SchnittlerDas Ausbildungsverhältnis im Arbeits- und Sozialrecht

Verlag des ÖGB, Wien 2021, 448 Seiten, broschiert, € 36,–

ANGELAJULCHER (WIEN/SALZBURG)

Schon der Titel des Werks, das auf einer im November 2019 an der Karl-Franzens-Universität Graz approbierten Dissertation beruht, weist auf die enorme Aufgabe hin, der sich Christina Schnittler gestellt hat: eine umfassende Beleuchtung des Ausbildungsverhältnisses sowohl aus arbeitsrechtlicher als auch aus sozial(versicherungs)rechtlicher Sicht. Sie konnte dabei auf eine durchaus beachtliche Zahl an gerichtlichen Entscheidungen und literarischen Äußerungen zurückgreifen, die sich aber jeweils nur mit Teilaspekten der rechtlichen Problematik von Ausbildungsverhältnissen befassten. Das große Verdienst der Autorin ist es, diese Rsp und Literatur systematisch dargestellt und bewertet sowie ergänzend dazu die wichtigsten der in der Praxis anzutreffenden Ausgestaltungen von Ausbildungsverhältnissen beschrieben zu haben. Darüber hinaus macht sie eigene Vorschläge zur Definition des Ausbildungsverhältnisses und seiner beiden Unterformen Praktikum und Volontariat.

Ausgangspunkt ist dabei die Abgrenzung des Ausbildungsverhältnisses vom am nächsten verwandten Vertragstyp, dem Arbeitsverhältnis. Dazu haben der OGH und – diesem weitgehend folgend – der VwGH verschiedene Kriterien entwickelt, die letztlich in die entscheidende Frage münden, ob bei der konkreten Beschäftigung Betriebsinteressen im Vordergrund stehen oder vielmehr das individuelle Ausbildungsinteresse überwiegt. Die Autorin kritisiert daran – im Anschluss an andere Literaturmeinungen –, dass sich das bloße Motiv der Beschäftigung nicht zur Abgrenzung eines Vertragstyps eigne. Ihrer Meinung nach soll ausschlaggebend sein, ob eine Verpflichtung der Beschäftigten zur Dienstleistung besteht; nur dann, wenn eine solche Verpflichtung fehlt – die Tätigkeit in diesem Sinn also nicht für einen anderen, sondern nur bei einem anderen erfolgt –, kann es sich um ein Ausbildungsverhältnis handeln. Diese Sichtweise berücksichtigt mE zu wenig, dass einerseits auch bei Bejahung einer (persönlichen) Arbeitspflicht das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zu verneinen sein kann (und damit die Qualifikation als bloßes Ausbildungsverhältnis offen stünde) und es sich andererseits bei Verneinung einer solchen Pflicht dennoch um ein freies Dienstverhältnis (dem grundsätzlich weder eine Vertretungsmöglichkeit bei der Dienstleistung noch ein sanktionsloses Ablehnungsrecht entgegenstehen) handeln könnte. Richtig ist aber, dass eine persönliche Arbeitspflicht bei einer Beschäftigung zu Ausbildungszwecken im Ergebnis zumindest in der weit überwiegenden Zahl der Fälle dazu führen wird, dass von einem Arbeitsverhältnis auszugehen ist, weil die (sonstigen) Kriterien der persönlichen Abhängigkeit schon im Hinblick auf die sich aus dem Ausbildungscharakter ergebenden Sachzwänge – wie den erhöhten Bedarf an Betreuung und Überwachung – in aller Regel stark ausgeprägt sein werden. Die positive Definition eines Ausbildungsverhältnisses durch die 95 Autorin wird schließlich so zusammengefasst, dass „zur Verfolgung von Ausbildungszwecken (Erwerb von praktischen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten) praktische Tätigkeiten bei einem anderen unter entsprechender Betreuung (Aufsicht und/oder mit Anleitungen und Hilfestellungen) verrichtet werden (können)“.

