23Besonderer Höherversicherungsbetrag auch bei Selbstversicherung wegen Pflege eines nahen Angehörigen neben Bezug einer Alterspension
Besonderer Höherversicherungsbetrag auch bei Selbstversicherung wegen Pflege eines nahen Angehörigen neben Bezug einer Alterspension
Werden neben dem Bezug einer Alterspension leistungswirksame Beitragsmonate aufgrund einer Selbstversicherung in der PV für Zeiten der Pflege naher Angehöriger (§ 18b ASVG) erworben, so gebührt in analoger Anwendung des § 248c ASVG ein besonderer Höherversicherungsbetrag.
Die 1957 geborene Kl bezieht seit 1.6.2019 eine Alterspension von der bekl Pensionsversicherungsanstalt. Im Zeitraum vom 1.10.2019 bis 31.8.2021 erwarb sie Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung aufgrund der Selbstversicherung gem § 18b ASVG, weil sie ihre Mutter, die Pflegegeld der Stufe 3 bezog, unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegte.
Mit Bescheid vom 13.8.2021 lehnte die Bekl den Antrag der Kl auf Neubemessung der Alterspension ab, weil die Kl neben dem Pensionsbezug keine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Bekl zur Leistung eines monatlichen Höherversicherungsbeitrags nach § 248c ASVG. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge und erklärte die Revision für zulässig, weil zu dieser Frage keine höchstgerichtliche Rsp vorliege.
Der OGH erklärte die Revision der Bekl für zulässig, aber für nicht berechtigt.
[…]
1.3. Ob der Klägerin der strittige Anspruch auf den besonderen Höherversicherungsbetrag zusteht, ist […] ausschließlich aufgrund der Bestimmungen des ASVG, insbesondere seines § 248c, zu prüfen.
2.1. Neben dem Bezug einer (regulären) Alterspension ist jede Erwerbstätigkeit zulässig; die Pension gebührt in diesem Fall ungekürzt […]. Bei Ausübung einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit sind immer Pensionsversicherungsbeiträge zu entrichten, auch wenn bereits eine Pension bezogen wird […]. Vor Anfall einer Pension werden (bis zum Stichtag) erworbene Pensionsversicherungsbeiträge grundsätzlich beim Ausmaß der Pension berücksichtigt. Durch die Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers über die Gewährung der Alterspension wird der Versicherungsfall des Alters konsumiert – er kann daher nach allen Pensionssystemen nur einmal eintreten, auch wenn nach der Gewährung der Pension Versicherungszeiten erworben werden […]. Es besteht keine allgemeine Rechtsgrundlage für eine Neuberechnung einer bereits angefallenen und berechneten Pension, auch wenn während des Pensionsbezugs weitere Versicherungszeiten erworben wurden […].
[…]
2.3. Unabhängig von verfassungsrechtlichen Vorgaben wurde bis zum Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl I 2003/71BGBl I 2003/71 […] Kritik daran geübt, dass Pensionisten (weiter) Pensionsversicherungsbeiträge zahlten, ohne dafür eine entsprechende Leistung zu erhalten […]. Dies veranlasste den Gesetzgeber zur Einfügung des § 248c ASVG […] seit dem dem (der) Versicherten ein besonderer […] Höherversicherungsbetrag gebührt, wenn neben dem Bezug einer Alterspension ab dem Monatsersten nach Erreichung des Regelpensionsalters eine die Pflichtversicherung nach dem ASVG oder dem GSVG oder dem BSVG begründende Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. […] Nach den Materialien soll […] somit die Bereitschaft älterer Personen, weiterhin berufstätig zu sein, auch pensionsrechtlich honoriert werden […].
2.4. Nach dem Wortlaut des § 248c ASVG gebührt der dort geregelte besondere Höherversicherungsbetrag (nur) bei Ausübung einer die Pflichtversicherung nach dem ASVG oder dem GSVG oder dem BSVG begründenden Erwerbstätigkeit neben dem Pensionsbezug, die im vorliegenden Fall unstrittig nicht vorliegt.
