Die Arbeitsfähigkeit in der Arbeitslosenversicherung – Rechtsfragen an der Schnittstelle zur Pensionsversicherung*
Die Arbeitsfähigkeit in der Arbeitslosenversicherung – Rechtsfragen an der Schnittstelle zur Pensionsversicherung*
Die Anspruchsvoraussetzung der Arbeitsfähigkeit in der Arbeitslosenversicherung
Begriff der Arbeitsfähigkeit
Anknüpfung an die Begrifflichkeiten des ASVG
Bruchstellen
Durchschlagen des pensionsversicherungsrechtlichen Berufsschutzes auf die Arbeitslosenversicherung
Kein Arbeitslosengeld für „originär Invalide“?
Abgrenzung zur Arbeitsunfähigkeit iSd Krankenversicherung
Bindungswirkung nach § 8 Abs 3 AlVG
Bindung an rechtskräftige Bescheide und Urteile im Pensionsverfahren
Grund und Dauer der Bindungswirkung
Bindungswirkung bei vorübergehender Invalidität/Berufsunfähigkeit
Bindung (nur) an den Spruch der Entscheidung
Bindung an Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung
Umfang und Grenzen der Bindungswirkung
Bedeutung des PVA-Gutachtens bei Klagsrückziehung
Zusammenfassung
Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe* besteht nach § 7 Abs 1 AlVG nur dann, wenn die Anwartschaft erfüllt und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft ist, und wenn der/die Anspruchswerber/in der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Letzteres wiederum setzt nach Abs 2 leg cit voraus, dass die betreffende Person eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf, und dass sie arbeitslos, arbeitswillig sowie arbeitsfähig ist. Über diese vier Kriterien soll der Versicherungsschutz auf jene Versicherte eingegrenzt werden, die einerseits wegen des Verlusts ihres bisherigen Arbeitsplatzes auf diesen Schutz angewiesen sind, bei denen es aber andererseits auch nicht von vornherein aufgrund rechtlicher oder faktischer Hindernisse aussichtslos erscheint, die Arbeitslosigkeit durch Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung wieder beenden zu können.
Über die in § 8 AlVG geregelte Anspruchsvoraussetzung der Arbeitsfähigkeit werden nun konkret jene Personen aus dem Schutzbereich der AlV ausgeschieden, bei denen der Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt gravierende gesundheitliche Einschränkungen entgegenstehen. Es handelt sich somit um eine objektive Schranke, die die Betroffenen – anders als bei der auf die subjektive Vermittlungsbereitschaft der arbeitslosen Person abstellenden Anspruchsvoraussetzung der Arbeitswilligkeit – idR nicht aus Eigenem überwinden können. Im Unterschied zur Situation bei mangelnder Arbeitswilligkeit führt das Fehlen von Arbeitsfähigkeit iSd § 8 AlVG aber auch nicht zwingend zu einem Herausfallen aus dem Netz der SV: Während im Falle der temporären bzw – bei genereller Arbeitsunwilligkeit – der dauerhaften Einstellung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe 99 wegen der Verweigerung oder Vereitelung zumutbarer Beschäftigungsangebote keine andere sozialversicherungsrechtliche Leistung zur Existenzabsicherung einspringt,* besteht bei fehlender Arbeitsfähigkeit uU ein Leistungsanspruch in der PV aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit.
Die an der Schnittstelle zwischen AlV und PV angesiedelte Anspruchsvoraussetzung der Arbeitsfähigkeit dient vor diesem Hintergrund nicht zuletzt dazu, die Leistungszuständigkeit der beiden Versicherungszweige voneinander abzugrenzen. In beiden Systemen finden erwerbslose Versicherte mit gesundheitlichen Problemen unter bestimmten Voraussetzungen eine existenzielle Absicherung. Arbeitslose Versicherte mit bloß eingeschränkter Arbeitsfähigkeit bleiben dabei grundsätzlich weiterhin im Zuständigkeitsbereich der AlV; die betroffenen Personen haben bei Erfüllen der übrigen Leistungsvoraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe, auch wenn ihr Leistungskalkül eine Vermittlung am Arbeitsmarkt nur sehr eingeschränkt zulässt. Fehlt die Arbeitsfähigkeit dagegen zur Gänze, so verwirklicht sich ein Risiko, für das nicht mehr die AlV, sondern allenfalls die PV zuständig ist. Einer der zentralen Inhalte des § 8 AlVG ist folglich die Frage, was unter Arbeits(un)fähigkeit iSd Arbeitslosenversicherungrechts zu verstehen ist.
Eine funktionierende Abgrenzung zwischen AlV und PV setzt voraus, dass in beiden Systemen vom selben Begriff der Arbeits(un)fähigkeit ausgegangen wird. Dem entsprechend knüpft die Begriffsdefinition des § 8 AlVG unmittelbar an die Begriffe der Invalidität bzw Berufsunfähigkeit des ASVG* an. Durch die Implementierung einer einheitlichen Begutachtungsstelle (Kompetenzzentrum Begutachtung) und die Bindung des Arbeitsmarktservice (AMS) an Gutachten und Bescheide der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) konnten auch jene früher häufig beklagten Probleme weitgehend beseitigt werden, die aus der jeweils „autonomen“ Abklärung der Arbeitsfähigkeit durch AMS und Pensionsversicherungsträger herrührten.
Die enge Verknüpfung von Pensions- und Arbeitslosenversicherungsrecht, insb über den gemeinsamen Begriff der Arbeitsfähigkeit, ist natürlich höchst sinnvoll, weil nur so eine klare Trennung zwischen den beiden Versicherungszweigen möglich ist, mit der doppelte Zuständigkeiten ebenso wie Zuständigkeitslücken weitgehend vermieden werden können. Sie wirft aber auch Fragen auf bzw führt in manchen Bereichen zu unbefriedigenden Ergebnissen, was vor allem daran liegt, dass AlV und PV abseits des gemeinsamen Begriffs der Arbeits(un)fähigkeit durchaus nicht denselben Gesetzmäßigkeiten folgen.
