Herausforderungen der Internationalisierung der Arbeitswelt

OLAFDEINERT (GÖTTINGEN)
Die Wirtschaft stellt sich zunehmend international auf. Damit einher geht auch eine Internationalisierung der Arbeitsbeziehungen. Der Trend ist nicht von dem der Digitalisierung zu trennen. Selbst die Betreuung und Überwachung von Produktionsmaschinen kann theoretisch digital von jedem Ort der Welt erfolgen. Zudem ermöglicht die Digitalisierung letztlich eine beliebige Zerlegung von Arbeitsschritten und deren Verteilung auf verschiedene Auftragnehmer aus einer potenziell unbegrenzten Menge von Anbietern, wenn diese nicht mehr in den Betrieb kommen müssen, sondern von jedem Ort der Welt agieren können. Einigen der sich daraus ergebenden Probleme soll vorliegend nachgegangen werden, um am Ende Lösungsvorschläge daraus zu entwickeln.
  1. Virtuelle Betriebe und neue Arbeitsformen als Herausforderungen für das Kollisionsrecht

    1. Qualifikation

    2. Objektive Anknüpfung bei digitaler Distanzarbeit

  2. Bedeutungsverlust räumlicher Dimensionen

  3. Internationalisierung der Unternehmen

    1. Räumliche Begrenztheit des Betriebsverfassungsrechts?

    2. Sachrechtliche Selbstbeschränkung?

  4. Unbeständigkeit der Betriebe

  5. Kollisionsrecht und transnationale Rechte de lege ferenda

    1. Kollisionsrecht

    2. Schaffung transnationaler Rechte

    3. Ermöglichung transnationaler Kollektivverträge

  6. Fazit

1.
Virtuelle Betriebe und neue Arbeitsformen als Herausforderungen für das Kollisionsrecht
1.1.
Qualifikation

Das Kollisionsrecht für Verträge ist in der Rom I-VO* geregelt. Nach deren Art 3 greift für die Anknüpfung der Vorrang der Rechtswahl. Allerdings steht die Rechtswahl bei Arbeitsverhältnissen unter dem Vorbehalt der Günstigkeit nach Art 8 Abs 1 Satz 2 Rom I-VO. Sie darf dem AN nicht den Schutz des zwingenden Rechts nach dem objektiven Vertragsstatut entziehen. Schon von daher ist es wichtig, wie ein Rechtsverhältnis zu qualifizieren ist. Für die Bestimmung, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis iSd Art 8 Rom I-VO handelt, kommt es darauf an, ob es einem europäisch autonom bestimmten Verständnis entspricht.* Es geht darum, möglichst die Rechtsverhältnisse zu erfassen, bei denen eine Seite wegen der Fremdbestimmung im Rahmen des Vertragsverhältnisses eines besonderen Schutzes bedarf, den das Kollisionsrecht durch die besonderen Anknüpfungsnormen des Art 8 Rom I-VO gewährleisten möchte. Die persönliche Abhängigkeit, die vor allem ihren 153 Ausdruck in Weisungsgebundenheit findet, wie dies auch im deutschen (§ 611a Abs 1 BGB) und im österreichischen* Recht der Fall ist, ist damit entscheidend für die Qualifikation.* Indes drängt die Digitalisierung die Weisungsgebundenheit in ihrer Bedeutung zurück. Der Ort der Arbeitsleistung wird durch die Digitalisierung zunehmend unbedeutend. Was die Zeit angeht, kann das hingegen anders sein, doch das gilt oftmals auch für die Rechtsverhältnisse Selbstständiger. Inhalt und Durchführung der Arbeitsleistung können gerade auch im Zuge der Digitalisierung zunehmend weisungsfrei erfolgen, wenn, wie im Fall des Crowdwork, nur noch punktuell Mikrotätigkeiten beauftragt werden. Hier bildet sich ein Problem ab, das bereits im innerstaatlichen Recht deutlich sichtbar geworden ist.*

Wenn persönliche Abhängigkeit sich nicht mehr in Weisungsgebundenheit ausdrückt, sondern in beispielsweise virtueller Steuerung, spricht das entscheidend dafür, auch ein solches Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren.*

1.2.
Objektive Anknüpfung bei digitaler Distanzarbeit

Die objektive Anknüpfung des Vertrages ist nach Art 8 Rom I-VO in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Sie entscheidet über das anzuwendende Recht, wenn es an einer Rechtswahl fehlt, ist aber auch Ausgangspunkt des vorerwähnten Günstigkeitsvergleichs.

