123Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bei Wohnsitz im EU-Ausland: Prüfung der Vergleichbarkeit der Meldevorschriften erforderlich
Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bei Wohnsitz im EU-Ausland: Prüfung der Vergleichbarkeit der Meldevorschriften erforderlich
Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Kl auf pauschales Kinderbetreuungsgeld für ihren am 24.1.2014 geborenen Sohn für den Zeitraum von 24.1.2014 bis 23.1.2015. Das Kind lebte seit seiner Geburt im gemeinsamen Haushalt mit der Kl und seinem Vater an der Adresse u* in Polen. Die Kl war im Antragszeitraum nicht an dieser Adresse gemeldet, weil ihre Schwiegermutter, der das Haus gehörte, dies nicht wollte. Stattdessen war sie an einer anderen Adresse in Polen „zum ständigen Aufenthalt“ gemeldet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Ermittlung der polnischen Meldevorschriften ab. Da das Kind und die Kl nicht an derselben Adresse gemeldet gewesen seien, lägen die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG nicht vor. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Sofern die Behauptung der Kl zutrifft, wonach eine Meldung am gemeinsamen Wohnsitz mit dem Kind gegen den Willen der Schwiegermutter aus rechtlichen Gründen unmöglich gewesen sei, habe die Voraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ an derselben Adresse wie das Kind unangewendet zu bleiben. Zu diesem Zweck müssten jedoch die polnischen Meldevorschriften einer entsprechenden Prüfung durch das Erstgericht unterzogen werden. Den Rekurs an den OGH ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass noch keine höchstgerichtliche Rsp zur Vergleichbarkeit des polnischen mit dem österreichischen Meldesystem vorliege.
Der OGH, der nicht an den Ausspruch des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit des Rekurses gebunden ist, wies diesen mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurück.
Die Bekl stützt sich zunächst auf den von der Kl nicht bestrittenen Umstand, dass es in Polen ein dem österreichischen Meldesystem vergleichbares Meldesystem gibt. Daraus leitet sie ab, dass es an der Kl gelegen gewesen wäre, sich an ihrem tatsächlichen Wohnsitz auch anzumelden. Diese Ansicht reicht laut OGH zu kurz: In seinen ausführlich begründeten Entscheidungen 10 ObS 45/19v vom 30.7.2019 und 10 ObS 41/19f vom 8.8.2019 hat der OGH betont, dass die Voraussetzung der gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen Meldung“ nach § 2 Abs 6 KBGG nicht nur dann unangewendet zu bleiben hat, wenn im jeweiligen Mitgliedstaat (gar) kein vergleichbares Meldesystem existiert, sondern auch, wenn es ein solches zwar gibt, dieses aber keine mit dem österreichischen Melderecht vergleichbare „hauptwohnsitzliche Meldung“ ermöglicht. Der Umstand, dass in Polen eine der Hauptwohnsitzmeldung in Österreich entsprechende Meldung grundsätzlich möglich ist, ist für sich allein daher nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Kl eine Meldung am gemeinsamen Wohnsitz mit dem Kind auch ohne Zustimmung ihrer Schwiegermutter erreichen hätte können. Davon ist das Berufungsgericht ausgegangen, sodass seine Rechtsansicht nicht zu beanstanden ist.
Zudem argumentiert die Bekl, die Kl wäre durchaus in der Lage gewesen, sich an ihrem tatsächlichen Wohnsitz zu melden, weil nach den polnischen Meldevorschriften ihre Schwiegermutter verpflichtet gewesen wäre, den Aufenthalt der Kl in ihren Räumlichkeiten zu bestätigen. Die Weigerung ihrer Schwiegermutter, dieser Pflicht nachzukommen, sei daher kein rechtliches, sondern ein unbeachtliches individuelles Hindernis gewesen, das die Kl aus der Welt schaffen hätte können und müssen. Dem entgegnet der OGH, dass die Rechtslage in Polen weder geklärt noch mit den Parteien erörtert wurde. Somit lässt sich weder die Behauptung der Kl, ihr sei eine Meldung ohne Zustimmung ihrer Schwiegermutter rechtlich unmöglich gewesen, noch die gegenteilige Behauptung der Bekl verifizieren. Vor dem Hintergrund, dass die unterbliebene Ermittlung fremden Rechts einen Verfahrensmangel besonderer Art darstellt, der zur Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz führt, hat der OGH in vergleichbaren Konstellationen auch stets eine Verfahrensergänzung durch Ermittlung der während des relevanten Zeitraums geltenden ausländischen Meldevorschriften für erforderlich erachtet. Wenn das Berufungsgericht in diesem Sinn vorgeht, liegt dem keine Fehlbeurteilung zugrunde. 256