Die direkte Anknüpfung des § 8 AlVG an die Begriffe der geminderten Arbeitsfähigkeit iSd §§ 255 und 273 ASVG hat zum einen zur Folge, dass der pensionsversicherungsrechtliche Berufsschutz unmittelbar auf die AlV durchschlägt. Voraussetzung für den Erwerb dieses Berufsschutzes ist für Arbeiter und Angestellte gleichermaßen, dass der/die Versicherte in einer Rahmenzeit von 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend einer qualifizierten Tätigkeit nachgegangen ist.* Das Verweisungsfeld ist für Personen mit Berufsschutz deutlich enger und somit der Zugang zur Pension wesentlich einfacher als für Personen ohne Berufsschutz, da letztere nicht nur auf – verkürzt ausgedrückt – vergleichbare Tätigkeiten verwiesen werden können, sondern auf den gesamten Arbeitsmarkt.*
Aufgrund der unmittelbaren Anknüpfung an den Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitsbegriff des ASVG setzt sich die Unterscheidung zwischen Personen mit und ohne pensionsversicherungsrechtlichen Berufsschutz nun auch im Arbeitslosenversicherungsrecht fort, obwohl dort ein ganz anders konstruierter Berufsschutz normiert ist. Berufsschutz nach dem AlVG besteht gem § 9 Abs 3 Satz 1 AlVG zum einen lediglich für die ersten 100 Tage des Arbeitslosengeldbezugs und verhindert zum anderen auch in diesem begrenzten Zeitraum eine Vermittlung auf eine nicht dem bisherigen Tätigkeitsbereich entsprechende Arbeitsstelle nur dann, wenn dadurch die künftige Beschäftigung im bisherigen Beruf wesentlich erschwert wird. Mit dieser besonderen Ausformung des Berufsschutzes wird ein Mittelweg zwischen der Vermeidung von Dequalifikationseffekten und der Verhinderung von Langzeitarbeitslosigkeit gesucht: Arbeitslose Personen sollen nicht zu rasch in minderqualifizierte Tätigkeiten gedrängt werden, die einer späteren Rückkehr in den ursprünglichen Beruf abträglich sind, zugleich will man aber auch der Entstehung von Langzeitarbeitslosigkeit entgegenwirken, da der Wiedereinstieg auf dem Arbeitsmarkt mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit immer unwahrscheinlicher wird.*100
Zur inhaltlichen Reichweite des Berufsschutzes nach § 9 Abs 3 AlVG gibt es relativ wenig Judikatur;* unklar ist insb, ob sich der Berufsschutz nur auf die unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ausgeübte Tätigkeit bezieht oder auch frühere Tätigkeiten zu berücksichtigen sind.* Eindeutig ist jedoch der Befund, dass sich der arbeitslosenversicherungsrechtliche Berufsschutz nicht mit jenem des Pensionsversicherungsrechts deckt, da letzterer weder eine zeitliche Begrenzung kennt noch (auch nur ausnahmsweise) eine Verweisung auf eine Tätigkeit außerhalb des durch den Berufsschutz abgesteckten Verweisungsfeldes zulässt. Trotz dieser Unterschiede strahlt der pensionsversicherungsrechtliche Berufsschutz im Wege der unmittelbaren Übernahme der pensionsrechtlichen Begriffe der geminderten Arbeitsfähigkeit in § 8 AlVG auf das Arbeitslosenversicherungsrecht aus und führt hier im Ergebnis dazu, dass die pensionsrechtlich an sich privilegierte Gruppe der Versicherten mit Berufsschutz schneller bzw leichter aus dem Leistungsbezug der AlV fällt als Versicherte ohne Berufsschutz.
Das ist solange unproblematisch, als die Betroffenen ohnehin keinen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt mehr anstreben, und solange sie vor allem auch tatsächlich einen Anspruch auf eine Pension bzw allenfalls auf Rehabilitations- oder Umschulungsgeld haben. Probleme treten dann auf, wenn die für diese Geldleistungen erforderliche Wartezeit nicht erfüllt ist, da dann der Wegfall des Arbeitslosengeldes nicht durch eine andere Versicherungsleistung kompensiert wird. In diesen Fällen kann sich der pensionsversicherungsrechtliche Berufsschutz in Bezug auf den Leistungsanspruch aus der AlV somit als Bumerang erweisen.
Problematisch und aus Sicht der Betroffenen wohl unverständlich ist aber vor allem die Tatsache, dass eine gemindert arbeitsfähige Person mit pensionsversicherungsrechtlichem Berufsschutz, die mangels Erfüllung der Wartezeit keinen Pensionsanspruch hat, ihre Arbeitsfähigkeit iSd AlVG auch nicht dadurch nachweisen kann, dass sie freiwillig eine Beschäftigung ausübt, die zwar ihrem gesundheitlichen Leistungskalkül, aber nicht ihrer Qualifikation entspricht.* Diese Betätigung ändert nämlich nichts am Vorliegen von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit iSd ASVG. Eine gewisse Schieflage ergibt sich daraus insofern, als die betreffende Person für die Dauer der Ausübung der nicht berufsschutzwahrenden Tätigkeit trotzdem zur Leistung von Beiträgen an die AlV verpflichtet ist, ohne aber bei neuerlicher Arbeitslosigkeit (sicher) über einen Leistungsanspruch zu verfügen. Ein Zugang zu Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe würde erst dann wieder offenstehen, wenn der/die Versicherte so lange auf dem minderqualifizierten Arbeitsplatz bleibt, bis die qualifizierten Versicherungsmonate im Beobachtungszeitraum nicht mehr überwiegen, er/sie somit den pensionsversicherungsrechtlichen Berufsschutz verliert und uU deshalb – bei unverändertem Gesundheitszustand – nicht mehr als invalid bzw berufsunfähig und somit auch nicht mehr als arbeitsunfähig iSd AlVG gilt.
