8Krankenstandsbedingte Kündigung bei „nicht negativer“ Zukunftsprognose
Krankenstandsbedingte Kündigung bei „nicht negativer“ Zukunftsprognose
Für die vierjährige Wartefrist zum Erwerb des besonderen Kündigungsschutzes begünstigter Behinderter gem § 8 Abs 6 lit b BEinstG sind Zeiten als überlassene Arbeitskraft nicht mit den unmittelbaren Dienstzeiten im Betrieb zusammenzurechnen.
Eine an sich sozialwidrige Kündigung, die mit erhöhten Krankenständen begründet wird, kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten künftige leidensbedingte Krankenstände nicht erwarten lassen, die Tätigkeit mit dem Leistungskalkül vereinbar ist und daher objektiv keine negative Zukunftsprognose vorliegt, da für die Frage des Vorliegens von „Umständen, die in der Person des AN gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren“ weitere Umstände für die Beurteilung der personenbezogenen Gründe herangezogen werden können.
Die Kl war von 21.9.2015 bis 30.12.2016 bei einem Personalbereitstellungsunternehmen beschäftigt und über dieses als Leasingarbeiterin in einer Zweigniederlassung der Bekl tätig. Ab 1.1.2017 war sie bei der Bekl fix angestellt (Fertigungsmitarbeiterin Montage). Vor Unterzeichnung des Dienstvertrags hatte sie offengelegt, dass sie vom Bundessozialamt aufgrund einer Bandscheibenoperation und Taubheit auf dem rechten Ohr als zu 60 % behindert eingestuft war. Mit Schreiben vom 28.2.2020 wurde das Dienstverhältnis der Kl zum 30.4.2020 gekündigt. Dass die Kündigung wesentliche Interessen der Kl beeinträchtigt, ist im Revisionsverfahren nicht weiter strittig.
Die Bekl bestritt und beantragte Klagsabweisung, zusammengefasst mit der Begründung, dass die Kl von Anfang an massive Krankenstände gehabt habe und immer wieder ausgefallen sei. Für sie sei vorübergehend ein Schonarbeitsplatz eingerichtet worden. Ein dauerhafter Einsatz darauf sei nicht möglich gewesen, weil alle Mitarbeiter der Montagelinie regelmäßig auf einen solchen Schonarbeitsplatz rotieren können müssen, um sich zu regenerieren. Der Gesundheitszustand der Kl habe sich über den Sommer 2018 zunehmend verschlechtert. Der Unmut im Team sei weiter gestiegen, da die Kl den Schonarbeitsplatz besetzt habe. Es habe kein adäquater, dem Gesundheitszustand und der Qualifikation der Kl entsprechender Arbeitsplatz gefunden werden können. Mitte/Ende Oktober 2018 bis zur verschriebenen dreiwöchigen Kur der Kl sei sie immer nur tageweise krankgeschrieben worden, was für die Einsatzplanung und das gesamte Team nicht tragbar gewesen sei. Deshalb sei mit ihr am 13.11.2018 vereinbart worden, dass sie vorzeitig in einen dauerhaften bezahlten Krankenstand gehe bis zu ihrer vollständigen Genesung nach der für Frühjahr geplanten Operation. Letztendlich sei der Operationstermin erst für den 26.8.2019 fixiert und im August 2019 abgesagt worden. Am 29.10.2019 habe die Kl in einem Gespräch mit der Betriebsärztin und der Personalleitung mitgeteilt, dass sie arbeitsfähig sei und nunmehr auch Physiotherapie mache und Infiltrationen erhalte. Eine Rückkehr in den ursprünglichen Arbeitsplatz als Fertigungsmitarbeiterin sei von der Betriebsärztin der Bekl jedoch als sehr risikoreich eingestuft worden, sie habe von einem Einsatz in diesem Job abgeraten. Ein neuer Schonarbeitsplatz habe auch im Oktober/November 2019 nicht gefunden werden können. Es habe sich lediglich vorübergehend ein Projekt von sechs Monaten zur Etikettierung von Leergutbehältern ergeben. Es gebe bei der Bekl keinen Arbeitsplatz, der für die Kl langfristig geeignet wäre, da für sie auch geringste Belastungen gefährlich seien. Es seien weitere Krankenstände zu erwarten gewesen, im schlimmsten Fall seien Lähmungserscheinungen nicht auszuschließen. Es sei davon auszugehen, dass es auch in Zukunft bei der Kl zu namhaften Krankenständen komme.