93Hotel- und Gastgewerbe: Kündigungsfristen für Arbeiter:innen gemäß Angestelltengesetz, da Saisonbetriebe nicht überwiegen
Hotel- und Gastgewerbe: Kündigungsfristen für Arbeiter:innen gemäß Angestelltengesetz, da Saisonbetriebe nicht überwiegen
Den gegenständlichen Feststellungsantrag gem § 54 Abs 2 ASGG brachten zwei betroffene Fachverbände der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ein; Antragsgegnerin war der ÖGB als „spiegelbildliche“ kollektivvertragsfähige Körperschaft.
Der Fachverband Gastronomie und der Fachverband Hotellerie beantragten „Es werde festgestellt, dass die im Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe enthaltene Kündigungsregel (§ 21a), wonach (nach Ablauf der Probezeit) das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14-tägiger Kündigung gelöst werden kann, über den 30.9.2021 hinaus wirksam ist.“
Mit 1.10.2021 wurden zwar die Kündigungsfristen der ArbeiterInnen grundsätzlich an jene für Angestellte angeglichen. § 1159 Abs 2 und 4 ABGB sehen jedoch davon eine Ausnahme vor. „Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl Nr. 22/1974, überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.“ Im vorliegenden Feststellungsverfahren ging es daher um die Frage, ob die Hotellerie und Gastronomie Branchen sind, in der Saisonbetriebe überwiegen, und ob der KollV somit auch weiterhin kürzere Kündigungsfristen für ArbeiterInnen vorsehen kann.
Mit rechtskräftiger Entscheidung (Beschluss) vom 24.3.2022 wies der OGH den Antrag ab, die WKO „verlor“ also diesen Testprozess.
Der OGH setzte sich vor allem mit zwei Rechtsfragen intensiv auseinander:
1. Bleibt der bestehende KollV unberührt oder müsste er „nach dem 30.9.2021“ mit einer „saisonbedingt“ kürzeren Kündigungsfrist neu abgeschlossen und in Kraft gesetzt werden?
2. Was sind „Branchen“ und handelt es sich bei Gastronomie und Hotellerie um antragsgemäße Branchen, die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten („Saisonbranchen“)?
Die beiden antragstellenden Fachverbände legten dem OGH eine umfassende Analyse der Jahre 2014 bis 2018 über 14.153 Beherbergungsbetriebe und 34.258 Gastronomiebetriebe (Unternehmen) als Beweismittel vor; ferner Beschäftigungsdaten des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, ergänzt durch zahlreiche Detailauswertungen der WKO selbst.
Der Antrag, es werde festgestellt, dass die im Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe enthaltene Kündigungsregel (§ 21a), wonach (nach Ablauf der Probezeit) das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14-tägiger Kündigung gelöst werden kann, über den 30.09.2021 hinaus wirksam ist, wird abgewiesen.
Zum maßgeblichen Sachverhalt [...] brachten die Antragsteller vor, sie würden als gesetzliche Interessenvertretung die Interessen aller gewerblichen österreichischen Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe vertreten. Die Mehrheit dieser Betriebe unterliege regelmäßig erheblichen saisonalen Schwankungen entlang der Jahreszeiten, wobei hier zwei Hochsaisonen charakteristisch seien, nämlich die Sommer- und die Wintersaison. Saisonale Schwankungen würden sich auch erheblich auf die Beschäftigung im Tourismus auswirken.
Eine umfassende Analyse der Jahre 2014 bis 2018 von 14.153 Beherbergungsbetrieben habe ergeben, dass über die untersuchten Jahre hinweg regelmäßig bei 79,1 % dieser Betriebe die Schwankung zwischen dem höchsten Beschäftigungsstand und dem niedrigsten Beschäftigungsstand innerhalb eines Jahres bei Arbeitern und Arbeiterinnen (inklusive geringfügig Beschäftigter) regelmäßig und erheblich gewesen sei, das heißt 33,33 % oder mehr betragen habe. Bei 77,3 % der Betriebe sei auch die jährliche Schwankung unter Berücksichtigung aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, das heißt Arbeiter/Arbeiterinnen und Angestellte (inklusive geringfügige Beschäftigte) regelmäßig und erheblich, das heißt habe zumindest 33,33 % betragen. Die Mehrzahl der von dem Erstantragsteller vertretenen und vom Kollektivvertrag erfassten Betriebe würden daher ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten bzw regelmäßig zu bestimm215ten Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten. Insbesondere zeigten die für die gesamte Tourismusbranche maßgeblichen Nächtigungsdaten, die für die vergangenen zehn Jahre vom Erstantragsteller erhoben worden seien, regelmäßige erhebliche saisonale Schwankungen iSd § 53 Abs 6 ArbVG. So habe im Jahr 2019 die maximale Abweichung zwischen dem Monat mit den höchsten Zahlen an Nächtigungen (August 2019) und dem Monat mit der niedrigsten Zahl an Nächtigungen (November 2019) 73,7 % betragen. Eine vergleichbare Differenz habe sich für die Jahre 2010 bis 2018 ergeben (im Detail dargelegt). Auch eine Analyse der Nächtigungsdaten ergebe über die vergangenen zehn Jahre saisonale Schwankungen im Ausmaß von deutlich über 33,33 % (2010: 41,3 % [und für die Folgejahre dargelegt]).
