Brauchen wir einen neuen Arbeitnehmer*innenbegriff?

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)
Der AN-Begriff ist in die Jahre gekommen. Die Auflösung der traditionellen Betriebsstrukturen führt immer mehr dazu, dass trotz intensiver wirtschaftlicher Abhängigkeit keine persönliche Abhängigkeit mehr vorliegt. Die Digitalisierung der Arbeitswelt verschärft diesen Trend. Die wirtschaftliche Abhängigkeit und die soziale Schutzbedürftigkeit bleiben aber bestehen, sie sind häufig sogar besonders stark ausgeprägt. Im folgenden Beitrag werden Vorschläge für eine Erweiterung des AN-Begriffs sowie für Anpassungen des Zivilrechts für wirtschaftlich besonders abhängige Solo-Selbständige gemacht.
  1. Ausgangssituation

  2. Grenzen einer möglichen Erweiterung des AN-Begriffs durch Verfassungs- und Unionsrecht

  3. Möglichkeiten der Erweiterung des AN-Begriffs

    1. Überblick

    2. Kriterien für die Erweiterung des ANBegriffs

    3. Textvorschlag

    4. Alternativen

    5. Zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten

1.
Ausgangssituation*

Der AN-Begriff des Arbeitsrechts basiert nach wie vor auf § 1151 ABGB idF der III. Teilnovelle 1916 und ist damit über hundert Jahre alt. Er ist ganz zentral auf die persönliche Abhängigkeit ausgerichtet.

Die persönliche Abhängigkeit als Wesensmerkmal eines Arbeitsverhältnisses wird aber zunehmend der Realität der Arbeitsbeziehungen nicht mehr gerecht. Sie war in einer Zeit festgefügter Betriebsstrukturen ein praktikables Abgrenzungskriterium, obwohl sie niemals den eigentlichen Geltungsgrund des Arbeitsrechts darstellte. Dies war und ist die wirtschaftliche Abhängigkeit der AN, also das Angewiesensein auf das Arbeitsentgelt zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Durch den wirtschaftlichen, technischen und arbeitsorganisatorischen Wandel in der Arbeitswelt, der schon vor über 30 Jahren begonnen hat, kommt der Unterordnung unter eine von den AG vorgegebene Arbeitsstruktur – und damit der persönlichen Abhängigkeit – eine tendenziell geringere Bedeutung zu. Die Auflösung der traditionellen Betriebsstrukturen bis hin zu „virtuellen“ Betrieben führt immer mehr dazu, dass trotz intensiver wirtschaftlicher Abhängigkeit keine persönliche Abhängigkeit mehr vorliegt. Die wirtschaftliche Abhängigkeit und die soziale Schutzbedürftigkeit bleiben aber bestehen, sie sind häufig sogar besonders stark ausgeprägt. ZT handelt es sich dabei um Scheinselbständigkeit und bewusste Flucht aus dem Arbeitsrecht, zT schafft die technische Entwicklung neue Organisationsformen der Arbeit, die Schwierigkeiten bei der Zuordnung bereiten. Neben herkömmlichen Auslagerungsstrategien (zB Outsourcing, Arbeitskräfteüberlassung, Home Office) und digital unterstützten traditionellen Leistungen (zB Fahr- und Transportdienste) werden zunehmend Crowdwork und ähnliche Formen digitaler Arbeit zum Thema in der Arbeitswelt. Bei Crowdwork handelt es sich um eine digitale Form des Outsourcing, bei dem Projekte oder Arbeitsaufgaben über webbasierte Plattformen offen ausgeschrieben werden. Ob (externe) Crowdwork nach derzeitigem Recht dem Arbeitsrecht unterfällt, kann nicht generell gesagt werden, hängt vielmehr von der konkreten Ausformung ab.* Das spiegelt sich auch in den 119 bisher vorliegenden Entscheidungen wider.* Bei Crowdwork und anderen digitalen Arbeitsleistungen sind die Auftraggeber*innen zudem häufig im Ausland, es besteht kein Anknüpfungspunkt im Inland. Das schafft große Probleme im Hinblick auf das anwendbare Recht und die Klagbarkeit von Ansprüchen.*

Die innerstaatliche Rsp versucht in Einzelfällen durch flexible Interpretation des AN-Begriffs die Umgehung des Arbeitsrechts hintanzuhalten. Darüber hinaus wurden kleine Teile des Arbeitsrechts auf arbeitnehmerähnliche Selbständige übertragen. Dies ist aber weder besonders systematisch erfolgt noch ausreichend. Es ist etwa nicht plausibel, warum es für wirtschaftlich höchst abhängige Selbständige weder eine Absicherung bei Dienstverhinderung oder Urlaub, noch die Möglichkeit gibt, Kollektivverträge zu vereinbaren. Eine wenigstens partielle Erweiterung des Geltungsbereichs des Arbeitsrechts ist daher – sogar unabhängig von der Berücksichtigung neuer Arbeitsformen wie Crowdwork – dringend geboten. Man müsste den AN-Begriff der geänderten Realität anpassen und verstärkt Kriterien wirtschaftlicher Abhängigkeit einbeziehen. Das kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen, die unter Pkt 3. näher erläutert werden.

