Anmerkungen zum „Antiterrorgesetz“ 1930
Anmerkungen zum „Antiterrorgesetz“ 1930
Am 4.4.1930 beschloss die bürgerlich-deutschnationale Regierungsmehrheit im Nationalrat (NR) das sogenannte „Antiterrorgesetz“. Die Beschlussfassung des „Gesetzes zum Schutz der Arbeits- und Versammlungsfreiheit“* stellte den ersten Höhepunkt der damals offensiv gegen die Sozialdemokratie gerichteten gesetzlichen Maßnahmen dar. Nur wenigen ist bekannt, dass sich einige Bestimmungen dieses gegen die AN gerichtete Ausnahmegesetz auch heute noch im Rechtsbestand der Republik befinden. Die folgenden kurzen Bemerkungen werden sich mit der Geschichte dieses gegen die Freien Gewerkschaften gerichteten Gesetzes in groben Zügen beschäftigen.*
Durch die Bildung gewerkschaftlicher Fachverbände nach Erlassung des sogenannten „Koalitionsgesetzes“* 1870 versuchten AN, gemeinsam ihre wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern.* Voraussetzung für den Erfolg von Gewerkschaften gegenüber dem Kapital ist eine starke, geeinte und gefestigte AN-Bewegung. Nur durch den auf Solidarität der AN beruhenden gewerkschaftlichen Gestaltungswillen kann eine Gegenmacht aufgebaut und eine Schutzfunktion für AN ausgeübt werden. MaW: Die Organisation von AN in Gewerkschaften ist für die Erreichung dieser Ziele unumgänglich. Und dies sowohl im betrieblichen Bereich gegenüber dem AG, wie auch überbetrieblich gegenüber AG-Verbänden und (später besonders durch die AK) gegenüber dem Staat. Die Organisierung der AN eines Betriebes für die Gewerkschaft war ein zentrales Ziel der betrieblichen Vertrauensmänner, später dann der Betriebsräte. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die betriebliche und überbetriebliche Organisation der AN allein von den „Freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften“ getragen. Die sich aus katholischen AN-Vereinen bildenden „Christlichen Gewerkschaften“ und die sich ebenfalls zu jener Zeit konstituierenden „(deutsch-)nationalen bzw völkischen Gewerkschaften“ standen in heftiger Konkurrenz zu den „Freien Gewerkschaften“. Auf der katholischen Soziallehre beruhend vertraten die „Christlichen Gewerkschaften“ eine weitgehend sozialharmonische Konzeption einer Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit, während die „Freien Gewerkschaften“ auf „dem Boden des Klassenkampfes“ standen.*
Die Anzahl der Mitglieder zeigt die dominierende Position der Freien Gewerkschaften.* 1921 erreichte die Anzahl der Mitglieder in den Freien Gewerkschaften mit über einer Million Mitgliedern den absoluten Höchststand und sank bis 1930 auf rund 655.000. Die Christlichen Gewerkschaften, die 1921 rund 78.700 Mitglieder hatten, konnten bis 1930 ihre Mitgliederzahl auf 112.000 steigern, hatten aber auch dann nur 1/6 der Mitglieder der Sozialdemokraten. Die Deutschvölkischen Gewerkschaften steigerten die Anzahl ihrer Mitglieder von 40.000 (1921) auf rund 49.500 im Jahr 1930, womit sie rund die Hälfte der Mitgliederstärke der Christlichsozialen hatten.
Mit der Entwicklung der Kollektivverträge im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts* ging das Bestreben der gewerkschaftlichen Vertrauensmänner einher, die Beschäftigung in einem Betrieb an die Gewerkschaftsmitgliedschaft – vor allem an jene der Freien Gewerkschaft – oder an eine gewerkschaftliche Arbeitsvermittlung zu binden.* Sogenannte „allgemeine Organisationsklauseln“ in Kollektivverträgen zielten darauf ab, unorganisierten AN eine Arbeitsaufnahme in den tarifunterworfenen Unternehmen zu verwehren, „beschränkte Organisationsklauseln“ erlaubten den Betrieben nur jene AN aufzunehmen, die jener Gewerkschaft angehörten, die den KollV für die AN abgeschlossen hat.* Für die Freien Gewerkschaften, die nicht nur die meisten AN des Landes vertrat, sondern 159 auch die meisten Kollektivverträge abschlossen, war der Abschluss solcher „closed shop“-Klauseln ein großer Erfolg, der nur durch eine entsprechend hohe Organisationsdichte erreicht werden konnte und die es weiterhin zu behalten galt. Durch das im Dezember 1919 beschlossene „Gesetz über die Errichtung von Einigungsämtern und über kollektive Arbeitsverträge“* erhielt das Kollektivvertragswesen eine gesetzliche Regelung,* wobei – wie sich im Laufe des folgenden Jahrzehnts zeigen sollte – die Außenseiterwirkung rechtlich ungeklärt blieb.
