnismäßig kurze Zeit gebühren soll. Abgesehen davon, 423dass die Länge des Zeitraums strittig ist, würde – subsidiär – das Infektionsschutzgesetz einen Verdienstausfall der AN ausgleichen.

Im letzten Vortrag der halbtägigen Veranstaltung bearbeitete Herr Hofrat Univ.-Prof. Dr. Georg Kodek, LLM, das Thema des einstweiligen Rechtsschutzes im Arbeitsrecht. Anfänglich verwies der Vortragende auf die große praktische Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes in Deutschland, wonach jährlich über 4.000 einstweilige Verfügungen, zB im Zusammenhang mit der Gewährung von Urlaub, der Herausgabe von Arbeitspapieren, der Konkurrentenklage oder allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsansprüchen des BR gerichtlich zu behandeln seien. Eine derartige Bedeutung käme dem österreichischen einstweiligen Rechtsschutz zumindest in Arbeitsrechtssachen nicht zu.

Nach einer instruktiven Darlegung der Grundlagen der österreichischen gesetzlichen Regelungen beschäftigte sich Kodek mit Teilbereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, in welchen einstweilige Verfügungen eine (wesentliche) Rolle spielen können.

Ein wesentlicher Anwendungsbereich einstweiliger Verfügungen liege nach Kodek im Bereich des Rechts auf Beschäftigung. Der Vortragende diskutierte in diesem Zusammenhang mehrere höchstgerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage, wobei er ausdrücklich betonte, dass wohl der jeweilige Sachverhalt wesentlich zum Ergebnis der Entscheidungen beigetragen habe. In rechtlicher Hinsicht verwies Kodek darauf, dass bis dato das Verhältnis zwischen dem Recht auf Beschäftigung und den Erfordernissen des „unwiederbringlichen Schadens“ nicht geklärt sei. Ebenso betonte er, dass auch bei gesetzlichem oder arbeitsvertraglichem Recht auf Beschäftigung die Bescheinigung eines aufrechten Arbeitsverhältnisses erforderlich sei, in jedem Einzelfall die konkrete Schutzwürdigkeit des AN geprüft und wesentliches Augenmerk auf den Umfang des Sicherungsantrages gelegt werden müsse (insb betreffend der Aufnahme von Leitungsfunktionen in derartige einstweilige Verfügungen, deren Sicherung nach dem OGH nicht zulässig sei). Schlussendlich übte Kodek Kritik daran, dass die Rsp den Parteien im Provisorialverfahren keine Anleitungspflicht zuerkennen möchte, sohin – gerade unter Zeitdruck – besondere Anforderungen an das Verfassen derartiger Anträge gestellt werden.

Einstweilige Verfügungen könnten des Weiteren im Bereich der Urlaubsfestsetzung sowie der Abwehr unzulässiger Weisungen beantragt werden. In beiden Bereichen spielt der einstweilige Rechtsschutz in Österreich aber nahezu keine Rolle. Kodek verwies dabei auf die wenigen höchstgerichtlichen Entscheidungen zB zur Frage der Weigerung gegen die Weisung, seinen Dienst statt von Wien nunmehr in Vorarlberg zu leisten und betonte im Zusammenhang mit der diesbezüglichen Abweisung durch den OGH (22.2.2011, 8 ObA 95/10v) abermals die Bedeutung der konkreten Formulierung der Anträge. Insb müsse darauf geachtet werden, dass die einstweilige Verfügung nicht das Recht des Klagebegehrens an sich sichern könne.

In der Folge befasste sich Kodek mit Fällen, in denen einstweilige Verfügungen vom AG ausgehen. Dabei erwähnte der Vortragende die wohl in der arbeitsrechtlichen Praxis eher unbeachtete Bestimmung des § 1162a ABGB (die nach Ansicht einiger Stimmen der Lehre derogiert sei), wonach der AG bei unberechtigtem Austritt des AN das Recht habe, den Wiedereintritt des AN zu verlangen. Praktische Relevanz kämen hingegen einstweilige Verfügungen einerseits im Zusammenhang mit der Absicherung von Konkurrenzklauseln zu, wobei hier immer die Frage der unbilligen Erschwernis zu prüfen sei; ist eine solche anzunehmen, könne eine einstweilige Verfügung nicht erlassen werden. Andererseits könne auch die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen durch einstweilige Verfügungen abgesichert werden.

Im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts fänden sich ebenso zahlreiche Fälle, in denen einstweilige Verfügungen relevant seien, so zB zur Sicherung der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, dem Verbot von Maßnahmen, die die Menschenwürde berühren/verletzen oder die Mitwirkungsrechte der AN in sonstiger Weise einschränken. Ebenso verwies Kodek abermals darauf, dass er die Informationsrechte nach §§ 108 und 109 ArbVG im Rahmen einer einstweiligen Verfügung als sicherungsfähig ansehe. Das Versagen von Betriebsversammlungen im Rahmen der Corona-Krise sah Kodek eher kritisch und verwies darauf, dass in Deutschland die genau gegenteilige Diskussion geführt werde, nämlich, ob man den AG verpflichten könne, durch einstweilige Verfügung ausreichende Schutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.

Als Resümee hielt Kodek fest, dass die Erfolgsquote in den im Vortrag diskutierten Entscheidungen lediglich 50 % betrage, es sich dabei also nicht um „Selbstläufer“ handle. Vielmehr seien besondere Anforderungen an das Verfassen entsprechender Anträge zu stellen, ein Umstand, der im Rahmen des Zeitdrucks bei Beantragung der einstweiligen Verfügungen oftmals Schwierigkeiten bereite. Generell sei die Bedeutung einstweiliger Verfügungen im Arbeitsrecht in Österreich aber wesentlich geringer als in Deutschland.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die virtuelle Premiere des Wiener Arbeitsrechtsforums sich durch hochaktuelle, spannende, aber auch kontroversiell zu diskutierende Vorträge ausgezeichnet 424hat. Trotz der gut funktionierenden Streaming-Dienste ist dennoch allseits zu hoffen, dass das Wiener Arbeitsrechtsforum im nächsten Jahr wieder (zumindest vorrangig) als Präsenzveranstaltung stattfinden kann. Langfassungen sämtlicher Vorträge können dem in Kürze erscheinenden Sammelband Kozak (Hrsg), Arbeitsrecht in der Corona-Krise (2021) entnommen werden, die Vortragsunterlagen stehen unter https://www.forumarbeitsrecht.at zur Verfügung.

Das 8. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums wird am Donnerstag nach Pfingsten, das ist der 9.6.2022, stattfinden.