2.
Grenzen einer möglichen Erweiterung des AN-Begriffs durch Verfassungs- und Unionsrecht

Die personelle Ausweitung des Arbeitsrechts könnte auf verfassungsrechtliche und unionsrechtliche Bedenken treffen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind kompetenzrechtliche und koalitionsrechtliche Fragen (soweit es um Kollektivverträge geht) zu prüfen.*

Nach Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG ist „Arbeitsrecht, soweit es nicht unter Art. 11 B-VG fällt“ Bundeskompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung.* Nach den Materialien zur B-VG-Novelle 1974 werden insb der Arbeitsvertrag aller Angestelltengruppen, die Angelegenheiten der Heimarbeiter und arbeitnehmerähnlicher Vertragsverhältnisse, das Kollektivvertragsrecht und die betriebliche Vertretung der Arbeitnehmerschaft erfasst.* Daher hat es auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die arbeitsrechtlichen Regeln für Heimarbeiter*innen und ständige freie journalistische Mitarbeiter*innen gegeben. Das wäre bei einer Erweiterung des AN-Begriffs ganz gleich zu sehen.

Koalitionsrechtlich geht es vor allem um die Vertretungsbefugnis der zuständigen Interessenvertretungen.* Schon derzeit schließen Interessenvertretungen von AN (Gewerkschaften) Kollektivverträge für Selbständige mit der zuständigen Berufsvereinigung der Selbständigen. Das wird wegen der erforderlichen Gegnerunabhängigkeit dann zum Problem, wenn der*die Selbständige auch Mitglied der Berufsvereinigung der Selbständigen ist. Dies ist – zumindest hinsichtlich der gesetzlichen Interessenvertretungen – weder bei den Heimarbeiter*innen, die nach § 2 Z 1 Heim- AG definitionsgemäß nicht der GewO unterliegen und damit auch nicht Wirtschaftskammermitglied sind,* noch bei den freien Mitarbeiter*innen im Journalismus der Fall.* Andere arbeitnehmerähnliche Personen könnten aber nach derzeitigem Recht Wirtschaftskammermitglied sein. Sogar wenn man die Meinung vertritt, dass rechtmäßige Konstruktionen gefunden werden können, wonach Kollektivverträge zwischen selbständigen Untergliederungen einer Interessenvertretung geschlossen werden können, ist eine solche Lösung nicht anzustreben. Es geht ja schließlich darum, dass Selbständige wegen ihrer wirtschaftlich besonders abhängigen und den AN vergleichbaren Situation geschützt werden sollen. Das kann aber sinnvoll nur durch eine bestehende Interessenvertretung der AN oder durch eigene – von den Wirtschaftskammern und freiwilligen AG-Berufsvereinigungen unabhängige – Interessenverbände geschehen. Eine Ausdehnung des Arbeitsrechts auf bestimmte arbeitnehmerähnliche Personen müsste daher mit der Ausnahme dieser Gruppe von der Wirtschaftskammermitgliedschaft verbunden sein.

Bei Sachverhalten mit unionsrechtlichem Bezug muss auch darauf Bedacht genommen werden, ob eine Erweiterung des AN-Begriffs unionsrechtlich zulässig ist. Der AN-Begriff des Unionsrechts ist nicht einheitlich und auch nicht ganz eindeutig. Der EuGH stellt auf drei wesentliche Merkmale ab: die Erbringung von Leistungen für einen anderen, nach dessen Weisungen und für eine Vergütung.* Dazu kommt, dass eine „tatsächliche und echte Tätigkeit“ ausgeübt werden muss.* Meist wird unterschieden zwischen einer „autonomen“ (unionsrechtlichen) Auslegung und dem Verweis auf den AN-Begriff des jeweiligen Mitgliedstaats sowie allenfalls Kombinationen von beiden.* Der EuGH neigt im Zweifel zu einer europarechtsfreundli- 120 chen Auslegung.* Sieht man davon ab, dass der EuGH die Entgeltlichkeit bzw eine Tätigkeit im Wirtschaftsleben als Voraussetzung des AN-Begriffs verlangt, sind die Kriterien denen des österreichischen Arbeitsrechts (persönliche Abhängigkeit) durchaus sehr ähnlich. Wie im österreichischen Recht werden Tätigkeiten, die nicht die Schaffung eines wirtschaftlichen Nutzens bezwecken, sondern der Rehabilitation bzw Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienen, nicht als Arbeitsverhältnisse qualifiziert.* Besteht ein gewisser wirtschaftlicher Nutzen, kann allerdings auch bei geringer Produktivität und Entlohnung aus öffentlichen Mitteln ein Arbeitsverhältnis vorliegen.* Nach dem EuGH kann auch bei Fehlen einer persönlichen Arbeitspflicht bzw einem Recht, Aufträge abzulehnen, die AN-Eigenschaft gegeben sein.*

Im Unterschied zum österreichischen Recht kennt das Unionsrecht die Kategorie der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen bzw der dienstnehmerähnlichen freien DN, für die einzelne arbeitsrechtliche Gesetze gelten, nicht. Unternehmer*innen werden im Unionsrecht grundsätzlich nicht anders behandelt, wenn sie „Solo-Selbständige“ sind und in wirtschaftlicher Hinsicht von einem*einer Auftraggeber*in oder einer beschränkten Zahl von Auftraggeber*innen besonders abhängig sind. Sie werden auch nicht partiell in arbeitsrechtliche Richtlinien einbezogen, wenn man vom Antidiskriminierungsrecht absieht. Insoweit der österreichische AN-Begriff Personen erfasst, die im Unionsrecht nicht als AN, sondern als Selbständige angesehen werden, sind unionsrechtlich vor allem das Kartellrecht und die Dienstleistungsfreiheit (allenfalls auch die Niederlassungsfreiheit) tangiert.