Da das Auftreten einzelner Härtefälle für sich genommen noch nicht zur Unsachlichkeit einer Regelung führt,* wird dadurch aber wohl nicht die Verfassungskonformität des § 8 Abs 1 AlVG in Zweifel gezogen. Betroffen ist die zahlenmäßig vermutlich nicht allzu große Gruppe jener Personen, die zwar bereits einen Berufsschutz durch eine überwiegende Tätigkeit im gelernten Beruf oder als Angestellte erworben haben, wofür im Minimalfall zwölf einschlägige Versicherungsmonate erforderlich sind,* die aber andererseits die Wartezeit gem § 236 Abs 1 Z 1 ASVG nicht erfüllen.*
Gerade weil es sich nicht um allzu viele Versicherte handelt, würde eine arbeitslosenversicherungsrechtliche Sonderregelung zur Lösung des Problems aber auch keine unverhältnismäßigen Kosten verursachen. Rechtstechnisch könnte Anleihe an der Ausnahmebestimmung des § 7 Abs 4 AlVG genommen werden. Diese Regelung gilt für Arbeitslose, die nach der Beendigung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen kurzfristig wieder am Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben und die Anwartschaft auf das Arbeitslosengeld allein mit den im Anschluss an die Rehabilitation zurückgelegten Beschäftigungszeiten erfüllen, zugleich aber mangels Erfüllung der Wartezeit keinen Anspruch auf eine Pension haben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist gem § 7 Abs 4 AlVG für eine Dauer von 78 Wochen von der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitsfähigkeit abzusehen – die betroffenen Personen können also eine Leistung beziehen und vermittelt werden, ohne tatsächlich arbeitsfähig zu sein. Dieser Zugang ließe sich nun uU auch für Versicherte nutzbar machen, die aufgrund des Berufsschutzes als invalid oder berufsunfähig gelten, dennoch aber eine neue Anwartschaft in einer zwar ihrem Leistungskalkül entsprechenden, aber nicht berufsschutzwahrenden Beschäftigung erworben haben. Der arbeitslosenversicherungsrechtliche Berufsschutz, der auf den „bisherigen Tätigkeitsbereich“ abstellt, würde einer Vermittlung außerhalb der pensionsversicherungsrechtlich geschützten Qualifikation im Regelfall wohl nicht im Wege stehen, wodurch die nach § 8 Abs 1 AlVG nicht vorliegende Arbeitsfähigkeit sogar weniger Probleme in der Vermittlung der betroffenen Versicherten aufwerfen sollte als bei der schon derzeit nach § 7 Abs 4 AlVG privilegierten Personengruppe. 101
Eine zweite Gruppe, bei der die arbeitslosenversicherungsrechtliche Anknüpfung an die Begrifflichkeiten des ASVG Probleme bereitet, ist die der sogenannten „originär“ invaliden bzw berufsunfähigen Personen, bei denen die Arbeitsunfähigkeit nicht erst nach Eintritt in das Erwerbsleben eingetreten, sondern bereits von Beginn des Berufslebens an vorgelegen ist. Ein schon in das (erste) Versicherungsverhältnis eingebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann nach der Rsp des OGH nämlich mangels „Absinkens“ der Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit führen.* Das Vorliegen von Beitragsmonaten allein lässt dabei nach der Judikatur keinen sicheren Schluss auf eine bei Eintritt ins Berufsleben noch vorhandene Arbeitsfähigkeit zu, da die versicherte Person möglicherweise von Anfang an nur auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit oder aufgrund eines besonderen Entgegenkommens des/der AG tätig geworden ist.* Ob die Arbeitsunfähigkeit schon ins Berufsleben eingebracht wurde oder aber erst später eingetreten ist, ist letztlich eine von dem/der ärztlichen Gutachter/in zu klärende Frage.
Der Kritik am generellen Ausschluss originär Invalider vom Zugang zu einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, selbst wenn diese mehrere Jahre hindurch dem Arbeitsmarkt angehört und Versicherungszeiten erworben haben, begegnete der Gesetzgeber mit der ab 1.1.2004 wirksamen Sonderregelung des § 255 Abs 7 ASVG.* Versicherte mit bereits in das Erwerbsleben eingebrachten Behinderungen gelten dieser Bestimmung zufolge ausnahmsweise doch als invalid, wenn sie trotz immer schon bestehender Arbeitsunfähigkeit zumindest 120 Beitragsmonate einer Pflichtversicherung erworben haben. Verfassungsrechtliche Bedenken an der doch sehr hohen Hürde* hat der OGH mehrfach zurückgewiesen.* Die Diskussion um eine allfällige Diskriminierung von Menschen mit Behinderung durch diese Regelung soll an dieser Stelle nicht neu aufgerollt werden; von Interesse ist im gegebenen Zusammenhang aber einmal mehr die Wechselwirkung zwischen PV und AlV. § 8 AlVG nimmt auf die Gruppe der originär arbeitsunfähigen Personen nicht gesondert Bezug. Eine wortwörtliche Anwendung des § 8 Abs 1 Satz 1 AlVG würde zu einem paradoxen Ergebnis führen: Da dieser Regelung zufolge als arbeitsfähig gilt, wer nicht invalid bzw berufsunfähig iSd ASVG ist, wären originär invalide Personen arbeitslosenversicherungsrechtlich bis zum Erwerb von 120 Beitragsmonaten als arbeitsfähig anzusehen, bei Überschreiten dieser Grenze dagegen (bei gleichem Gesundheitsstatus) als arbeitsunfähig.
