Von persönlicher Abhängigkeit zur Arbeit der besonderen Art – Der häusliche Dienst vor dem VwGH (ca 1900 bis 1934)
Von persönlicher Abhängigkeit zur Arbeit der besonderen Art – Der häusliche Dienst vor dem VwGH (ca 1900 bis 1934)
Nach den durchgesetzten Imaginationen geschlechtsspezifischer Eigenschaften und Fähigkeiten erschienen Frauen wie geschaffen für Haushalt und Kindererziehung, Männer hingegen als prädestiniert für die „harsche“ Außenwelt von Wirtschaft und Politik. Vor diesem Hintergrund galt der Dienst im fremden Haushalt als genuin weibliche Tätigkeit.
Die meisten Bediensteten waren jung und aus ländlichen Regionen zugewandert. Aus ihrer Perspektive war der Dienst im fremden Haushalt häufig eine der wenigen Möglichkeiten, sich ein Auskommen zu erwirtschaften. Zugang zu Lehrberufen hatten diese Frauen aus ärmlichen Verhältnissen kaum: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen Buben 136, Mädchen aber lediglich 14 Lehrberufe offen.* Wenn überhaupt, ermöglichten deren Familien eher Buben eine Ausbildung, während Mädchen bereits früh zur Arbeit in Heim und Wirtschaft angehalten wurden oder durch einen Verdienst außerhalb des Elternhauses zum Haushaltseinkommen beitragen mussten. Obwohl sich Frauen bereits um die Jahrhundertwende Zugang zu neuen Branchen erschlossen und während des Ersten Weltkriegs die eingerückten Männer in allen Bereichen des Arbeitsmarkts ersetzten, änderte sich an ihrer Benachteiligung wenig. Sie erhielten deutlich weniger Lohn als Männer und blieben überdurchschnittlich häufig auf Hilfsarbeiter*innenpositionen verwiesen.*
Die Diskriminierung von Frauen setzte sich nach Kriegsende in den entstehenden sozialstaatlichen Sicherungssystemen fort. Ansprüche aus der 1920 eingeführten AlV und Leistungen der Notstandshilfe wurden Frauen mit Verweis auf ihre angebliche Versorgung im Haushalt eher als Männern vorenthalten, während Arbeitsämter erwerbslose Proletarierinnen unter Druck setzten, als Hausgehilfinnen in Stellung zu gehen.* Ungeachtet der oft verlangten Erfahrung galt der häusliche Dienst aber nicht nur als unqualifizierte Tätigkeit, sondern war von vornherein von der AlV ausgenommen worden. Da die meisten der häuslich Bediensteten mit den DG unter einem Dach lebten, waren sie potentiell rund um die Uhr für sie verfügbar.
Während der Monarchie wurden die häuslichen Dienstverhältnisse über Dienstbotenordnungen geregelt. Diese waren jeweils in einem Kronland oder in den Hauptstädten gültig und erstreckten sich oft sowohl auf häusliche als auch auf bäuerliche Dienstbot*innen (Mägde und Knechte). Während die Ordnungen äußerst unzureichende Schutzbestimmungen enthielten, etwa hinsichtlich der Verpflegung oder der häuslichen Pflege im Krankheitsfall, fehlte eine Begrenzung der Arbeitszeit oder Bestimmungen zur Freizeit in der Regel gänzlich. Dem Haushaltsvorstand waren Dienstbot*innen dagegen zu Treue und Gehorsam verpflichtet.
Vor diesem Hintergrund war das Hausgehilfengesetz von 1920* ein Meilenstein, der sich auch in 81 der Namensgebung niederschlug: Aus „Dienstboten“ wurden „Hausgehilfen“ mit klar umrissenen Rechten und Pflichten. Mit den neuen Bestimmungen zu Ruhezeiten, Urlaub, Freizeit oder Überstundenentlohnung erhielten Hausgehilfinnen formal Anteil an zumindest einigen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung. Im Jahr 1926 wurde es auf kleine Gemeinden (unter 5.000 Einwohner*innen) ausgeweitet. Bereits 1921 waren Hausgehilfinnen außerdem in die KV der Arbeiter 1921 einbezogen worden.