Für Dienstleistungsverträge, wozu auch Werkverträge zählen,* wird primär an den gewöhnlichen Aufenthalt des Dienstleisters nach Art 4 Abs 1 lit b Rom I-VO geknüpft. Im Falle eines Arbeitsverhältnisses ist der Ort der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeitsleistung maßgeblich. Es scheint also alles dafür zu sprechen, dass das Heimatrecht des AN auch im Falle digitaler Distanzarbeit zur Anwendung kommt.* Das lässt aufmerken. Wer beispielsweise die Steuererklärung des Kunden seines AG in dessen Steuerbüro in Salzburg erledigt, unterliegt österreichischem Recht. Das gilt auch, wenn er in Rosenheim wohnt und nach Salzburg pendelt. Wenn er den Schreibtisch gegen den Rosenheimer Küchentisch eingetauscht hat, ist er zwar nicht mehr physisch anwesend, sehr wohl aber geistig. Ändert sich dadurch der Arbeitsort mit der Folge eines Statutenwechsels? Mit zunehmender Internationalisierung und Digitalisierung würde das zu einer Zersplitterung der betrieblichen Rechtsbeziehungen führen. Die internationale Belegschaft eines virtuellen Betriebes wird durch ein buntes Netz von Vertragsstatuten gekennzeichnet sein, denen jede Einheitlichkeit fehlt. Zwar haben AG es in der Hand, das anwendbare Recht zu wählen, doch lässt sich dies bei nur noch punktuellen Vertragsbeziehungen praktisch bewerkstelligen? Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Suche nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses durch die Frage nach der physischen Präsenz des agierenden AN richtig beantwortet werden kann. Der Ort, „in dem oder anderenfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“, muss aber gar nicht zwingend in diesem Sinne verstanden werden.* Der Begriff der Verrichtung lässt sich auch so verstehen, dass bei einer Distanztätigkeit der Ort der Arbeitsverrichtung der ist, an dem die Tätigkeit ihre Wirkung entfaltet. In ähnlicher Weise hat Risak für eine Einbeziehung virtueller Entsendungen in den Begriff der Entsendung iSd RL 1996/71/EG plädiert.*

Beachtung verdient schließlich, dass diese Option nicht im Falle eines Selbstständigen eingreift. Denn hier wird an den gewöhnlichen Aufenthalt des Dienstleisters geknüpft. Dieser lässt sich auch bei einer Tätigkeit von Rosenheim aus nicht nach Salzburg hin uminterpretieren. Andererseits zeigt dieser Umstand, dass es nicht darum geht, das Umweltrecht oder Heimatrecht des AN zur Anwendung zu bringen, sondern das Recht des Ortes, an dem sich die Arbeitsleistung realisiert. Das muss andererseits nicht automatisch der Ort des Arbeitserfolges sein.* Die Problematik ist vom Verordnungsgeber ersichtlich überhaupt nicht in Betracht gezogen worden. Doch Probleme dieser Art werden sich häufen. Zwei Aspekte streiten gegen die Annahme, dass der Ort der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeitsleistung der Ort des Arbeitssubstrats ist. Zum einen kann dies keine Einbahnstraße sein. Wer in Deutschland online Mikrotasks für eine US-amerikanische Plattform verrichtet, würde auf diese Weise des Schutzes durch das deutsche Arbeitsrecht entkleidet, und zwar ohne Günstigkeitsvergleich. Umgekehrt wird sich möglicherweise ein AN auf der anderen Seite des Erdballs verwundert die Augen reiben, wenn er erfährt, dass seine Tätigkeit unter dem Schutz des österreichischen Rechts steht. Das wirft dann die Frage auf, ob sein Kollege, der für einen chinesischen AG arbeitet, dann zu Recht einem völlig anderen Arbeitsrecht untergeordnet wird. Insgesamt dürfte es sich hier eher um eine rechtspolitische Frage handeln. 154