Genau dieser Logik folgt eine E des BVwG vom April des vergangenen Jahres.* Der von Geburt an blinden Versicherten war in dem von der PVA in Auftrag gegebenen ärztlichen Gutachten originäre Invalidität bescheinigt worden.* Die Versicherte war zwar in insgesamt drei Beschäftigungsverhältnissen knapp 4 1/2 Jahre lang am ersten Arbeitsmarkt tätig gewesen, erreichte damit aber die in § 255 Abs 7 ASVG vorgesehene Mindestbeschäftigungsdauer nicht, weshalb Berufsunfähigkeit verneint wurde. Daraufhin lehnte auch das AMS den Antrag auf Notstandshilfe mangels Arbeitsfähigkeit ab. Das BVwG hob diesen Bescheid mit der Begründung auf, dass das ASVG originär invalide Versicherte bis zum Erwerb von 120 Beitragsmonaten als nicht invalid betrachte, sodass diese auch nicht als arbeitsunfähig iSd § 8 Abs 1 Satz 1 AlVG anzusehen seien.
In mehreren anderen Entscheidungen* geht das BVwG dagegen vom genau gegenteiligen Standpunkt aus, dass nämlich Arbeitsunfähigkeit gem § 8 AlVG anders als Invalidität bzw Berufsunfähigkeit iSd ASVG auch bei einer von Geburt an vorliegenden Behinderung gegeben sein kann. Eine dogmatische Begründung findet sich in keinem der Erkenntnisse und auch der in sämtlichen Entscheidungen enthaltene Verweis auf ein Urteil des VwGH* führt letztlich ins Leere. Im Mittelpunkt dieser E stand eine andere Frage, nämlich ob eine vom AMS zuerkannte, aber von Anfang an gesetzlich nicht zustehende Leistung zurückgefordert werden kann. Das AMS hatte im gegebenen Fall nach Feststellung originärer Invalidität im Pensionsverfahren die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin verneint und den Anspruch auf Notstandshilfe rückwirkend widerrufen. Der VwGH musste sich allerdings mit der Richtigkeit dieser Auslegung des § 8 AlVG nicht auseinandersetzen, da beide Parteien übereinstimmend von der Arbeitsunfähigkeit im Bezugszeitraum ausgegangen waren, sodass der VwGH nur kurz festhält, dass das Fehlen dieser Anspruchsvoraussetzung außer Streit stand. Das Urteil taugt also nicht als Beleg für die 102 Rechtsansicht, dass originäre Invalidität Arbeitsfähigkeit iSd § 8 AlVG ausschließt. Soweit ersichtlich hatte sich der VwGH bisher (erstaunlicherweise) auch in keiner anderen E unmittelbar mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
Teleologische Erwägungen sprechen mE aber doch stark für die zuletzt genannte Lösung. Wenn über § 8 AlVG jene Personen aus dem Leistungsanspruch ausgeschieden werden sollen, die wegen massiver gesundheitlicher Einschränkungen nicht vermittelbar sind,* dann kann es keinen Unterschied machen, ob die Arbeitsunfähigkeit bereits bei Arbeitsmarkteintritt vorgelegen oder aber erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten ist. Es liegt die Annahme einer planwidrigen Lücke nahe, die sich durch die Ausdehnung des Arbeitsunfähigkeitsbegriffs des § 8 AlVG auf originär invalide Versicherte schließen lässt.* Ob es sich dabei um Personen handelt, die nach den besonderen Voraussetzungen des § 255 Abs 7 ASVG auch pensionsversicherungsrechtlich ausnahmsweise als invalid bzw berufsunfähig gelten, ist für die arbeitslosenversicherungsrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung.
Folgt man dieser Ansicht, dann ist analog zum Pensionsversicherungsrecht in weiterer Folge davon auszugehen, dass der bloße Nachweis der Anwartschaft auf das Arbeitslosengeld das Vorliegen originärer Arbeitsunfähigkeit nicht zwingend ausschließt. Eine zwischenzeitige Berufstätigkeit kann somit für sich genommen einen rechtskräftigen Bescheid der PVA, in dem originäre Invalidität/Berufsunfähigkeit festgestellt wurde, bzw ein einschlägiges Gutachten nicht widerlegen.* Umgekehrt schließt die Feststellung originärer Invalidität aber natürlich auch nicht zwangsläufig eine spätere Verbesserung des Gesundheitszustandes aus. Insofern wird eine längere zwischenzeitige Beschäftigung wohl idR objektive Zweifel wecken, ob die seinerzeitige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit weiterhin zutrifft, was eine neuerliche Überprüfung der Arbeitsfähigkeit der betreffenden Person erforderlich macht.
Solange aber der Zustand originärer Arbeitsunfähigkeit andauert, zieht dies nach der hier vertretenen Ansicht die Ablehnung des Leistungsanspruchs aus der AlV nach sich. Der Ausschluss originär Arbeitsunfähiger vom Leistungsbezug ist jeodch insb in Hinblick auf jene Personen nicht unproblematisch, die trotz Arbeitsunfähigkeit zwar ausreichend lange erwerbstätig waren, um die Anwartschaft auf das Arbeitslosengeld zu erfüllen, aber nicht lange genug, um nach der Sonderregelung des § 255 Abs 7 ASVG ausnahmsweise doch Zugang zu einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Auch diese Personen sind für die Dauer der Erwerbstätigkeit zur Beitragsleistung an die AlV verpflichtet, obwohl sie bei Verlust des Arbeitsplatzes nur in seltenen Ausnahmefällen (nämlich bei späterem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit infolge einer entsprechenden Verbesserung des Gesundheitszustands) über einen Leistungsanspruch verfügen. Anders als im Pensionsversicherungsrecht gibt es im AlVG auch keine Sonderregelung, die diese Schieflage zumindest abfedert. Auch hier ließe sich die Problematik de lege ferenda durch eine dem § 7 Abs 4 AlVG nachempfundene Regelung entschärfen.* Mit einem befristeten Absehen von der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitsfähigkeit könnte ein zeitlich begrenzter Zugang zu Arbeitslosengeld/Notstandshilfe und zu Vermittlungsversuchen durch das AMS geschaffen und zugleich das Risiko eines dauerhaften Verbleibs an sich arbeitsunfähiger Versicherter im Leistungsbezug der AlV gebannt werden.