[…]
3.2. Die Möglichkeit der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für die Pflege naher Angehöriger nach § 18b ASVG wurde durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2005, BGBl I 2005/132BGBl I 2005/132 […], geschaffen, um eine sich aus der damals geltenden Rechtslage ergebende „Lücke“ im Bereich der Selbstversicherungsmöglichkeiten für Pflegepersonen […] zu schließen (ErläutRV 1111 BlgNR 22. GP 4). Sie ist eine Weiterentwicklung eines Pensionsversicherungs-Verständnisses, das gesellschaftlich wichtige Tätigkeiten in den Mittelpunkt stellt, die sonst im erwerbszentrierten Pensionsversicherungssystem keine Berücksichtigung finden […], und bezweckt vorrangig, es den Pflegepersonen zu ermöglichen, die Zeit der Pflege als Zeit der Pensionsversicherung für die Altersversorgung zu erwerben (10ObS44/21z&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 44/21z […]).
3.3. Unter den in § 18b ASVG näher genannten […] Voraussetzungen besteht seither die zusätzliche Möglichkeit einer freiwilligen Pensionsversicherung, die auch neben einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit bestehen kann […]. Eine Kumulierung der Selbstversicherung nach § 18b ASVG mit einer anderen pensionsversicherungs41pflichtigen Erwerbstätigkeit führt gemäß § 248a ASVG (nur) zu einem besonderen Steigerungsbetrag wegen Höherversicherung […].
[…]
3.5. […] Einen Ausschluss für den Fall eines bescheidmäßig zuerkannten Anspruchs auf eine monatlich wiederkehrende Geldleistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung sieht das Gesetz in § 18b ASVG […] nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Bezug einer Alterspension daher kein Hindernis für die Selbstversicherung nach § 18b ASVG (VwGH Ro 2020/08/0004).
[…]
4.1. Für eine Berücksichtigung solcher Selbstversicherungszeiten bei der Pensionshöhe, die nach Anfall der Alterspension, also neben dem Bezug einer Alterspension erworben wurden, fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, weil […] der Wortlaut des § 248c ASVG einen besonderen Höherversicherungsbetrag nur für Pflichtversicherungszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit vorsieht. Für die Anwendung des § 248c ASVG auf den Fall der Selbstversicherung nach § 18b ASVG bedürfte es vielmehr eines Analogieschlusses.
[…]
4.2.1. Der besondere Höherversicherungsbetrag des § 248c ASVG folgte der Kritik daran, dass Alterspensionisten Pensionsversicherungsbeiträge zahlten, ohne dafür eine entsprechende Leistung zu erhalten […]. Damit kommt die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, während des Bezugs einer Alterspension eingezahlte Pensionsversicherungsbeiträge auch auf eine laufende Pensionsleistung (in Form einer besonderen Höherversicherung) anzurechnen. Grund der Anrechnung war sichtlich weniger das Vorliegen einer Pflichtversicherung oder einer Erwerbstätigkeit der Pensionsbezieher, sondern der Umstand, dass eingezahlte Beiträge leistungswirksam sein sollten. Dieser Teleologie entspricht es, wenn Beiträge aus einer Selbstversicherung nach § 18b ASVG gleichermaßen wie Beiträge aus einer Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit als besondere Höherversicherung nach § 248c ASVG angerechnet werden. Grund für die Ausgestaltung von Zeiten der familiären Pflege außerhalb einer Erwerbstätigkeit als Selbstversicherungszeiten war erkennbar, den pflegenden Angehörigen bei Erfüllung der Voraussetzungen eine Wahlmöglichkeit zu belassen, nicht jedoch diese Zeiten gegenüber Pflichtversicherungszeiten abzuwerten. Da § 18b ASVG den Einsatz der Arbeitskraft im familiären (Pflege-)Bereich […] leistungswirksam honorieren soll, die auch im Rahmen einer pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit genutzt werden könnte, ist eine Gleichstellung dieser Beitragszeiten mit solchen aus einer pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit in der Frage der grundsätzlichen Leistungswirksamkeit gerechtfertigt. Eine sachliche Begründung für eine Differenzierung dahingehend, dass diese Selbstversicherungszeiten vor Anfall einer Pension pensionserhöhend wirken, danach hingegen nicht, ist daher nicht ersichtlich.
