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Unrichtige Ankündigung einer Gebührenerhöhung in einem Informationsblatt begründet keinen Rechtsanspruch

RICHARDHALWAX

Der Kl ist seit November 1990 bei der Bekl bzw ihrer Rechtsvorgängerin als Omnibuslenker beschäftigt. Sein Dienstverhältnis unterliegt den allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB). Der Kl hat Anspruch auf eine Reisegebührenpauschale pro geleisteter Dienstschicht im Kraftwagenfahrdienst. Deren Höhe betrug gem Pkt 15 der „Betriebsvereinbarung gemäß Art 7 des Bundesbahnstrukturgesetzes 2003 über die Fahrgebühren für das Kraftwagenfahrpersonal“ zunächst € 6,15. Mit dem am 19.11.2020 zwischen der Bekl und deren Zentralbetriebsrat abgeschlossenen „1. Nachtrag“ zur genannten BV wurde die Pauschale auf € 8,80 erhöht.

Der Kl erhielt vor dem 1.10.2018 ein rechts oben als „GF-INFO 19. Juli 18“ bezeichnetes und von zwei Geschäftsführern der Bekl bzw deren Rechtsvorgängerin unterfertigtes Schreiben folgenden Inhalts:

„Die Buskollektivvertrags-Verhandlungen betreffend KV-Reform 2018 sind abgeschlossen

Was der neue Kollektivertrag unseren LenkerInnen bringt

Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter!

Die Kollektivvertragspartner haben sich nach langen KV-Verhandlungen auf nachstehende Änderungen geeinigt, welche ab 01. Oktober 2018 in Kraft treten.

1.) Der Stundenlohn wird für die Lohnkategorien „Kraftfahrer“ und „Berufskraftfahrer“ um 1,30 Euro erhöht. In der Lohntabelle wird der niedrigste Monatslohn somit bei 2.126,90 Euro liegen.

[…]

AVB-MitarbeiterInnen, bei welchen die unter Punkt 1 angeführten Lohnerhöhungen nicht wirksam werden, erhalten im Gegenzug eine Erhöhung der Fahrgebühren um 2,65 Euro auf 8,80 Euro pro Fahrtag. Es werden auch Instruktorenpositionen neu vergeben bzw. nachbesetzt.

Mit diesem Kollektivvertragsabschluss ist unser Postbus wieder besser für den Wettbewerb am Markt gerüstet. In den nächsten Wochen werden wir in den Verkehrsleitungen für offene Fragen zu diesem Thema Sprechstunden anbieten.

Mit freundlichen Grüßen

[...]“

Der Kl ist ein AVB-Mitarbeiter und begehrt mit seiner Klage gestützt auf das genannte Schreiben für die Zeit von Oktober 2018 bis April 2020 € 657,23 sA. Es handle sich um die Differenz zwischen der ihm pro Fahrtag ausbezahlten Reisegebühr von € 6,15 und der von ihm pro Fahrtag beanspruchten Reisegebühr von € 8,80.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bejahte hingegen einen Rechtsanspruch auf Gebührenerhöhung, hob diesbezüglich das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene außerordentliche Revision der Bekl.

Die außerordentliche Revision war laut OGH im Interesse der Rechtssicherheit zulässig und auch berechtigt.

Eine Willenserklärung liegt vor, wenn die Äußerung auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet ist, also Rechte und Pflichten zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Bei einer Wissenserklärung geht es demgegenüber darum, dass die eine Partei der anderen oder beide Parteien übereinstimmend sich bloß ihre Vorstellungen über bestimmte Tatsachen mitteilen, jedoch keinen Willen dahin äußern, mit der Erklärung bestimmte Rechtsfolgen bewirken zu wollen. Ob eine Willenserklärung oder eine Wissenserklärung vorliegt, muss im Einzelfall anhand des Wortlauts der Erklärung und allfälliger näherer Umstände, wie im Zusammenhang stehender Erklärungen und/oder Verhaltensweisen der Beteiligten, geprüft werden. Dabei ist nicht die subjektive Auffassung des Erklärenden oder der Wille der einen oder anderen Partei maßgeblich, sondern wie der Empfänger die Erklärung bei objektiver Betrachtungsweise verstehen musste.

Eine Wissenserklärung allein löst nur in bestimmten Konstellationen – bei besonderer gesetzlicher Anordnung – Rechtsfolgen aus, bewirkt aber regelmäßig als solche nicht den Abschluss des Rechtsgeschäfts, über das sie bloß Mitteilung macht.

Aus dem Wortlaut des Schreibens geht mit aller Deutlichkeit hervor, dass es sich um keine Willens-, sondern um eine Wissenserklärung der Bekl handelt:

Das Schreiben ist (rechts oben) als „GF-INFO“ bezeichnet, also als eine Information (der Geschäftsführung = GF). Durch die Überschrift „Was der neue Kollektivertrag unseren LenkerInnen bringt“ erfährt der Leser, dass es sich um eine Information über den Inhalt des KollV handelt. Auch der folgende Satz „Die Kollektivvertragspartner haben sich nach langen KV-Verhandlungen auf nachstehende Änderungen geeinigt, welche ab 01. Oktober 2018 in Kraft treten.“ kann nur dahin verstanden werden, dass das Nachstehende die im KollV enthaltenen Neuerungen referiert. Auch aufgrund des ersten Satzes im letzten Absatz „Mit diesem 211Kollektivvertragsabschluss ist unser Postbus wieder besser für den Wettbewerb am Markt gerüstet.“ muss der Leser davon ausgehen, dass das Voranstehende grundsätzlich den KollV wiedergibt.

Vor diesem Hintergrund – der Veränderung der kollektiven „Entgeltbedingungen“ – ist aber auch der Satz „AVB-MitarbeiterInnen, bei welchen die unter Punkt 1 angeführten Lohnerhöhungen nicht wirksam werden, erhalten im Gegenzug eine Erhöhung der Fahrgebühren um 2,65 Euro auf 8,80 Euro pro Fahrtag.“ zu verstehen. Dass die Höhe der Fahrgebühr Regelungsgegenstand der BV – und nicht, was das Schreiben suggeriert, des KollV – ist und deren Erhöhung auf € 8,80 erst zwei Jahre später vereinbart wurde, macht die Wissenserklärung der Bekl unrichtig, sie aber nicht zu einer Willenserklärung. Dass die Bekl durch das Schreiben eine über den KollV (oder die BV) hinausgehende Verpflichtung übernehmen wollte, ist seinem Wortlaut nicht zu entnehmen; insb indiziert auch die Wendung „im Gegenzug“ keine freiwillige Erhöhung der Gebühren durch die Bekl selbst. Es sind auch keine sonstigen – außerhalb des Schreibens liegenden – Umstände ersichtlich, die eine solche Annahme tragen würden.

Aufgrund dieses Inhalts des Schreibens musste dessen Adressaten – und somit auch dem Kl – klar sein, dass die Bekl bzw deren Rechtsvorgängerin mit dem Schreiben nicht über die bestehende BV bzw den KollV hinaus Rechte und Pflichten begründen und damit die Rechtslage gestalten, sondern nur die Rechtslage erläutern wollte.