Schon aus der definitorischen Anknüpfung an die Begrifflichkeiten des Pensionsversicherungsrechts folgt, dass Arbeitsfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe strikt von Arbeitsunfähigkeit iSd Krankenversicherungsrechts zu trennen ist.* Löst eine iSd § 120 Z 1 ASVG behandlungsbedürftige Erkrankung den Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit aus, so führt dies allein nicht zum Wegfall des Leistungsanspruchs aus der AlV: Weder liegt zwingend Arbeitsunfähigkeit iSd § 8 Abs 1 AlVG vor noch bewirkt Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit für sich genommen, wie der VwGH zutreffend klargestellt hat,* den Verlust der objektiven Verfügbarkeit iSd § 7 Abs 3 AlVG. Für die Dauer des Krankengeldbezuges ruht jedoch der Anspruch auf Arbeitslosengeld/Notstandshilfe.*
Anleihen an das Pensionsversicherungsrecht nimmt der OGH in der Frage, nach welchem Maßstab das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit bei einer arbeitslosen Person zu beurteilen ist: Während es während des aufrechten Dienstverhältnisses der Judikatur zufolge darauf ankommt, ob der/die Erkrankte der konkreten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht und nur mehr mit der Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands nachgehen kann und hinsichtlich des zulässigen Verweisungsfeldes auf das vertraglich vereinbarte Tätigkeitsfeld abzustellen ist,* zieht der OGH zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bei Arbeitslosengeld-/Notstandshilfebezieher/innen die Verweisungsbestimmungen des Pensionsrechts 103 bei geminderter Arbeitsfähigkeit heran, hält aber ergänzend fest, dass auch die Zumutbarkeitsbestimmungen des § 9 Abs 2 AlVG zu berücksichtigen sind.* Seit der Neugestaltung der Zumutbarkeitsbestimmungen durch das ArbeitsmarktreformG 2004* ist, worauf bereits Naderhirn*33) zutreffend hingewiesen hat, auch auf den nun in § 9 Abs 3 AlVG ausgelagerten Berufs- und Entgeltschutz Bedacht zu nehmen, da hinter dem Verweis des OGH auf die Zumutbarkeitsbestimmungen offenkundig die Auffassung steht, dass sich die Frage des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach jenem Tätigkeitsfeld zu richten hat, das auch das zulässige Vermittlungsfeld für die betreffende Person absteckt.
Fraglich ist nun, ob ein Leistungsanspruch zusteht, wenn eine arbeitslose Person ihren Krankengeldanspruch ausgeschöpft hat, aber weiterhin Arbeitsunfähigkeit iSd Krankenversicherungsrechts vorliegt. Da Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht zum Entfall des Leistungsanspruchs aus der AlV führt, zugleich aber nach Auslaufen des Krankengeldanspruchs auch kein Ruhensgrund mehr besteht, muss in diesem Fall der Anspruch auf das Arbeitslosengeld bzw die Notstandshilfe wieder aufleben.*
In vielen Fällen wird eine langandauernde Erkrankung aber Zweifel an der Arbeitsfähigkeit iSd § 8 AlVG wecken und die Einleitung einer ärztlichen Überprüfung gem Abs 2 nach sich ziehen. Dies kann in weiterer Folge zum Wegfall des Leistungsanspruchs führen, wenn die Krankheit (zumindest vorübergehende) Invalidität/Berufsunfähigkeit nach sich zieht. Eine zwingende Folge ist dies aber nicht; so ist es zB durchaus denkbar – insb wenn bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit Krankengeld bezogen wurde –, dass die arbeitslose Person zwar pensionsversicherungsrechtlich noch auf bestimmte, ihr gesundheitlich zumutbare Tätigkeiten verweisbar (und deshalb nicht invalid/berufsunfähig) ist, eine Vermittlung zu solchen Tätigkeiten aufgrund des arbeitslosenversicherungsrechtlichen Berufs- und/oder Entgeltschutzes aber (noch) nicht zumutbar ist und deshalb weiterhin Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorliegt.
Neben der an das Pensionsrecht anknüpfenden Legaldefinition des Begriffs der Arbeitsfähigkeit und der Einrichtung einer gemeinsamen Begutachtungsstelle für die Abklärung gesundheitsbezogener Leistungseinschränkungen soll auch die in § 8 Abs 3 AlVG angeordnete Bindungswirkung ein nahtloses Ineinandergreifen von Pensions- und Arbeitslosenversicherungsrecht gewährleisten. Durch diese Regelung wird das AMS dazu verpflichtet, Bescheide der Pensionsversicherungsträger und Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung „anzuerkennen und seiner weiteren Tätigkeit zugrunde zu legen“
. Die konkreten Auswirkungen dieser Anordnung haben die Gerichtsbarkeit schon häufig beschäftigt. In zentralen Punkten hat der VwGH bereits grundlegende Klarstellungen vorgenommen; die Auslegung des § 8 Abs 3 AlVG ist dennoch nach wie vor nicht selten Gegenstand von Beschwerdeverfahren vor dem BVwG.