Die Konkurrenz der drei „Richtungsgewerkschaften“, die jeweils eng mit ihren politischen Parteien verbunden waren und ideologisch unterschiedliche Konzeptionen verfolgten, begann mit der Gründung der christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften. Vorderhand ging es ihnen darum, die bislang mangels Alternativen in den Freien Gewerkschaften organisierten „GesinnungsfreundInnen“ für ihren Verband zu gewinnen. Die Rivalität der drei Richtungsgewerkschaften, die zu einem Merkmal der Arbeitsbeziehungen der Ersten Republik werden sollte, begann bereits in der Monarchie. Auf ihrem ersten Gewerkschaftstag 1909 geißelten die Christlichen Gewerkschaften die Übermacht der Freien Gewerkschaften und sahen in ihrer betrieblichen Dominanz den Grund für ihren schleppenden Mietgliederzuwachs. Versuchten die Christlichsozialen oder Deutschnationalen in überwiegend oder völlig freigewerkschaftlich organisierten Betrieben Fuß zu fassen, kam es oft zu betrieblichen Auseinandersetzungen. 1912 warnten die Christlichen Gewerkschaften, dass die Sozialdemokratie „ihre heute schon bestehende Vorherrschaft auf dem Felde der Arbeitskämpfe mit aller Macht zum Arbeitsmonopol erweitern“ will.*
Den Freien Gewerkschaften und ihren Vertrauensmännern in den Betrieben ging es jedoch meist nur darum, durch eine möglichst vollständige betriebliche Organisierung eine starke Gegenmacht gegenüber dem AG zu erlangen bzw zu behalten, um entsprechende Vorteile für die AN durchsetzen zu können.
Mit dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches und der Errichtung der demokratischen Republik Österreich schienen sich die gewerkschaftlichen Konkurrenzkämpfe auf betrieblicher Ebene zu intensivieren. Insb in der Hochstimmung nach der für die Sozialdemokraten erfolgreichen Wahl vom 16.2.1919 dürfte es in manchen Betrieben zu gewerkschaftlichen Kämpfen zwischen einer sozialdemokratischen Mehrheit und christlichsozialen Parteigängern gekommen sein.* Zur Bekämpfung der politischen Dominanz der Sozialdemokratie in jener Phase der „österreichischen Revolution“ (Otto Bauer) und in Hinblick auf eine mögliche Koalition mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) beschloss der christlichsoziale Parlamentsklub auf Antrag Spalowsky den „Terrorismus gegen [die] christliche Arbeiterschaft“
anzuprananzuprangern* und fasste am 3.3.1919 einen einstimmigen Beschluss „zur Sicherung des Koalitionsrechtes“
: „In allen Teilen Deutschösterreichs wird ein seit dem 16. Februar in besonderem Maße fühlbarer Terrorismus auf die christliche Arbeiterschaft ausgeübt. Unter der offenen Androhung der Verdrängung aus staatlichen und privaten Betrieben will man die Christlichen Arbeiterinnen und Arbeiter zwingen, in die sozialdemokratischen Gewerkschaften überzutreten. Dieses allen Freiheitsbegriffen hohnsprechende Vorgehen wird von der christlichsozialen Vereinigung schärfstens verurteilt, und es wird ihr redlichstes Bestreben sein, der Christlichen Arbeiterschaft das Koalitionsrecht uneingeschränkt zu sichern.“