In jedem Falle bleibt die sogenannte Ausweichklausel des Art 8 Abs 4 Rom I-VO zu prüfen. So mag im Fall des Steuerberaters der Wechsel des Schreibtisches als einziges Element neben dem Wohnsitz, das auf deutsches Recht weist, einer engeren Verbindung nach Österreich weichen. In der bisherigen Rsp des EuGH zur Ausweichklausel* hat allerdings weder der Ort des Arbeitssubstrats noch der Ort eines Betriebes, so es denn einen solchen gibt, noch die Mehrheitsbelegschaft eine Rolle gespielt.

2.
Bedeutungsverlust räumlicher Dimensionen

Das BetrVG definiert den Betriebsbegriff nicht. Die Rsp definiert im Anschluss an Ernst Jacobi.* Betrieb ist danach die „organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe jemand allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt“.* Das scheint eine räumliche Komponente zu enthalten („Einheit, in der“). Bei Lichte gibt es eine solche schon in der Definition nicht.* Die Rsp stellt vielmehr zentral darauf ab, ob Leitungsmacht ausgeübt wird.* Der virtuelle Betrieb scheint mithin die Betriebsverfassung nicht vor echte Herausforderungen zu stellen. Das gilt selbst für unternehmensübergreifende Strukturen. Denn das BetrVG kennt den gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen (§ 1 Abs 1 Satz 2, Abs 2 BetrVG).

Auch wenn § 34 Abs 1 ArbVG eine gesetzliche Definition enthält, scheint die Lage nicht viel anders. Zwar taucht darin der Begriff der Arbeitsstätte auf. Doch auch dies muss nicht im räumlichen Sinne verstanden werden, sodass die Definition offen für rein virtuelle Betriebe ist.*

3.
Internationalisierung der Unternehmen
3.1.
Räumliche Begrenztheit des Betriebsverfassungsrechts?

Eine zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft bewirkt, dass Betriebe zu ausländischen Unternehmen gehören können. Das in Deutschland* und Österreich* verbreitet vertretene Territorialitätsprinzip stellt an sich nicht infrage, dass ein im Inland belegener Betrieb auch bei einem AG mit Sitz im Ausland in die Betriebsverfassung eingegliedert ist. Selbst ein Gesamt-BR ist ungeachtet des Sitzes des AG zu errichten, wenn es mehrere Betriebsräte im Inland gibt.* Dasselbe wird für den Zentral-BR gem §§ 80 ff ArbVG gelten. Demgegenüber soll es keinen Konzern-BR geben können, wenn das herrschende Unternehmen im Ausland sitzt, es sei denn, es gäbe eine Teilkonzernspitze im Inland.* Dagegen regelt § 88a Abs 10 ArbVG ausdrücklich die Möglichkeit, eine Konzernvertretung bei der Teilkonzernspitze (und sodann bei der Konzernspitze) zu errichten. Ebenso wie im deutschen Recht wird die Ansicht vertreten, dass eine Konzernvertretung nur bei Teilkonzernspitzen in Österreich zu errichten sei.* Allerdings vermag das Bemühen des Territorialitätsprinzips in diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen.* Es entspricht nicht den Anforderungen eines modernen Internationalen Privatrechts (IPR), das im Wege allseitiger Anknüpfung das anwendbare Betriebsverfassungsrecht sucht und nicht umgekehrt die Frage nach der Anwendbarkeit des BetrVG oder ArbVG stellt. Geboten ist vielmehr eine Schwerpunktanknüpfung.* Sie richtet sich nach den engs ten Verbindungen.* Es ist danach an den Lageort des Betriebes anzuknüpfen. Dabei muss Lageort aber nicht zwingend eine physische Bestimmung meinen. Wichtiger erscheint, an welchem Ort Entscheidungen über den Einsatz der Arbeitskräfte und materieller oder immaterieller Produktionsmit- 155 tel getroffen werden.* Hilfreich ist insoweit zwar die Figur der Ausstrahlung des Inlandsbetriebes, sodass auch im Ausland tätige AN im Falle der Eingliederung Belegschaftsteil sein können. Davon geht die österreichische höchstrichterliche Rsp* ebenso wie in Deutschland hM aus. Freilich tut das BAG* sich gerade dann mit der Annahme einer Ausstrahlung schwer, wenn die Tätigkeit dauerhaft im Ausland verrichtet wird. Demgegenüber scheint die österreichische Doktrin der Vorstellung deutlich näher zu stehen, dass auch bei Eingliederung von AN, die im Ausland tätig sind, ein Inlandsbetrieb vorliegt, für den das ArbVG zur Anwendung kommt.*

