GannerGrundzüge des Alten- und Behindertenrechts

3. Auflage, Jan Sramek Verlag, Wien 2020, XXII, 302 Seiten, broschiert, € 55,-

WALTER J.PFEIL

Wenn ein Buch, das eine doch eher „exotische“ Rechtsmaterie behandelt, innerhalb von acht Jahren bereits in dritter Auflage erscheint, kann das mit der Dynamik des betreffenden Bereichs zu tun haben. Wenn die Behandlung aber auf Grundzüge ausgerichtet ist, die sich üblicherweise nicht so schnell ändern, muss es wohl vor allem die große Nachfrage sein, die eine relativ rasche Neuauflage notwendig macht. Und in der Tat mangelt es angesichts der zunehmenden Spezialisierung gerade auch im Recht an systemübergreifenden Darstellungen, und zwar umso mehr, wenn es um die Rahmenbedingungen für das Leben besonders vulnerabler Personengruppen geht. Michael Ganner, Zivilrechtsprofessor an der Universität Innsbruck, verfolgt diesen Ansatz schon lange, war er doch in Österreich der erste und ist soweit ersichtlich immer noch der einzige Inhaber einer (die Grenzen herkömmlicher rechtswissenschaftlicher Disziplinen überschreitenden) Venia für Altenrecht.

Dementsprechend ist das Werk in ganz unterschiedliche Bereiche gegliedert, die in Summe aber einen durchaus stimmigen Eindruck der Rechtslage vermitteln, von der die Lebensrealitäten von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen geprägt sind. Der erste („Allgemeine“) Teil ist philosophisch-historisch ausgerichtet und schildert Eckpunkte der Entwicklung zur mittlerweile (hoffentlich) unstrittigen Anerkennung von Menschenwürde und Selbstbestimmung, die ja erst jüngst in der Aufhebung der Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid durch den VfGH (11.12.2020, G 139/2019) ihren Niederschlag gefunden hat.

Daran schließt sich ein (aus der Sicht des Sozialrechtlers naturgemäß zu) kursorischer Überblick der wichtigsten sozialrechtlichen Regelungen an. Das Pflegegeld als einzige gleichermaßen an ältere Menschen wie Menschen mit Behinderungen adressierte Leistung nimmt hier zu Recht einen besonderen Schwerpunkt ein. Bei der Darstellung der wichtigsten behindertenrechtlichen Regelungen dürfte der Autor freilich vor der „föderalistischen Vielfalt“ zurückgeschreckt sein, was aber im Rahmen von „Grundzügen“ vertretbar erscheint. Die Hinweise auf das Unionsrecht und andere nationale Rechtsordnungen sind ebenfalls sehr allgemein gehalten, bringen aber zumindest interessante Denkanstöße.

Eindeutig den Kernbereich des Buches – erst recht in seiner nunmehrigen Neuauflage – bildet der Abschnitt zum Erwachsenenschutzrecht. Dieser Begriff wird weit verstanden und umfasst nicht nur den Erwachsenenschutz ieS als Weiterentwicklung der früheren Sachwalterschaft oder die Zulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen (insb nach Unterbringungsgesetz [UbG] bzw Heimaufenthaltsgesetz [HeimAufG]), sondern etwa auch die Patientenverfügung, den Heimvertrag (nach dem KSchG) oder Fragen der schadenersatz- wie strafrechtlichen Haftung. Diese Systematik mag rechtsdogmatisch unpräzise erscheinen, der Lebensrealität der Betroffenen wird sie allemal gerecht.

Unter diesem Gesichtspunkt sollte auch der – abgesehen von den Schlussbemerkungen – letzte Teil des Buches verstanden werden. Dieser ist mit „Internationales Recht“ überschrieben, zeigt aber im Grunde die Perspektiven auf, in der sich das Alten- und Behindertenrecht künftig weiterentwickeln muss. Gerade für diese Personen sind nämlich die Vorgaben der Menschenrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharta und vor allem der UN-Behindertenrechtskonvention noch nicht hinreichend umgesetzt. Das belegt im Übrigen auch der vergleichsweise geringe Anteil der Ausgaben für Ältere, Pflegebedürfti437ge und Menschen mit Behinderungen am jeweiligen BIP in Österreich oder Deutschland, der im vorliegenden Werk ganz zum Schluss in Erinnerung gerufen wird.

Für diese Probleme und Defizite zu sensibilisieren ist ein zentrales Verdienst dieser Schrift. Sie macht darüber hinaus deutlich, wie komplex und vielschichtig (aber nicht selten auch widersprüchlich) die Regelungen sind, die älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen das Leben eigentlich leichter machen sollen. Die SpezialistInnen der einzelnen angesprochenen Rechtsbereiche, denen Vieles zu sehr an der Oberfläche bleiben mag, werden dadurch zumindest herausgefordert, über den Tellerrand ihrer eigenen Materie zu blicken und zu denken. Wer sich schließlich über Details der jeweiligen Rechtslage informieren will, wird natürlich zu anderen Quellen greifen, aber auch bei deren Erschließung leistet das anzuzeigende Buch wertvolle Hilfe mit fast neun Seiten eng bedruckt mit weiterführenden Literatur- und Internetangaben.

Insgesamt kann somitGanners Neuauflage tatsächlich allen empfohlen werden, die sich mit Alten- und Behindertenrecht befassen, egal ob sie das nun aus beruflichen Gründen, Betroffenheit oder bloßem Interesse tun. Einen breiteren AdressatInnenkreis kann sich ein Grundzüge-Buch und sein Autor eigentlich nicht wünschen.