*
Am 3.4.1919 versprach Karl Renner den Christlichsozialen mit der Gewerkschaftskommission über die Vorfälle zu sprechen, um einen Beschluss zu fassen, dass in Zukunft von den Vertrauensmännern kein Gewissenszwang ausgeübt werde.* Der Parteivorstand der SDAP hatte bereits beschlossen, gegnerische Organisationen zu achten. Dies hielt die Christlichsozialen jedoch nicht davon ab, in der Nationalversammlung eine umfangreiche Anfrage an den Staatskanzler zu stellen. Die christlichsozialen Abgeordneten behaupteten, dass seit den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung die Freien Gewerkschaften versuchen, „unter Zwang und Drohung“ alle AN in ihrer Gewerkschaft zu vereinigen. Dies widerspreche dem von der Republik gewährleisteten Recht auf Freiheit der Gesinnung und Koalition.* Die Staatskanzlei ließ über das Staatsamt des Inneren die Landesregierungen berichten, ob es der Anfrage entsprechende Vorkommnisse in ihrem Bundesland gab.* Das Ergebnis der Umfrage bestätigte nicht die christlichsozialen Vorwürfe: Insgesamt wurden nicht viel mehr als ein Dutzend betrieblicher Konflikte mit einem politischen Hintergrund gemeldet. * Trotz dieser kaum nennenswerten Anzahl von Gesinnungszwang oder Nötigung sprach die Christlichsoziale Partei weiterhin von „Betriebsterror“ der sozialdemokratischen Gewerkschaften. Der Historiker Wilfried De Waal hat in einem frühen Aufsatz darauf hingewiesen, dass von „Terror“ per definitonem keine Rede sein konnte,* vielmehr160
waren es „Fälle von Zwang“.* Dieser „Zwang“, der von der Mehrheit der AN gegen einzelne AN in einigen Fällen ausgeübt wurde, hatte seine Ursachen oft gar nicht im politischen, sondern vielmehr im zwischenmenschlichen Bereich. Nach Berechnungen De Waals kam es in den Jahren 1920/21 in ca 50 Betrieben zu Auseinandersetzungen, die aus persönlichen oder politischen Ursachen entstanden. Nur etwas mehr als die Hälfte betraf christliche AN.* Trotz dieser überschaubaren Anzahl von politischen betrieblichen Konflikten stellten die bürgerlichen Parteien den Kampf gegen den „sozialdemokratischen Betriebsterror“ und ihre Forderung nach einer Neufassung des Koalitionsgesetzes in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Auch von den großdeutschen Abgeordneten wurden – Einzelfälle aufgreifend – mehrere Anfragen in die Nationalversammlung eingebracht.
Am 6.4.1919 organisierten die Christlichen Gewerkschaften in Wien eine Versammlung, in der gegen den durch die Sozialdemokratie ausgeübten „brutalen Terrorismus“
protestiert wurde. In der einstimmig verabschiedeten „Entschließung“ wurde ua festgestellt: „Der Gewissenszwang, der auf die christlichen Arbeiter und Angestellten ausgeübt wird, ist eine Schändung der jungen Freiheit, eine Versündigung gegen die Grundlagen des freien Volksstaates, eine Schmach für die Republik, die allen ihren Bürgern Erlösung aus den Fesseln, die engherziger Polizeigeist geschmiedet, verheissen hat.“
* Die Protestnote sollte Staatskanzler Karl Renner überreicht werden.