Bloß klarstellenden Charakter hat zunächst der gesetzliche Hinweis auf die Bindung des AMS an einen Bescheid des Pensionsversicherungsträgers, in dem über die Arbeitsfähigkeit der versicherten Person abgesprochen wird. Sie ergibt sich an sich bereits aus der unmittelbaren Anknüpfung an die pensionsrechtlichen Begriffe der Invalidität/Berufsunfähigkeit in § 8 Abs 1 AlVG: Liegt bereits ein rechtskräftiger Bescheid des Pensionsversicherungsträgers vor, dann ist die Vorfrage der Arbeitsfähigkeit von der zuständigen Behörde entschieden, sodass eine eigenständige Beurteilung derselben Frage durch das AMS ausscheidet.* Dasselbe gilt für ein rechtskräftiges Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts (ASG).*
Fraglich ist allenfalls die Dauer der Bindungswirkung. § 8 AlVG enthält dazu keine näheren Vorgaben. Naheliegend erscheint ein Rückgriff auf die in § 362 Abs 2 ASVG geregelte Sperrfrist wegen entschiedener Sache, wonach ein neuerlicher Pensionsantrag wegen geminderter Arbeitsfähigkeit grundsätzlich erst wieder nach 18 Monaten zulässig ist.* Anders als nach § 362 Abs 2 ASVG wird im Bereich der AlV eine neuerliche Überprüfung bereits vor Ablauf der 18 Monate freilich nicht nur dann geboten sein, wenn die versicherte Person selbst eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands glaubhaft macht, sondern auch, wenn seitens des AMS Zweifel daran auftauchen, dass die Einschätzung des Pensionsversicherungsträgers bzw des Gerichts aktuell noch zutrifft.* Objektiv nachvollziehbare Zweifel an der im Pensionsverfahren festgestellten Arbeitsfähigkeit können sich etwa aus der Häufung von Krankenständen ergeben, aus dem Auftauchen neuer Diagnosen oder auch daraus, dass das Verhalten der Person auf eine Verschlechterung der bereits bekannten psychischen Problematik hindeutet.*Der versicherten 104 Person, deren Pensionsantrag nicht an der Arbeitsfähigkeit, sondern an der Wartezeit gescheitert ist, könnte umgekehrt die Glaubhaftmachung einer Verbesserung des früher erhobenen Leistungskalküls zB über die Vorlage neuer ärztlicher Gutachten gelingen, die eine entsprechende Veränderung des Gesundheitszustands bescheinigen.
Die seit der Systemumstellung durch das SRÄG 2012* für den Leistungsanspruch maßgebliche Unterscheidung zwischen dauerhaft und vorübergehend geminderter Arbeitsfähigkeit ist für die Frage der Arbeitsfähigkeit iSd AlVG ohne Belang. Auch eine bloß vorübergehende Invalidität bzw Berufsunfähigkeit bewirkt, solange sie vorliegt, Arbeitsunfähigkeit gem § 8 Abs 1 AlVG; eine entsprechende rechtskräftige Feststellung durch den Pensionsversicherungsträger oder das ASG ist für das AMS bindend.
Völlig zu Recht hat der VwGH in diesem Zusammenhang die Rechtsansicht des BVwG verworfen, dass nach Ablauf von sechs Monaten keine Bindung mehr anzunehmen sei.* Aus der Formulierung „im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten“
in § 367 Abs 4 Z 2 ASVG ist nicht darauf zu schließen, dass nach Ablauf von sechs Monaten jedenfalls keine geminderte Arbeitsfähigkeit mehr vorliegt. Eine Neubeurteilung der Arbeitsfähigkeit – mit der erneut das Kompetenzzentrum Begutachtung zu befassen wäre – setzt vielmehr auch bei rechtskräftiger Feststellung einer bloß vorübergehenden Invalidität/Berufsunfähigkeit substantiierte Hinweise auf eine maßgebliche Änderung der Sachlage voraus. Liegen keine derartigen Hinweise vor, so ist vom Weiterbestehen der geminderten Arbeitsfähigkeit auszugehen.
Im soeben genannten Erkenntnis stellte der VwGH jedoch vor allem klar, dass es hinsichtlich der Bindungswirkung rechtskräftiger Bescheide und Urteile auch im Kontext des § 8 Abs 3 AlVG nur auf den Spruch der Entscheidung, nicht aber auf die Entscheidungsbegründung ankommt.
Dem Urteil liegt ein recht vertrackter Fall zugrunde. Die Versicherte hatte einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension gestellt, dann aber offensichtlich die Mitwirkung am Berufsfindungsverfahren verweigert. Der Pensionsversicherungsträger lehnte deshalb zunächst bescheidmäßig den Antrag auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.
In einem weiteren Bescheid schränkte der Pensionsversicherungsträger den Pensionsantrag gem § 366 Abs 4 letzter Satz ASVG mangels Mitwirkung am Berufsfindungsverfahren auf einen Antrag auf Feststellung der Berufsunfähigkeit ein und kam dabei zum Ergebnis, dass die Versicherte vorübergehend berufsunfähig sei. Das anschließende Sozialgerichtsverfahren verlief insofern ebenfalls nicht nach Wunsch der Versicherten, als sich dabei herausstellte, dass nicht einmal vorübergehende Arbeitsunfähigkeit vorlag. Erstgericht und OLG wiesen die Klage auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension deshalb ebenfalls ab, stellten allerdings den zweiten Bescheid des Pensionsversicherungsträgers, in dem das Vorliegen vorübergehender Berufsunfähigkeit festgestellt worden war, wieder her und begründeten dies damit, dass der urteilsmäßige Zuspruch gem § 71 Abs 2 ASGG im gerichtlichen Verfahren nicht schlechter sein dürfe als im Bescheid des Versicherungsträgers. Basierend auf dem rechtskräftigen Urteil des OLG stellte in weiterer Folge das AMS den Leistungsbezug mangels Arbeitsfähigkeit ein.