Es gibt nämlich – wenn auch unklare – Hinweise, dass der EuGH die für Kollektivverträge geltende Bereichsausnahme aus dem unionsrechtlichen Kartellverbot des Art 101 AEUV nicht für Selbständige gelten lässt.* Andererseits bestehen Ansatzpunkte in der Rsp des EuGH, die für einen erweiterten ANBegriff sprechen könnten. So wird manchmal auf die wirtschaftliche Unselbständigkeit abgestellt, auf unternehmerisches Risiko sowie unternehmerische Dispositionsmöglichkeiten und/oder Chancen am Markt.* Ob und inwieweit sich daraus Argumente für die Zulässigkeit einer Erweiterung des AN-Begriffs gewinnen lassen, die auch eine Ausnahme vom Kartellverbot rechtfertigen, lässt sich aber kaum vorhersagen.

Da sich das Kartellverbot grundsätzlich nur gegen das Verhalten von Unternehmen richtet und nicht in die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten eingreift, wäre es allerdings möglich, auf gesetzlicher Ebene Mindestnormen für Solo-Selbständige vorzusehen. Ein gesetzliches Mindestentgelt für arbeitnehmerähnliche Personen ist daher aus unionsrechtlicher Perspektive weniger problematisch als ein Mindestentgelt für dieselbe Personengruppe in Kollektivverträgen oder Gesamtverträgen.*

Zu bedenken ist noch, dass eine partielle Ausweitung des Arbeitsrechts auf arbeitnehmerähnliche Selbständige mit der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in Konflikt geraten könnte. Denkbar wäre etwa, dass eine Person in einem Staat als selbständig erwerbstätig gilt und dann diese Tätigkeit auch in Österreich ausüben möchte. Nach der Rsp des EuGH würde eine Beschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit schon dann vorliegen, wenn bei grenzüberschreitender Tätigkeit die österreichischen Vorschriften die Dienstleistungserbringung bzw Niederlassung weniger attraktiv machen. Dabei wird eine abstrakte Betrachtung angestellt, es ist nicht maßgeblich, ob sich jemand tatsächlich von der Erwerbstätigkeit in Österreich abhalten lässt.*

Wenig Neues bringt hinsichtlich des AN-Begriffs die Transparenz-RL.* In Art 1 Abs 2 wird auf Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw Tarifverträge oder Gepflogenheiten im jeweiligen Mitgliedstaat verwiesen, wobei die Rsp des Gerichtshofs zu berücksichtigen ist. Aus der Rsp des EuGH wird man ableiten können, dass (insb im Hinblick auf Entsendungen, aber auch darüber hinaus) der im Mitgliedstaat übliche AN-Begriff weder gravierend eingeschränkt noch gravierend ausgedehnt werden darf.* Der EuGH hat sich allerdings noch nicht dezidiert zur Frage der Zulässigkeit einer allgemeinen Erweiterung des AN-Begriffs geäußert. Ob der Schutz der AN bzw der Schutz vor Sozialdumping als Rechtfertigungsgrund anerkannt würde, lässt sich schwer abschätzen. Richtig ist sicher, dass die Erforderlichkeit des Schutzes umso besser dokumentiert werden könnte, je mehr Mitgliedstaaten Solo-Selbständige wenigstens in den Kernbereich des arbeitsrechtlichen Schutzes (insb Mindestentgelt, Kündigungsschutz, Urlaub) einbeziehen.* Tendenziell wäre eine Erweiterung wohl leichter argumentierbar, wenn der AN-Begriff selbst erweitert und nicht eine eigene Regelung für arbeitnehmerähnliche Personen geschaffen wird. Zu bedenken ist dabei auch, dass der EuGH die Beurteilung, ob nach dem konkreten Sachverhalt die AN-Eigenschaft gegeben ist, dem zuständigen nationalen Gericht überlässt. Da die soziale Schutzbedürftigkeit von Solo-Selbständigen grundsätzlich in gleicher Weise alle Mitgliedstaaten betrifft, wäre freilich eine entsprechende Erweiterung des AN-Begriffs 121 auf Unionsebene die beste, ein Verweis auf das nationale Recht, der eine Erweiterung erlaubt, die zweitbeste Lösung.