Auch die Beschäftigungsdaten des Zweitantragstellers Fachverband Gastronomie zeigten regelmäßige erhebliche saisonale Schwankungen iSd § 53 Abs 6 ArbVG: Eine umfassende Analyse der Jahre 2014 bis 2018 von 34.258 Gastronomiebetrieben zeige, dass über die untersuchten Jahre hinweg regelmäßig bei 59,8 % dieser Betriebe die Schwankung zwischen dem höchsten Beschäftigungsstand und dem niedrigsten Beschäftigungsstand innerhalb eines Jahres bei Arbeitern und Arbeiterinnen (inklusive geringfügig Beschäftigter) regelmäßig und erheblich gewesen sei, das heißt 33,33 % oder mehr betragen habe. Berücksichtige man nicht nur Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern auch Angestellte (inklusive geringfügig Beschäftigter), zeige sich, dass 59,0 % der Betriebe regelmäßig erhebliche Beschäftigungsschwankungen (33,33 % oder mehr) aufweisen. […]
Die Antragsgegnerin [ÖGB] beantragte die Abweisung des Antrags, dies zusammengefasst mit der Begründung, der behauptete Sachverhalt sei unrichtig, weil in der Branche des Hotel- und Gastgewerbes Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG nicht überwiegen würden. Die Daten der Antragsteller ergäben keine entsprechenden witterungsabhängigen Schwankungen. Es sei keine (aggregierte) Darstellung der gesamten Branche, sondern nur der beiden Teilbereiche Gastronomie und Beherbergung vorgelegt worden. Die Kollektivvertragsparteien hätten dazu auch keine Festlegung als Saisonbranche getroffen.
§ 1159 Abs 2 ABGB bedeute, dass sämtliche alten kollektivvertraglichen Bestimmungen, die nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 1159 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2017/153 Bezug nehmen oder nach dessen Inkrafttreten vereinbart worden seien, gesetzwidrig seien. Hätten die in den ArbeiterInnen-Kollektivverträgen enthaltenen Kündigungsfristen weitergelten sollen, wäre das Hinausschieben des Geltungsbeginns um drei Jahre nicht erforderlich gewesen. Die Weitergeltung kollektivvertraglicher Regelungen trotz neuer Gesetzesbestimmungen werde sonst auch ausdrücklich normiert. Dem Gesetzgeber könne nicht die Schaffung von Kündigungsregeln unterstellt werden, die von sämtlichen bestehenden Kollektivverträgen ausgehebelt würden und damit kaum einen Anwendungsbereich hätten.
Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden. […]
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Kündigungsregel des mit Wirkung ab 1.5.2019 vereinbarten § 21 lit a des Kollektivvertrags für das Hotel- und Gastgewerbe [Arbeiter:innen] vor dem Hintergrund des zum 1.10.2021 in Kraft getretenen § 1159 Abs 2 letzter Satz und Abs 4 letzter Satz ABGB weiter Bestand hat. Das Feststellungsinteresse der Antragsteller liegt damit im Kern in der Frage, ob die in den Anwendungsbereich des Kollektivvertrags fallenden ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen berechtigt sind, Arbeitsverträge nach Maßgabe des § 21 lit a des Kollektivvertrags mit einer 14-tägigen Kündigungsfrist zu beenden.
[§ 1159 ABGB neu] geht auf einen Initiativantrag zurück […].
Infolge eines Abänderungsantrags (AA-243 25. GP) wurden die […] Textpassagen [„Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 Arbeitsverfassungsgesetzes … überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden“] angefügt und das Inkrafttreten (zunächst) auf 1.1.2021 verschoben und dazu festgehalten:
„Weiters wird vorgesehen, dass die im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch und im Landarbeitsgesetz 1984 vorgenommene Angleichung der Kündigungsfristen der Arbeiter an die der Angestellten nicht bereits mit 1. Jänner 2018, sondern erst mit 1. Jänner 2021 in Kraft treten soll. Diese Legisvakanz ermöglicht Branchen, bei denen derzeit Saisonbetriebe überwiegen, sich auf die verlängerten Kündigungsfristen einzustellen. Unter diese Saisonbetriebe fallen etwa Tourismusbetriebe, Betriebe des Baugewerbes und andere Saisonbetriebe gemäß Arbeitsverfassungsgesetz. Eine Fortführung der Branchenlösung für Saisonbetriebe über den 1.1.2021 ist damit möglich.“
[18] § 1159 ABGB ist schließlich nach erneuter Verschiebung des Inkrafttretens zum 1.10.2021 in Kraft getreten (§ 1503 Abs 19 ABGB). […]
Die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und -termine von Arbeitern und Angestellten ist nach dem gesetzlichen Modell daher nicht durchgehend verwirklicht, sondern ermöglicht nach Maßgabe des § 1159 ABGB kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell, die für „Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen“, auch kürzere Kündigungsfristen enthalten können (vgl auch § 10 Abs 5 AÜG).
