92Rückwirkende Legitimierung angeordneten Urlaubsverbrauchs im Lockdown
Rückwirkende Legitimierung angeordneten Urlaubsverbrauchs im Lockdown
Der Kl war im Service einer von der Bekl betriebenen Pizzeria beschäftigt. Ab dem 16.3.2020 durfte das Lokal wegen der COVID-19-Pandemie nicht mehr geöffnet werden, woraufhin die Bekl das Arbeitsverhältnis des Kl am 18.3.2020 zum 1.4.2020 aufkündigte. Der Geschäftsführer der Bekl war von seinem Steuerberater bereits davon informiert, dass ein Gesetz in Kraft treten werde, wonach offener Urlaub über arbeitgeberseitige Anordnung zu verbrauchen sei. Deshalb sagte er dem Kl, dieser müsse seinen Urlaubsanspruch von zehn Tagen in der Kündigungsfrist verbrauchen, womit der Kl aber nicht einverstanden war und in weiterer Folge eine Urlaubsersatzleistung für 10,27 Urlaubstage begehrte. Die Bekl sei nicht berechtigt gewesen, den Urlaubsverbrauch einseitig anzuordnen.
Das Erstgericht wies das Begehren ab. Die einseitige Urlaubsanordnung sei durch das rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft getretene 2. COVID-19-Gesetz gedeckt. Die Rückwirkung sei angesichts der damaligen Pandemie verfassungsrechtlich unbedenklich.
Das Berufungsgericht bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, gab der Berufung des Kl keine Folge, ließ jedoch die ordentliche Revision mangels einschlägiger höchstgerichtlicher Rsp zu.
Die gegen die Berufungsentscheidung gerichtete Revision wurde vom OGH als zulässig, jedoch nicht als berechtigt erkannt.
Mit dem 2. COVID-19-Gesetz, BGBl I 2020/16, wurde § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt, wonach AN, deren Dienstleistungen aufgrund von Verboten oder Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 2020/12, nicht zustande kommen, ihren Entgeltanspruch behalten, aber verpflichtet sind, auf Verlangen des AG in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Nach § 1155 Abs 4 ABGB idF BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16 müssen Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr aber nur im Ausmaß von bis zu zwei Wochen und insgesamt nicht mehr als acht Wochen Urlaubsguthaben verbraucht werden. § 1155 Abs 3 ABGB enthält damit eine Abweichung von der allgemeinen Regel des § 4 Abs 1 UrlG, wonach die Festsetzung des Urlaubs nicht einseitig angeordnet werden kann. Obwohl das 2. COVID-19-Gesetz erst am 21.3.2020 kundgemacht wurde, sieht die Übergangsregel in § 1503 Abs 14 ABGB vor, dass § 1155 Abs 3 und 4 ABGB rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft und mit 31.12.2020 außer Kraft treten.
Der Kl macht geltend, dass eine Rückwirkung des Gesetzes angesichts seines berechtigten Vertrauens auf die Unwirksamkeit der einseitigen Festsetzung des Urlaubs durch die Bekl verfassungswidrig wäre. Nach stRsp des VfGH ist eine rückwirkende und nachteilige Änderung der Rechtslage aber nur dann verfassungswidrig, wenn es sich um einen erheblichen Eingriff in die wohlerworbene Rechtsposition des Normunterworfenen, der im berechtigten Vertrauen auf die geltende Rechtslage disponiert hat, handelt und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen.
Der VfGH hat bereits darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt. Das Abweichen vom Grundsatz der einvernehmlichen Urlaubsfestsetzung ist dadurch gerechtfertigt, dass die im öffentlichen Interesse zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verfügten Verbote und Einschränkungen des Betretens von Betrieben dazu führen, dass AG die Leistungen ihrer AN nicht in Anspruch nehmen können, aber durch die Entgeltfortzahlung nach § 1155 Abs 3 ABGB erheblichen finanziellen Belastungen ausgesetzt sind. Dabei war eine Rückwirkung der arbeitsvertraglichen Sonderregelungen des 2. COVID-19-Gesetzes schon deshalb erforderlich, weil das COVID-19-Maßnahmengesetz schon mit Ablauf des 15.3.2020 in Kraft getreten war.
Im Übrigen liegt auch kein erheblicher Eingriff in eine verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition vor, weil der Kl im Vertrauen auf die Unwirksamkeit der einseitigen Urlaubsfestsetzung durch die Bekl nicht disponiert hat, sondern tatsächlich dienstfreigestellt war und sohin von einer hinreichenden Erholungsmöglichkeit auszugehen ist. Letztlich wird der AN durch die Rückwirkung des Gesetzes nicht schlechter gestellt, als wenn das Gesetz schon im Zeitpunkt der einseitigen Festsetzung des Urlaubs durch den AG in Kraft gewe214sen wäre. Es bestehen sohin keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität der angeordneten Rückwirkung.
Das ausdrückliche Verlangen der Bekl vom 18.3.2020, der Kl möge seinen Urlaub konsumieren, fiel demnach in den zeitlichen Anwendungsbereich des § 1155 Abs 3 ABGB. Durch das rückwirkende Inkrafttreten der Regelung zum 15.3. wurde diese (einseitige) Urlaubsanordnung rechtmäßig, weshalb die Vorinstanzen den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung zu Recht verneinten.