3.
Möglichkeiten der Erweiterung des AN-Begriffs
3.1.
Überblick

Hier werden nur die grundsätzlichen Möglichkeiten der Erweiterung aufgezeigt, unabhängig von Erwägungen über die politische Durchsetzbarkeit. Wie ausgeführt, sollte eine Erweiterung tendenziell in die Richtung gehen, wirtschaftlich in hohem Maße abhängige, persönlich aber relativ unabhängige (wenn auch persönlich tätige) Personen in den AN-Begriff einzubeziehen. Dies ist in ganz unterschiedlicher Form und in unterschiedlichem Ausmaß möglich. Man kann Minimalvarianten ins Auge fassen, die den Status quo nur geringfügig verändern. Eine wesentlich radikalere Variante wäre, alle wirtschaftlich abhängigen Personen im Rahmen ihrer Beschäftigung oder wenigstens – analog § 4 Abs 4 ASVG – die aufgrund eines freien Dienstvertrags arbeitnehmerähnlich Beschäftigten in das Arbeitsrecht einzubeziehen. Dies könnte zur Gänze oder für bestimmte Gesetze erfolgen. Auch ein unterschiedliches Schutzniveau käme in Betracht. Die Geltung des Arbeitsrechts könnte durch sinngemäße Gleichstellung oder durch Integration der arbeitnehmerähnlichen Personen in den AN-Begriff erfolgen. Eine andere Variante wäre es, wenn analog dem HeimAG eine Art „Arbeitsrecht light“ für arbeitnehmerähnliche Personen in einem Gesetz geregelt würde. Fraglich ist schließlich auch, welche Änderungen im Sozialversicherungsrecht erfolgen sollten und ob es einen einheitlichen AN-Begriff nur innerhalb des Arbeitsrechts oder im Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht (sowie allenfalls im Steuerrecht) geben könnte.

Dabei sollte auch von Bedeutung sein, ob die Beschäftigung typischerweise eher unternehmerisch ist oder eher von AN ausgeführt wird. Wirtschaftsprüfer*innen und Rechtsanwält*innen im Rahmen einer Konsulent*innentätigkeit, Tankstellenpächter*innen und Personen, die ein Restaurant oder einen Handelsbetrieb als Franchise nehmer*innen führen, sind idR im klassischen Sinn unternehmerisch tätig. Ein allfällig erforderlicher Schutz wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit und/oder Unselbständigkeit sollte – von Ausnahmen einer atypischen besonders abhängigen Gestaltung abgesehen, wie sie zB bei Tankstellenpächter*innen vorkommen kann – nicht mit den Mitteln des Arbeitsrechts, sondern eher über das allgemeine Zivilrecht (zB Inhalts- und Billigkeitskontrolle der Verträge) erfolgen. Bei Gruppen wie Provisionsvertreter*innen sowie Sprachund Nachhilfelehrer*innen kommen in der Praxis sehr unterschiedliche Gestaltungen vor. Selbständige Regalbetreuer*innen, Zeitungskolporteur*innen und -zusteller*innen, freie Mitarbeiter*innen im Medienbereich und Botendienstfahrer*innen sind eher typische AN-Tätigkeiten. Sie sind häufig ganz besonders schutzbedürftig, das Machtungleichgewicht zwischen Beschäftiger*in und Beschäftigten ist meist besonders stark ausgeprägt.*

Letztlich geht es darum, dass für eine Gruppe von (derzeit) Selbständigen, bei der die Gefahr eines „nicht sozialverträglichen individuellen Vertragsabschlusses“ und daher ein gleichartiges Schutzbedürfnis wie bei AN besteht, das Ungleichgewicht auf individueller wie auf kollektiver Ebene ausgeglichen wird.* Sowohl die Instrumente der kollektiven Rechtsgestaltung als auch die Einbeziehung in die Betriebsverfassung (Kündigungsschutz) könnten hier Abhilfe schaffen. Damit würde eine Personengruppe erfasst, die über die de lege lata schon erfassbaren Grenzfälle hinausgeht, aber etwas enger als die arbeitnehmerähnlichen Personen definiert ist. Im Verhältnis zu den in § 4 Abs 4 ASVG erfassten Personen ist die hier vorgeschlagene Gruppe sowohl weiter als auch (in seltenen Fällen) enger.

3.2.
Kriterien für die Erweiterung des AN-Begriffs

Liegen die Kriterien der persönlichen Abhängigkeit iSd Rsp vor, ist wie bisher von der AN-Eigenschaft auszugehen (allenfalls mit Ausnahme ganz kurzfristiger Beschäftigungen). Auch bei der Erweiterung des AN-Begriffs könnte die typologische Methode beibehalten werden. Es käme dann zT auf zusätzliche Kriterien an, wobei entscheidend wiederum das Gesamtbild der Tätigkeit wäre.* Eine Regelung, wonach bei Vorliegen bestimmter Kriterien automatisch die AN-Eigenschaft vorliegen würde, halte ich nicht für zielführend. Bei den eindeutigen Fällen der persönlichen Abhängigkeit (persönliche Weisungen, Eingliederung in den Betrieb, Kontrolle) bringt das keinen Zusatznutzen. In Zweifelsfällen ist das Gesamtbild aber für die Beurteilung notwendig. In der Praxis gibt es ganz unterschiedliche Konstellationen und „Mischungsverhältnisse“, weshalb die Gefahr einer Fehlbeurteilung bzw von Zufallsergebnissen zu groß wäre. Denkbar wäre allenfalls bei Vorhandensein bestimmter Kriterien eine (widerlegliche) Vermutung für die AN-Eigenschaft oder eine Art Beweislastumkehr festzulegen.*

