21Gesetzliche Ermächtigung zur Einrichtung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes durch die Kurienversammlung der Ärztekammer nicht verfassungswidrig
Gesetzliche Ermächtigung zur Einrichtung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes durch die Kurienversammlung der Ärztekammer nicht verfassungswidrig
Es ist ausgeschlossen, dass es ärztliche Not- und Bereitschaftsdienste nur nach Maßgabe der Verordnung der Ärztekammer geben kann.
Der VfGH teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken der antragstellenden Landesregierung im Ergebnis nicht, basieren diese doch auf einer unzutreffenden Interpretation der angefochtenen Regelungen des ÄrzteG 1998.
Am 25.6.2021 wurde auf Basis der §§ 84 Abs 4 Z 7 und 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998 die „Verordnung über die Einrichtung und Organisation eines ärztlichen Bereitschaftsdienstes im Burgenland“ (in der Folge: „Verordnung“) auf der Homepage der Ärztekammer für Burgenland kundgemacht. Die Verordnung, die am 1.7.2021 in Kraft trat, regelt „die Einrichtung und Organisation eines ärztlichen Bereitschaftsdienstes“ und enthält ua Bestimmungen über Dienstzeit (§ 2), Sprengeleinteilung (§ 3), (verpflichtete) Teilnahme (§ 4) und Honorierung des Bereitschaftsdienstes.
Die Burgenländische Landesregierung (in der Folge: „LReg“) beantragte, §§ 84 Abs 4 Z 7 und 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998, wonach den Kurienversammlungen der niedergelassenen Ärzte der Länder- Ärztekammern bzw der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte die Einrichtung des ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes obliegt, als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Verordnungsermächtigungen würden die Grenzen zulässiger Selbstverwaltung überschreiten.
Die antragstellende LReg begründete Ihren Antrag im Wesentlichen wie folgt:
§ 84 Abs 4 Z 7 und § 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998 würden die Grenzen zulässiger Selbstverwaltung überschreiten, da die Einrichtung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes durch die Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte der Länder-Ärztekammern bzw die Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte nicht nur die in der Kurie der niedergelassenen Ärzte zusammengefasste Ärzteschaft betreffe, sondern in gleichem Maße auch die zur Sozialversicherungsgemeinschaft zusammengefassten krankenversicherten Personen.
Eine solche Verordnung, welche den sozialversicherungsrechtlich Versicherten überhaupt erst die Möglichkeit eröffne, einen allgemeinmedizinischen Not- und Bereitschaftsdienst, etwa an Arbeitstagen wie auch an Wochenenden und Feiertagen, außerhalb der gewöhnlichen Öffnungszeiten einer Ordination und damit eine allgemeinärztliche kurative Versorgung in Anspruch zu nehmen, berühre nicht bloß überwiegende Interessen der im Selbstverwaltungskörper der Ärztekammer zusammengefassten Mitglieder, sondern in zumindest gleicher Intensität allgemeine Interessen der (sozialversicherungsrechtlich krankenversicherten) Bevölkerung an der Sicherstellung einer allgemeinärztlichen kurativen Versorgung und einer qualitätsvollen Gesundheitsversorgung.
Mit der Verankerung der Zeiten des Bereitschaftsdienstes durch die in der Ärztekammer zusammengefassten Personen werde eine Angelegenheit weisungsungebunden besorgt, die sich maßgeblich auf einen Personenkreis beziehe (die Versicherten), der von jenem verschieden sei, welcher dem Selbstverwaltungskörper die erforderliche demokratische Legitimation vermittle. Damit seien die in der Ärztekammer zusammengefassten Personen zur heteronomen Normsetzung gegenüber den betroffenen Versicherten auch nicht demokratisch legitimiert und würden die angefochtenen Bestimmungen den für die Errichtung von Selbstverwaltungskörpern geltenden Verfassungsgrundsätzen widersprechen.