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach dem auf den S 6 bis 18 des Ersturteils im Detail näher festgestellten Sachverhalt hatte die Kl im Jahr 2017 25, im Jahr 2018 74 und im Jahr 2019 313 Krankenstandstage. Aufgrund der Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands war sie ab Jänner 2018 auf einem Schonarbeitsplatz eingesetzt, was zu Unmut bei den restlichen Teammitgliedern führte, weil sie nicht mehr die Möglichkeit hatten, durch eine Schicht auf jenem Platz entlastet zu werden. Eine wegen der Diagnose Spinalkanalstenose für Jänner 2019 geplante Operation der Kl 61 wurde nach einem Klinikwechsel verschoben und letztlich zugunsten einer konservativen Therapie (Infiltrationen) abgesagt. Nach ihrer Entlassung im September 2019 war die Kl den behandelnden Ärzten nach wieder arbeitsfähig. Der Betriebsärztin der Bekl lag jedoch ein Attest des Hausarztes der Kl vom September 2019 vor, wonach es der Kl besser ging, ein Einsatz in der Fertigung aber nicht mehr in Frage kommt und die maximale Traglast nur mehr 10 kg betragen darf. Die Betriebsärztin teilte der Personalleiterin mit, dass die Infiltration, die Physiotherapie und der Sport zwar die Symptome bekämpfen, jedoch nicht die Ursache beheben. Die Kl erklärte der Personalleiterin, dass es ihr besser gehe und sie wieder arbeiten möchte. Die Personalleiterin ging aufgrund der Angaben der Betriebsärztin jedoch nicht von einer nachhaltigen Verbesserung des Gesundheitszustands der Kl, sondern von einer möglichen Verschlechterung mit wieder vermehrten und unplanbaren Krankenständen aus, sobald die Kl wieder auf ihrem alten Arbeitsplatz eingesetzt werde. Ab November wurde die Kl im Rahmen einer Wiedereingliederungsteilzeit mit 50 % auf einem mit sechs Monate befristeten Projektarbeitsplatz beschäftigt. Andere Arbeitsplätze, die sowohl dem Leistungskalkül als auch der beruflichen Qualifikation der Kl entsprechen, waren besetzt.
Tatsächlich waren zu keinem Zeitpunkt Lähmungserscheinungen bei der Kl zu befürchten, wenn sie weiterhin auf der Montagelinie eingesetzt worden wäre. Nach den (im Einzelnen festgestellten) Leiden der Kl ist unter einer konsequenten konservativen Therapie (Muskelkräftigung und -lockerung, Einhaltung von Verhaltensmaßnahmen, physiotherapeutische Selbstbeübung) von einem weiterhin kontrollierbaren Funktionszustand der Wirbelsäule auszugehen. Künftige leidensbedingte Krankenstände sind nicht zu erwarten. Das Anforderungsprofil der Tätigkeit in der Montagelinie ist mit dem medizinischen Leistungskalkül der Kl vereinbar (im Verfahren eingeholte medizinische und berufskundige Sachverständigengutachten).
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. Es ließ die ordentliche Revision zu den Fragen zu, ob sich die allseitige Prüfpflicht des Berufungsgerichts hier auch darauf erstrecken konnte, ob Zeiten eines Leasingverhältnisses und daran anschließenden Dienstverhältnisses im Anwendungsbereich des § 8 Abs 6 lit b BEinstG zusammenzurechnen seien. Auch sei eine Klarstellung geboten, ob das Risiko einer Widerlegung der vom AG zum Konkretisierungszeitpunkt anzustellenden Prognose im Gerichtsverfahren selbst in einem Fall wie dem gegenständlichen den AG treffe. [...]
1. Die Kl macht geltend, dass die Zeiten, die sie als überlassene Arbeitskraft iSd AÜG bei der Bekl verbracht habe, mit jenen ihrer Anstellung bei der Bekl zusammenzurechnen seien. Die Vorinstanzen hätten danach zum Schluss gelangen müssen, dass sie als begünstigte Behinderte dem besonderen Kündigungsschutz des § 8 BEinstG unterliege. Eine Zustimmung des Behindertenausschusses habe nicht vorgelegen. Bei entsprechender Erörterung durch das Erstgericht hätte sie die Kündigungsanfechtung parallel (hilfsweise) auch auf § 8 BEinStG gestützt.