3.3.
Textvorschlag

Eine Erweiterung des AN-Begriffs wäre mit dem nachfolgenden Textierungsvorschlag insofern gegeben, als nicht persönlich aber wirtschaftlich abhängige Solo-Selbständige ohne eigene unternehmerische Struktur unabhängig vom Vertragstyp nach derzeitigem Recht (Werkvertrag oder freier Dienst- 122 vertrag) auch zu den AN zählen würden. Dies würde einen Großteil der arbeitnehmerähnlichen Personen erfassen. Grundsätzlich sollte der Begriff für alle arbeitsrechtlichen Regelungen (Gesetze, aber auch Kollektivverträge, Satzung, Mindestlohntarif, Betriebsvereinbarungen) gelten, Anpassungen wären vor allem im Arbeitszeitrecht erforderlich. Der neue AN-Begriff könnte in der Folge auch im Sozialversicherungsrecht und im Einkommensteuerrecht Anwendung finden.*

Nicht erfasst werden sollen unternehmerisch tätige Personen. Entscheidende Merkmale einer unternehmerischen Tätigkeit sind die Nutzung eigener unternehmerischer Strukturen und das Vorliegen einer nicht bloß unerheblichen unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. In diesem Zusammenhang sind insb das Arbeiten auf eigene Rechnung und eigenes Risiko, die Beschäftigung von eigenen AN, die Bewegungs- und Dispositionsmöglichkeiten am Markt und die Höhe der Entlohnung zu berücksichtigen. Ein im Vergleich zum Unternehmer*innenlohn niedrigeres Entgelt (Fremdvergleich) spricht etwa für die AN-Eigenschaft, weil der*die Unternehmer*in seine*ihre Kosten und seinen*ihren Gewinn im Preis kalkulieren muss. Da eine juristische Person nicht AN sein kann, ist sie immer, dh auch bei wirtschaftlicher Abhängigkeit von anderen Unternehmen, Unternehmer*in. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die juristische Person nur zum Schein gegründet bzw verwendet wird und in Wahrheit abhängige Arbeitsleistung einer natürlichen Person vorliegt.

Textierungsvorschlag:

Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin ist, wer Arbeitsleistungen für eine/n andere/n in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit erbringt. Trotz wirtschaftlicher Abhängigkeit ist kein Arbeitnehmer/keine Arbeitnehmerin, wer eine Tätigkeit unternehmerisch ausübt. Eine Person gilt als unternehmerisch tätig, wenn sie auf eigene Rechnung tätig ist, zur Erfüllung ihrer Arbeitsleistung wesentliche eigene unternehmerische Strukturen nützt, über eine nicht bloß unerhebliche unternehmerische Entscheidungsfreiheit verfügt und wirtschaftliches Risiko trägt. Die Feststellung des Sachverhalts hat in wirtschaftlicher Betrachtungsweise (§ 539a ASVG) zu erfolgen.
3.4.
Alternativen

Variante 1: Geringfügige Veränderung im Arbeitsvertragsrecht

Ein bloß geringfügiger Eingriff wäre, die Weiterentwicklung des AN-Begriffs durch die Rsp im Gesetz zu verankern. Eine solche Regelung würde im Wesentlichen diese Rsp bestätigen und verhindern, dass sie rückgängig gemacht wird. Sie würde auf Scheinselbständige, also Personen, die bei korrekter rechtlicher Einordnung schon nach geltendem Recht als AN zu behandeln wären, abzielen. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang vor allem, die wirtschaftliche Betrachtungsweise zu betonen. Mithilfe einer an § 539a ASVG angelehnten Bestimmung könnte eine gewisse Absicherung gegen Umgehungen des Arbeitsrechts erreicht werden.

Variante 2: Geltung einzelner arbeitsrechtlicher Gesetze auch für arbeitnehmerähnliche Personen

Schon bisher werden arbeitnehmerähnliche Personen in einigen Gesetzen (bzw zT durch die Rsp) den AN gleichgestellt. Die Strategie der punktuellen Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Personen könnte weiterverfolgt und ausgebaut werden. Diese Variante wäre ein vergleichsweise vorsichtiger Versuch, den AN-Begriff im Ergebnis zu erweitern.