Das BVwG gab der gegen diesen Bescheid des AMS gerichteten Beschwerde mit der Begründung statt, dass es für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit iSd AlVG in einer Konstellation, in der der Ausspruch über die vorübergehende Berufsunfähigkeit nur aufgrund des sozialgerichtlichen Verschlechterungsverbots zu treffen gewesen sei, nicht auf den Spruch, sondern auf den vom Gericht tatsächlich festgestellten Sachverhalt ankomme. Der VwGH folgte dieser Ansicht wenig überraschend nicht, sondern blieb dabei, dass die Bindungswirkung auch im gegebenen Zusammenhang allein durch den Inhalt des Spruchs und nicht durch die Begründung bestimmt ist.*
Ob die Regelung des § 71 Abs 2 ASGG im vorliegenden Fall tatsächlich zur Übernahme der tatsachenwidrigen Feststellung der vorübergehenden Berufsunfähigkeit verpflichtete, ist für die E des VwGH nicht von Bedeutung, da die Frage der Rechtmäßigkeit der rechtskräftigen Vorfragenentscheidung für die Bindungswirkung irrelevant ist: Auch Bescheide und Urteile, die nicht mit der geltenden Rechtsordnung in Einklang stehen, entfalten bindende Wirkung.* Eine nähere Prüfung dieser Frage wäre aber aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Perspektive durchaus wünschenswert, ganz eindeutig erscheint die Rechtslage diesbezüglich jedenfalls nicht. Zwar hat der OGH in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Anerkenntnisfiktion auch für Bescheide gilt, mit denen Rehabilitationsgeld zugesprochen wurde: Bekämpft der/die Versicherte einen solchen Bescheid, weil er/sie der Ansicht ist, nicht vorübergehend, sondern dauerhaft invalid/berufsunfähig zu sein, und stellt sich dann im Gerichtsverfahren heraus, dass nicht einmal vorübergehende Arbeitsunfähigkeit vorliegt, so ist im Urteil gem § 71 Abs 2 ASGG trotzdem Rehabilitationsgeld zuzusprechen, und – laut OGH – auch die Feststellung vorübergehender Invalidität/Berufsunfähigkeit in den Spruch aufzunehmen.* All den bisher vom Höchstgericht einschlägig entschiedenen Fällen lag allerdings 105 ein Leistungsbescheid iSd § 71 Abs 2 Satz 1 ASGG zugrunde. Ob das Verschlechterungsverbot auch dann greift, wenn mangels Mitwirkung des/der Versicherten an der Feststellung der Zumutbarkeit beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen gar keine Entscheidung über den Leistungsanspruch möglich ist und deshalb der Leistungsantrag ex lege auf einen Antrag auf Feststellung der Invalidität/ Berufsunfähigkeit iSd §§ 255a bzw 273a ASVG eingeschränkt wird, ist mE aber zweifelhaft. So stellt sich schon die grundlegende Frage, ob ein Abgehen von der bescheidmäßigen Feststellung generell als Verschlechterung der rechtlichen Position des/der Versicherten zu werten ist – im vorliegenden Fall führte augenscheinlich gerade das Festhalten an der Feststellung (arbeitslosenversicherungsrechtlich) in eine prekäre Situation. Eine gründliche Untersuchung der Reichweite des Verschlechterungsverbots kann im Rahmen dieser Abhandlung nicht geleistet werden. Für die Frage der Anwendbarkeit des § 71 Abs 2 ASGG auf reine Feststellungsbescheide iSd §§ 255a bzw 273a ASVG sollten mE aber die Reflexwirkungen einer Übernahme tatsachenwidriger Feststellungen in anderen Versicherungszweigen berücksichtigt werden.
Die in § 8 Abs 3 AlVG normierte Verpflichtung des AMS, auch Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung „anzuerkennen und seiner weiteren Tätigkeit zu Grunde zu legen“, bewirkt nach zutreffender Auffassung des VwGH – entgegen den anderslautenden Ausführungen in den Materialien zum SRÄG 2010* – schon wegen der fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen derartige Gutachten keine ähnlich strikte Bindung wie an einen rechtskräftigen Bescheid oder ein rechtskräftiges Urteil. Das AMS wird dadurch nicht von seiner Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts entbunden.* Das Gutachten unterliegt als Sachverständigenbeweis gem § 45 Abs 2 AVG der freien Beweiswürdigung durch die Behörde; es wird in aller Regel die maßgebliche Grundlage für die Entscheidung des AMS darstellen, kann letztere aber nicht ersetzen. Die in § 8 Abs 3 AlVG angeordnete Bindung des AMS an Gutachten der PVA bedeutet für das AMS im Ergebnis (nur), dass zum einen die ärztliche Begutachtung zwingend über das Kompetenzzentrum Begutachtung zu erfolgen hat, und dass zum anderen bei Vorliegen eines aktuellen Gutachtens der PVA zunächst dieses heranzuziehen und kein neues Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben ist. Das AMS kann das Gutachten allerdings nur dann seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn es hinsichtlich Befundaufnahme, Diagnosestellung und sachverständiger Schlussfolgerung qualitativen Mindestanforderungen genügt, sodass darauf eine schlüssige Beweiswürdigung gegründet werden kann.*
Unschlüssige Gutachten scheinen der Judikatur zufolge nicht selten vorzukommen. Teils liegen der Entscheidung des AMS in sich widersprüchliche bzw unschlüssige ärztliche Gutachten zugrunde,* teils widersprechen sich ärztliche Befundung und abschließende Stellungnahme des chefärztlichen Dienstes.* Ein unschlüssiges Gutachten darf vom AMS aber nicht einfach übernommen werden. Die Behörde muss sich in einem solchen Fall vielmehr durch weitere Ermittlungen eine einwandfreie Entscheidungsgrundlage zur Klärung der Rechtsfrage der Arbeitsfähigkeit verschaffen, zB durch die Einholung entsprechender Ergänzungen des ärztlichen Gutachtens, allenfalls auch durch zusätzliche Befassung eines berufskundlichen Gutachters.*
Dasselbe gilt im Grunde für das BVwG, mit dem Unterschied, dass dieses bei Vorliegen eines unschlüssigen Gutachtens von Amts wegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen hat, und zwar ohne dass die Partei zuvor eigene Gutachten beibringen oder auch nur die Unschlüssigkeit des Gutachtens eigens behaupten müsste.* Die bei unvollständigen oder unschlüssigen Gutachten erforderlichen Ermittlungsschritte hat das BVwG, wie der VwGH zuletzt erneut klarzustellen hatte,* grundsätzlich selbst durchzuführen: Nach § 28 Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) muss das BVwG in der Sache selbst entscheiden, wenn entweder der maßgebliche Sachverhalt feststeht, oder wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer wesentlichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung ist in der Regelung normativ verankert; die Möglichkeiten zu einer bloß kassatorischen Entscheidung werden dadurch stark eingeschränkt. Eine Zurückverweisung an das AMS kommt nur ausnahmsweise bei besonders gravierenden Ermittlungslücken in Betracht, so etwa dann, wenn das AMS jegliche Vermittlungsschritte unterlassen, wenn es zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.* Selbst dürftig begründete Bescheide rechtfertigen somit keine Zurückverweisung in der Sache, solange brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung vervollständigt werden können.