Dem ist nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung nicht zu folgen:
Gem § 8 Abs 6 lit b BEinstG finden die Abs 2 bis 4 auf das Dienstverhältnis keine Anwendung, wenn das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht länger als vier Jahre bestanden hat, es sei denn, die Feststellung der Begünstigteneigenschaft erfolgt innerhalb dieses Zeitraums, wobei während der ersten sechs Monate nur die Feststellung der Begünstigteneigenschaft infolge eines Arbeitsunfalls diese Rechtsfolge auslöst, oder es erfolgt ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb eines Konzerns.
Unstrittig hatte das Dienstverhältnis der Kl zur Bekl im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht länger als vier Jahre bestanden. In der Zeit, in der die Kl bei der Bekl als überlassene Arbeitskraft iSd AÜG tätig war, stand sie als solche in keinem Dienstverhältnis zur Bekl. Nach der gesetzlichen Regelung kommt eine Ausnahme allenfalls bei einem Arbeitsplatzwechsel innerhalb eines Konzerns in Betracht. Der Rechtsansicht der Kl ist danach schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 8 Abs 6 BEinstG nicht zu folgen. Anderes ergibt sich auch nicht aus der generellen Zielsetzung des Behinderteneinstellungsgesetzes nach erhöhtem Kündigungsschutz von begünstigten Behinderten, weil dieser durch § 8 Abs 6 BEinstG bewusst beschränkt wurde, um für AG den Anreiz zu verstärken, Menschen mit Behinderung auf dem offenen Arbeitsmarkt zu beschäftigen und allfälligen Einstellhemmnissen entgegenzuwirken (vgl ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 179 zum BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111). Dieser Gesetzeszweck würde durch die von der Kl favorisierte Zusammenrechnung unterlaufen. Aus den von ihr zitierten Bestimmungen der §§ 6 und 6a AÜG (AN-Schutz und Diskriminierungsverbot durch den Beschäftiger) ist für sie hier schon deshalb nichts zu gewinnen, weil die Bekl zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr Normadressat des AÜG war.
[...]
2.2. Im vorliegenden Fall wurde infolge der im Verfahren eingeholten medizinischen und berufskundlichen Sachverständigengutachten festgestellt, dass bei der Kl unter einer konsequenten konservativen Therapie (Muskelkräftigung und -lockerung, Einhaltung von Verhaltensmaßnahmen, physiotherapeutische Selbstbeübung) von einem weiterhin kontrollierbaren Funktionszustand der Wirbelsäule auszugehen sei, künftige leidensbedingte Krankenstände nicht zu erwarten seien und das Anforderungsprofil der Tätigkeit in der Montagelinie mit dem medizinischen Leistungskalkül vereinbar sei. Für den Fall, dass dieser Zustand schon jenem zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (RS0051772) entsprach – was dem Sachverhalt nicht mit Sicherheit zu entnehmen ist –, ist es zwar richtig, dass damit objektiv noch keine negative Zukunftsprognose für die Arbeitsfähigkeit der Kl erwiesen wäre. Das ist hier aber nicht ausschlaggebend. Denn anders als etwa in den den Entscheidungen 9 ObA 153/17s, 9 ObA 70/18m, 8 ObA 68/18kund 9 ObA 53/20i62 (9 ObA 68/20w) zugrunde liegenden Sachverhalten geht es hier nicht um die nachträgliche Prüfung und Objektivierung, ob der für eine Kündigung erforderliche gesetzliche Tatbestand einer „Dienstunfähigkeit“ (§ 42 Abs 2 Z 2 VBO: „für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet“) verwirklicht ist, sondern um die Frage des Vorliegens von „Umständen, die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die die betrieblichen Interessen nachteilig berühren“, womit im Rahmen des § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG schon von Gesetzes wegen weitere Umstände des Falls für die Beurteilung der personenbezogenen Gründe herangezogen werden können.