In allererster Linie müsste es möglich werden, Kollektivverträge auch für arbeitnehmerähnliche Personen abzuschließen, um insb ein zwingendes Mindestentgelt festlegen zu können. Grundsätzliche Einwände gegen einen KollV für – nach bisherigem Verständnis – selbständig Erwerbstätige sind mE nicht tragfähig. Kollektive Rechtsgestaltung gibt es schon derzeit für bestimmte Selbständige, sogar unabhängig von einer allenfalls vorliegenden wirtschaftlichen Abhängigkeit. So werden etwa Gesamtverträge für Kassenärzte und andere Gesundheitsberufe mit Kassenvertrag abgeschlossen. Auch im Urheberrecht gibt es die Einrichtung des dem KollV nachempfundenen Gesamtvertrags. Schließlich zeigt der dem KollV fast völlig nachgebildete Heimarbeitsgesamtvertrag, dass der Abschluss kollektiver Vereinbarungen für arbeitnehmerähnliche Personen keineswegs ungewöhnlich oder gar ein Systembruch wäre. Nach den §§ 16 f JournG können auch für ständig freie Mitarbeiter*innen, die ihre journalistische Tätigkeit ständig und nicht bloß als Nebenbeschäftigung ausüben, im Wesentlichen persönlich erbringen und über keine unternehmerische Struktur verfügen, sogenannte Gesamtverträge abgeschlossen werden. In § 12a des deutschen Tarifvertragsgesetzes werden die arbeitnehmerähnlichen Personen generell erfasst. Alternativ oder ergänzend sollten die Satzung und der Mindestlohntarif für diese Personengruppe nutzbar gemacht werden.* Damit wären die Erweiterung des Geltungsbereichs bestehender Kollektivverträge bzw eine Mindestlohnfestlegung durch eine Behörde (Bundeseinigungsamt) möglich.

Auch die gesetzliche Betriebsverfassung könnte auf arbeitnehmerähnliche Personen ausgedehnt werden. Dass dies dem Grunde nach möglich ist, zeigt wiederum die Einbeziehung der Heimarbeiter*innen. Wie bei diesen müsste man freilich darauf Bedacht nehmen, dass eine vollständige oder weitgehende Geltung des II. Teils des ArbVG nur bei regelmäßiger Beschäftigung in Betracht kommt. Eine differenzierte Lösung ist hinsichtlich des Arbeitsschutzes erforderlich, weil ein unbeschränkter Zugriff jedenfalls auf die selbst gewählte Arbeitsstätte der arbeitnehmerähnlichen Person kaum möglich ist. Im Detail wäre daher danach zu differenzieren, ob eine Beschäftigung im Betrieb, bei Dritten oder in eigener bzw selbstgewählter Arbeitsstätte vorliegt.

Weiters in Betracht kämen insb die Anwendung des Urlaubsrechts (wie in Deutschland nach § 2 123 BUrlG), des Rechts der Entgeltfortzahlung und Entgeltsicherung sowie die diversen im AVRAG geregelten Materien. Grundsätzlich könnte auch das Beendigungsrecht (insb Kündigungsfristen, Kündigungs- und Entlassungsschutz) für arbeitnehmerähnliche Personen zur Anwendung kommen. Probleme würden sich allerdings insofern ergeben, als es arbeitnehmerähnliche Personen gibt, die auf der Basis eines Werkvertrags beschäftigt sind. Dieser endet mit der Erfüllung, kann aber nicht wie ein Dauerschuldverhältnis durch Kündigung beendet werden. Sofern freilich immer wieder aneinandergereihte Werkverträge vereinbart werden, stellt sich die Frage, ob in Wahrheit nicht ohnehin ein Dauerschuldverhältnis gegeben ist, auf das auch Beendigungsschutzvorschriften angewendet werden können.

Ein Nachteil dieser Variante liegt zweifellos in einem im Vergleich zur hier präferierten Lösung (3.3.) erhöhten Risiko, dass der EuGH einen Verstoß gegen die Dienstleistungs- und allenfalls auch die Niederlassungsfreiheit bzw hinsichtlich der Kollektivverträge auch gegen das Kartellrecht feststellen könnte.* Wenn schon der innerstaatliche Gesetzgeber arbeitnehmerähnliche Personen als Selbständige und nicht als AN (wie bei Variante 2) ansieht, liegt es nahe, dass der EuGH diese Personengruppe ebenfalls als Selbständige qualifiziert. Dies trifft im Übrigen auch auf die Varianten 3 bis 6 zu.

Variante 3: Geltung einzelner arbeitsrechtlicher Gesetze für dienstnehmerähnliche freie Dienstverträge

Möglich erscheint ferner die Erweiterung des Arbeitsrechts wie in Variante 2 nicht für alle arbeitnehmerähnlichen Personen, sondern nur für solche, die als freie DN beschäftigt sind. Der Vorteil dieser Variante läge darin, dass sich keine Probleme bezüglich der Abgrenzung Dauerschuldverhältnis und Zielschuldverhältnis ergeben würden. Weiters wäre damit eine Angleichung an das Sozialversicherungsrecht verbunden (wenn die Definition des § 4 Abs 4 ASVG übernommen wird). Das ist freilich nicht zwingend erforderlich, weil in dieser Variante ohnehin kein einheitlicher AN-Begriff angestrebt wird. Andererseits müssten konsequenterweise die schon derzeit arbeitnehmerähnliche Personen einbeziehenden Regelungen entsprechend abgeändert werden.