Die antragstellende LReg kommt daher unter Verweis auf VfGH 1977/VfSlg 8215 zum Ergebnis, dass die Grenzen zulässiger Selbstverwaltung gem Art 120a ff 37B-VG (insb Art 120a Abs 1 iVm Art 120b Abs 1 und 2 B-VG), der stRsp des VfGH zu Selbstverwaltungskörpern sowie dem bundesverfassungsrechtlichen Organisationskonzept, welches eine Unterstellung der hoheitlich zu besorgenden Verwaltungstätigkeit unter die obersten Organe (Art 19 iVm Art 20 Abs 1 B-VG), die ihrerseits der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, verlangt, insofern überschritten seien, als dem Selbstverwaltungskörper mit § 84 Abs 4 Z 7 bzw § 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998 jeweils eine Angelegenheit zugewiesen werde, die nicht im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zum Selbstverwaltungskörper zusammengeschlossenen Personen gelegen und geeignet sei, von dieser Gemeinschaft besorgt zu werden.
Die Bundesregierung (in der Folge: „BReg“) beantragte die Abweisung des Antrags. Nach Ansicht der BReg würden die angefochtenen Bestimmungen nicht jenen Inhalt aufweisen, der ihnen von der antragstellenden LReg unterstellt werde. Die bekämpften Normen würden nämlich nicht vorsehen, dass überhaupt und in welchem Ausmaß ein ärztlicher Not- und Bereitschaftsdienst zu leisten sei. Stattdessen würden sie lediglich das jeweils zuständige Kammerorgan ermächtigen, Regelungen darüber zu treffen, wie ein allenfalls eingerichteter ärztlicher Not- und Bereitschaftsdienst für bestimmte Kurienangehörige (hier: niedergelassene Ärzte) ausgestaltet sein solle.
Diese Vorgaben würden ausschließlich die – in der jeweiligen Kurie zusammengefasste – Ärzteschaft betreffen. Die nähere Ausgestaltung der Teilnahme an einem ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienst, etwa durch Einführung eines Dienstrades zur gleichmäßigen Verteilung der Arbeitsbelastung der verpflichteten Ärzte, liege nicht nur im überwiegenden, sondern im ausschließlichen Interesse der in der jeweiligen Ärztekammer zusammengefassten Personen. Es könne daher nach Ansicht der BReg der Gesetzgebung nicht entgegengetreten werden, wenn sie durch die angefochtenen Bestimmungen die „Einrichtung“ – iS einer konkreten Ausgestaltung – eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes den Ärztekammern im eigenen Wirkungsbereich zur weisungsfreien Besorgung übertragen habe. Damit seien nach Auffassung der BReg auch die Bedenken im Hinblick auf Art 19 iVm Art 20 B-VG zerstreut.
Auch die Österreichische Ärztekammer sowie die Ärztekammer für Burgenland bestritten die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmungen.
Die Verordnungsermächtigungen nach § 84 Abs 4 Z 7 und § 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998 würden die sozialversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche der Versicherten auf ärztliche Hilfe vollkommen unberührt lassen. Vielmehr gehe es darum, den Not- und Bereitschaftsdienst innerhalb der Ärzteschaft zu organisieren.
Durch die Ärztekammern erfolge bloß die „Konkretisierung der einzelnen Dienste“ iSd „Erstellung eines Dienstplans“ (VfGH 10.12.2014, B 967/2012 ua.). In Verordnungen auf der Grundlage von § 84 Abs 4 Z 7 sowie § 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998 werde somit nur die interne Dienstaufteilung unter den kammerangehörigen Ärzten vorgenommen. Die Rechtssphäre der Versicherten werde hingegen nicht gestaltet. Die interne Dienstaufteilung möge zwar insofern eine Reflexwirkung auf die Versicherten haben, als sie mittelbare Auswirkungen darauf habe, wann ärztliche Hilfe durch freiberufliche Ärzte faktisch in Anspruch genommen werden könne. Dabei handle es sich jedoch nicht um eine unmittelbare Gestaltung der Rechtssphäre (nämlich der Leistungsansprüche) der Versicherten aus dem Sozialversicherungsverhältnis; die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus diesem Versicherungsverhältnis würden nämlich unverändert bleiben.
Der VfGH erachtet den Antrag der LReg hinsichtlich § 84 Abs 4 Z 7 und § 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998 insgesamt für zulässig, wies ihn mit seinem Erkenntnis jedoch ab.