Allerdings blieb das Hausgehilfengesetz ambivalent und wurde mangels von Kontrollmöglichkeiten der tatsächlichen Arbeitsbedingungen in den Haushalten kaum in der Praxis durchgesetzt. So legte es anstelle von fixen Arbeitszeiten lediglich Ruhezeiten von 9 Stunden in der Nacht und zwei Stunden tagsüber fest. Die damit zulässige tägliche Arbeitszeit von 13 Stunden wurde aber häufig überschritten. Nach einer 1926 veröffentlichten Studie von Käthe Leichter, Leiterin des Frauenreferates der Wiener Kammer für Arbeiter und Angestellte, arbeiteten mehr als 42 % der befragten Hausgehilfinnen 14 bis 16 Stunden am Tag, weitere 10 % sogar noch darüber hinaus. Auch die Pausen wurden bei mehr als der Hälfte der Befragten nicht eingehalten und beinahe ebenso vielen wurde die wöchentliche Freizeit von acht Stunden an jedem zweiten Sonntag sowie vier Stunden an einem Nachmittag in der Woche versagt.* Den neuen formalen Rechten zum Trotz blieb der häusliche Dienst in besonderem Maße von Überarbeit und Unfreiheit geprägt.
Mit der veränderten Gesetzeslage wiederholte sich aber ein Problem, das bereits vor dem Ersten Weltkrieg Behörden und Gerichte beschäftigt hatte: Wie schon die „Dienstboten“ eine in vielerlei Hinsicht unbestimmte Gruppe gewesen war, blieb auch in den neuen Gesetzen im Detail ungeklärt, wer genau als „Hausgehilfe“ zu fassen war. Bereits während der Monarchie hatte die Auslegung der rechtlichen Definition von „Dienstbote“ immer wieder zu Konflikten geführt, die sich nun hinsichtlich der „Hausgehilfen“ fortsetzten.
Zu dieser Unsicherheit trug bei, dass Bedienstete in der Praxis letztlich mit jeder Arbeit betraut wurden, die im Haus oder in dessen Umfeld anfiel. Sie wuschen die Wäsche, reinigten, kochten, beaufsichtigten Kinder oder pflegten Angehörige der DG- Familie. Häufig gehörte aber auch die Betreuung des Hausgartens und eventuell vorhandener Haus- oder Nutztiere zu ihren Aufgaben. Betrieben die DG einen Gewerbebetrieb, etwa ein Geschäft oder Gasthaus, half das Dienstpersonal auch dort immer wieder aus, obwohl derlei gewerblichen Einsätzen gesetzlich enge Grenzen auferlegt waren.
Welche Aufgaben das Personal im Einzelnen zu erledigen hatte, hing von vielen Faktoren ab – von den Wünschen und dem Lebensstil der DG, deren Erwerb, materieller Situation und gesellschaftlichem Status, vom Ort, der Zusammensetzung des Haushalts etc. „Hier handelt es sich nicht lediglich um die Einstellung in Arbeit in irgendeinem Betrieb, sondern in den meisten Fällen um Aufnahme in den Haushalt. Jeder Haushalt hat seine besonderen Eigenheiten. Jede offene Stelle ist daher von der anderen verschieden“
,* schrieb entsprechend Egon Uranitsch, Leiter des Grazer Arbeitsamts, im Jahr 1928.
