127

Rechtzeitigkeit der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld – Berechnung der nach „Lebenswochen“ bestimmten Frist

ELISABETHBISCHOFREITER

Das gemeinsame Kind des Erstkl und der Zweitkl wurde am Montag, 2.7.2018, geboren. Die zweite Mutter-Kind-Pass-Untersuchung des Kindes wurde am Montag, 20.8.2018, vorgenommen. Nach dem Ende des Wochengeldbezugs bezog zunächst die Zweitkl und anschließend der Erstkl Kinderbetreuungsgeld.

Mit den Bescheiden vom 27.2.2020 verpflichtete die bekl Österreichische Gesundheitskasse den Erstkl und die Zweitkl zum Rückersatz des Kinderbetreuungsgeldes in der Höhe von jeweils € 1.300,-, weil die fristgerechte Durchführung der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht nachgewiesen worden sei. Gegen die dagegen erhobenen und zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Klagen wendete die Bekl ein, dass die zweite Untersuchung des Kindes spätestens in der siebenten Woche nach der Geburt, sohin bis Sonntag, 19.8.2018, erfolgen hätte müssen, sodass die am Montag, 20.8.2018, vorgenommene Untersuchung verspätet sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt und sprach aus, dass die Bekl keinen Rückersatz beanspruchen könne, weil das Ende der nach Lebenswochen bestimmten Frist nach § 902 ABGB auf jenen Tag falle, welcher seiner Benennung nach dem Tag der Geburt entspreche, wodurch die Untersuchung des Kindes am Montag noch rechtzeitig gewesen sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl mit der Begründung statt, dass die Dauer einer Altersstufe sich nicht nach § 902 ABGB richte, sondern an jenem Tag ende, der 261dem dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangehe, weshalb die siebente Lebenswoche des Kindes bereits am Sonntag, 19.8.2018, geendet habe und die Untersuchung verspätet erfolgt sei.

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Werden die in der MuKiPassV vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht bis zu den vorgegebenen Zeitpunkten nachgewiesen, reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld gem § 24a Abs 4 KBGG für jeden Elternteil um € 1.300,-. Nach § 7 Abs 3 MuKiPassV ist die zweite Untersuchung „in der vierten, fünften, sechsten oder siebenten Lebenswoche“ vorzunehmen. Dabei handelt es sich um eine materiell-rechtliche Frist, weil das Gesetz an sie die materielle Rechtsfolge des teilweisen Verlusts des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld knüpft. Soweit sich die Kl auf §§ 32, 33 AVG berufen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass diese Regelungen nur für verfahrensrechtliche Fristen gelten, auf materiell-rechtliche Fristen aber weder unmittelbar noch analog angewendet werden können.

Mangels abweichender Sondervorschriften richtet sich der Ablauf einer materiell-rechtlichen Frist nach den allgemeinen Regeln in §§ 902 f ABGB, die auch auf verwaltungsrechtliche Fristen gelten. Nach § 902 Abs 2 ABGB fällt das Ende einer nach Wochen bestimmten Frist auf jenen Tag der letzten Woche, welcher nach seiner Benennung dem Tag des fristauslösenden Ereignisses entspricht. § 902 Abs 2 ABGB ist nach ganz herrschender Meinung nicht auf die Berechnung von Altersstufen anzuwenden, bei denen der Tag der Geburt mitzurechnen ist. Dieses Verständnis liegt auch den Materialien des KBGG zugrunde, die ausdrücklich darauf hinweisen, dass das dritte Lebensjahr bereits mit dem dem dritten Geburtstag vorangehenden Tag endet (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 60). Auch der OGH hat bereits ausgesprochen, dass § 902 Abs 2 ABGB auf die Fristen des KBGG, die auf die Vollendung von Lebensmonaten abstellen, nicht anwendbar ist, weshalb der Tag der Geburt mitzurechnen ist. Nach § 7 Abs 3 MuKiPassV ist die zweite Mutter-Kind-Pass-Untersuchung nicht etwa spätestens „sieben Wochen nach der Geburt“, sondern spätestens „in der (…) siebenten Lebenswoche“ vorzunehmen, wodurch es sich um keine Wochenfrist nach der Geburt, auf die § 902 Abs 2 ABGB anzuwenden wäre, sondern um eine Altersstufe handelt, in der die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung durchgeführt werden muss. Eine Lebenswoche endet deshalb bereits an dem Tag, der nach seiner Benennung dem dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangeht. Ausgehend von der Geburt des Kindes am Montag, 2.7.2018, endete die siebente Lebenswoche daher bereits am Sonntag, 19.8.2018.

Das Berufungsgericht hat aber nicht beachtet, dass die Rechtsfolgen der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit oder eines Versäumnisses, wenn der für die Abgabe einer Erklärung oder für eine Leistung bestimmte letzte Tag auf einen Sonntag oder anerkannten Feiertag fällt, nach § 903 Satz 3 ABGB erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags eintreten. Die Anwendung des § 903 Satz 3 ABGB wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass es sich um eine Frist handelt, die sich nach einer Altersstufe bestimmt. § 903 Satz 3 ABGB wäre nur dann nicht anwendbar, wenn das Gesetz oder der Verordnungsgeber etwas anderes vorsehen würde. Derartiges lässt sich aber weder aus dem KBGG noch aus der MuKiPassV ableiten. Der Grundgedanke des § 903 Satz 3 ABGB, der verhindern will, dass jemand entweder an einem Ruhetag tätig werden muss oder die ihm eingeräumte Frist nicht vollständig ausnützen kann, gilt auch für die Durchführung der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, die an Sonn- und Feiertagen typischerweise gar nicht angeboten werden. Auch wenn der letzte Tag der siebenten Lebenswoche des Kindes auf den Sonntag, 19.8.2018, fiel, erstreckte sich die nach § 7 Abs 3 MuKiPassV für die zweite Mutter-Kind-Pass-Untersuchung vorgesehene Frist nach § 903 Satz 3 ABGB noch bis zum darauffolgenden Montag. Die zweite Mutter-Kind-Pass-Untersuchung am 20.8.2018 war deshalb rechtzeitig, weshalb der von der Bekl geltend gemachte Anspruch auf Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes nicht zu Recht besteht. 262