Badura
Unternehmensmitbestimmung im deutsch-polnischen Rechtsvergleich – Eine Untersuchung des deutschen und polnischen Systems der Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaftsorganen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2021, 804 Seiten, gebunden, € 149,90

ERIKAKOVÁCS (WIEN)

Der Vergleich zweier Rechtssysteme ist mit dem Aufwand behaftet, die Begriffe, Rechtsinstitutionen und Normen eines für den Leser fremden Rechtssystems zu erklären und ihm näher zu bringen. Das heimische Recht dient hierbei häufig nicht nur als Ausgangspunkt, sondern auch als Maßstab, an dem das ausländische System zu messen ist. Das Ziel des Rechtsvergleichs ist es in der Regel, durch das Aufzeigen der Ähnlichkeiten und Unterschiede der gleichen Rechtsinstitute in zumindest zwei Rechtssystemen die gerechtesten und am besten funktionierenden Lösungen zu identifizieren. Karolina Badura macht bereits in der Einführung ihres Werkes klar, dass sie nicht darauf abzielt, das polnische System der Unternehmensmitbestimmung an dem deutschen Niveau zu messen. Eine solche Bewertung würde im Lichte der unterschiedlichen Entwicklungen auch zu ungerechten Ergebnissen führen.

Die AN-Beteiligungsrechte, insb die paritätische Mitbestimmung in Deutschland, stellen das höchste Mitbestimmungsniveau in Europa dar. Baduras Werk vermittelt den Eindruck, dass für die polnische Mitbestimmung genau das Gegenteil gilt. Die AN-Beteiligung in den Gesellschaftsorganen der Kapitalgesellschaften wurde in Polen erst in den Jahren 1989/90 für die Privatisierung der staatlichen Unternehmen eingeführt. Für Privatunternehmen, die nicht im Zuge der Privatisierung entstanden sind, sieht das polnische Recht keine verbindlichen Regeln zur AN-Beteiligung in den Gesellschaftsorganen vor. Eine Mitbestimmung kann in solchen Unternehmen nur auf freiwilliger Basis implementiert werden, wobei die Zahlen zu den erfassten Unternehmen gänzlich fehlen (266 ff, 270 ff, 274). Daher könnten die Kollektivverträge bei der Ausgestaltung und sogar Erweiterung der AN-Beteiligung auf Organebene eine wichtige Rolle spielen (220 f). Dennoch ist die Mitbestimmung in Polen faktisch von geringer Relevanz, da die Zahl der Unternehmen mit zwingender Mitbestimmung nach der Autorin auf 19 gesunken ist und in Zukunft weiter sinken wird (273 f). Die Bedeutung der polnischen Mitbestimmung wird dadurch weiter geschwächt, dass der polnische Aufsichtsrat im Vergleich zu seinem deutschen Pendant eine weniger starke Stellung hat, da er geringere Kompetenzen besitzt (299 f). Der tatsächliche Einfluss der AN-Vertreter auf unternehmenspolitische Entscheidungen ist in Polen folglich als sehr gering einzuschätzen (430 ff).

Wie Karolina Badura erklärt, bestehen bereits bei den kollektiven AN-Organisationen große Unterschiede zwischen den zwei Staaten, da in Polen die Interessenvertretung der AN beinahe ausschließlich durch die Gewerkschaften erfolgt. Betriebsräte, die mit ihren deutschen oder österreichischen Pendants vergleichbar sind, gibt es nicht, lediglich die durch das Unionsrecht geforderten Informations- und Konsultationsrechte werden von den AN-Räten wahrgenommen.

Nicht nur organisatorisch, sondern auch ideologisch weisen die zwei Rechtssysteme wesentliche Unterschiede auf. So wird bspw das Unternehmensinteresse abweichend ausgelegt: Während darunter in Deutschland die Interessen verschiedener Gruppen iSd „stakeholder value“-Konzepts berücksichtigt werden, wird es in der polnischen Literatur im Wesentlichen mit den Interessen der Aktionäre gleichgesetzt (395 ff).

Karoline Baduras Dissertation erörtert das deutsche und polnische System der Mitbestimmung und umfasst dabei neben der Entwicklung und den ideologischen Grundlagen der AN-Partizipation durch die Unternehmensmitbestimmung auf nationaler und europäischer Ebene insb auch die kollektiven Arbeitsbeziehungen und den Corporate Governance. Somit entstand ein für eine Dissertation doch eher ungewöhnlich langes Werk von 777 Seiten reinem Text. Bemerkenswert sind insb die Abhandlungen über das polnische Rechtssystem; die Ausführungen zum deutschen Recht sind eher deskriptiv und dienen als Grundlage zum Rechtsvergleich mit den jeweiligen polnischen Pendants.

Die erfassten Themen gehen weit über die Untersuchung der Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen hinaus; so erörtern bspw die ersten 200 Seiten die sozialpolitischen Entwicklungen, die ideologischen Grundlagen sowie die rechtlichen Grundstrukturen der Sozialpartnerschaft in beiden Staaten. Die Darstellung des geschichtlichen Hintergrunds der polnischen AN-Beteiligung enthält viele interessante Details, die zum besseren Verständnis der heutigen Rechtslage beitragen, so zB, wie die unabhängige Organisation der Solidarność und das Privatisierungsgesetz die AN-Partizipation in Polen beeinflusst hatten (118 ff, 130 ff). Auch die weiteren Abschnitte holen weit aus, wenn zB die Kompetenzen der Aufsichtsräte (278 ff) oder die kollektiven Arbeitsbeziehungen (543 ff) dargestellt werden.

Badura erörtert auch die Regelung der Societas Europaea in beiden Staaten, wobei angesichts der Tatsache, dass in Polen lediglich 6 SE ihren Sitz haben, diese Normen von geringer praktischer Relevanz sind. Auch hier kommen die Unterschiede zwischen den zwei Staaten zum Ausdruck: In Deutschland haben 230 SE ihren Sitz (526 f).

Insgesamt handelt es sich bei diesem Buch um eine beeindruckende Dissertation, die eine wissenschaftliche Lücke füllt, schließlich war die polnische Unternehmensmitbestimmung noch nicht Gegenstand einer deutschsprachigen Monographie. Dementsprechend sind insb die Ausführungen zum polnischen Recht sowie die direkten Rechtsvergleiche am Ende jedes Abschnitts von großem Interesse.

Jedem, der sich in deutscher Sprache über die Sozialpartnerschaft oder die Unternehmensmitbestimmung in Polen informieren möchte, ist das Buch uneingeschränkt zu empfehlen. 86