Kietaibl/ReschCOVID-19 – Arbeitsrecht in der Krise?

Verlag des ÖGB, Wien 2021, 140 Seiten, broschiert, € 29,90

MAGDALENALENGLINGER (WIEN)

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um die schriftliche Ausarbeitung des im Juni 2021 stattgefundenen Praktiker*innenseminars der Universität Klagenfurt gemeinsam mit der Arbeiterkammer Kärnten. Diskutiert werden die zwei während der Pandemie wohl relevantesten Themen des Arbeitsrechts, nämlich die Zulässigkeit von Impf- und Testpflichten im Arbeitsverhältnis sowie das Arbeiten im Homeoffice.

Im ersten Teil widmet sich Maximilian Turrini der individual- und kollektivrechtlichen Gestaltung von Impf- und Testpflichten. Gerade dieser Beitrag muss im Kontext des früheren Pandemiegeschehens und des damaligen Stands der Wissenschaft (Sommer 2021) verstanden werden.

Einleitend werden die grundrechtlichen Rahmenbedingungen einer Impfpflicht vorgestellt. Der Fokus des Beitrags liegt aber bei den individualarbeitsrechtlichen Vorgaben von Test- und Impfpflichten. Turrini zufolge wird das Fragerecht nach dem Immunisierungsstatus durch die Persönlichkeitsrechte des § 16 ABGB begrenzt. Deren Zulässigkeit müsse im Einzelfall bewertet werden. Bejaht werde dies vor allem für jene Fälle, in denen der Zutritt in den Betrieb sowie die Schutzmaßnahmen vom Immunstatus abhängig sind bzw der:die AG zum Setzen von entsprechenden Schutzmaßnahmen verpflichtet ist. Differenzierter sei dies in jenen Bereichen zu bewerten, in welchen das Fehlen eines Nachweises über einen entsprechenden Immunisierungsstatus keine unmittelbare Gefährdung für andere darstellt. Somit sei (mE zutreffend) das Fragerecht von einer Interessenabwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten und dem konkreten Gefährdungspotenzial abhängig. Ob bei Ablehnung einer Bewerbung aufgrund des fehlenden Immunstatus bzw einer Verweigerung einer Antwort eine Verletzung der Weltanschauung nach § 17 GlBG vorliegen kann, gibt Turrini zu bedenken, dass es sich dabei wohl nicht um geschützte Ansichten handelt, weil diese bloß punktuell sind (S 38 ff). In Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Judikatur des OGH zu 9 ObA 130/21ivom 25.11.2021 sind diese Ausführungen zutreffend: Danach stellt die Kritik an Corona-Maßnahmen und der Ablehnung des Maskentragens keine Weltanschauung iS einer Leitauffassung vom Leben und der Welt als Sinnganzes dar.

Vom Autor wird die Vereinbarung einer Impfung im Arbeitsvertrag als rechtswidrig angesehen (S 41 f). Begründet wird dies damit, dass eine Impfung einen invasiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art 8 EMRK darstelle und anzunehmen sei, dass auch gelindere Mittel, wie das Tragen von FFP2-Masken, zum gleichen Ergebnis führen. Ob dies zutreffend ist, wird wohl im jeweiligen Einzelfall zu bewerten sein und hängt mE maßgeblich vom aktuellen Stand der Wissenschaft bezüglich der Wirksamkeit von Impfungen im Verhältnis mit der Gefährlichkeit der Viruserkrankungen sowie den alternativen Schutzmöglichkeiten ab. Zulässig sei nach Turrini eine vertragliche Pflicht zur Impfung, sofern sich dies aus gesetzlichen Bestimmungen ergebe. Fraglich ist, ob dies der Fall war, als das COVID-19-Impfpflichtgesetz (BGBl I 2022/4) noch in Kraft war, welches zwar keine expliziten Rechtsfolgen für das Arbeitsrecht vorsah, jedoch eine generelle Impfpflicht anordnete.

