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Auswirkung von Dequalifizierungseffekten bei längerer Arbeitslosigkeit auf Pensionsanspruch wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

ALEXANDERPASZ

Gegenstand der Entscheidung war die Frage der Berufsunfähigkeit des 1963 geborenen Kl, der einen Universitätsabschluss für Maschinenbau hatte und in einem großen metallverarbeitenden Unternehmen in der Position „Leitung Produkt- und Verfahrenstechnik“ tätig war. Er war in seinem Dienstvertrag in der Beschäftigungsgruppe I des KollV für Industrieangestellte eingestuft („Arbeitnehmer: innen, die selbständig sehr schwierige und besonders verantwortungsvolle Tätigkeiten mit hohem Entscheidungsspielraum verrichten oder bei vergleichbarer Aufgabenstellung Ergebnisverantwortung für ihren Bereich tragen“). Dieses Dienstverhältnis wurde mit 31.8.2018 einvernehmlich beendet. Im Anschluss daran bezog der Kl Arbeitslosengeld – seither geht er keiner Beschäftigung nach. Am 23.12.2019 stellte er einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension, der in weiterer Folge abgelehnt wurde.

Die Vorinstanzen wiesen das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gestellte Klagebegehren ab. Der soziale Wert der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit rechtfertige aufgrund der mehr als zwölfmonatigen Beschäftigungslosigkeit nur mehr eine Einstufung in Beschäftigungsgruppe H des KollV. Eine Verweisung auf Tätigkeiten der nächstfolgenden Beschäftigungsgruppe G stelle keinen unzumutbaren sozialen Abstieg dar. Angesichts seiner gesundheitlichen Einschränkungen sei der Kl in der Lage, technische Angestelltenberufe in der Beschäftigungsgruppe G auszuüben, womit Berufsunfähigkeit nicht vorliege.

Strittig war im gegenständlichen Fall, wie sich die längere Beschäftigungslosigkeit des Kl auf die Zumutbarkeit eines sozialen Abstiegs bei Prüfung des Verweisungsfeldes auswirkt. Nach Auffassung des Kl diskriminiere die Rechtsansicht der Vorinstanzen Versicherte, die nicht sofort einen Pensionsantrag stellen, sondern zunächst versuchen würden, ihren Gesundheitszustand zu bessern, um wieder in das Berufsleben zurückzukehren. Die Antragstellung nach erfolgloser Nutzung anderer sozialer Hilfen führe dazu, dass sie wegen des dann eingetretenen „Dequalifizierungseffekts“ auf Tätigkeiten einer niedrigeren Beschäftigungsgruppe verwiesen werden können als bei sofortiger Antragstellung.

Der OGH wies die außerordentliche Revision des Kl mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück und hielt dazu Folgendes fest:

Versicherte dürfen bei Prüfung der Berufsunfähigkeit nicht auf Berufe verwiesen werden, die mit einem für sie unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden wären. Für diese Einschätzung kommt es auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung wa246ren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags haben. Die Einstufung einer Tätigkeit in einem KollV kann ein Indiz für diese Einschätzung sein und daher zur Beurteilung des sozialen Abstiegs herangezogen werden. Die Rsp sieht eine Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe entsprechen, die der bisherigen unmittelbar nachgeordnet ist, in der Regel als zulässig an.

Im Hinblick auf die längere Beschäftigungslosigkeit des Kl hielt der OGH fest, dass Berufstätige, die ihren Beruf längere Zeit nicht ausgeübt haben, im Allgemeinen am Arbeitsmarkt nur mehr in geringer eingestuften Berufstätigkeiten eingesetzt werden. Relevant ist jene Behandlung des Versicherten, die ihm im Berufsleben tatsächlich zuteilwerden würde. Es ist bei der Prüfung der Verweisbarkeit der soziale Wert wesentlich, den die Kenntnisse und Fähigkeiten, die bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags haben. Es kommt in der Hinsicht nicht darauf an, welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Versicherte am Stichtag tatsächlich noch besitzt, sondern abstrakt darauf, welchen Wert die Allgemeinheit ihnen noch beimisst. Dadurch wird im Fall einer krankheitshalber oder behinderungsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsmarkt eine gleichheitswidrige Diskriminierung vermieden.

Im gegenständlichen Fall sind die Vorinstanzen von obigen Grundsätzen nicht abgewichen. Die maßgeblichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Kl am Arbeitsmarkt sind aufgrund der längeren Beschäftigungslosigkeit iSe „Dequalifizierungseffekts“ anders zu bewerten, da ihr sozialer Wert nach allgemeiner Einschätzung zwischenzeitig abgesunken ist. Unerheblich ist, dass sich das Leistungskalkül des Kl seit seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt nicht verändert und er nicht sofort einen Pensionsantrag gestellt hat. Der Kl dürfe durch den Umstand, dass er nach Beendigung seines Dienstverhältnisses keine Beschäftigung mehr ausgeübt, sondern Arbeitslosengeld bezogen hat, nicht bessergestellt werden, als Versicherte, die sich entschließen, trotz Eintritt der Berufsunfähigkeit weiterhin (im Rahmen einer geringer qualifizierten Tätigkeit) berufstätig zu bleiben. Der Zeitraum zwischen der Beendigung der beruflichen Tätigkeit und dem Pensionsantrag spielt keine unmittelbare Rolle; es kommt immer auf die Einschätzung der bei der Berufsausübung maßgeblichen Kenntnisse und Fähigkeiten zum Zeitpunkt des Stichtags an.