Dabei kann andererseits auch nicht ohne Bedeutung bleiben, wenn die Belegschaft geschlossen an einem anderen Ort sitzt.* Denn die räumliche Einheit ist im Hinblick auf persönliche Kontakte wichtig für eine effektive Interessenvertretung. Der Lageort müsste dann unter Gewichtung der Tätigkeitsorte und der Leitungsstruktur als Schwerpunkt bestimmt werden. Der OGH hat jedenfalls einen Lokalisierung des Betriebes in Österreich für eine „Vice President Global Human Resources“ – unabhängig von der sonstigen Klärung des Vorliegens eines Betriebes – verneint, die das Team aus mehr als 60 ihr unterstellten, sämtlich im Ausland tätigen Mitarbeitern von Österreich aus leitete.*

Es bedarf nach allem einer wertenden Bestimmung des Schwerpunktes, der auf die Leitungsmacht abstellt, aber auch auf die Arbeitsorte der Belegschaft.* Der Unterschied zum Territorialitätsprinzip mag an dieser Stelle marginal wirken, ist aber fundamental. Die Schwerpunktanknüpfung erlaubt die allseitige Anknüpfung der Betriebsverfassung und entscheidet nicht nur binär über die Anwendbarkeit des BetrVG oder ArbVG.

3.2.
Sachrechtliche Selbstbeschränkung?

Das Kollisionsrecht beantwortet für einen Betrieb in Deutschland oder Österreich die Frage des anwendbaren Rechts dahin, dass er deutschem bzw österreichischem Betriebsverfassungsrecht unterliegt. Ein Betrieb in einem anderen Land kann demzufolge nicht dem deutschen oder österreichischen Recht unterliegen. Gibt es aber mehrere Betriebe im Inland, ist auch ein Gesamt-BR* oder Zentral-BR zu errichten. Gibt es mehrere so errichtete Gesamtbetriebsräte, können sie nach § 54 BetrVG einen Konzern-BR errichten.* Ebenso hat es Strasser für die Konzernvertretung nach §§ 88a ArbVG gesehen. Für eine Selbstbeschränkung des Betriebsverfassungsrechts auf inländische Konzernleitungsstrukturen gibt es keine überzeugenden Gründe.*

4.
Unbeständigkeit der Betriebe

Die fortschreitende Digitalisierung erlaubt es, betriebliche Strukturen zunehmend schneller zu reorganisieren, gerade auch im Hinblick auf die Möglichkeit, große Distanzen zu überwinden und arbeitstechnische Zwecke mit AN zu verfolgen, die an den unterschiedlichsten Orten sitzen können.

Dabei soll an dieser Stelle gar nicht auf agiles Arbeiten abgestellt werden,* sondern auf die kurzfristige Änderung arbeitstechnischer Organisationseinheiten.