Diese Variante hätte aber vor allem den Nachteil, dass arbeitnehmerähnliche Personen, die nicht aufgrund eines freien Dienstvertrags, sondern aufgrund eines Werkvertrags tätig sind, aus dem Schutz herausfallen, obwohl sie wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit gleichermaßen schutzwürdig sind. Der Rückgriff auf den wahren Geltungsgrund des Arbeitsrechts wäre also nur unvollkommen verwirklicht. Dazu kommt, dass diese Lösung erst recht wieder Umgehungsstrategien der Unternehmen auslösen könnte („Flucht“ vom freien Dienstvertrag in den Werkvertrag).

Variante 4: Komplette Gleichstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen im Arbeitsrecht durch sinngemäße Anwendung

Die Ausführungen zu Variante 3 haben gezeigt, dass die arbeitsrechtlichen Gesetze sehr weitgehend auch auf arbeitnehmerähnliche Personen ausgedehnt werden könnten. Der Schritt zu einer kompletten Gleichstellung liegt daher nahe. Eine Gleichstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen im Individualarbeitsrecht durch sinngemäße Anwendung wurde im I. Teilentwurf einer Kodifikation des Arbeitsrechts* versucht. § 226 Abs 1 des I. Teilentwurfs lautete: „Die Bestimmungen des Gesetzes gelten auch für Heimarbeiter, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, sowie für sonstige Personen sinngemäß, die im Auftrag und für Rechnung bestimmter anderer Personen Arbeit leisten und wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind, soweit die Natur des Rechtsverhältnisses dies rechtfertigt.“ Nach Abs 2 dieser Bestimmung sollten in gleicher Weise auch die Volontäre einbezogen werden.

Das offenkundige Problem dieser Regelung liegt darin, dass die sinngemäße Rechtsanwendung nur insoweit erfolgt, als es die Natur des Rechtsverhältnisses rechtfertigt. Diese Einschränkung ist kryptisch formuliert und sehr unbestimmt. In den Erläuterungen* wird dazu ausgeführt, dass die damit verbundenen Schwierigkeiten in der Rechtsfindung noch immer das kleinere Übel gegenüber einer kasuistischen Aufzählung der anzuwendenden Vorschriften oder Abschnitte seien, weil die Anwendung oder Nichtanwendung bestimmter Normen sich kaum allgemeingültig ausdrücken lasse. Die Frage zB, ob ein in eigener Wohnung tätiger Stundenbuchhalter, der in keinem Arbeitsverhältnis steht, einen Anspruch auf Entgelt im Krankheitsfall besitzt, könnte dann bejaht werden, wenn es aufgrund der Umstände des Einzelfalls erweislich sei, dass innerhalb der entgeltfähigen Fristen ein bestimmtes Entgelt erwartet werden konnte. Das damit angesprochene Problem der Entgeltfortzahlung bei unregelmäßiger bzw selbstbestimmter Arbeitszeitverteilung tritt zwar bei arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen häufiger auf, weil gerade die völlig freie Zeiteinteilung eines der Kriterien ist, das gegen die AN-Eigenschaft sprechen kann. Der Entgeltfortzahlungsanspruch kann aber auch im Rahmen von Arbeitsverhältnissen Probleme bereiten, weil es Arbeitsverträge mit vereinbarter freier Zeiteinteilung, aber auch mit vom Unternehmen bestimmter variabler Arbeitszeit gibt (zB hat sich die Arbeitszeit nach der Verfügbarkeit bzw Präferenz der Kund*innen zu richten). So ist bei Provisionsvertreter*innen häufig unklar, ob sie im Urlaub oder während einer Krankheit, wenn sie gearbeitet hätten, überhaupt Provisionen verdient hätten. In diesem Fall wird im Entgeltfortzahlungsrecht auf einen Durchschnittszeitraum in der Vergangenheit abgestellt. Ähnlich geht § 25 HeimAG vor, der einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsverhinderung vorsieht, der nach dem Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen berechnet wird. Hingegen ist die Anwendung des 124 Arbeitszeitrechts auf arbeitnehmerähnliche Personen problematisch, wenn sie ihre Arbeitszeit selbst bestimmen können. Auch hier könnte auf das HeimAG abgestellt werden, das die Menge der zu vergebenden Arbeit beschränkt.

Insgesamt spricht gegen diese Variante, dass sie einerseits keine vollständige Einbeziehung in den AN-Begriff herbeiführt, weil die Kategorie der arbeitnehmerähnlichen Person aufrecht erhalten wird, andererseits aber eine Differenzierung nur durch Ausnahmen aus den Gesetzen möglich ist, die nur für AN gelten sollen. Variante 2 (und auch 3) ist diesbezüglich flexibler.

Variante 5: Komplette Gleichstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen mit freiem Dienstvertrag im Arbeitsrecht durch sinngemäße Anwendung

Die Vor- und Nachteile dieser Variante entsprechen grundsätzlich dem zu Variante 4 Ausgeführten. Durch die komplette Gleichstellung im Arbeitsrecht wird freilich bei übereinstimmender Definition mit § 4 Abs 4 ASVG eine einheitliche Behandlung arbeitnehmerähnlicher Personen mit freiem Dienstvertrag im Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht erreicht.