Die Weitergeltung der kollektivvertraglichen Regelung erfordert zunächst die Prüfung, ob sie durch die Neufassung des § 1159 ABGB als solche überholt wurde. Das ist nicht der Fall. § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB eröffnet Kollektivvertragspartnern die Möglichkeit, für Branchen, in 216denen Saisonbetriebe überwiegen („Saisonbranchen“), durch Kollektivvertrag abweichende Regelungen festzulegen. Eine Vorgabe, ob diese Festlegung schon vor oder erst nach Inkrafttreten der Bestimmung erfolgen kann, ist weder in § 1159 ABGB noch in einem Übergangsregime enthalten. […] Dieses Verständnis geht auch aus den Materialien hervor, die im zitierten Abänderungsantrag festhalten: „Eine Fortführung der Branchenlösung für Saisonbetriebe über den [damals noch:] 1.1.2021 ist damit möglich.“
[…] Dass in anderen Fällen ausdrücklich gesetzliche Regelungen über die Weitergeltung bestehender Kollektivvertragsnormen getroffen worden sein mögen, erlaubt noch keinen Umkehrschluss auf einen nun davon abweichenden gesetzgeberischen Willen. […] Das Argument der Antragsgegnerin [ÖGB], dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, eine Kündigungsregel zu schaffen, die unter Berücksichtigung des letzten Satzes des Abs 2 des § 1159 ABGB von sämtlichen bestehenden Kollektivverträgen ausgehebelt würde und damit kaum einen Anwendungsbereich habe, überzeugt dagegen nicht, weil die gesetzliche Ermächtigung zu einer abweichenden kollektivvertraglichen Regel nun nur mehr so weit reicht, als es um Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, geht. Da allen anderen Branchen, das heißt jenen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG nicht überwiegen, mit der Neuregelung die Grundlage zur kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis entzogen wurde, trifft es nicht zu, dass der Regelung kein Anwendungsbereich verbliebe oder keine Wirkung zukäme.
Es ist folglich zu prüfen, ob die Regelung des § 21 lit a KollV nach Maßgabe des § 1159 ABGB weiter von der den Kollektivvertragsparteien eingeräumten gesetzlichen Ermächtigung zur Schaffung einer abweichenden kollektivvertraglichen Regelung gedeckt ist. Das ist dann der Fall, wenn der Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe diese Regelung für eine Branche festgelegt hat, in der Saisonbetriebe überwiegen.
Hotel- und Gastgewerbe als Branche
Der Begriff der Branche ist gesetzlich und in den Erläuterungen des Gesetzgebers nicht definiert. Er bedarf daher einer am Wortlaut, dem normativen Zusammenhang und dem Regelungszweck der Bestimmung zu messenden Auslegung; er bezieht sich nach allgemeinem Verständnis auf die Gesamtheit von Unternehmen, die sich durch ähnliche Produkte, Dienstleistungen oder einen gemeinsamen Tätigkeitsbereich auszeichnen und deshalb als ein Wirtschaftszweig (Erwerbs-, Geschäftszweig) angesehen werden können. […] Überlässt der Gesetzgeber die Regelungsbefugnis „für Branchen“ den Kollektivvertragsparteien, liegt es in seinem Verständnis, dass die Kollektivvertragsparteien für diesen Bereich fachlich regelungsermächtigt sein müssen. Das legt zunächst eine Bezugnahme auf den fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrags nahe, wird doch vorausgesetzt, dass durch Kollektivvertrag „für Branchen …“ abweichende Regelungen getroffen werden können. Den Branchenbegriff grundsätzlich am fachlichen Geltungsbereich von Kollektivverträgen zu orientieren, entspricht auch der grundlegenden Aufgabe von Kollektivverträgen, in Durchschnittsbetrachtung nach Maßgabe gleichartiger Verhältnisse und einheitlicher Regelungsbedürfnisse innerhalb eines bestimmten fachlichen Bereichs des Wirtschaftslebens auch gleiche Arbeitsbedingungen zu schaffen. […] Bestehen dafür aber keine Anhaltspunkte und liegen auch sonst keine Gründe vor, die offenkundig für eine sachwidrige Abgrenzung sprechen, kann die Ermächtigung der Kollektivvertragspartner zu einer von § 1159 ABGB abweichenden Regelung für eine Branche, in der Saisonbetriebe überwiegen, grundsätzlich nach dem fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrags bestimmt werden.