Angesichts dieser Unterschiede verschwammen die Grenzen zwischen Arbeiter*innen, Landarbeiter*innen und Hausgehilfinnen vielfach. Dies führte immer wieder zu Konflikten zwischen Behörden, staatlichen Einrichtungen und Parteien des Dienstverhältnisses, da unterschiedlichen AN jeweils andere soziale Rechte, Pflichten und Ansprüche an den Staat zukamen. Einige wenige dieser Streitigkeiten wurden vor dem VwGH ausgefochten.* Auf längere Sicht trugen die Streitverfahren nicht nur dazu bei, die Grenzen zwischen dem häuslichen Dienst und anderen Arbeitsverhältnissen deutlicher zu ziehen, sondern sie stärkten auch die Hierarchien zwischen gewerblichen Arbeiter*innen und häuslich Bediensteten.
Vor 1920 hatten die Verfahren vor dem VwGH oft die Verpflegungskosten für die erkrankten und in Spitalspflege übergebenen Dienstbot*innen zum Gegenstand, zu deren Ersatz DG laut der Dienstbotenordnungen verpflichtet waren. Schließlich galt für den Dienstherrn eine gewisse Fürsorgepflicht, die auch ein Mindestmaß an Pflege im Krankheitsfall umfasste. Beliebt war diese Verpflichtung bei DG keineswegs. Manche von ihnen fochten sie bei öffentlichen Stellen an – etwa indem sie in Frage stellten, dass es sich bei diesen Personen überhaupt um Dienstbot*innen handelte.
Der Hausbesitzer Paul T aus Wien war einer dieser DG. Nach dem sechswöchigen Spitalsaufenthalt von dessen Hausbesorgerin Ludmilla K im Jahr 1901 weigerte sich T mit dieser Begründung, für die Kosten ihrer Verpflegung aufzukommen. Im Instanzenzug scheiterte er mit seiner Argumentation zunächst, aber der VwGH gab ihm 1904 Recht und hob den Bescheid des Ministeriums des Innern als letzter Instanz auf.
Um seine Entscheidung zu begründen, benannte der VwGH die Besonderheiten des Dienstes, die er aus der seinerzeit gültigen Wiener Dienstbotenordnung von 1810 extrahierte – und fasste damit das spezifische Abhängigkeitsverhältnis zusammen, das die Beziehung zwischen DG und Dienstbot*innen nach seiner Lesart des Gesetzes charakterisierte: 82
„Schon im Einführungspatente [der Wiener Dienstbotenordnung von 1810] wird nämlich von der Notwendigkeit ausgegangen, dem Verfalle der Zucht des Dienstvolkes zu steuern, dessen nachteilige Folgen sich nicht weniger auf die öffentliche, als die innere und die Privatordnung der Familien verbreiten [...]; die Diensthälter werden ausdrücklich mit dem Rechte der besonderen häuslichen Aufsicht bekleidet.“*10)
Mittels der „häusliche[n] Aufsicht“ sollte das Personal zu Gehorsam, Fleiß, Sittsamkeit und tugendhaftem Verhalten angehalten werden. Tatsächlich war sie nicht nur als ein Recht, sondern auch als Verpflichtung des DG gedacht, der die Ordnung im Haushalt, der kleinsten Zelle des Staates, sicherstellen sollte. Die hausherrliche „Gewalt“ und „Aufsicht“ erlaubte den DG, das Verhalten ihres Personals während und abseits von deren eigentlicher Arbeit zu kontrollieren. Denn als in den Haushalt aufgenommene „Hausgenossen“ verdingten sich Dienstbot*innen nicht lediglich für einige Stunden am Tag, sondern waren dem Hausherrn während ihrer gesamten Dienstzeit unterworfen. So führten zwei Kommentatoren des Wiener Dienstbotenrechts, k. k. Polizeikonzipist Edmund Otto Ehrenfreundund k. k. Gerichtssekretär Franz Mráz, 1908 aus:
„Das persönliche Unterordnungsverhältnis geht also beim Gesinde so weit, daß es das eigene Interesse dem des Diensthälters zu unterstellen hat, und daß eine fast vollständige persönliche und wirtschaftliche, wenn auch vertragsmäßige, Abhängigkeit vom Dienstgeber eintritt. [...] Die ‚dienstherrliche Gewalt‘ ist also im ganzen der dem Familienrechte angehörigen ‚väterlichen Gewalt des Vaters über seine ehelichen Kinder nachgebildet und gipfelt in einer persönlichen Unterordnung des Dienstboten unter den Gesindhälter.“*