Nachdem sich christlichsoziale und deutschnationale Gewerkschaften bei dem Staatssekretär für das Verkehrswesen Ludwig Paul über die Ausübung eines Organisationszwangs durch die Freien Gewerkschaften beschwerten, wies der Staatssekretär alle Vorstände aller Dienststellen der Eisenbahnen darauf hin, „innerhalb des ihnen unterstehenden Personalkörpers keinerlei wie immer gearteten Zwang, sich einer Organisation anzuschließen, oder aus einer solchen auszutreten, zu dulden oder selbst auszuüben, vielmehr jeden Versuch einer solchen Nötigung auf das entschiedenste zurückzuweisen“
.* An einen Erfolg seiner Anordnung glaubte der gewerkschaftlich durchaus versierte Politiker*allerdings nicht, wie er einer Delegation von großdeutschen Politikern bei einer Vorsprache bekanntgab: Vielmehr sei es notwendig, „den gesetzlichen Weg zu betreten und einen entsprechenden Antrag einzubringen“
.*
Dagegen hatte der Wiener Bürgermeister Jakob Reumann durchaus Verständnis für die Anliegen gewerkschaftlich organisierter AN: „Kein einziger Bediensteter wird unter dem Regime eines sozialdemokratischen Bürgermeisters gemaßregelt werden, weil er sein Koalitionsrecht ausübt. Wenn dieses Koalitionsrecht dazu führt, dass sich die eine oder andere Organisation fester schließt und wenn durch diesen festeren Zusammenschluss ein einzelner Abtrünniger etwa sich beengt fühlt, dann ist dies nicht das Ergebnis des Koalitionsrechtes, sondern die Ursache dieses engeren Zusammenschlusses. Und wenn diese Entschließung dahin geht, dass die Zusammengeschlossenen in ihren Werkstätten allein sein wollen, so haben wir auch dies zu respektieren.“* In der Tat standen vor allem die Freien Gewerkschaften vor dem Dilemma, einerseits Zwang und Nötigung zu verurteilen, andererseits aber eine Mitgliedschaft zur Organisation aus dem Selbstverständnis der Gewerkschaften mit allen Mitteln zu fördern und – wo betrieblich etwas „rauher im Ton“ vorgegangen wird – nicht von vornherein zu verurteilen. Dementsprechend versicherte auch der Sekretär der (sozialdemokratischen) Gewerkschaftskommission und NVAbg Anton Hueber am 5.7.1920 den Vertretern der Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften, dass der Organisationszwang auf andersgesinnte Arbeiter und Angestellte unter der Voraussetzung nicht zur Anwendung gebracht werde, dass die Minderheiten in den Betrieben „selbständige Aktionen, die direkt oder indirekt die Lage der Beschäftigten schädigen oder die Mehrheit dieser in ihren Meinungen und Gefühlen verletzen könnten“, unterlassen werden.* Nachdem Karl Renner den Christlichsozialen bereits vor Monaten angekündigt hatte, ein neues Koalitionsrecht zu schaffen, dies jedoch nicht eingetreten war, stellte der christlichsoziale Gewerkschaftsführer Franz Spalowsky in der Nationalversammlung den Antrag, die Staatsregierung aufzufordern, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen.* Dem Antrag wurde von der Regierung Renner nicht Folge geleistet.
Allerdings wurde im Koalitionsabkommen zwischen SDAP und Christlichsozialer Partei nach den Wahlen in die Konstituierende Nationalversammlung ein das Koalitionsrecht betreffender Passus aufgenommen, den Karl Renner in seiner Regierungserklärung vom 23.10.1919 wörtlich zitierte: „Die politische Erregung der letzten Monate hat häufig Fälle von Vergewaltigungen Andersgesinnter zur Folge gehabt. In industriellen Betrieben haben Arbeiter andersgesinnte Arbeitskollegen, in manchen Dörfern haben Bauern andersgesinnte Häusler, landwirtschaftliche Arbeiter und Lehrer durch gewaltsame Mittel zum Verzicht auf die Betätigung ihrer politischen Gesinnung und ihre Koalitionsbestrebungen zu zwingen versucht. Die Regierung appelliert an die demokratische Überzeugung aller, solche Vorkommnisse nach Kräften zu verhindern und der Freiheit der individuellen politischen Überzeugung Geltung zu sichern.“