Eine Anknüpfung an die Wirtschaftsabteilungen der ÖNACE-Klassifikation erscheint dagegen nicht zielführend. Wenngleich sie eine gewisse Orientierung bieten, könnten im Hinblick auf den Geltungsbereich von Kollektivverträgen neue Abgrenzungsfragen entstehen (zB Trennung von Gewerbe und Industrie). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber von diesem spezifischen Verständnis ausgehen wollte. […]
Überwiegen von Saisonbetrieben
Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt überdies nur, wenn in der Branche Saisonbetriebe überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst. Der Gesetzgeber hat sohin eine generalisierende Betrachtung gewählt. […] Überwiegen in einer Branche die Saisonbetriebe nicht, besteht sohin keine Befugnis der Kollektivvertragsparteien zur Schaffung von vom gesetzlichen Regelmodell abweichenden Kündigungsfristen. […] Da auch für das Überwiegen von Saisonbetrieben in einer Branche keine gesetzlichen Vorgaben bestehen, ist mangels anderer Anhaltspunkte nach der allgemeinen Bedeutung des Wortes „Überwiegen“ auf ein quantitatives Überwiegen abzustellen. […] Ein Abstellen auf Marktanteile, Umsatz oder die Anzahl der Saisonarbeiter im Sinn eines „qualitativen“ Überwiegens ist danach nicht angezeigt. Dagegen spricht auch die erhöhte Rechtsunsicherheit für die Gesetzesanwendung, die zu den zahlreichen auslegungsbedürftigen Begriffen noch hinzukäme, weil die Geltung einer kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelmodell auch noch der Erhebung des entsprechenden Datenmaterials (und gegebenenfalls dessen Überprüfbarkeit durch die Normadressaten) bedürfte. Auch das ist dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen. Liegt eine zahlenmäßige Mehrheit an Saisonbetrieben vor, bleibt danach auch kein Raum für ein zusätzliches Erfordernis dahin, dass auch der Anteil der Beschäftigten von Saisonbe217trieben im Vergleich zu den Beschäftigten der gesamten Branche ein derartiges Ausmaß erreicht, dass diesen Betrieben in der Branche die größte Bedeutung zukommt und sie den Charakter der Branche bestimmen. Für das Überwiegen kommt es sohin auf die Anzahl der Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtanzahl der Betriebe einer Branche an.
Saisonbetriebe
Für „Saisonbetriebe“ verweist § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB auf § 53 ArbVG. Der Auslegung dieses Begriffs ist voranzustellen, dass der Normzweck des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB darin liegt, in „Saisonbranchen“ durch die kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfristen eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands zu ermöglichen, wenn und weil (insbesondere witterungsbedingt) branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung möglich ist und insbesondere auch Befristungsvereinbarungen nicht in jedem Fall dafür ausreichen (s nur § 21 lit b KollV, wonach ein mit „Schluss der Saison“ festgelegtes Ende eines Arbeitsverhältnisses nicht als Befristung gelten soll). Das gilt nicht auch für § 53 Abs 6 ArbVG, weil diese Bestimmung Saisonbetriebe im Hinblick auf die Wählbarkeit von Arbeitnehmern zum Betriebsrat, die noch nicht sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt sind, definiert. Da der Gesetzgeber aber klar auf diese Bestimmung verweist, kann der Normzweck des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB gerade nicht für das Verständnis von „Saisonbetrieben“ herangezogen werden. Es ist jenes Verständnis maßgeblich, das durch die Definition in § 53 Abs 6 ArbVG zum Ausdruck kommt. […] Danach werden einerseits solche Betriebe erfasst, die – vor allem witterungsbedingt – in Abhängigkeit von den Jahreszeiten nicht ganzjährig arbeiten (Zirkus: 9 ObA 89/02g; Moorbadebetrieb: 9 ObA 268/88; Bsp lt 9 ObA 67/94: Ziegeleien, Seilbahnen, Fremdenverkehrsbetriebe, Betriebe des Baugewerbes; nicht aber Theaterbetrieb mit zweimonatiger Spielpause: 9 ObA 67/94, 9 ObA 136/07a; auf mehrere Jahre geplante Großbauvorhaben (Arb 6425). Wie zu 9 ObA 89/02g festgehalten wurde, geht es hier nicht etwa um eine Abwälzung des typischen Betriebsrisikos der Ungewissheit über den Stand der Aufträge und auch nicht um im Belieben der Geschäftsführung gelegene Entscheidungen, sondern darum, dass die Eigenart des Betriebs während einer bestimmten Jahreszeit die Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht ermöglicht, die Beendigung des Dienstverhältnisses also einem dringenden Bedürfnis der betrieblichen Organisation entspringt. […] Tatbestandlich sind aber auch Betriebe, die „regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten“, sohin auch ganzjährig geöffnete Betriebe, sofern sie diese Voraussetzungen erfüllen. Die zitierten Erläuterungen zu § 1159 ABGB nennen beispielhaft „Tourismusbetriebe, Betriebe des Baugewerbes und anderer Saisonbetriebe gemäß Arbeitsverfassungsgesetz“, was zunächst auf die gesetzgeberische Vorstellung hindeutet, dass die erheblich verstärkte Arbeit auch in diesem Zusammenhang witterungsbedingt begründet ist […].