Dieses Verhältnis spiegelte sich in einigen Bestimmungen wider, die der VwGH in seiner Begründung aufzählte, so zB „die Familienhäupter haben über die Sitten und das anständige Betragen ihres Dienstgesindes nicht nur im Innern des Hauses zu wachen, sondern solches auch außerhalb desselben nicht aus dem Gesichte zu lassen (§ 64); der Dienstbote ist zur Beobachtung der häuslichen Ordnung verpflichtet (§ 75), soll ohne Erlaubnis weder auf längere Zeit ausgehen, noch über die gegebene Erlaubniszeit aus dem Hause bleiben (§ 76)“.*
Zwar war die Dienstbotenordnung zum Zeitpunkt des Verfahrens 1904 bereits seit fast 100 Jahren in Kraft, aber die Einbindung von Dienstbot*innen in den Haushalt und deren Unterordnung unter die häusliche Ordnung war nach Ansicht des VwGH „die Charakteristik des Dienstbotenverhältnisses im Sinne der Gesindeordnung, wie dasselbe im wesentlichen auch heute noch rechtlich und tatsächlich besteht“
.*
Dieses spezifische Verhältnis wirkte sich nach Lesart des VwGH auf die Tätigkeiten der Dienstbot*innen aus. Diese müssten in der Konsequenz auf den DG selbst sowie auf seine Angehörigen gerichtet sein. Bei Ludmilla K traf dies seiner Ansicht nach nicht zu. Zwar hielt das Höchstgericht Abhängigkeitsverhältnisse wie die eben beschriebenen bei Hausbesorger*innen grundsätzlich für möglich. Ludmilla K aber sorgte lediglich für die Reinigung und Beleuchtung der von allen Wohnparteien genutzten Räume, die sich, wie das Gericht ausführte, kaum als persönliche Dienste für den DG und dessen Familie beschreiben ließen.*
In einem allein vom DG und dessen Familie bewohnten Haus wäre eine gegenteilige Entscheidung durchaus möglich gewesen. Wie dieser Fall und ähnliche Fälle aus der späten Habsburgermonarchie zeigen, war es rechtlich weniger relevant, welche Aufgaben Bedienstete im Detail erledigten. Wichtiger war vielmehr, wie sie dienten bzw ob sie in das spezifische häusliche Abhängigkeitsverhältnis, das den Dienst charakterisierte, eingebunden waren. Auf Grundlage dieses Kriteriums wurden die Dienstverhältnisse von Hausbesorger*innen ganz unterschiedlich eingeordnet: Als häuslicher Dienst, als Lohnvertrag nach dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 oder in Wien ab 1910 als Hausbesorger*innendienst, da nun eine eigene Hausbesorgerordnung erlassen worden war.*
Allerdings beschäftigte die Höchstgerichte eine präzisere Eingrenzung der „Dienstboten“ bis zur Republiksgründung 1918 nur selten. Dies bedeutete, dass eine einheitliche Auslegung des Begriffs, die als Orientierungsmittel für die Verwaltungsbehörden hätte dienen können, nicht zustande kam.* Dies zeigte sich im Verfahren um Ludmilla K, in dem die Tatsache, dass sie nicht im Haus des DG wohnte, sondern mit ihrem Ehemann einen eigenen Haushalt führte, im Unterschied zu anderen Verfahren wenig Relevanz zugemessen wurde. Insb untere Verwaltungsbehörden ordneten Erwerbstätige höchst unterschiedlich und zum Teil sogar entgegen den gesetzlichen Bestimmungen ein. Gerade Frauen brachte dies vielfach um ihren Versicherungsschutz. Schließlich wurden Arbeiterinnen, die in Gewerbebetrieben beschäftigt waren, in der Praxis oft pauschal als Dienstbotinnen angemeldet und behördlich kategorisiert.*
Erst in der Zwischenkriegszeit bildete sich eine einheitliche Entscheidungspraxis des VwGH her- 83 aus. Zwar kamen die Streitigkeiten um die Kategorisierung von Arbeitskräften nicht zu einem Ende, aber die Erkenntnisse des VwGH gaben nun zunehmend den Maßstab für Behördenentscheidungen zumindest auf ministerieller Ebene ab. 1934 wurde der VwGH ebenso wie der VfGH vom austrofaschistischen Regime aufgelöst und durch einen Bundesgerichtshof ersetzt. Einige Richter wurden politisch motiviert mit Disziplinarmaßnahmen belegt und die Rsp auch gegen politische Gegner*innen eingesetzt.* Die bereits etablierte Entscheidungspraxis in den hier betrachteten Verfahren behielt der Bundesgerichtshof aber bei.