*
Am 2.7.1919 brachten die großdeutschen Abgeordneten einen konkreten Gesetzesentwurf zur Abänderung des Koalitionsgesetzes vom 7.4.1870 ein. 161
Der Gesetzesentwurf stellte auf den Tatbestand der Nötigung ab und stellte diesen unter die Bestimmungen des Strafgesetzes über Erpressung.*31) Einen anderen Weg beschritten die Christlichsozialen. Sie machten darauf aufmerksam, dass es in Tschechien eine Regierungsvorlage gab, die eine Errichtung von Arbeiterschiedsgerichten vorsieht und brachten einen entsprechenden Gesetzesentwurf in die konstituierende Nationalversammlung ein. Arbeiterschiedsgerichte sollten über die Ansprüche über den Schadenersatz entscheiden, die dann eintreten, wenn AN auf Druck einer Gewerkschaft von einem Betrieb nicht aufgenommen oder entlassen werden. Sollte festgestellt werden, dass die Gewerkschaft oder eine ihrer Ortsgruppen daran Schuld trägt, wären diese haftbar zu machen. Bei Schuld einzelner Vertrauensmänner wären diese aus der Fachorganisation auszuschließen.* Nachdem sich die konstituierende Nationalversammlung nicht mehr mit dieser Materie befasste, brachte Franz Spalowsky den Gesetzesentwurf über die Errichtung von Arbeiterschiedsgerichten in den durch die Wahlen vom 17.10.1920 gebildeten NR erneut ein.* Auch die Großdeutschen erneuerten ihre Forderung nach einem Koalitionsgesetz, dass „gesunden Rechtsund Freiheitsbegriffen“
Rechnung zu tragen hatte.* Ein weiterer Antrag der Großdeutschen stellte die Frage, ob das „in Verfassungsgesetzen zugesicherte Recht der Koalitionsfreiheit dem Rechtsgefühle der Bevölkerung und der Arbeiterschaft noch entspricht oder ob die Gewerkschaften in Zwangskörperschaften auf gesetzlicher Grundlage unter Festlegung von Minoritätsrechten umzuwandeln sind“.* In der Folge wurde von den Großdeutschen ein Gesetzesentwurf „über die Sicherung des Vereinigungsrechtes der Arbeitnehmer“ eingebracht, der ein Strafausmaß von einem bis zu sechs Monaten strengen Arrest für jene vorsieht, die das Recht einer bestimmten Gewerkschaft oder einem entsprechenden Verein anzugehören schmälern oder Zwang zum Beitritt oder Nichtbeitritt zu einer Gewerkschaft ausüben.* Alle diese Anträge kamen durch den Widerstand der Sozialdemokratie nie zur Verhandlung.*
Das Sozialministerium, in dem die Anträge einer Prüfung unterzogen wurden, reagierte sowohl unter Ferdinand Hanusch wie auch unter seinem christlichsozialen Nachfolger im Sozialressort Josef Resch ablehnend. Man war gegen Ausnahmebestimmungen für Gewerkschaften, wandte ein, dass sich die Sozialdemokratie mit aller Macht gegen ein entsprechendes Gesetz wehren würde und befürchtete, „dass sich die Freien Gewerkschaften entgegen ihrer bisher geübten Praxis offiziell zum ‚closed shop‘ bekennen könnten“, was für die schwächeren Gewerkschaften nicht von Vorteil sei.*
In der Tat betonte die (sozialdemokratische) Gewerkschaftskommission, dass die Gewerkschaften auch weiterhin gegen „Schädlinge und Schmarotzer“ im Betrieb vorgehen werden, rief somit zur friedlichen Beilegung von Konflikten auf, warnte jedoch davor, ihnen zu drohen, denn dann müsse der Organisationszwang angewendet werden.* Allerdings stellte der OGH bei anderer Gelegenheit fest, dass der Versuch von AN, andere AN in ihre
Organisation zu zwingen, „jedenfalls rechtswidrig“ ist.* Die Einigungsämter und Gerichte urteilten zu dieser Causa sehr unterschiedlich.