Variante 6: Erweiterung des HeimAG

Das HeimAG ist vor allem wegen einer engen Definition des Warenbegriffs durch die Rsp nur mehr von marginaler Bedeutung. Eine Einbeziehung von Dienstleistungen und geistigen Werken könnte den Anwendungsbereich erheblich erweitern und auch Crowdwork uä Arbeitsformen jedenfalls zT erfassen. Damit würde eine kollektive Rechtsgestaltung und eine zumindest partielle Einbeziehung in das Betriebsverfassungsrecht ermöglicht. Auch individualarbeitsrechtlich verschafft das HeimAG, das allenfalls einer Modernisierung bedürfte, Ansprüche im Kernbereich des Arbeitsrechts (zB Urlaub, Entgeltfortzahlung bei Arbeitsverhinderung, Beendigung, Abfertigung).

Der Vorteil dieser Variante liegt darin, dass man etwas zielgenauer als bei der Einbeziehung in einen allgemeinen AN-Begriff auf die besonderen Regelungsbedürfnisse für die betroffene Personengruppe eingehen kann. Als Nachteil ist anzusehen, dass die Heimarbeiter*innen nach wie vor von den AN abzugrenzen wären und außerdem ähnliche Sachverhalte unterschiedlich bzw wiederholend geregelt würden.

3.5.
Zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten

Für Personen, die nicht unter das Arbeitsrecht fallen, gelten derzeit – soweit nicht das HeimAG zur Anwendung kommt – nur vereinzelte Schutzbestimmungen. Solo-Selbständige sind aber – unabhängig davon, ob es sich um arbeitnehmerähnliche Personen handelt – aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation oft auch deshalb schutzbedürftig, weil sie zu wenig Marktmacht besitzen, um angemesangemessene Entgelt- und Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Nach geltendem Recht sind sie nur insofern geschützt, als sittenwidrige Vertragsgestaltungen nach § 879 ABGB nichtig sind. Das wird allerdings nur in Extremfällen greifen. Der OGH hat vertragliche Entgeltregelungen im Arbeitsrecht bei Nichtgeltung eines KollV noch als zulässig erkannt, wenn das Entgelt weniger als zwei Drittel des Entgelts eines vergleichbaren KollV ausgemacht hat.* Außerhalb eines Arbeitsvertrags wird der Gestaltungsspielraum eher noch größer sein. Allenfalls wird man die Verkürzung über die Hälfte (laesio enormis) als Maßstab für ein sittenwidriges Entgelt ansehen können.

Einen gewissen Schutz bietet auch § 864a ABGB, wonach ungewöhnliche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die ein Vertragsteil verwendet hat, nicht Vertragsbestandteil werden, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und dieser damit nicht rechnen musste. Auch ungewöhnliche und nachteilige Bestimmungen sind aber gültig, wenn ausreichend deutlich darauf hingewiesen wird. Letztendlich enthält die Bestimmung daher nur ein Transparenzgebot. Hingegen wird in § 879 Abs 3 ABGB auch eine Inhaltskontrolle von AGB angeordnet. Vertragliche Nebenbestimmungen sind danach nichtig, wenn sie den*die Vertragspartner*in gröblich benachteiligen. Hinsichtlich der Hauptbestimmungen des Vertrags bleibt es aber bei den Kriterien der Sittenwidrigkeit. Die AGB-Kontrolle ist daher kein effizientes Instrument, um unfaire Vertragsbestimmungen, insb niedrige Entgelte, die aber noch nicht sittenwidrig sind, zu verhindern.

Erwägenswert wäre daher eine Angemessenheitskontrolle der Vertragsbedingungen. Dabei handelt es sich freilich um einen erheblichen Eingriff in gewachsene Strukturen des Zivilrechts, das vom Primat der Privatautonomie ausgeht. Es ist auch zu bedenken, dass sogar im Arbeitsrecht nach § 1152 ABGB ein angemessenes Entgelt nur dann als vereinbart gilt, wenn im Vertrag kein Entgelt bestimmt und auch nicht Unentgeltlichkeit vereinbart wurde. Freilich spielt diese Bestimmung durch die Existenz von Kollektivverträgen für fast alle AN nur eine geringe Rolle in der Praxis. Die Übertragung des § 1152 ABGB auf (auch nicht arbeitnehmerähnliche) Selbständige würde aber schon deshalb wenig bringen, weil in den meisten Fällen ohnehin ein (oft sehr niedriges) Entgelt vereinbart ist.

Einen größeren Effekt hätte daher eine genauere Definition bzw Ausweitung der Sittenwidrigkeit bei Verträgen über Dienstleistungen bzw Werke mit Solo-Selbständigen. So könnten gröblich benachteiligende Vertragsbedingungen (nicht nur Nebenbestimmungen) verboten werden, wenn ein*e Solo- Selbständige*r einem*einer wirtschaftlich erheblich stärkeren Vertragspartner*in gegenübersteht. Denkbar wäre auch, in solchen Fällen ein vereinbartes Entgelt schon dann als sittenwidrig zu qualifizieren, wenn es das angemessene Entgelt um einen bestimmten Prozentsatz (zB 20 oder 30 %) unterschreitet und dafür keine sachliche Rechtfertigung gegeben ist. 125