Mitte der 1920er-Jahre behandelten gleich vier Verfahren vor dem VwGH die Frage, wo Hausgehilfinnen eigentlich beschäftigt werden konnten: Kamen auch Klöster, religiöse Stifte, Krankenanstalten oder Kinderheime als DG in Frage? Mit den neuen Gesetzen, also etwa dem Hausgehilfengesetz von 1920 oder dem um Hausgehilfinnen 1921 erweiterten Arbeiterkrankenversicherungsgesetz, hatten sich auch die Streitgegenstände verändert, die vor dem Höchstgericht verhandelt wurden.
Das erste der Verfahren behandelte die Versicherungspflicht jener „Mägde“, die in den Salzburger Landeskrankenanstalten, dazu gehörten das St. Johannspital und die Landesheilanstalt für Geisteskranke in Salzburg, tätig waren. Dass diese Frauen zu versichern waren, stand außer Frage – unklar war aber, ob sie als Arbeiterinnen oder Hausgehilfinnen einzuordnen waren.
Für AG und Arbeitskräfte ging es hier um etwas Wesentliches: War es aus Perspektive der AG vor allem eine Kostenfrage, wie ihr Personal versichert war, ging es für die Beschäftigten um den Versicherungsschutz. Die Beiträge und Leistungen waren für Hausgehilfinnen geringer als für Arbeiterinnen und sie waren ja zudem aus der AlV ausgenommen worden. Die Beschäftigten selbst traten bei diesen Verfahren dennoch selten als Streitparteien in Erscheinung. Häufig fochten AG die Bescheide der Krankenkassen an – oder Krankenkassen stritten miteinander darum, welche von ihnen für die betreffenden Arbeitskräfte zuständig sein sollten.
Bei sozialversicherungsrechtlichen Fragen waren die Arbeitskräfte je nach ihrem Arbeitskontext einzuordnen: Arbeiteten sie etwa vorwiegend in und für einen Gewerbebetrieb, waren sie als gewerbliche Arbeiterinnen zu versichern. Allerdings handelte es sich bei Anstalten und religiösen Einrichtungen um einen Graubereich. Bis in die Zwischenkriegszeit sahen viele Zeitgenoss*innen in der Beschäftigung von Hauspersonal in Heimen, Internaten, Krankenhäusern etc keinen Widerspruch. Ein einziges Verfahren des VwGH aus dem Jahr 1915 hatte diese Auffassung noch bestätigt. Grundlage für dessen Erkenntnis war allerdings die Wiener Dienstordnung für das Hauspersonal von 1911* gewesen, die in den 1920er-Jahren nicht mehr gültig war.*
Dem Verfahren um die in den Salzburger Landeskrankenanstalten tätigen „Mägde“ war zunächst eine Entscheidung des Amts der Salzburger Landesregierung vorangegangen. Dieses hatte festgelegt, dass die Beschäftigten in der KV als Hausgehilfinnen zu kategorisieren waren. Die Landeskrankenkasse Salzburg hatte dagegen Rekurs eingereicht, dem das BM für soziale Verwaltung in letzter Instanz stattgegeben hatte. Für das Ministerium waren iSd Krankenversicherungsgesetzes nur jene Personen als Hausgehilfinnen zu bezeichnen, die „zur Leistung von Diensten im Privathaushalt von Einzelpersonen angestellt“* waren.