Die Folgen der „Genfer Sanierung“ und der wirtschaftspolitischen Konzentration auf ein ausgeglichenes Bundesbudget bedeuteten in den Jahren nach 1923 ein nur mäßiges Wachstum mit einer ansteigend hohen Arbeitslosigkeit.* Dem christlichsozialen Heeresminister Carl Vaugoin gelangen Erfolge bei der Umpolitisierung des Bundesheeres und Ignaz Seipel proklamierte am 3. christlichsozialen Parteitag in Wien die Christlichsoziale Partei als „Konzentrationspunkt aller nicht marxistischen Österreicher“.* In dieser Periode der Schwäche der außerparlamentarischen Macht der Sozialdemokratie starteten die christlichsozialen Gewerkschaften zusammen mit den Großdeutschen einen erneuten Vorstoß zur Schaffung eines „Gesetzes gegen die Nötigung und zum Schutz der Versammlungsfreiheit“.*
Der Gesetzesantrag sollte nach den Willen seiner Einbringer dem Verfassungsausschuss zugewiesen werden. Dem widersprach Otto Bauer, der für eine Behandlung im Justizausschuss plädierte, da es im Gesetzesvorschlag um Strafbestimmungen ging. Franz Spalowsky beharrte jedoch auf eine Behandlung im Verfassungsausschuss und lehnte auch die Betrauung eines zu wählenden „Spezialausschusses“ mit dieser Materie ab.* Letztlich spielte dies keine Rolle, denn der Antrag kam in der zu Ende gehenden Legislaturperiode ohnehin nicht mehr zur Behandlung. Spalowsky und der großdeutsche Abgeordnete Iring Grailer brachten deshalb ihren Antrag leicht modifiziert in die erste Sitzung des neugewählten Nationalraters am 18.7.1927 ein.*
Die Freien Gewerkschaften sahen in dem Entwurf „ein christlich-kapitalistisches Attentat“ und betonten erneut, dass sich nicht 90 % einer Belegschaft von einigen Andersdenkenden terrorisieren lassen können.* Sie wiesen darauf hin, dass sie auch weiterhin „die Geschlossenheit der Organisation anstreben und verteidigen werden“. Der „Organisationszwang“ sei eine probate Methode zur Abwehr von Quertreibern und Schmarotzern. Intern beschwerte sich auch der christlichsoziale Gewerkschaftsführer Franz Spalowsky über die mangelnde Unterstüt- 162zung seiner Fraktion, zumal es Sozialdemokraten im Justiz ausschuss des Nationalrates gelang, durch endlose Geschäftsordnungsdebatten eine Besprechung seines Antrages zu verzögern.* Zudem wurde Anfang des Jahres 1928 bekannt, dass der großdeutsche Mitunterzeichner des Antrages Iring Grailer in Spitzeldienste der obersteirischen Industrie gegen die Freien Gewerkschaften involviert war.*
Durch das Erstarken der faschistischen Heimwehr und die Gründung gelber – unternehmensfreundlicher – Gewerkschaften in der obersteirischen Industrie sowie durch die erfolgreiche Umpolitisierung aller Exekutivkräfte der Republik geriet die Sozialdemokratie sukzessive immer weiter in die Defensive. Im Justizministerium, welches mit dem Antrag Spalowsky-Grailer keine Freude hatte,* wurde an einer Neufassung eines „Antiterror-Antrages“
gearbeitet, zumal sich nun die Wirtschaft Strafbestimmungen gegen „Gesinnungsterror“ wünschte. Am 25.9.1929 wurde ein entsprechender Antrag dem NR als Regierungsvorlage übermittelt.* Das Strafgesetz vom 27.5.1852* sollte durch Bestimmungen über „Erpressung“, „Nötigung“ und „Sprengung von Versammlungen“ abgeändert bzw ergänzt werden. Eine Abänderung erfuhr auch das Gesetz vom 26.1.1907* über strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Wahl- und Versammlungsfreiheit, ua durch eine strengere Strafdrohung gegen die Sprengung von Versammlungen. Insgesamt war man in der Regierung nun der Ansicht, „eine wirksame Handhabe gegen Fälle von Gesinnungs- und Organisationszwang“
zu haben.*
Wie sich in der Folge zeigen sollte, war die Regierungsvorlage den Exponenten der Wirtschaft zu wenig. So nahm sich etwa der Verband der Baugewerbetreibenden kein Blatt vor den Mund und forderte ein „scharfes Antiterrorgesetz“, welches der Herrschaft der Sozialdemokratie „auf allen Gebieten unseres Gesellschafts- und Wirtschaftslebens“ ein Ende bereiten sollte.* Auch die Industrie forderte nun vehement ein ausschließlich gegen die Gewerkschaften gerichtetes Gesetz, welches jeden
Organisationszwang und die Abzüge von Gewerkschaftsbeiträgen durch die AG verbieten und unter Strafe stellen sollte.