Bei derart fluiden Betrieben zeigt sich erneut und in verstärktem Maße das Problem, dass das Territorialitätsprinzip der hM dazu neigt, Mitbestimmungsrechte zu entkernen: Wer Betriebe kurzfristig umgestalten und neu aufstellen kann, kann diese auch aus der Betriebsverfassung herausgestalten, jedenfalls solange die Arbeit für den Betrieb auf Distanz erledigt werden kann und fachlich geeignete Kräfte in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Wenn dann nur noch drei oder vier AN in Deutschland tätig werden, schaut man allein auf die Zahl der AN im Inland, ist schon kein BR mehr gem § 1 BetrVG zu wählen. Zwar hält die Rsp eine sogenannte Ausstrahlung des Inlandsbetriebes für möglich, die allerdings einen Inlandsbezug voraussetzt, der bei dauernder Auslandstätigkeit, jedenfalls nach Vorstellung des BAG, zumeist fehlen soll (siehe oben 4.).

Betriebsverfassung setzt Beständigkeit voraus.* Eine Betriebsratswahl ist ein komplexer Prozess, der nicht binnen weniger Stunden oder Tage vollzogen werden kann. Ob digitalisierte Betriebsratswahlen der Problematik flüchtiger Betriebsstrukturen in ausreichendem Maße gerecht werden können,* erscheint mehr als fraglich.* Auch bleibt fraglich, ob überhaupt eine effektive Interessenvertretung möglich ist, wenn es keine festen Belegschaftsstrukturen gibt, sondern Belegschaften sich infolge ständiger Betriebsuntergänge und -neugründungen immer wieder neu formieren müssen.* Die Übertragung von Aufgaben auf Arbeitsgruppen nach § 28a BetrVG ermöglicht zwar eine basisnahe Mitbestimmung,* setzt aber die (Fort-)Existenz eines BR und folglich eines Betriebes voraus, scheitert jedoch, wenn der BR mit dem Untergang des Betriebes sein Amt verliert. Hier kann bestenfalls 156 der Gesamt-BR eine gewisse Stabilität gewährleisten, doch ist er regelmäßig weiter entfernt vom betrieblichen Geschehen. Für eine alternative Interessenvertretungsstruktur unterhalb der Ebene des BR sieht das deutsche Recht hingegen derzeit keine adäquate Möglichkeit vor.*

5.
Kollisionsrecht und transnationale Rechte de lege ferenda
5.1.
Kollisionsrecht

Die Möglichkeiten, Europäische Betriebsräte zu errichten, kompensieren die Defizite der vorherrschenden Dogmatik nicht, da diese vor allem Informations- und Konsultationsrechte haben, hinter Mitbestimmungsrechten indes zurückbleiben. Zudem sind sie regelmäßig auf das Gebiet der EU beschränkt. Ein neues IPR der Betriebsverfassung ist vonnöten. Wünschenswert wäre eine Klarstellung, dass das anwendbare Recht sich nach dem Ort richtet, an dem die betriebliche Tätigkeit sich schwerpunktmäßig vollzieht. Dabei wären Belegschaftsinteressen, im Hinblick auf die die Mitbestimmung vorgesehen ist, und Leitungsmacht als wichtigste Kriterien zu benennen.

Dadurch würde eine allseitige Kollisionsnorm geschaffen und das Territorialitätsprinzip zu den Akten gelegt. Dies ließe sich unter Umständen durch eine sachrechtliche Regelung ergänzen, die klarstellt, dass die betriebliche Mitbestimmung nicht durch den Sitz des AG oder einer Konzerngesellschaft infrage gestellt wird.