Hier hat die Bekl die bisherigen massiven Krankenstände der Kl, die Unplanbarkeit der Schichten und den Unmut der anderen Mitarbeiter über die Besetzung eines „Schonarbeitsplatzes“ durch die Kl sowie auch und vor allem ins Treffen geführt, dass sie nach der Chronologie des Behandlungsverlaufs der Kl (Kur, verschobene und letztlich abgesagte Operation zugunsten konservativer, nur symptombekämpfender Therapien) und nach Auskunft der Betriebsärztin den Einsatz der Kl in der Montage als zu großes Gesundheitsrisiko einstufte. Dieser Einschätzung lag im vorliegenden Fall ein hausärztliches Attest zugrunde, das die Kl selbst der Betriebsärztin vorgelegt hatte und aus dem hervorgegangen war, dass ein Einsatz der Kl in der Fertigung (Montage) aus medizinischer Sicht nicht mehr in Frage komme. Die Erklärung der Kl, dass es ihr besser gehe und sie wieder arbeiten möchte, musste nicht als Widerspruch dazu wahrgenommen werden, weil die (zB aus Sorge um den Arbeitsplatz allzu günstige) Selbsteinschätzung eines AN über seine Arbeitskraft objektiv nicht immer mit einer nachhaltigen Verbesserung seines Gesundheitszustands korreliert. Wäre die Bekl entgegen den Beurteilungen der Haus- und der Betriebsärztin der Einschätzung der Kl gefolgt, hätte sie sich im Fall einer Verschlechterung des Gesundheitszustands der Kl dem Vorwurf massiver Verletzungen ihrer AN-Schutz- und Fürsorgepflichten ausgesetzt. Die medizinische Einschätzung des Hausarztes relativierende oder widerlegende Atteste oder sonstige Unterlagen hat die Kl nicht vorgelegt. Vielmehr hatte sie bereits im Oktober 2018 über ein Schreiben der Bekl, mit dem diese beim behandelnden Arzt Informationen zu ihrem Gesundheitszustand und seine Vereinbarkeit mit der Tätigkeit in jener Montagelinie einholen wollte, die gewünschten Informationen nicht bekannt gegeben und im Verfahren auch den behandelnden Facharzt von seiner Verschwiegenheitspflicht nicht entbunden. Zurückgehend auf die von der Kl vorgelegten Informationen (hausärztliches Attest) konnte ein verständiger und sorgfältiger AG bei objektiver Betrachtung daher nur annehmen, dass die Kl in jener Montagelinie nicht mehr eingesetzt werden durfte.
2.3. Dass die Bekl über zwei Jahre intensive Bemühungen an den Tag gelegt hatte, ihre sozialen Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen und einen dem Gesundheitszustand der Kl entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, steht nicht in Frage.
[...]
Mit dieser E beantwortet der OGH gleich zwei vom Berufungsgericht aufgeworfene Fragestellungen, wobei es durchaus auch Argumente gegeben hätte, zu anderen Lösungen zu kommen. Zum einen gab er der Interpretation nach dem „klaren Gesetzeswortlaut“ den Vorzug gegenüber dem zumindest einer anwendbaren Norm immanenten Schutzzweck. Zum anderen sah er trotz objektiv feststehender „nicht negativer“ Zukunftsprognose zum Kündigungszeitpunkt „weitere Umstände“ als verwirklicht an, die letztlich ein Überwiegen personenbezogener Kündigungsgründe bewirkten.
Der OGH lehnt eine Zusammenrechnung von Überlassungszeiten mit unmittelbaren Dienstzeiten bei (vormaligen) Beschäftigern ab, indem er auf die bewusste Beschränkung der Kündigungsschutzbestimmung des BEinstG durch den Gesetzgeber verweist, der auf diese Weise Einstellhemmnissen von Menschen mit Behinderungen entgegenwirken wollte. Dieser Gesetzeszweck würde ein ausschließliches Abstellen auf das BEinstG gebieten und eine Berücksichtigung der Schutzzwecke des AÜG verbieten, zumal die Bekl ja zum Kündigungszeitpunkt auch gar nicht mehr Normadressatin des AÜG gewesen wäre. Diese Wertung kann sicher nicht als „falsch“ bezeichnet werden. Dennoch hätte sich der Gerichtshof mit guten Gründen auch für die Beachtung und Berücksichtigung der Schutzzwecke des AÜG durch Analogie oder verfassungskonforme Interpretation entscheiden können. Immerhin handelt es sich problembezogen um einen zusammenzuschauenden Überlassungssachverhalt und bringt das AÜG seine Schutzorientierung auch ganz explizit zum Ausdruck (ua in §§ 2 und 6). In dieser Hinsicht wurde die E bereits von Mazal (ecolex 2022/443) kritisch glossiert, der zurecht darauf hinwies, dass durch Vorschaltung eines Überlassungsverhältnisses vor Übernahme in das Arbeitsverhältnis die vierjährige Nichtanwendungsphase de facto nahezu verdoppelt werden könnte, was weder dem AÜG, aber auch nicht dem Gesetzeszweck des BEinstG entsprechen könne.