Das Kriterium „regelmäßig zu gewissen Zeiten“ kann als „periodisch wiederkehrend“ und zwar ungefähr zu denselben, wenngleich nicht notwendigerweise datumsmäßig exakt übereinstimmenden Zeiträumen des Jahres wiederkehrend verstanden werden […]. Das Kriterium, dass Betriebe regelmäßig zu gewissen Zeiten „erheblich verstärkt“ arbeiten, bringt eine Relation zum Ausdruck: Um von „zu gewissen Zeiten erheblich verstärkter Arbeit“ sprechen zu können, bedarf es einer entsprechenden Steigerung der Arbeit im Verhältnis zur Arbeit zu anderen Zeiten mit einem normalen (geringeren) Arbeitsaufkommen. Die erheblich verstärkte Arbeit darf also nicht den Normalzustand im Jahresbetrieb darstellen, weil eine solche Arbeit schon nach dem Wortsinn nicht nur „in gewissen Zeiten“ und „erheblich verstärkt“ erbracht würde. Wird bei einer ganzjährig gleichbleibend starken Auslastung eines Betriebes die Arbeit nur für kurze Zeiten erheblich reduziert, wäre das Kriterium nicht erfüllt.
Festzuhalten ist weiter, dass für die „erheblich verstärkte Arbeit“ nicht auf Umsatzsteigerungen, Überstundenleistungen oa, sondern auf einen für gewisse Zeit erforderlichen erhöhten Personalstand abzustellen ist, weil nur dieser sowohl § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB (erhöhte Flexibilität bei Kündigung eines Arbeitsverhältnisses) als auch § 53 Abs 6 ArbVG (Verzicht auf sechsmonatige Beschäftigung für passives Betriebsratswahlrecht) erklärlich macht. Dass der erhöhte Personalstand dabei nicht auf dem typischen Betriebsrisiko zuzurechnende Ursachen (Konjunkturschwankungen, Wettbewerbsrisiko) zurückzugehen sein darf, ergibt sich daraus, dass diese typischerweise nicht dem Kriterium „regelmäßig zu gewissen Zeiten“ im dargelegten Sinn entsprechen. Hinsichtlich der „Erheblichkeit“ sprechen gute Gründe dafür, in diesem Zusammenhang schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität nicht starr und punktuell auf bestimmte Prozentsätze zu den Beschäftigungsschwankungen abzustellen (die kollektivvertragliche Regelungsbefugnis unterläge sonst letztlich unter Umständen jährlichen Schwankungen und müsste datenmäßig auf ihre Voraussetzungen hin überprüft werden). Eine nähere Erörterung kann aber dahingestellt bleiben, weil die Antragsteller dafür einen Anstieg des Beschäftigtenstandes im Ausmaß von mindestens einem Drittel in zumindest 60 % der einbezogenen Jahre des Untersuchungszeitraums annehmen, womit hier der Erheblichkeitsschwelle jedenfalls entsprochen wird (vgl 8 ObA 83/04w: erheblicher Umfang von Arbeitsbereitschaft).
Das Antragsvorbringen reicht [jedoch] nicht aus, um nach den erörterten Kriterien für die gesamte Branche des Hotel- und Gastgewerbes von einem „Überwiegen der Saisonbetriebe“ ausgehen zu können: Die Antragsteller haben getrennt für den 218Bereich Beherbergung und den Bereich Gastronomie Zahlenmaterial vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass sie als Maß zur Messung der saisonalen Schwankungen für beide Branchen maximale Abweichungen auf Basis der Beschäftigungsdaten der einzelnen Unternehmen (je über fünf Jahre) errechnet haben. Hinsichtlich dieser Maßzahl (maximale Abweichung) wurde Erheblichkeit bei einem Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Beschäftigungsstand eines Jahres von zumindest 33,33 % angenommen. Da der von den Antragstellern vorgetragene Wert sowohl für den Bereich der Hotellerie (bei 14.153 Beherbergungsbetrieben 79,1 % bzw unter Berücksichtigung der Angestellten 77,3 %) als auch für jenen der Gastronomie (bei 34.258 Gastronomiebetrieben 59,8 % bzw unter Berücksichtigung der Angestellten 59,0 %) jeweils eine klare Mehrheit der Betriebe des jeweiligen Bereichs betraf, schadet es nicht, dass von den Antragstellern keine auf die gesamte Branche bezogenen Zahlen vorgelegt wurden, weil auch eine Gesamtbetrachtung zu einer Schwankungsbreite von mehr als einem Drittel bei mehr als der Hälfte der Gesamtanzahl der Betriebe führen würde.