5.2.
Schaffung transnationaler Rechte

Allerdings ist es damit nicht getan. Vielmehr schaffen internationale Sachverhalte oftmals Problemlagen, die durch die kollisionsrechtliche Bestimmung des anwendbaren Rechts im Allgemeinen nicht gelöst werden. Um die Betroffenen nicht schutzlos zu stellen, werden daher ergänzend transnationale Rechte geschaffen.* Es schafft insoweit Rechte, die sich nicht aus einer innerstaatlichen Rechtsordnung allein ergeben können, sondern geschaffen werden, damit die Internationalität des Sachverhalts den Betroffenen nicht zum Nachteil gereicht. Dabei zeigen die vorstehend beschriebenen Problemlagen, dass es durchaus denkbar ist, dass transnationale Rechte auch im innerstaatlichen Recht begründet werden. So ist es etwa möglich, Belegschaften, die sich im Ausland befinden, in die Betriebsverfassung einzubeziehen. Ein Übergriff in fremde Hoheitsrechte ist damit nicht verbunden. Wer im Ausland für einen Inlandsbetrieb tätig wird, kann durchaus das Recht erhalten, an einer Betriebsversammlung im Inland teilzunehmen.* Selbstverständlich entbindet das nicht von Pass-, Visums- und Ausländerrecht. Und selbstverständlich kann die Rechtsdurchsetzung im Ausland auf rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten stoßen. Unzulässig wären solche Regelungen aber keineswegs.

Auch was den Umgang mit virtuellen Betrieben und neuen Arbeitsformen angeht, ist noch Luft nach oben. Es können auch hier transnationale Rechte geschaffen werden, indem beispielsweise bestimmte Selbstständige, zumindest arbeitnehmerähnliche Personen, in die Betriebsverfassung einbezogen werden.* Ebenso kennt das Kollisionsrecht bislang schon transnationale Rechte, wenn es den Mitgliedstaaten gestattet ist, Eingriffsnormen unabhängig vom Vertragsstatut zur Anwendung zu bringen.* In diesem Sinne wäre es etwa möglich, AN auch Rechte nach deutschem oder österreichischem Arbeitsrecht mit international zwingender Wirkung zu gewähren, wenn sie zwar ihre Arbeit gewöhnlich im Ausland verrichten, sich aber das Substrat ihrer Arbeitsleistung im Inland für einen inländischen Betrieb niederschlägt.

Auch können Rechtskonstruktionen des innerstaatlichen Rechts transnational wirken und so transnationale Rechte verschaffen. So räumt etwa § 3 BetrVG die Möglichkeit ein, abweichende Regelungen der betrieblichen Interessenvertretung durch Tarifvertrag oder BV zu errichten.* Mit solchen könnten etwa die Probleme fluider Betriebe aufgefangen werden.* Allerdings sind die Möglichkeiten des § 3 BetrVG begrenzt.* Immerhin ermöglicht § 3 Abs 1 Nr a BetrVG die Bildung eines unternehmenseinheitlichen BR, „wenn dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient“. Gerade dann, wenn sich Betriebsstrukturen so verändern, dass der Betrieb aufhört zu existieren, bevor ein BR gewählt wurde, dürften diese Voraussetzungen erfüllt sein. Im Übrigen ist der Gesetzgeber nicht gehindert, großzügiger ergänzende Vertretungsstrukturen gerade für zeitlich begrenzte Betriebsstrukturen zuzulassen.*

5.3.
Ermöglichung transnationaler Kollektivverträge

An diesem Beispiel wird zugleich deutlich, dass die Sozialpartner auch auf internationaler Ebene ihre Rechte selber in die Hand nehmen können.* So wäre es etwa denkbar, durch internationale Vereinbarung zu regeln, dass neben die betrieblichen Strukturen zusätzliche Vertretungen treten, die die Rechte der AN, die von schnellen und wiederholten Betriebsumstrukturierungen betroffen sind, repräsentieren. Dadurch ließen sich Lösungen mit internationaler Reichweite suchen. Auch könnten Konzernvertretungen eingerichtet werden, die unabhängig von der Anerkennung einer Konzernvertretung 157 nach nationalem Recht dem AG als sozialer Gegenspieler gegenübertreten.