„(…)
3.6.1. Gemäß § 84 Abs. 4 ÄrzteG 1998 ist die Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte bzw. die Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte nach § 126 Abs. 4 ÄrzteG 1998 dazu berufen, die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der niedergelassenen Ärzte wahrzunehmen und zu fördern. Zu diesem Zweck obliegen diesen Kammerorganen die in Abs. 4 par. cit. abschließend aufgelisteten Angelegenheiten. Zu diesen Angelegenheiten zählt auch die so genannte „Einrichtung“ eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes.
3.6.2. Der Verfassungsgerichtshof geht mit der Burgenländischen Landesregierung davon aus, dass diese „Einrichtung“ eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes eine Aufgabe im eigenen Wirkungsbereich der Ärztekammer(n) ist. Nicht zutreffend ist allerdings die von der antragstellenden Landesregierung vorgenommene Auslegung des Begriffs „Einrichtung“. Anders als im Antrag dargelegt, handelt es sich dabei bloß um eine Ermächtigung betreffend die organisatorisch notwendige Einrichtung dieser notärztlichen Dienste (…), nicht jedoch um eine Ermächtigung, durch Verordnung die Frage zu klären, ob es solche Dienste zu geben hat. Die Frage des „Ob“ ist eine Sache, die im Gesamtvertrag oder allenfalls in einem anderen Gesetz oder einer Verordnung zu regeln ist, denn dadurch werden die Rechtsansprüche und die (Rechts-)Verhältnisse Dritter tatsächlich derart berührt, dass dies jedenfalls nicht mehr als Angelegenheit, die im überwiegenden Interesse der Ärzteschaft gelegen ist, betrachtet werden kann. (…)38
3.6.5. Gegenstand der bekämpften Gesetzesbestimmungen ist die Einrichtung und Organisation eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes in Bezug auf innerorganisatorische Belange der niedergelassenen Ärzteschaft. Die in § 84 Abs. 4 Z 7 bzw. § 126 Abs. 4 Z 7 ÄrzteG 1998 verankerte Ermächtigung der Kurienversammlung bzw. der Bundeskurie dient der Normierung von Rahmenbedingungen für die berufliche Tätigkeit der Ärzte durch die nähere Ausgestaltung der Umsetzung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes, etwa betreffend Dienstzeiten, die Sprengeleinteilung, Vertretungsregeln und die Honorierung (…).
3.6.6. Die Einrichtung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes richtet sich somit ausschließlich an die Mitglieder dieses Selbstverwaltungskörpers (…).
3.6.7. Bei diesem – verfassungsrechtlich gebotenen – Verständnis der angefochtenen Regelungen ist somit auch festzuhalten, dass die Ärztekammer für Burgenland, anscheinend in Verkennung der geltenden Rechtslage, ihrer Ermächtigung bzw. Verpflichtung zur Organisation nicht bzw. nicht hinreichend nachgekommen zu sein scheint. Es ist allerdings ausgeschlossen, dass es ärztliche Not- und Bereitschaftsdienste nur nach Maßgabe der Verordnung der Ärztekammer geben kann.
3.6.8. Der antragstellenden Landesregierung ist dahingehend zuzustimmen, dass die allgemeinmedizinische Versorgung der Bevölkerung auch außerhalb der gewöhnlichen Ordinationszeiten von Ärzten ein gewichtiges öffentliches Interesse darstellt, deren Gewährleistung sicherzustellen ist, sowie auch, dass die Sicherstellung der Versorgung an sich – wie soeben dargetan – nicht und schon gar nicht allein durch eine Regelung im eigenen Wirkungsbereich der Ärztekammer erfolgen kann. Es ist aber eben davon auszugehen, dass ein (verfassungsrechtlich nicht zu beanstandendes) Zusammenwirken der unterschiedlichen Normsetzer unter verschiedenen Gesichtspunkten, etwa des Bundes- und/oder Landesgesetzgebers sowie Verordnungsgebers, notwendig ist, um die bestmögliche Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dazu zählt auch die Ermächtigung bzw. Verpflichtung der Ärztekammer, entsprechend der gesetzlichen Grundlage, die Organisation der Ärzteschaft zu übernehmen. Dass diese letztlich auch Auswirkungen auf die Bevölkerung hat, ist hier nicht erheblich (vgl. hingegen VfSlg. 19.885/2014 zu Reflexwirkungen gegenüber Dritten). (…)“
In § 2 der am 1.7.2021 in Kraft getretenen „Verordnung über die Einrichtung und Organisation eines ärztlichen Bereitschaftsdienstes im Burgenland“ wird bestimmt, dass der allgemeinmedizinische Bereitschaftsdienst an Arbeitstagen (Montag bis Freitag; exklusive gesetzliche Feiertage; exklusive 24. und 31.12.; inklusive Landesfeiertag, Allerseelen, Karfreitag) in der Zeit von 17 bis 22 Uhr zu leisten ist (Wochentagsnacht-Bereitschaftsdienst [WTN-BD]). Gem § 1 Abs 4 der Verordnung besteht an den übrigen, von dieser Verordnung gem § 2 nicht erfassten Tagen des Jahres ohne Dienstverpflichtung ein freiwilliger allgemeinmedizinischer Bereitschaftsdienst.