Zu Recht weist der VwGH außerdem darauf hin, dass klar zwischen ärztlichem Gutachten und rechtlicher Beurteilung des Vorliegens von Arbeitsfähigkeit zu 106 trennen ist. Die Aufgabe der ärztlichen Begutachtung liegt in der Erstellung von Befund und Diagnose, um damit eine einwandfreie fachliche Grundlage für die Beantwortung der Frage zu haben, welche Tätigkeiten die versicherte Person noch verrichten kann. Die Frage des Vorliegens von Arbeitsfähigkeit iSd § 8 Abs 1 AlVG obliegt dagegen nicht dem/der ärztlichen Gutachter/in, sondern – innerhalb der Grenzen der freien Beweiswürdigung – der Behörde, also AMS oder PVA, bzw im Rechtsmittelverfahren dem BVwG. Korrekturbedürftig war deshalb zB eine Entscheidung des BVwG, in der dieses ebenso wie zuvor das AMS die Einschätzung des chefärztlichen Dienstes übernommen hatte, dass im gegebenen Fall Invalidität vorlag, obwohl dem 67-jährigen Versicherten im ärztlichen Gutachten ein uneingeschränktes Gesamtleistungskalkül bescheinigt worden war.* Das BVwG hatte zwar zunächst die Unschlüssigkeit des Gutachtens aufgegriffen, sich dann aber mit der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärung des Chefarztes zufriedengegeben, dass zum einen schon ganz allgemein das im ärztlichen Gutachten erstellte Leistungskalkül mit ständiger mittelschwerer Belastung über einen 8-Stunden-Tag von einem 67-jährigen Menschen leistungsphysiologisch unmöglich zu erbringen sei, und dass außerdem aufgrund der Arbeitsmarktferne für einen Mann seines Alters ohnehin kein Zugang zum Arbeitsmarkt offen stehe. Der VwGH bemängelt hier nicht nur, dass sich die Widersprüche zwischen dem ärztlichen Befund und der (noch dazu ohne persönlichen Kontakt zum Versicherten getroffenen) Schlussfolgerung des Chefarztes mit dieser Erklärung nicht beseitigen lassen, und dass auch die Einbeziehung der konkreten Arbeitsmarktchancen in die ärztliche Beurteilung rechtlich verfehlt ist; es obliegt vor allem nicht dem/der ärztlichen Gutachter/ in, die Rechtsfrage des Vorliegens von Arbeitsfähigkeit zu beantworten. Dies ist vielmehr Aufgabe des AMS bzw des BVwG.
Die dargestellten Grundsätze der Bindung an ein bereits vorliegendes Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung gelten nach zutreffender Auffassung des BVwG* auch dann, wenn der/die Versicherte nach Einleitung eines sozialgerichtlichen Verfahrens die Klage wieder zurückzieht.
Im konkreten Fall war zunächst im Rahmen des Pensionsverfahrens originäre Invalidität festgestellt und der Pensionsantrag mangels ausreichender Beitragsmonate abgelehnt worden. Das im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholte Gutachten ergab dagegen, dass keine (also auch nicht originäre) Invalidität vorlag. Die Versicherte zog daraufhin ihre Klage zurück. Das AMS verneinte jedoch die Arbeitsfähigkeit, stellte den Leistungsbezug ein und begründete dies mit der gesetzlich normierten Bindung an das PVA-Gutachten.
Auch in diesem Fall entbindet aber § 8 Abs 3 AlVG das AMS nicht von seiner Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts. Die Klagsrückziehung bedeutet vor allem nicht, dass ein im Gerichtsverfahren vor Klagsrückziehung eingeholtes Gutachten bedeutungslos wäre. Steht es wie im vorliegenden Fall im Widerspruch zum PVA-Gutachten, so ist das AMS mitnichten verpflichtet, strikt dem PVA-Gutachten zu folgen, sondern hat sich mit den Widersprüchen aktiv auseinanderzusetzen. Das muss nicht immer bedeuten, dass weitere Ermittlungsschritte erforderlich sind. Im konkreten Fall begründete das BVwG seine Entscheidung, anders als das AMS dem Gerichtsgutachten zu folgen, nachvollziehbar damit, dass dieses nicht nur wesentlich ausführlicher war, sondern vor allem im Gegensatz zum Gutachten der PVA den Anforderungen an Schlüssigkeit und Vollständigkeit genügte. Können die Widersprüche aus der Aktenlage nicht aufgelöst werden, so wäre das AMS bzw das BVwG aber zu ergänzenden Ermittlungen verpflichtet.
Über die Regelungen in § 8 Abs 1 und 3 AlVG soll die Schnittstelle zwischen Pensions- und Arbeitslosenversicherungsrecht in Bezug auf Versicherte mit geminderter Arbeitsfähigkeit möglichst friktionsfrei gestaltet werden. Zu den die Bindungswirkung von Bescheiden und Gutachten des Pensionsversicherungsträgers betreffenden Rechtsfragen hat die Judikatur bereits zentrale Klarstellungen vorgenommen. Über die an sich vernünftige Anknüpfung des Arbeitsunfähigkeitsbegriffs des AlVG an das Pensionsrecht ergeben sich dagegen bei näherer Betrachtung einige Bruchstellen, zu deren Auflösung keine bzw nur widersprüchliche verwaltungsgerichtliche Rsp vorliegt. Um mögliche Schieflagen zwischen Beitragspflicht und Leistungsanspruch zu beseitigen, müsste aber ohnehin die Gesetzgebung tätig werden. 107