4.2.2. Darüber hinaus werden […] für solche Selbstversicherungszeiten, in denen eine Alterspension bezogen wird, gleichermaßen Beitragsmonate erworben. Zwar folgt aus dem Erwerb von Beitragsmonaten nicht zwingend, dass diese auch leistungswirksam sein müssen. Bei einer Selbstversicherung scheint es aber wenig sinnvoll, den Betroffenen ein Wahlrecht einzuräumen, Beitragszeiten zu erwerben, denen das Leistungsrecht ohnedies die Anerkennung versagt […]. Mangels möglicher Auswirkungen für die Selbstversicherten bestünde ansonsten gar kein Anreiz für die Inanspruchnahme einer so ausgestalteten Selbstversicherung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Beiträge im Fall des § 18b ASVG gemäß § 77 Abs 8 ASVG zur Gänze vom Bund getragen werden. Würden diese Beiträge von vornherein nicht leistungswirksam sein können, würde dieser Bestimmung im Fall eines Bezugs einer Alterspension ausschließlich budgetpolitische Wirkung zukommen, was im Rahmen einer – dem Ermessen der jeweiligen Pflegeperson obliegenden – freiwilligen Versicherung unpassend und mit der Ausgestaltung als – den Pflegepersonen zukommende – Sozialleistung nicht vereinbar wäre.
4.2.3. Es deutet auch nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber den Fall der Selbstversicherung nach § 18b ASVG in § 248c ASVG bewusst von einer Höherversicherung ausnehmen wollte. Der Umstand, dass in § 248c ASVG und in den Gesetzesmaterialien des BBG 2003 nur von einer Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit (und nicht von einer freiwilligen Versicherung infolge Selbstversicherung nach § 18b ASVG) die Rede ist, ist offensichtlich darauf zurückzuführen, dass zur Zeit der Einfügung des § 248c ASVG eine freiwillige Versicherung in der Pensionsversicherung neben dem Bezug einer Alterspension noch gar nicht vorgesehen war. […] Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber im Rahmen des SVÄG 2005 bei der Einführung der Selbstversicherung nach § 18b ASVG oder bei den nachfolgenden Novellierungen der §§ 18b oder 248c ASVG auf den Fall der Pflege naher Angehöriger durch Personen, die bereits eine Alterspension beziehen, Bedacht genommen und Selbstversicherungszeiten nach § 18b ASVG bei der besonderen Höherversicherung nach § 248c ASVG bewusst nicht berücksichtigen wollte.
[…]
4.3.1. Es mag [– wie von der Beklagten vorgebracht –] zutreffen, dass die Selbst- bzw Weiterversicherung in der Pensionsversicherung ursprünglich das Ziel hatte, die Anwartschaft für eine Alterspension zu ermöglichen. Die gesetzgeberische Wertung änderte sich mit der Schaffung des § 248c ASVG aber insofern, als Beitragszeiten für die Bezieher einer Alterspension pensionserhöhend wirken sollten […]. Auch der Selbstversicherung nach § 18b ASVG lässt sich nicht entnehmen, dass die Ziel42setzung auf den Erwerb einer Anwartschaft zu einer Pension eingeschränkt sein sollte, ist dafür doch nicht nur eine Versicherungs-, sondern auch eine Beitragszeit samt fixer Beitragsgrundlage vorgesehen, die naturgemäß in die Höhe der Pension einfließen. Die Zielsetzung der Selbstversicherung, es den Pflegepersonen zu ermöglichen, die Zeit der Pflege als Zeit der Pensionsversicherung für die Altersversorgung zu erwerben, spricht im Übrigen nicht gegen die Berücksichtigung von nach dem Anfall der Alterspension erworbenen Beitragszeiten, weil diese Zielsetzung auf sämtliche Beitragszeiten zutrifft. Insbesondere Pflichtversicherungszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit dienen der Sicherung der Altersversorgung, was den Gesetzgeber aber nicht davon abhielt, solche Zeiten, die nach Anfall einer Alterspension erworben werden, pensionserhöhend wirken zu lassen. In diesem Sinn sichert auch die Erhöhung der bisherigen Pensionsleistung aufgrund von während laufenden Bezugs eingezahlter Beiträge die (weitere) Altersversorgung (in einem bestimmten Umfang).