Diese Schwankungsbreite ergibt sich aus dem jeweiligen oberen und unteren Spitzenwert des Beschäftigtenstandes eines Betriebes innerhalb eines Jahres, wie ihn die Antragsteller nach ihrem Vorbringen anhand der monatlichen Beschäftigungsdaten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ermittelt haben. Die Schwankungsbreite sagt damit nur aus, dass es innerhalb eines Jahres zu Unterschieden im Personalstand von mehr als einem Drittel kommt, wie sie sich aus den punktuellen Spitzen der Beschäftigungsdaten ergeben. Daraus geht aber nicht verlässlich hervor, dass der Unterschied saisonbedingt entweder auf ein durch die Art des Betriebs bedingtes Arbeiten „nur zu bestimmten Jahreszeiten“ (§ 53 Abs 6 erster Fall ArbVG) oder auf ein „regelmäßig zu bestimmten Zeiten des Jahres erheblich verstärktes“ Arbeiten (§ 53 Abs 6 zweiter Fall ArbVG) zurückzuführen ist, weil sich eine solche Schwankungsbreite ebenso bei ganzjährig geöffneten und ausgelasteten Betrieben, in denen es nur für kurze Zeiten erheblich reduzierte Arbeit gibt, oder bei nur punktuell erheblich erhöhtem Arbeitsbedarf (tageweise Events oder ähnliches) ergibt. Das Abstellen auf den höchsten und niedrigsten Beschäftigtenstand als Spitzenwert lässt sohin weder erkennen, dass der verstärkte Personalbedarf regelmäßig ein gewisses Dauerelement hat (arg: „für gewisse Zeit“), noch, dass die Zeit des nicht verstärkten Personalbedarfs die beschriebene Normalauslastung eines Betriebs darstellt oder sich sonst zumindest über eine bestimmte Zeit erstreckt. Alleine mit dem Wert, der sich aus den niedrigsten und höchsten Personalständen ergebenden Schwankungsbreite, wird die Arbeit (Personalstand) in den Betrieben hier daher nicht ausreichend als „regelmäßig für einen gewissen Zeitraum“ „erheblich verstärkt“ dargestellt. Derartiges lässt sich auch den von den Antragstellern dargelegten Nächtigungsdaten (Beherbergungsbetriebe) nicht entnehmen, denen überhaupt nur eine Indizwirkung für den schwankenden Personalbedarf im Bereich der Hotellerie zukommen könnte; sie betreffen nach den von den Antragstellern dargelegten Zahlenmaterial aber auch nur den geringeren Teil der gesamten Branche (14.153 Beherbergungsbetriebe vs 34.258 Gastronomiebetriebe), wodurch auch deshalb kein Überwiegen von Saisonbetrieben in der Branche indiziert wäre.
Schließlich wird derartiges auch nicht durch die zitierten Erläuterungen klargestellt, die als Beispiel für Saisonbetriebe an erster Stelle „Tourismusbetriebe“ nennen. Denn zum einen sind „Tourismusbetriebe“ nicht mit Betrieben der Hotellerie und des Gastgewerbes gleichzusetzen (sie können zB auch Betriebe der Freizeitwirtschaft umfassen; andererseits ist zB ein Gaststättenbetrieb nicht unbesehen als Tourismusbetrieb anzusehen). Zum anderen ist zwar bekannt, dass sich im Bereich der Beherbergungsbetriebe insbesondere in Fremdenverkehrsregionen der Sommer- und der Wintertourismus widerspiegelt. Allerdings ist zu bedenken, dass österreichweit gesehen eine Vielzahl von Beherbergungsbetrieben ganzjährig betrieben wird oder nur kurze Zeit geschlossen hat, der Städte-, Konferenz- und Seminartourismus nicht an Jahreszeiten gebunden ist, auch im Fremdenverkehr die Zeiten zwischen den Sommer- und Wintermonaten für die Freizeit- und (Kurz-)Urlaubsgestaltung massiv beworben und attraktiviert werden, Kur- und Thermenhotels inzwischen in der Regel ganzjährige Auslastungen aufweisen udgl, sodass schon im Bereich der Hotellerie nicht landläufig von einem Überwiegen der Anzahl an Saisonbetrieben ausgegangen werden kann.