Das Krankenversicherungsgesetz konnte allerdings, so führte der VwGH aus, zur Klärung der Frage nicht herangezogen werden, da es den Begriff „Hausgehilfe“ nicht definierte. Er bezog sich daher auf jene Begriffsklärung, die das Hausgehilfengesetz von 1920 anbot:
„Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für das Dienstverhältnis von Personen, die zur Leistung von Diensten für die Hauswirtschaft des Dienstgebers oder für Mitglieder des Hausstandes angestellt und in die Hausgemeinschaft des Dienstgebers aufgenommen sind.“*
Der VwGH entschied auf Grundlage dieser Definition, dass nur physische, nicht aber juristische Personen Hausgehilfinnen beschäftigen konnten – eine Bewertung, die er in nachfolgenden Verfahren wiederholte. Dabei verwies er auf die Begriffe „Hauswirtschaft“, „Hausstand“ und „Hausgemeinschaft“, wie sie im Hausgehilfengesetz verwendet wurden und die sich seiner Ansicht nach nur auf eine natürliche Person als DG beziehen konnten. Hausstand war dabei als zusammenfassender Begriff für jene Personen zu verstehen, die zum Haushalt gehörten – inklusive der familienfremden einwohnenden Arbeitskräfte. Hausgemeinschaft hingegen bezog sich auf das Zusammenleben und -arbeiten dieser Personen, was ihre Verpflegung und Unterbringung einschloss. Darüber hinaus grenzte der VwGH die Hauswirtschaft von Betrieben und Anstalten ab:
„Die ‚Hauswirtschaft‘ steht im Gegensatze zur Wirtschaft eines Betriebes. Die Bediensteten, um deren Krankenversicherung es sich im vorliegenden Fall handelt, widmen ihre Dienste ja öffentlichen Anstalten, deren Wirtschaftsorganismus gewiss keine ‚Hauswirtschaft‘ im Sinne des Hausgehilfengesetzes darstellt und die auch keinen ‚Hausstand‘ kennen.“*
Wesentlich war für den VwGH in diesem Zusammenhang wieder, auf wen sich die Dienste der betreffenden Beschäftigten richteten (die Person des DG und dessen Hausstand). Darüber hinaus stand aber nun der Wirtschaftszusammenhang Hauswirtschaft und dessen Beschaffenheit im Mittelpunkt des Erkenntnisses, während die konkreten Tätigkeiten der Beschäftigten nicht ausschlaggebend sein sollten. Schließlich stellte die Hauswirtschaft Arbeitsbeziehungen her, die allein den Hausgehilfinnendienst charakterisierten: 84
„Es wird in verschiedenen Zweigen des Wirtschaftslebens Bedienstete geben, denen Arbeiten obliegen, die auch Hausgehilfinnen verrichten, ohne daß dadurch die Träger dieser Funktionen zu Hausgehilfen werden. Dem Begriffe ‚Hausgehilfe‘ liegt ein eigenartiges enges Verhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer zugrunde, dessen Grundlage die private Hauswirtschaft ist.“*24)
In der Interpretation des VwGH entsprang dieses „enge Verhältnis“ dem eigentümlichen Wirtschaftszusammenhang Hauswirtschaft, der sich klar von jenem des Gewerbebetriebs und auch der Anstalt unterschied und den er an anderer Stelle als bloße Verbrauchswirtschaft kennzeichnete.*
Damit übernahm der VwGH die Vorstellung eines „Vertrauensverhältnisses“ zwischen DG und dem Hauspersonal, die bürgerlich-christliche Kreise immer wieder als Argument gegen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Hausgehilfinnen ins Feld führten. Schließlich seien die Bedürfnisse eines Haushalts und von dessen Bewohner*innen kaum mit jenen eines Fabrikbetriebs vergleichbar und eine Angleichung der Verhältnisse daher nicht gerechtfertigt.*26) Die von vielen Hausgehilfinnen erfahrene Ausbeutung und sogar Gewalt durch die DG kehrten sie damit gleichsam unter den Tisch.