Hinsichtlich der Durchführung von generellen COVID-19-Tests (S 42 ff) geht der Autor davon aus, dass die jeweiligen VO betreffend die COVID-19-Maßnahmen für das Arbeitsverhältnis als zweiseitig zwingend anzusehen und damit abweichende (strengere) Anordnungen oder Vereinbarungen unzulässig seien. Begründet wird dies mit einem argumentum e contrario: Wären Vereinbarungen vom Gesetzgeber intendiert, so wäre eine entsprechende Ermächtigung vorgesehen. Relativiert wird diese Argumentation insofern, als dass unter gewissen Umständen sich eine Testpflicht aus der Treue- bzw Fürsorgepflicht ergebe. Dabei zieht der Autor einerseits die Persönlichkeitsrechte der einzelnen AN sowie den Schutz der übrigen Beschäftigten und die Schutzpflichten gegenüber Dritten wie insb Patient:innen im Pflege-, Gesundheitsund Sozialbereich, Schüler:innen und Kund:innen in die Abwägung mit ein. In welchen Fällen nun eine positive Handlungspflicht des AG vorliegt, wird offengelassen.

Die Weigerung zur Durchführung von Tests kann nach Ansicht des Autors nicht einen Entlassungsgrund aufgrund eines pflichtwidrigen Verhaltens darstellen. Anderes gelte jedoch für jene Fälle, in denen eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage (samt den vertraglichen Nebenleistungspflichten wie der Treuepflicht) besteht. Auch die zwischenzeitlich ergangene Judikatur (OGH 14.9.2021, 8 ObA 42/21s Rz 14; bestätigt in OGH 24.3.2022, 9 ObA 19/22t) geht von einer ähnlichen Wertung aus: Neben der damals geltenden VO ist auch die Verantwortung der AG als Heimbetreiber für die Gesundheit der Heimbewohner relevant.

Im zweiten Teil beschäftigt sich Reinhard Resch mit ausgewählten arbeitsrechtlichen Fragen zum Homeoffice und gibt einen Überblick über das damals neu in Kraft getretene Homeoffice-Gesetz (BGBl I 2021/61). Dabei handelt es sich nach Ansicht des Autors im Wesentlichen um „alten Wein in neuen Schläuchen“ (S 81).

Angeschnitten werden verschiedene Problembereiche, wie die Vereinbarungsbedürfigkeit und das Teillösungsrecht von entsprechenden Homeofficevereinbarungen, die Gleichbehandlungspflichten, der Ersatz von 93 Arbeitsmitteln, die Rahmenbedingungen durch BV und das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz.

Hinsichtlich des tatsächlichen Arbeitsorts des Homeoffice schlägt der Autor vor, dass bei regelmäßigem Homeoffice ein Arbeitsort vereinbart werden soll. Abgeleitet wird dies aus der Regelung zum Dienstzettel nach § 2 Abs 2 Z 6 AVRAG. Dies soll Probleme bei einer kurzfristigen Beorderung in den Betrieb vermeiden, wenn AN nach Belieben den Wohnsitz für das Homeoffice wählen können. Exemplarisch führt dazu der Autor etwa „Homeoffice für zwei Wochen im Haus der Mutter im Libanon an“ (S 86). Ausgespart bleiben diesbezüglich jedoch Überlegungen hinsichtlich einer potenziellen Unvereinbarkeit einer solchen Vereinbarung über den Ort des Homeoffice mit Art 45 AEUV, sollte Homeoffice im (europäischen) Ausland generell ausgeschlossen sein.

Alles in allem stellt das vorliegende Werk einen spannenden Überblick über die umstrittensten Probleme des Arbeitsrechts während der Pandemie dar. Solche Beiträge sind für eine fruchtbringende Diskussion in ungewissen Zeiten mit neuartigen Problemen und den erforderlichen Lösungen von großer Bedeutung.