Der Branchenbezugsrahmen für das Überwiegen von Saisonbetrieben beschränkt sich überdies nicht auf die Beherbergung, sondern umfasst auch die Gastronomie. Da zahllose Restaurants, Gaststätten, Kaffeehäuser, Wein- oder Bierlokale, Imbissstuben, Betriebskantinen etc unabhängig von den Jahreszeiten betrieben werden und insbesondere außerhalb von Fremdenverkehrsregionen auch noch keine „gewissen Zeiten mit erheblich verstärkter Arbeit“ im dargelegten Sinn erkennen lassen, kann für die Gastronomie umso weniger von einem Überwiegen der Saisonbetriebe ausgegangen werden. Berücksichtigt man überdies, dass der Fachverband der Gastronomie insgesamt rund 60.000 Gastronomiebetriebe vertreten dürfte (https://www.wko.at/branchen/tourismus-freizeitwirtschaft/gastronomie/ start.html?shorturl=gastronomieverband.athttps://www.wko.at/branchen/tourismus-freizeitwirtschaft/gastronomie/ start.html?shorturl=gastronomieverband.at, Abruf 24.3.2022) und dass sich die hier präsentierten Unternehmenszahlen nur auf Betriebe mit unselbständig Beschäftigten beziehen, hätten Saisonbetriebe mit den dargelegten erhöhten Personalstanderfordernissen noch einen wesentlich geringeren Anteil an der Gastronomie innerhalb der Branche. Damit ist aber mit dem dargelegten Datenmaterial für die Branche Hotellerie und 219Gastgewerbe in einer Gesamtbetrachtung insgesamt kein Überwiegen von Saisonbetrieben iSd § 1159 ABGB erwiesen.
Da der von den Antragstellern dargelegte Sachverhalt sohin zusammenfassend noch nicht den Schluss zulässt, dass in der vom bundesweiten Geltungsbereich des vorliegenden Kollektiv-vertrags erfassten Branche des Hotel- und Gastgewerbes iSd § 1159 ABGB Saisonbetriebe überwiegen und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die kollektivvertragliche Ermächtigung erfüllt wären, ist ihr Antrag abzuweisen.
„Wer viel fragt, geht viel irr“ lautet ein altes Sprichwort. Wer, wie die beiden Fachverbände der Wirtschaftskammer Österreich, einen mehrere Rechtsfragen implizierenden Feststellungsantrag bejaht haben möchte, muss mit zumindest teilweisem „irr gehen“ rechnen.
Dabei hätte der OGH die erste Frage bzw „Vorfrage“ der Geltung bereits bestehender Kollektivvertragsregelung(en) unter Umständen mit einem „nicht (verfahrens-)gegenständlich“ dahingestellt bleiben lassen können. Denn es findet sich zwar der am 1.10.2021 bereits bestehende (seit dem letzten Kollektivvertragsabschluss des Kündigungsparagrafen per 1.5.2019) KollV für Arbeiter:innen im Hotel- und Gastgewerbe in der Antragsformulierung, aber gefragt (materielles Feststellungsinteresse) hatten die beiden Fachverbände wohl (nur) nach „Saisonbranche oder nicht“. Weil es jedoch gem § 54 ASGG und dem subsidiär zu beachtenden § 228 ZPO (Feststellungsklage) dem Gericht nicht verboten ist, auch über Vorfragen abzusprechen, tat dies der OGH hier im ersten Teil der Entscheidung. Und zwar mit einem Ergebnis, dass er die Einwände der Antragsgegnerin ÖGB abweist: Auch bereits bestehende Kollektivverträge sind solche, die von der Neufassung des § 1159 ABGB erfasst sind; hier allerdings nur dann, wenn die Tatsachenüberprüfung (Sachverhaltsfeststellung[en]) zum Ergebnis führt, dass sich der Geltungsbereich des KollV auf eine Saisonbranche erstreckt. Für die in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen immer wieder relevierte Frage, ob Regelungen in „Alt-Kollektivverträgen“ (oder uU auch in „Alt-Betriebsvereinbarungen“) trotz abweichender neuer Gesetzeslage weiterhin gelten und anzuwenden sind, wird mit dem vorliegenden OGH-Beschluss jedoch „ständige Judikatur“ etabliert. Der OGH nimmt vor allem Bezug auf seine bis dahin noch als „vereinzelt“ zu wertende Entscheidung vom 29.5.2013 (9 ObA 17/13k), wo es um abweichende Alt-Kollektivvertragsregelungen zu Mehrarbeitszuschlägen ging. Die Entscheidungsbegründung entgegen der überwiegenden Lehre (sich vor allem bloß auf eine vereinzelte Lehrmeinung stützend) war mE schon damals nicht überzeugend, als formuliert wurde „es müsse den Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit vorbehalten bleiben, auf ein verändertes gesetzliches Umfeld zu reagieren“. Denn reagieren kann doch nur ein verschriftlichter und kundgemachter Kollektivvertragsparteien-Konsens, der auf der beiderseitigen rechtsgeschäftlichen Willens- und Bewusstseinsbasis einer Regelungsabsicht „trotz veränderter Gesetzeslage“ oder „wegen veränderter Gesetzeslage“ beruht. Wie dem auch sei, eine „materielle Derogation“ der betroffenen Kollektivvertragsregelung durch „überholendes“ Gesetz wird in Hinkunft wohl kaum noch judiziert werden, diese Vorfrage hat das Höchstgericht ohne zwingenden Entscheidungskonnex geklärt.