Der zweiten vom Berufungsgericht gestellten Frage wurde in der E bedeutend mehr Raum gegeben. Dies mag auch daran gelegen sein, dass der nach Gutachtenseinholung in erster Instanz festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den Gesundheitszustand der Kl eigentlich eine positive Zukunftsprognose zum Kündigungszeitpunkt annehmen ließ, was bislang für den OGH ausreichte, um einen personenbezogenen Kündigungsgrund abschließend zu verneinen. Der Gerichtshof wollte aber offenbar die Bemühungen der Bekl um Auffindung eines alternativen Arbeitsplatzes honorieren und ging 63 unter Einbeziehung „weiterer Umstände“ in Summe doch vom Vorliegen ausreichender, die Kündigung rechtfertigender personenbezogener Gründe aus.
Der aufgrund medizinischer und berufskundlicher Sachverständigengutachten festgestellte Sachverhalt ließ künftige leidensbedingte Krankenstände ausdrücklich nicht erwarten, wobei das Anforderungsprofil der Tätigkeit in der Montagelinie mit dem Leistungskalkül der Kl explizit als vereinbar betrachtet wurde. Damit wäre aber nach der in der E selbst zitierten Rsp gerade nicht von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen, zumal eine solche „bei objektiver Betrachtung Krankenstände in erhöhtem Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft erwarten“
lassen muss. Das Risiko der Bekl, dass sich der von ihr angenommene personenbezogene Kündigungsgrund im gerichtlichen Verfahren als nicht berechtigt erweist, hätte sich eigentlich verwirklicht. Konsequenterweise folgert der OGH auch, dass „damit objektiv noch keine negative Zukunftsprognose für die Arbeitsfähigkeit der Klägerin erwiesen wäre“
, relativiert diese Erkenntnis jedoch sogleich, indem er dieses Ergebnis nur für den Fall gelten lässt, dass dieser Zustand schon jenem zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprach, was jedoch „dem Sachverhalt nicht mit Sicherheit zu entnehmen“
gewesen wäre. Diesem eher beiläufig erwähnten Hinweis auf die unsicher scheinende Sachverhaltsgrundlage lässt der Gerichtshof zwei weitere Argumente zur Rechtfertigung folgen, warum er letztlich doch nicht die eigentlich vorliegende positive Zukunftsprognose als kündigungsgrundvernichtendes Kriterium heranzieht
Der Umstand, dass „damit objektiv noch keine negative Zukunftsprognose erwiesen wäre“ wird vom OGH sogleich als „hier aber nicht ausschlaggebend“ relativiert. Er weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall ja nicht der gesetzliche Tatbestand der „Dienstunfähigkeit“ (so zB nach § 42 Abs 2 Z 2 VBO) zu prüfen ist, den der Gerichtshof regelmäßig einer Ex-post-Betrachtung unterzieht, sondern es zusätzlich auch ganz allgemein um die Frage des Vorliegens weiterer personenbezogener Umstände iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG geht. Durch diese betonte Abgrenzung zu seiner Judikatur der Expost- Betrachtung der „Dienstunfähigkeit“ im öffentlichen Dienstrecht (darstellend Eypeltauer in ecolex 2019, 898; kritisierend Marhold-Weinmeier in ASoK 2018, 248), die aber hier gar nicht zu beachten ist, kommt der OGH bewusst auf den Sachverhalt zurück, dem seinem Bekunden nach „nicht mit Sicherheit zu entnehmen“ war, ob der an sich eine positive Prognose indizierende Gesundheitszustand der Kl bereits zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorlag. Da insofern nicht gänzlich auszuschließen wäre, dass sich die positive Prognose erst nach dem Kündigungszeitpunkt während des Verfahrens erwiesen hat und eine Exante- Prüfung somit negativ gewesen wäre, gestand er der Bekl gleichsam „hilfsweise“ zu, auch noch weitere Umstände, die in der Person der Kl gelegen waren, berücksichtigt zu wissen.