Während der Haushalt in den Verfahren vor dem Ersten Weltkrieg noch vorrangig als Ordnungseinheit verstanden wurde, die durch Disziplinierung und Aufsicht im Kleinen zum Wohl des gesellschaftlichen Ganzen beitragen sollte, hatte sich nun die Bedeutung verschoben, die dem Haushalt zugemessen wurde. In den 1920er- und 1930er- Jahren machte der VwGH klar, dass es sich bei Haushalten um Wirtschaftseinheiten handelte. Dies hatten sie mit Betrieben gemein, wenn der VwGH auch die Unterschiede zwischen beiden betonte und im Zuge der Verfahren immer deutlicher herausarbeitete.
Damit trugen die höchstgerichtlichen Erkenntnisse einerseits dazu bei, gewerbliche und hauswirtschaftliche Erwerbsarbeit klarer zu konturieren und Arbeitskräfte eindeutig zuzuordnen. Andererseits waren Hausgehilfinnen nun immer weniger die persönlich abhängigen Hausgenossinnen, zu denen sie Gesetze, Behörden und der VwGH in der Monarchie noch gemacht hatten. Sie wurden in der Zwischenkriegszeit erstmals als Arbeitskräfte verstanden, die allerdings nicht regulär in einem Betrieb, sondern in der privaten Hauswirtschaft tätig waren.
Zwar kamen Verweise auf ein angeblich „eigenartiges enges Verhältnis“ zwischen Beschäftigten und den DG in den älteren Verfahren vor, sie waren allerdings äußerst selten und erhielten nun eine neue Qualität. Denn in der Republik wurden diese Beziehungen zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal zwischen gewerblichem, Anstalts- und Hauspersonal. Damit avancierten sie zu einem Mittel, Unterschiede in deren Arbeitsbedingungen zu legitimieren und einen Teil der althergebrachten Privilegien der Dienstherrschaften unter veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen zu re-etablieren: Ein Haushalt, so die Argumentation, war eben ein Wirtschaftszusammenhang der besonderen Art, der folglich auch besondere (und eben nicht reguläre) Beschäftigte voraussetzte.
Diese Vorstellungen waren nicht ganz neu und wurden in den Debatten um Hausgehilfinnenrechte regelmäßig wiederholt. Der VwGH erhob sie aber zu einem Grundsatz, der die Entscheidungspraxis der Behörden in der Zwischenkriegszeit prägen sollte: Als Arbeitskräfte in persönlichen Diensten, die in Hausgemeinschaft mit den DG lebten, kamen Hausgehilfinnen keine vergleichbaren Bedingungen wie gewerblichen oder anderen Beschäftigten zu.
Damit stützte er gleichermaßen die bestehende Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt und im entstehenden Sozialversicherungssystem. Denn während insb Frauen die Gratifikation einer Erwerbsarbeit, die anerkannte Qualifikation, ein ausreichendes Einkommen, Absicherung, Kontinuität und Fortkommen versprach, unterstützt durch sozialpolitische Maßnahmen vielfach verschlossen blieben, sollten sie weiterhin für die Verbrauchswirtschaft des Haushalts zur Verfügung stehen. 85