22Paritätische Laienrichter-Besetzung auch in Sozialrechtsverfahren über Ansprüche gewerblich Selbständiger nach dem BPGG
Paritätische Laienrichter-Besetzung auch in Sozialrechtsverfahren über Ansprüche gewerblich Selbständiger nach dem BPGG
Die Kl erhob Klage gegen den Bescheid der bekl Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS), mit dem ihm Pflegegeld der Stufe 1 gewährt wurde. Das Erstgericht erkannte die Bekl schuldig, Pflegegeld der Stufe 2 in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Das Berufungsgericht bestätigte in nichtöffentlicher Sitzung die erstgerichtliche Entscheidung mit einer Maßgabe und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Dem Senat gehörten neben der vorsitzenden Senatspräsidentin, einer Berufsrichterin und einem Berufsrichter zwei fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der AG an. Mit der Revision bekämpft die Bekl den Zuspruch eines höheren Pflegegelds als jenem der Stufe 1.
Der OGH erklärte das Rechtsmittel für zulässig und hob von Amts wegen die angefochtene Entscheidung als nichtig auf. Er trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung in vorschriftsgemäßer Besetzung auf.
Der OGH erläutert in seiner Begründung, dass gem § 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG die fachkundigen Laienrichter vorbehaltlich des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG je zur Hälfte dem Kreis der AG und dem Kreis der AN anzugehören haben. In Sozialrechtssachen ist daher im Regelfall in paritätischer Besetzung zu verhandeln und zu entscheiden. Davon ausgenommen sind nach § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG Streitsachen nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG), dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG), dem Freiberuflichen-Sozialversicherungsgesetz (FSVG), dem Betriebshilfegesetz, und – wenn der Kl ein Notar ist – nach dem Notarversicherungsgesetz (NVG), in denen alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der AG anzugehören haben.
In der E vom 1.9.1998, 10 ObS 283/98k, sprach der OGH aus, dass es sich beim Anspruch eines gewerblich Selbständigen auf Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), den dieser (nach § 6 Abs 2 Z 1 BPGG) gegen den Träger der UV geltend machte, um eine „Streitsache nach dem GSVG“ iSd § 12 Abs 3 ASGG handelt, sodass beide fachkundigen Laienrichter dem Kreis der AG anzugehören haben. Darauf aufbauend erfolgte die Senatsbildung in Pflegegeldsachen Selbständiger in der Folge auch stets nach § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG.
Diese Ansicht ist angesichts der jüngeren Rsp zu § 12 Abs 3 ASGG in Kinderbetreuungsgeldsachen nicht aufrecht zu erhalten. Zu 10 ObS 86/18x vom 19.12.2018 hat der OGH ausgesprochen, dass in Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) die Senate nach der allgemeinen Regel des § 12 Abs 1 ASGG zu bilden sind. Begründet wurde dies damit, dass sich die Berechtigung derartiger Ansprüche ausschließlich aus den Bestimmungen des KBGG ergibt und sich nur die Zuständigkeit des in Anspruch genommenen Krankenversicherungsträgers aus den §§ 25, 28 KBGG ableitet. Da Rechtsstreitigkeiten nach dem KBGG nicht unter den Ausnahmefällen des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG aufgezählt sind, kommt dieser nicht zum Tragen.
Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Auch hier ergeben sich die Voraussetzungen für die Berechtigung des verfolgten Anspruchs ausschließlich aus dem BPGG selbst. Die Bestimmungen des GSVG sind nur insoweit relevant, als jener Sozialversicherungsträger zur Entscheidung über Ansprüche nach dem BPGG sowie zur Auszahlung der Leistungen berufen ist, der auch für die Gewährung der Grundleistung zuständig ist (§ 22 Abs 1 und § 17 Abs 3 BPGG; siehe auch § 6 Abs 2 BPGG). Um eine Streitsache „nach“ dem GSVG, dh nach dessen Bestimmungen, handelt es sich bei Ansprüchen, die auf das BPGG gestützt werden, nicht. Darüber geführte Verfahren sind auch nicht Teil des Ausnahmenkatalogs des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG, sodass es bei der Grundregel des § 12 Abs 1 ASGG zu bleiben hat und die Senate paritätisch zu besetzen sind.
Das Berufungsgericht, dem zwei fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der AG angehörten, war daher nicht vorschriftsmäßig besetzt, was seine Entscheidung nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nichtig macht.40