Auf einer weiteren Ebene unternimmt die Autorin den Versuch, das Praktikum vom Volontariat abzugrenzen. Dabei soll es nach ihrer Ansicht darauf ankommen, ob die jeweilige praktische Tätigkeit in schul- oder studienrechtlichen Vorschriften zur Ergänzung der theoretischen Ausbildung verpflichtend vorgesehen ist. Ausgehend davon ist der Begriff „Pflichtpraktikum“ pleonastisch – jedes Praktikum ist ex definitione verpflichtend –, und das Volontariat ist durch eine „doppelte Freiwilligkeit“ gekennzeichnet: Sowohl das Volontariat an sich als auch die in dessen Rahmen verrichteten Tätigkeiten erfolgen freiwillig. Dieses Begriffsverständnis entspricht allerdings offenkundig nicht jenem des Gesetzgebers, der etwa in § 4 Abs 1 Z 4 ASVG Volontariate „zum Zwecke der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, abgeschlossene Hochschulbildung erfordernden Beruf“ für möglich zu halten scheint (andernfalls ginge die in dieser Bestimmung für Volontäre getroffene Ausnahme ins Leere) und im VBG ein „Verwaltungspraktikum“ vorsieht, dem keine schul- oder studienrechtliche Verpflichtung zugrunde liegt (und das im Übrigen – wie auch die Autorin anmerkt – nach allen herkömmlichen Kriterien als Dienstverhältnis zu qualifizieren wäre). Einzuräumen ist freilich, dass den Gesetzesbegriffen „Praktikum“ und „Volontariat“ in Ermangelung von gesetzlichen Definitionen durchaus unterschiedliche – im Auslegungsweg zu ermittelnde – Vorstellungen zugrunde liegen können; Ähnliches gilt für entsprechende Bezugnahmen in Kollektivverträgen, wie sie im vorliegenden Werk auch dargestellt werden. Vor diesem Hintergrund erschiene eine allgemeingültige Definition wünschenswert, wobei sich aber auch die Frage stellt, welchen Mehrwert die strikte Abgrenzung zwischen Praktika und Volontariaten tatsächlich haben kann. Wenn Schnittler bei ihrem Definitionsverschlag für Volontariate neben der „doppelten Freiwilligkeit“ auch noch auf eine „weitgehend reduzierte Betreuungspflicht des Ausbildungsgebers“ abstellt, bleiben zudem all jene Ausbildungsverhältnisse unberücksichtigt, die nicht im Rahmen einer theoretischen Ausbildung verpflichtend zu absolvieren sind und daher nach der Definition der Autorin keine Praktika sein können, aber dennoch einen Ausbildungsplan mit entsprechenden Vorgaben für die Ausbildenden verfolgen.

Für die von Schnittler ausführlich behandelte Frage der (analogen) Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften dürfte es ohnedies nicht auf die Zuordnung zum „Praktikum“ einerseits oder „Volontariat“ andererseits ankommen. Entscheidend ist vielmehr die Schutzbedürftigkeit der Auszubildenden, für die je nach Schutzzweck der in Betracht kommenden Norm unterschiedliche, aber von der Abgrenzung zwischen „Praktikum“ und „Volontariat“ weitgehend unabhängige Aspekte (wie etwa die faktische Tätigkeit im Betrieb) maßgeblich sind. Sowohl für die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Regelungen de lege lata als auch für Überlegungen de lege ferenda erscheint im Übrigen wichtig, dass – was auch Schnittler betont – Auszubildende im Allgemeinen in einem Abhängigkeits- und Subordinationsverhältnis stehen, das von jenem in einem Arbeitsverhältnis zu unterscheiden, aber im Ergebnis nicht minder ausgeprägt ist.

Als Fazit bleibt, dass eine allgemeine gesetzliche Regelung von Ausbildungsverhältnissen, für die die Autorin im abschließenden rechtspolitischen Teil des Werks konkrete Vorschläge macht, längst fällig wäre. Zwar geht in der Praxis der Trend in sehr begrüßenswerter Weise dahin, dass auch Beschäftigungen zu Ausbildungszwecken immer mehr im Rahmen von Arbeitsverhältnissen erfolgen, für die dann sämtliche arbeitsrechtliche Rechtsvorschriften gelten und höchstens in der kollektivvertraglichen Einstufung Sonderregeln bestehen. Für die Ausgestaltung der verbleibenden Ausbildungsverhältnisse sowie für die Abgrenzung von Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen sollte jedoch im Interesse der Rechtssicherheit ein konsistentes Regelwerk – nicht nur für Teilbereiche wie die Freiwilligenarbeit – geschaffen werden. Dass die Autorin im vorliegenden Werk auch de lege lata im Auslegungsweg zu überzeugenden und weitgehend zufriedenstellenden Lösungen kommt, sollte nicht über den Mangel auf gesetzlicher Ebene hinwegtäuschen, sondern Grundlage und Motivation für eine umfassende legistische Lösung sein. 96