Solche Kollektivverträge können als europäische Betriebsvereinbarungen zwischen einem Europäischen BR und der zentralen Leitung geschlossen werden. Gegen deren grundsätzliche Zulässigkeit ist an sich kein Einwand ersichtlich.*

Auch für diese europäischen Betriebsvereinbarungen gibt es keine kollisionsrechtliche Anknüpfungsregel. Grundsätzlich ist eine Schwerpunktanknüpfung maßgeblich, die sich regelmäßig nach dem Sitz des AG bzw der zentralen Leitung richtet.* Gegen die Möglichkeit einer Rechtswahl gibt es jedoch keine durchgreifenden Bedenken.* Das Betriebsvereinbarungsstatut muss aber gegebenenfalls den Eingriffsnormen des Staates, in dem die europäische BV wirken soll, weichen.* Zumindest in Deutschland wird das BetrVG verbreitet als Eingriffsrecht angesehen, das sich mit international zwingender Wirkung gegen ein fremdes Betriebsverfassungsstatut durchsetzen kann.*

Dieses Problem ließe sich lösen, wenn die Sozialpartner die Möglichkeit erhielten, Kollektivverträge als unionsrechtliche Rechtsquelle zu schließen.*

Das könnte die Möglichkeit der Sonderanknüpfung einzelstaatlicher Eingriffsnormen ausschließen.* Für die Sozialpartner auf Unionsebene sehen Art 154, 155 AEUV eine Rechtsetzung im Wege des sozialen Dialogs vor. Dies kann einerseits über einen Beschluss des Rates einem klassischen Rechtsakt des Unionsrechts zugeführt werden, andererseits zu einer Durchführung „nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten“ führen. Ob dies eine direkte Wirkung in den Mitgliedstaaten entsprechend dem nationalen Tarifvertragsrecht (parallele Wirkungsstatute) ermöglicht, ist bislang nicht geklärt.* Dies erweist sich in praktischer Hinsicht als Hemmnis.*

Ungeachtet dessen hatte die Kommission bereits in ihrer sozialpolitischen Agenda von 2005 einen optionalen Rahmen für transnationale Kollektivverhandlungen auch auf Unternehmens- und Branchen ebene vorgesehen.* Eine Wissenschaftlergruppe um Edoardo Ales hatte darauf einen Bericht über transnationale Kollektivverhandlungen mit dem Vorschlag des Ausbaus eines rechtlichen Rahmens für Kollektivverhandlungen in einem Verhandlungsgremium verfasst.* Die Kommission hat dazu zwischenzeitlich ein Arbeitsdokument entwickelt, dessen Schlussfolgerungen aber vor allem in Richtung Unterstützung der Akteure gingen.* Das Europäische Parlament hat eine Entschließung verabschiedet, die einen fakultativen Rechtsrahmen für transnationale Kollektivverhandlungen fordert.* Die Arbeiten zu diesem Thema konnten bislang aber nicht zu einem Abschluss gebracht werden.*

6.
Fazit

Herausforderungen, die die Digitalisierung im innerstaatlichen Recht für das Arbeitsrecht mit sich bringt, setzen sich auf kollisionsrechtlicher Ebene fort. Dem lässt sich im Rahmen der Anwendung der Rom I-VO noch Rechnung tragen, die Doktrin des internationalen Betriebsverfassungsrechts scheint hingegen in eine Sackgasse geraten. Nationale Begrenzung der Betriebsverfassung ist eine schlechte Antwort auf die zunehmende Internationalisierung der Arbeitswelt. Das sollte der Gesetzgeber auf kollisionsrechtlicher wie sachrechtlicher Ebene beenden. Das genügt aber nicht, um das Versagen der im nationalen Recht vorgesehenen Rechte bei internationalem Sachverhalt vollständig zu verhindern. Transnationale Rechte können dem begegnen. Solche zu schaffen, sollte eine Option für Sozialpartner auf internationaler Ebene sein, doch ist der rechtliche Rahmen dafür bislang noch zu vage. Hier sind unionsrechtliche Fortschritte dringend geboten. Das deutsche BetrVG wurde zwar im Juni 2021 durch das sogenannte Betriebsrätemodernisierungsgesetz reformiert.* Jedoch wurde keines der hier fokussierten Probleme vom Gesetzgeber dabei angepackt. 158