In dieser Hinsicht wurden von der Bekl zunächst die „bisherigen massiven Krankenstände der Kl, die Unplanbarkeit der Schichten und der Unmut der anderen Mitarbeiter über die Besetzung eines Schonarbeitsplatzes durch die Kl“ ins Treffen geführt. Der OGH ging aber nur darauf ein, dass der Behandlungsverlauf der Kl und die Einschätzung der Betriebsärztin einen Einsatz der Kl an ihrem angestammten Arbeitsplatz (Montagelinie) für die Bekl als zu riskant erscheinen ließ. Zudem basierte die betriebsärztliche Einschätzung auf einem von der Kl vorgelegten hausärztlichen Attest. Insb aufgrund dieses zuletzt genannten Umstands attestierte er der Bekl, dass diese als „verständige und sorgfältige“ AG bei objektiver Betrachtung nur annehmen konnte, dass die Kl in der Montagelinie nicht mehr eingesetzt werden durfte. Mit dieser Argumentation überwindet der OGH gleichsam seine kurz deponierten dogmatischen Bedenken, von keiner sich aus dem Sachverhalt ergebenden negativen Zukunftsprognose ausgehen zu können, aber dennoch einen Kündigungsgrund anzunehmen. Damit äußert er einerseits, dass die Zukunftsprognose bezüglich der Prüfung personenbezogener Kündigungsgründe nicht „alles“ ist, sondern auch „weitere Umstände des Falls“ für diese Beurteilung herangezogen werden können (Anm: zu OGH 25.11.2021, 9 ObA 117/21b, reichte eine nach operativer Leidensbehebung anzunehmende positive Prognose allerdings alleine aus, einen personenbezogenen Kündigungsgrund zu verneinen). Andererseits erklärt er aber auch die anfangs für „noch nicht negativ“ befundene Zukunftsprognose damit definitiv und in toto für negativ.
Mit ausschlaggebend dafür, dass mit der E personenbezogene, die betrieblichen Interessen nachteilig berührende Gründe als erfüllt angesehen wurden, war nicht zuletzt auch das Verhalten der Kl.
Der Kl wurde durchaus angekreidet, dass sie die Einschätzung ihres Hausarztes, relativierende oder widerlegende Atteste oder sonstige Unterlagen nicht vorgelegt hat und auch Ersuchen der Bekl um Informationen über ihren Gesundheitszustand unbeantwortet ließ sowie ihren behandelnden Facharzt im Verfahren nicht von der Verschwiegenheitspflicht entband. Insofern rekurrierte der OGH auf von ihm anerkannte Mitwirkungs- und Informationserteilungsobliegenheiten von AN, die krankenstandsbedingte Kündigungen anfechten (zB OGH 27.2.2018, 9 ObA 137/17p). 64 Der Bekl gereichte es umgekehrt zum Vorteil, dass ihr oberstgerichtlich attestiert wurde, dass sie über zwei Jahre intensive Bemühungen an den Tag gelegt hatte, ihre sozialen Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen und einen dem Gesundheitszustand der Kl entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Eineinhalb Jahre vor Kündigungsausspruch versuchte sie bereits, von der Bekl Informationen über ihren Gesundheitszustand und dessen Vereinbarkeit mit der Tätigkeit in der Montagelinie einzuholen. Durch die Betonung des Bemühens der Bekl unterstreicht der OGH gleichzeitig aber auch, dass er weiterhin das Bestehen einer sozialen Gestaltungspflicht auch bei personenbezogenen, insb krankenstandsbedingten Kündigungsgründen anerkennt (dazu grundlegend Kollros, ecolex 2010, 177; kritisch Egermann/Ziembicka, ecolex 2019, 1060).
Im Ergebnis wird man der E zustimmen können, wenngleich durchaus in dogmatischer Hinsicht Kritik geübt werden darf. Im Punkt der Ausklammerung einer vorgeschalteten Überlassung vom Zeitraum der Nichtanwendbarkeit des Kündigungsschutzes nach dem BEinstG wählt der OGH durch den Vorzug der Wortinterpretation gegenüber der Analogie den „einfacheren“ Weg. Im Punkt der Zukunftsprognose bei langen Krankenständen nimmt er einen personenbezogenen Kündigungsgrund trotz nicht eindeutigen Vorliegens einer negativen Zukunftsprognose dadurch an, dass aufgrund der seitens der Kl selbst erteilten Informationen zu ihrem Gesundheitszustand die um ihre soziale Gestaltungspflicht bemühte Bekl „weitere Umstände“ für die Beurteilung personenbezogener Gründe heranziehen durfte. Unklar ist, ob dadurch bereits eine valide negative Zukunftsprognose hergestellt wurde oder aber letztlich in Summe überwiegende personenbezogene Umstände iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG verwirklicht wurden.