Mit der Verordnung wurde der bis dahin bestehende, verpflichtende Bereitschaftsdienst an Samstagen sowie an Sonn- und Feiertagen aufgehoben.
Der Anspruch und das Ausmaß der „ärztlichen Hilfe“ sind in §§ 133 Abs 1 Z 1, 135 Abs 1 ASVG bzw in § 90 f GSVG grundgelegt. Der Anspruch der Versicherten auf „ärztliche Hilfe“ besteht gegenüber dem Versicherungsträger auf der Grundlage dieses besonderen sozialversicherungsrechtlichen Schuldverhältnisses (vgl etwa Gruber-Risak, 1. Das Versicherungsverhältnis, in Tomandl/Felten [Hrsg], System des österreichischen Sozialversicherungsrechts [38. Lfg 2021] 39 und Atria, §§ 85, 86, in Sonntag [Hrsg], ASVG13 [2022] Rz 1).
In den Gesamtverträgen wird zwischen den Trägern der SV und den jeweiligen Ärztekammern gem § 338 Abs 2 ASVG „die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen“ sichergestellt.
§ 338 Abs 1 und 2 ASVG sieht vor, dass die Beziehungen der Träger der SV zu den freiberuflich tätigen Ärztinnen bzw Ärzten durch privatrechtliche Verträge zu regeln sind.
Welche Leistungen wie abgegolten werden sollen, richtet sich nach dem Gesamtvertrag (vgl § 342 ASVG). Im Gesamtvertrag in der Stammfassung vom 20.5.1994, der zwischen der Ärztekammer für Burgenland und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger abgeschlossen wurde (in der Folge: „Gesamtvertrag“), ist bloß geregelt, dass für den Fall eines Not- und Bereitschaftsdienstes (konkret: eines Sonn- und Feiertagsdienstes) der Vertragsarzt zur Teilnahme an dem von der Ärztekammer „eingerichteten“, also zu organisierenden Dienstes verpflichtet ist (§ 16).
Im Hinblick auf diese gebotene Zusammenschau des ÄrzteG 1998 und des Gesamtvertrages hält der VfGH fest, „dass die Ärztekammer für Burgenland, anscheinend in Verkennung der geltenden Rechtslage, ihrer Ermächtig bzw. Verpflichtung zur Organisation (Anm: des Not- und Bereitschaftsdienstes) nicht bzw. nicht hinreichend nachgekommen zu sein scheint“.
Diese Anmerkung des VfGH ist durchaus als Kritik an der Aufhebung des verpflichtenden Bereitschaftsdienstes an Samstagen sowie an Sonn- und Feiertagen zu lesen. Gleichzeitig wird aber auch der Landesgesetzgeber nicht aus der Verantwortung entlas39sen, eine ausreichende medizinische Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Der VfGH stellt dies klar, indem er ausführt, dass es ausgeschlossen sei, dass es ärztliche Not- und Bereitschaftsdienste nur nach Maßgabe der Verordnung der Ärztekammer geben kann.
Der (politische) Kampf um höhere Abgeltungen/bessere Rahmenbedingungen für Wochenend-Bereitschaftsdienste sollte jedenfalls nicht auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden.