Traxler Haftungsfalle Unterentlohnung – Die Verzahnung von Arbeitsrecht und Verwaltungsstrafrecht am Beispiel des § 29 LSD-BG

Linde Verlag, Wien 2021, 310 Seiten, kartoniert, € 66,–

GLORIAPARSHAD (SALZBURG)

Dieses als Dissertation verfasste Werk befasst sich eingehend mit der Verzahnung zwischen dem Arbeitsrecht und Verwaltungsstrafrecht und stellt dabei den Unterentlohnungstatbestand in § 29 LSD-BG in den Mittelpunkt. Der Fokus liegt auf den Aspekten des materiell- rechtlichen Entgeltanspruchs, der den Kerninhalt bildet. Daneben wird – wenn auch nur überblicksweise – der verfassungs- und unionsrechtliche Kontext von § 29 LSD-BG beleuchtet. Enthalten sind auch eine Vielzahl von Beispielen und Tipps für die Praxis, so insb in Bezug auf gesetzeskonforme Vertragsgestaltungen.

Zentrale und universelle Anspruchsnorm innerhalb des Gesetzes ist § 3 LSD-BG, der die Entgeltmaßstäbe für eine ordnungsgemäße Entlohnung festlegt, welche sich zumindest partiell in der Sanktionsnorm des § 29 LSD-BG wiederfinden. Als Entgeltanspruchsgrundlagen werden Gesetz, Verordnung und der KollV genannt. Aufgrund der hohen kollektivvertraglichen Abdeckung der Arbeitsverhältnisse in Österreich (sie beträgt ca 98 %) ist der KollV das zentrale Instrument für die Entgeltgestaltung. Dies bedeutet, dass der jeweils relevante KollV bei der Eruierung des Entgeltmaßstabs gem LSDBG eine erhebliche Rolle spielt.

Der Wortlaut von § 3 Abs 2 und 3 LSD-BG besagt, dass einem AN mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich, dessen AG seinen Sitz nicht in Österreich hat und nicht Mitglied einer kollektivvertragsfähigen inländischen Körperschaft ist (Abs 2) bzw einem nach Österreich entsandten AN eines AG mit Sitz in einem EUMitgliedstaat, EWR-Staat oder einem Drittstaat (Abs 3) zwingend jenes [...] kollektivvertragliche Entgelt zusteht, „das am Arbeitsort vergleichbaren AN von vergleichbaren AG gebührt“. Diese Vergleichbarkeits- und Gleichstellungskriterien sind auslegungsbedürftig, weil unklar ist, nach welchen Kriterien der richtige KollV zu ermitteln ist. Auf den S 62 ff wird gleich eingangs betont, dass aufgrund der Vielzahl von Kollektivverträgen und deren Lohnsystemen das Fehlerpotenzial generell sehr hoch und die Ermittlung des korrekten Entgeltniveaus – vor allem für ausländische AG, die idR nicht oder kaum mit dem inländischen Kollektivvertragssystem vertraut sein werden – mit Schwierigkeiten verbunden sei. Aber: Nach welchen Kriterien sind diese AG zB für die jeweilige Entsendung in das inländische Kollektivvertragssystem zu integrieren? Darüber gibt es schon seit dem Inkrafttreten des AVRAG, der Vorgängernorm des LSDBG, und der Entsende-RL 96/71/EG einen Meinungsstreit in der Lehre. Auch die VwGH-Judikatur (VwGH 26.9.2013, 2013/11/0176) hat sich damit befasst. Die Lösungsvorschläge bzgl dieser „fiktiven nationalen KV-Angehörigkeit“ sind breitgefächert und stets aus dem Blickwinkel der dynamischen Entwicklung des AVRAG bzw LSD-BG und der Entsende-RL zu betrachten.

Im Wesentlichen haben sich folgende drei Ansichten durchgesetzt:

  1. Bei der ausschließlich arbeitgeberbezogenen Anknüpfung steht nur die Tätigkeit des AG in seinem Herkunftsstaat im Mittelpunkt, auf die das ArbVG, die GewO 1994, das WKG und die Fachorganisationsordnung (FOO) fiktiv anzuwenden wären.

  2. Bei der tätigkeitsbezogenen und damit stärker arbeitnehmerorientierten Betrachtungsweise wird der Blick nur auf die durch die AN überwiegend ausgeübten Tätigkeiten im Inland in ihrer Gesamtheit gerichtet und anhand dessen der relevante KollV eruiert.

  3. Bei der rein tätigkeitsbezogenen Anknüpfung kommt das im EU-Entsenderecht wurzelnde Arbeitsortprinzip in seiner strengsten Ausprägung zum Tragen: Demnach zählt einzig und allein der KollV, der am konkreten Arbeitsort für die durch die AN durchzuführenden, konkreten Tätigkeiten für einen AG mit inländischem Sitz zur Anwendung gelangen würde.

Die Autorin vertritt die Ansicht, dass ausschließlich auf die Tätigkeit des AG im Ausland iSd ersten Variante abzustellen sei. Eine isolierte Anknüpfung nur an die konkrete Tätigkeit der AN am jeweiligen Arbeitsort sei nicht geboten. Diesen Lösungsweg begründet sie im Wesentlichen damit, dass er mit dem ArbVG, dem WKG und dem gewerberechtlichen System im Einklang stehe: Schließlich gehe es nur um die Tätigkeit des AG im Rahmen des Betriebs und nicht um jene Tätigkeit, die die einzelnen AN ausüben (Industrieverbandsprinzip). Eine Differenzierung nach den konkret verrichteten Arbeitsleistungen der AN im Inland iSd Variante c) sei ihres Erachtens nur dann geboten, wenn im Ausland eigenständige Betriebe bzw Betriebsabteilungen iSd § 9 Abs 1 und 2 ArbVG existierten. Liegt jedoch im Ausland ein Mischbetrieb iSv § 9 Abs 3 ArbVG vor, dann wäre jener KollV anwendbar, der für den Betrieb mit der maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung gilt. Traxler befürwortet demnach eine spiegelbildliche, analoge Anwendung der eigentlichen Kollektivvertragskollisionsnorm in § 9 ArbVG auf AG mit Sitz im Ausland.

ME ist jedoch dieses „bedingte Arbeitsortprinzip“, das sich an den Grundsätzen des § 9 ArbVG orientiert, abzulehnen. Es steht auch der VwGH-Judikatur diametral entgegen: Dieser erteilte in einer (bereits oben zitierten) wegweisenden E der Anwendung von den §§ 9 und 10 ArbVG auf grenzüberschreitende Arbeitseinsätze eine Abfuhr, und zwar mit der Begründung, dass es auf eine etwaige fachliche und organisatorische Abgrenzung der Tätigkeiten im Ausland nicht ankommen könne, weil sich ohnehin anhand der Kriterien, wie zB den konkreten Arbeitsverrichtungen iSv § 29 GewO, eine eindeutige Zuordnung zu einem inländischen KollV ergibt (VwGH 26.9.2013, 2013/11/0176 Pkt 3.5). Damit hat der VwGH auch aus rechtsdogmatischer Perspektive richtig entschieden: Die Sach- und Rechtslage im Ausland ist irrelevant, weil es gem des in § 3 LSD-BG und Art 3 der Entsende-RL statuierten strengen Arbeitsortprinzips allein auf die Art der Arbeitsleistung am konkreten Arbeitsort im Empfangsstaat ankommt. Das gilt auch und gerade für Aufträge, deren Inhalt im Hinblick auf die Art der zu erbringenden Leistung nicht eindeutig ist (siehe Sachverhalt der VwGH-E). Eine Gesamtbeurteilung in diesem Sinne, den Schwerpunkt sämtlicher Tätigkeiten im In- und Ausland anhand von § 9 Abs 3 ArbVG zu eruieren, ist ebenso abzulehnen. Allerdings kann § 9 ArbVG die Funktion als erste allgemeine Orientierungshilfe für die Abgrenzung verschiedener Tätigkeiten bzw Auftragsgegenständen 87 voneinander zukommen. Abschließend bleibt nochmals zu betonen, dass die Kollektivvertragskollisionstatbestände in den §§ 9 und 10 ArbVG, die eine mehrfache Kollektivvertragsangehörigkeit von AG bzw eine Mischverwendung von AN in mehreren Betrieben/Betriebsteilen im nationalen Sinne voraussetzen, auf grenzüberschreitende Aufträge iSd LSD-BG nicht umgelegt werden dürfen. Diese Vorgehensweise würde der Entsende-RL widersprechen.

Die Entsende-RL stützt sich kompetenzrechtlich auf die Dienstleistungsfreiheit, sodass sie auch stets in deren Lichte auszulegen ist. Bei den §§ 3 und 29 LSD-BG handelt es sich um eine unterschiedslose Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, weil AG sowohl mit Sitz im Inland als auch solche mit Sitz im Ausland in die Pflicht genommen werden. Bei der Kollektivvertragsermittlung ist grundsätzlich der gleiche Maßstab anzulegen. Die Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung fällt zugunsten des strengen Arbeitsortprinzips aus, weil dessen konsequente Anwendung (wie es in der VwGH-Rechtssache der Fall gewesen ist) durchaus zur Folge haben kann, dass letztlich ein KollV auf die entsandten AN zur Anwendung gelangt, der für die konkreten Tätigkeiten – im Vergleich zu anderen fachlich infrage kommenden Kollektivverträgen – niedrigere Entgelte vorsieht. Dies gilt auch in Bezug auf (zB bundeslandbezogen) regional unterschiedliche Kollektivverträge. Damit ist der oft vorgebrachte Einwand (siehe nur bei Firlei, Die im LSDB-G vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Instrumentarien gegen Lohndumping, in Resch [Hrsg], Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz [2012] 59 ff; Rebhahn, Entsendung von Arbeitnehmern in der EU – arbeitsrechtliche Fragen zum Gemeinschaftsrecht,

), dass bei rein innerösterreichischen „Entsendungen“ Lohndumping eben wegen der regional unterschiedlichen Lohnsätze in manchen Branchen bis zu einem gewissen Grad erlaubt sei, ausländische AG diesen Lohnkostenvorteil aber aufgrund des strengen Arbeitsortprinzips nicht ausschöpfen können, entkräftet. Außerdem sind regionale Lohndifferenzen innerhalb Österreichs wesentlich schwächer ausgeprägt als zwischen Niedrig- und Hochlohnländern in der EU. Aus diesen Gründen ist die Heranziehung der streng tätigkeitsbezogenen Variante gerechtfertigt und mit der EU-Dienstleistungsfreiheit vereinbar.

Das Werk „Haftungsfalle Unterentlohnung“ ist wegen der umfassenden und inhaltlich in die Tiefe gehenden Behandlung der für die Praxis höchst relevanten Problemfelder unverzichtbar für alle, die mit dem Thema Lohn- und Sozialdumping zu tun haben und wärmstens zu empfehlen!