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Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld: Zur Frage der internationalen Zuständigkeit bei möglicher Scheinkarenz

KRISZTINAJUHASZ

Die Kl, eine deutsche Staatsbürgerin, war ab 3.1.2018 bei der B* AG in Österreich beschäftigt. Nach ihrem Wochengeldbezug von 5.7. bis 4.10.2019 beantragte sie Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens von 5.10.2019 bis 3.7.2020. Ende September 2019 erhielt der Vater des Kindes einen Arbeitsplatz in Deutschland. Die Kl meldete sich daher im Oktober 2019 von ihrem österreichischen Wohnsitz ab, informierte die Bekl über den Umzug nach Deutschland und beantragte die Ausgleichszahlung. Am 4.2.2020 kündigte die Kl schließlich ihr Dienstverhältnis in Österreich. Mit Oktober 2020 nahm sie eine neue Beschäftigung in Deutschland auf, der sie seither nachgeht. Die Kl hatte nicht vor, nach dem Umzug nach Deutschland nach Ende der Karenz wieder nach Österreich zurückzukehren und die Erwerbstätigkeit in Österreich wiederaufzunehmen. Strittig war im Verfahren die internationale Zuständigkeit Österreichs zur Gewährung von Kinderbetreuungsgeld.

Die Bekl lehnte die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes mit der Begründung ab, dass der Kl die Rückkehrabsicht in die Erwerbstätigkeit fehlte.

In ihrer Klage brachte die Kl zusammengefasst vor, dass nachträgliche Ereignisse während der Karenzierung keine Scheinkarenz begründen könnten. Die Bekl hielt dem entgegen, dass die Kl keine Rückkehrabsicht gehabt und ihre Erwerbstätigkeit in Österreich beendet habe. Die vereinbarte Karenz sei daher eine Scheinkarenz iSd § 24 Abs 3 KBGG gewesen. Ab 1.11.2019 sei Österreich daher international nicht mehr zur Gewährung von Familienleistungen zuständig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren der Kl ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge. Im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 sei für die Erbringung von Familienleistungen jener Mitgliedstaat zuständig, dessen Rechtsvorschriften gem den Art 11 ff VO (EG) 883/2004 anwendbar sind. Für eine Zuständigkeit Österreichs als Beschäftigungsstaat gem Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 komme es nach Art 1 lit a VO (EG) 883/2004 auf das innerstaatliche Recht, konkret auf § 24 Abs 2 und 3 KBGG, an. Liege eine Scheinkarenz iSd § 24 Abs 3 KBGG vor, fehle es an einer der Gleichstellungsvoraussetzungen für Karenzzeiten iSd § 24 Abs 2 KBGG. Entscheidend sei, ob die vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zum Zweck der Kindererziehung nur vorgetäuscht werde, obwohl in Wirklichkeit von einer Beendigung der Tätigkeit auszugehen sei. Dabei werde ein Vorsatz zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Karenz vorausgesetzt. Die Beweispflicht für das Vorliegen einer Scheinkarenz treffe die Bekl. Diese müsse beweisen, dass die Kl niemals eine Karenz gegen Entfall des Arbeitsentgelts eingehen wollte, weil sie von vornherein geplant habe, nicht mehr auf ihren Arbeitsplatz zurückzukehren bzw sie die Karenz nur in Anspruch genommen habe, um Kinderbetreuungsgeld zu beziehen. Das Berufungsgericht verwies aber die Rechtssache an das Erstgericht zurück, da Feststellungen zur Frage, ob es bereits zum Zeitpunkt der Karenzierungsvereinbarung an einer Rückkehrabsicht der Kl gemangelt hat, fehlten. Der Rekurs an den OGH sei zulässig, weil Rsp zur Frage fehle, auf welchen Zeitpunkt bei Prüfung des Vorliegens einer „Scheinkarenz“ iSd § 24 Abs 3 KBGG abzustellen sei.260

Der Rekurs der Kl, mit dem sie die Stattgebung der Klage anstrebt, wurde vom OGH zurückgewiesen.

Den Begriff der „Scheinkarenz“ definiert der Gesetzgeber in § 24 Abs 3 KBGG nicht. Bei einer „Scheinkarenz“ wird nach der Rsp die vorübergehende Unterbrechung der Tätigkeit zum Zweck der Kindererziehung nur vorgetäuscht, obwohl realiter von einer Beendigung der Tätigkeit auszugehen ist (OGH 22.1.2019, 10 ObS 130/18t; OGH 19.7.2021, 10 ObS 60/21b). Ob eine Täuschung vorliegt, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (OGH10 ObS 60/21b).

Die Rekurswerberin führt aus, dass verallgemeinerungsfähige Fallkonstellationen auf dem rechtlichen Prüfstand stünden, bei denen eine DN zwar zum Zeitpunkt einer Karenzierungsvereinbarung mit ihrem DG noch fest zu einer künftigen Wiederaufnahme der Beschäftigung nach der noch bevorstehenden kindererziehungsbedingten Unterbrechung des Dienstverhältnisses entschlossen sei, zu einem Zeitpunkt danach aber wegen geänderter Umstände doch alles anders komme. Im vorliegenden Fall stand aber fest, dass die Kl mit dem Wegzug aus Österreich keine Rückkehrabsicht in die Erwerbstätigkeit hatte. Feststellungen dazu, ob oder welche Absichten die Kl im Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Karenz nach § 15 MSchG oder im Zeitpunkt des Abschlusses einer Karenzierungsvereinbarung hatte, fehlen jedoch.

Die Rekurswerberin macht geltend, dass sich die Rückkehrabsicht in die Erwerbstätigkeit schon daraus ergebe, dass sie ihre Erwerbstätigkeit tatsächlich durch eine unselbständige Beschäftigung in Deutschland wieder aufgenommen habe. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil die Kl ihre Erwerbstätigkeit in Österreich nicht unterbrochen, sondern durch Kündigung beendet hat, sodass sie eine Arbeitstätigkeit in Deutschland nicht „wieder“, sondern neu aufgenommen hat. Die vom Berufungsgericht zitierte Rsp, wonach die Beschränkung auf eine lediglich in Österreich (und nicht in einem anderen Mitgliedstaat der EU) ausgeübte sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit unionsrechtlich unzulässig sei (OGH 22.10.2015, 10 ObS 148/14h), bezieht sich auf die Tatbestandsvoraussetzung des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG und ist eine Folge der von Art 5 VO (EG) 883/2004 angeordneten Tatbestandsgleichstellung. Die Tatbestandsgleichstellung nach dieser Bestimmung kann jedoch immer erst erfolgen, wenn zuvor die Zuständigkeit Österreichs nach den Art 11 ff VO (EG) 883/2004 feststeht (OGH 24.6.2020, 10 ObS 34/20b). Gegenstand dieses Verfahrens ist aber genau die Frage, ob die internationale Zuständigkeit Österreichs zur Gewährung von Familienleistungen an die Kl gegeben ist. Dass allein die Kündigung des Dienstverhältnisses in Österreich den Rückschluss noch nicht zulässt, dass es zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Karenz oder des Abschlusses einer Karenzvereinbarung an einem Rückkehrwillen fehlte, hat das Berufungsgericht ohnehin angeführt.

Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden oder wird sie vom Rekurswerber nicht bekämpft, so kann der OGH nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist.