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Einvernehmliche Lösungen sind auch ohne Einhaltung der Wartefrist des AMS-Frühwarnsystems rechtswirksam

LYNNROTHFISCHER

Die bekl Hotelbetreiberin zeigte dem Arbeitsmarktservice (AMS) am 12.3.2020 die Absicht der Kündigung mehrerer Mitarbeiter iSd § 45a Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) an und ersuchte um Zustimmung zur Kündigung vor Ablauf der 30-Tage-Frist. Noch vor Erteilung der Zustimmung durch das AMS vereinbarte die Bekl mit der Kl bereits einen Tag nach der Anzeige die einvernehmliche Lösung des Arbeitsverhältnisses per 14.3.2020. Am 15.3.2020 erkrankte die Kl.

Die Kl erachtete die einvernehmliche Lösung für rechtsunwirksam, da das AMS erst nach Vereinbarung dieser auf die Einhaltung der Wartefrist verzichtet habe und forderte von der Bekl Entgeltfortzahlung ab dem 15.3.2020. Die Bekl wandte die Unanwendbarkeit des § 45a Abs 5 AMFG für einvernehmliche Lösungen ein. Die Bestimmung erfasse nur Kündigungen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil § 45a Abs 5 AMFG nach dem Gesetzeszweck auch für einvernehmliche Auflösungen auf Initiative des AG heranzuziehen sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Der Norm des § 45a Abs 5 AMFG könne weder bei richtlinienkonformer noch bei nationaler Interpretation unterstellt werden, dass auch einvernehmliche Auflösungen von der Rechtsunwirksamkeit betroffen sein sollten. Der OGH bestätigte die Berufungsentscheidung und gab der ordentlichen Revision der Kl keine Folge:

Nach dem klaren Wortlaut des § 45a Abs 1 AMFG wird die Verständigungspflicht schon dann ausgelöst, wenn ein AG beabsichtigt, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen. Eine Unterscheidung nach der Art der Auflösung der Arbeitsverhältnisse enthält Abs 1 nicht. Dagegen ist die Nichtigkeitssanktion des § 45a Abs 5 AMFG nach ihrem klaren Wortlaut nur auf Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnis368sen iSd Abs 1 bezwecken, bezogen. Sie bewirkt ein temporäres gesetzliches Kündigungsverbot.

Zu prüfen bleibt damit die Frage, ob hier eine bewusste Differenzierung vorgenommen werden sollte oder ob Abs 5 eine planwidrige, im Weg der Analogie zu schließende (Umsetzungs-)Lücke enthält. Der unterschiedliche Wortlaut der Abs 1 und 5 des § 45a AMFG spricht zunächst für eine Differenzierung der Rechtsfolgen je nachdem, ob eine Kündigung mit dem Zweck einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses iSd Abs 1 vorliegt oder nicht. Aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung kommt eine Ausdehnung des temporären Kündigungsverbots und der Nichtigkeitssanktion auf andere Beendigungsarten als Kündigungen daher nur dann in Betracht, wenn der Gesetzeswortlaut entgegen der Absicht des Gesetzgebers zu kurz greift oder wenn sie einer möglichen richtlinienkonformen Auslegung geschuldet ist. Da weder das Vorliegen einer ungewollten Lücke noch die Notwendigkeit eines europarechtlich gebotenen ausdehnenden Verständnisses des § 45a Abs 5 AMFG auf vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösungen indiziert ist, ist die Auslegung der Bestimmung nach ihrem Wortlaut („Kündigungen“) vorzunehmen.

Ausgehend von der Rechtswirksamkeit der einvernehmlichen Auflösung des streitgegenständlichen Dienstverhältnisses zum 14.3.2020 kommt hier auch eine Entgeltfortzahlungspflicht für die erst ab dem 15.3.2020 feststehende Erkrankung der Kl nicht in Betracht.

Anm der Bearbeiterin: Mangels Relevanz im Anlassfall lässt der OGH offen, ob eine einvernehmliche Lösung im Falle der Verletzung der Verständigungspflicht gem § 45a AMFG Abs 1 die Rechtsunwirksamkeit bewirkt.