Somit kommen wir zum zweiten bzw „eigentlichen“ Teil des Feststellungbeschlusses, zur Frage nämlich, ob Gastronomie und/oder Hotellerie Branchen sind, in denen Saisonbetriebe überwiegen und wo daher zu bestimmten Jahreszeiten erheblich verstärkt gearbeitet wird (weil das dann die wohl vom oben erwähnten Abänderungsantrag im Nationalrat intendierte verfassungsrechtlich zulässige Differenzierung rechtfertigen würde, dass in derartigen Wirtschaftszweigen ein rascheres hire and fire – oder bei AN-Selbstkündigung: hired and quitting – ermöglicht wird).
Sehr ausführlich – und bei einigen Fragestellungen erstmals – setzt sich der OGH mit dem Begriff der „Branche“, der „Saisonbranche“, des „Überwiegens“ und anderen strittigen Rechtsbegriffen auseinander. Das Höchstgericht trifft zu diesen umstrittenen Passagen des Gesetzeswortlauts diffizile Feststellungen, die wohl über die gegenständliche Entscheidung hinaus Gültigkeit haben werden.
Den Antragstellern, kollektivvertragsfähigen gesetzlichen Interessenvertretungen gem § 4 Abs 1 ArbVG, ist aber, wie es öfters bei § 54 ASGG-Anträgen der Fall ist, zum Verhängnis geworden, dass Gerichte zwar grundsätzlich über konkretisierte, spezifizierte und letztlich in einem Beweisverfahren klargestellte („festgestellte“) Leistungsstreitigkeiten abzusprechen haben, jedoch bei Feststellungsverfahren und noch mehr bei „Test-Verfahren“ eine gewisse judizielle Skepsis immer wieder zu bemerken ist. Immerhin hat es jeder legitimierte Antragsteller (BR, Zentral-BR [ZBR] oder eben Kollektivvertragspartei) in der Hand, den zu beurteilenden Sachverhalt auf eine ihm genehme Weise hinzutrimmen; dem Gericht ist es nach § 54 Abs 4 ASGG verwehrt, mittels Beweisaufnahme hier Richtigstellungen vorzunehmen (Ausnahmen uU bei „notorischer“ Abweichung des Vorgebrachten von den Fakten – siehe sogleich unten). Das war hier wohl auch versucht worden, indem mit großen Zahlen – mehr als 14.000 Beherbergungsbetriebe, mehr als 34.000 Gastronomiebetriebe – Eindruck gemacht werden sollte. Amtswegig – oder 220über Anregung des Antragsgegners (ÖGB) – hatte der OGH aber, wie aus den letzten Absätzen der obigen „Originalzitate“ ersichtlich, die Website der WKO als Beweismittel eingesehen, und dort waren mehr als 60.000 Gastronomiebetriebe ausgewiesen. Mit den „ihnen genehmen“ ca 34.000 Gastronomiebetrieben, in denen saisonale Personalstandsschwankungen von mindestens einem Drittel Schwankungsbreite bestünden, hatten die Antragsteller dem Höchstgericht also eine wesentliche Gesamtanzahl vorenthalten. Dieses „Verschleiern der Gesamtverhältnisse“ war neben der mE grundsätzlich zu beobachtenden richterlichen Skepsis gegenüber Testverfahren wohl ausschlaggebend für das Verfahrensergebnis.
Weil die erst im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess (per Abänderungsantrag) erreichte Ausnahmemöglichkeit für Saisonbetriebe nicht nur politisch, sondern mangels Klarheit und Rechtssicherheit auch juridisch höchst umstritten ist, sei zur Bedeutung der vorliegenden E für künftige, reale (beweisbare) Beendigungsstreitigkeiten aus einem Kommentar zum ASGG zitiert: „Die Bindungswirkung der Entscheidungen erstreckt sich ausschließlich auf die Verfahrensparteien und ihre Rechtsnachfolger; die Hemmung von Fristen (§ 54 Abs 5) soll lediglich faktisch helfen, überflüssige Individual(leistungs)streitigkeiten zu vermeiden. […] Das abstrakte Feststellungsverfahren nach Abs 2 provoziert allerdings durch Antrag und ‚Gegenantrag‘ auch unerfreuliche ‚Pattsituationen‘. Da das Feststellungsverfahren keinen Exekutionstitel schafft, bleibt die weitere gerichtliche Auseinandersetzung mit einem nicht kooperativen [nicht einsichtigen] Beklagten nicht erspart.“ (Neumayr in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 54 ASGG Rz 4, 6 und 31).