[…]
4.3.3. […] Der Umstand, dass in den Gesetzesmaterialien zur Einfügung des § 18b ASVG bzw den nachfolgenden – nicht die hier maßgeblichen Passagen – betreffenden Novellierungen der §§ 18b und 248c ASVG die finanziellen Folgen der Tragung der Beiträge (auch) für Alterspensionisten oder einer Berücksichtigung dieser Beiträge nach § 248c ASVG nicht angeführt sind, bedeutet bloß, dass der Fall einer Selbstversicherung nach § 18b neben dem Bezug einer Alterspension dort nicht bedacht wurde und spricht daher nicht grundsätzlich gegen eine analoge Anwendung des § 248c ASVG.
5. Zusammengefasst ergibt sich:
Werden neben dem Bezug einer Alterspension leistungswirksame Beitragsmonate aufgrund einer Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger (§ 18b ASVG) erworben, so gebührt dafür in analoger Anwendung des § 248c ASVG ein besonderer Höherversicherungsbetrag.
Der VwGH hat bereits mit E vom 6.5.2020 festgestellt, dass die Selbstversicherung gem § 18b ASVG (und jene nach § 18a ASVG) auch neben dem Bezug einer Leistung aus einer eigenen gesetzlichen PV möglich sind. Begründet wurde dies damit, dass – im Gegensatz zu § 16a Abs 2 Z 2 ASVG, der die freiwillige Selbstversicherung in der PV regelt und § 17 Abs 1 letzter Halbsatz ASVG, der die Weiterversicherung in der PV regelt – weder § 18b ASVG noch § 18a ASVG im Fall eines bescheidmäßig zuerkannten Anspruchs auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen PV einen Ausschluss von der jeweiligen Selbstversicherung in der Angehörigenpflege vorsehen (VwGH 6.5.2020, Ro 2020/08/0004).
Offen blieb die Frage, inwiefern sich der Abschluss einer solchen Selbstversicherung wegen Pflege neben dem Bezug einer Pensionsleistung noch pensionserhöhend auswirken kann. Auf der einen Seite war durch die E des VwGH zwar geklärt, dass eine Selbstversicherung in diesem Fall möglich ist und daher sind entsprechend der Bestimmung des § 77 Abs 8 ASVG bei Abschluss einer solchen auch Beiträge vom Bund zu bezahlen. Auf der anderen Seite gab es allerdings keinerlei gesetzliche Grundlage dafür, dass die Beiträge auch leistungswirksam werden. Mit der gegenständlichen E wurde höchstgerichtlich klargestellt, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt, die im Wege der Analogie geschlossen werden muss, sodass die Selbstversicherung auch neben dem Bezug einer Alterspension in Form eines Höherversicherungsbeitrages noch positive Auswirkung auf die Pensionshöhe hat.
Eine politische Reaktion auf die E des OGH hat nicht lange auf sich warten lassen: Am 18.11.2022 wurde von den Regierungsparteien ein Antrag auf entsprechende Änderungen der §§ 18a und 18b ASVG im Nationalrat eingebracht (3012/A) und in weiterer Folge ein entsprechendes Bundesgesetz, BGBl I 2022/217BGBl I 2022/217 verabschiedet. In § 18a Abs 2 Z 1 und § 18b Abs 1a Z 1 ASVG ist nunmehr festgelegt, dass die Selbstversicherung für die Zeit ausgeschlossen ist, in der ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine monatliche wiederkehrende Geldleistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht. Beginnend mit 1.1.2023 kann neben dem Bezug einer Pension daher keine Selbstversicherung für die Pflege eines behinderten Kindes oder eines nahen Angehörigen mehr abgeschlossen werden.