Der Gesetzesentwurf wurde jedoch auch von allen Gewerkschaften vehement abgelehnt. Am 14.11.1929 fand ein Arbeiterkammertag statt, auf dem über den nun von der Regierung eingebrachten Gesetzesentwurf beraten wurde.* Der sozialpolitische Referent der Wiener AK Dr. Hermann Heindl beleuchtete den Gesetzesvorschlag von der juridischen, rechtsphilosophischen und politischen Seite. Er schlug abschließend vor, den Gesetzesentwurf in seiner Gesamtheit abzulehnen. Der Arbeiterkammertag trat deshalb für ein zu schaffendes Sondergesetz ein, welches jedoch keineswegs „den Charakter eines Ausnahmegesetzes gegen die Gewerkschaften tragen darf und alle Fälle einer sozialfeindlichen Nötigung umfassen müsste“
.*
In dieser Phase der politischen Auseinandersetzung wurde klar, dass ein „AntiterrorG“ nun kaum noch zu verhindern war, da die Initiative von den christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften längst auf die unter Einfluss der Interessen der Industrie stehenden bürgerlich-deutschnationalen Regierung übergegangen war, der es nur noch um eine konsequente Eindämmung des sozialdemokratischen Einflusses in Staat und Wirtschaft ging.* Insofern ist der Ablehnung des Regierungsentwurfs durch den Arbeiterkammertag eine hohe Bedeutung zuzumessen, da alle Gewerkschaften in ihm vertreten waren. Dennoch nahmen die Regierungsparteien davon kaum Notiz. In einer internen Besprechung mit dem christlichsozialen Vizekanzler Carl Vaugoin einigten sich der christliche Gewerkschafter Franz Spalowsky, der Großdeutsche Inring Grailer und der Vertreter des Landbundes Stephan Tauschitz auf eine Umarbeitung des Regierungsantrags nach den Vorschlägen der Industrie.* Die Wirtschaft forderte Bestimmungen über die Nichtigkeit des Organisationszwangs, das Verbot des Abzuges der Gewerkschaftsbeiträge durch den AG und ein Verbot von Vereinbarungen, die bezwecken, dass nur Angehörige einer bestimmten Gewerkschaftsrichtung in einen Betrieb aufgenommen werden dürfen.* Der „Österreichische Volkswirt“ kommentierte kritisch und brachte die Causa auf den Punkt: „Unter dem Einfluß der Heimwehren hören die bürgerlichen Parteien gar nicht mehr wirklich auf die ihnen nahestehenden kleinen christlichsozialen und völkischen Gewerkschaften, sondern benützen deren Wünsche bloß als Vorwand, um deren gefährlichen Konkurrenten, den sogenannten Heimwehrgewerkschaften, neue Zugeständnisse zu machen.“
*
Nach mehrmaligen Umarbeitungen* wurde am 4.3.1930 ein neuer Gesetzesvorschlag nach Kenntnisnahme durch die Regierungsparteien in den Justizausschuss eingebracht.* Die bürgerlichdeutschnationale Regierung wählte diese Vorgangsweise, um eine Neueinbringung des Antrags in den NR zu umgehen, da dies uU wieder einer Obstruktion durch die SDAP zum Opfer fallen 163könnte. Berichterstatter Erich Kneußl fasste die Änderungen zusammen: „Das Wesentlichste ist, dass das Prinzip der sogenannten geschlossenen Werkstätte nicht anerkannt wird. Gesamtvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die gewissen Organisationen ein Arbeitsmonopol sichern oder solche von der Arbeit ausschließen sollen, sind untersagt. Das zweite wichtige Moment besteht darin, dass es dem Arbeitgeber verboten ist, irgendwelche Beiträge vom Lohn der Arbeiter abzuziehen, die für Gewerkschaften oder andere Vereine bestimmt sind. Übertretungen dieses Verbotes werden unter Strafe gestellt. Das Gesetz soll auch rückwirkend sein, d.h. alle Kollektivverträge oder Vereinbarungen, die bisher abgeschlossen worden sind und die dem Wesen dieses Gesetzes widersprechen, sind nichtig.“
* Die Sozialdemokraten kritisierten mit Recht, dass der nun eingebrachte „modifizierte Antrag“ inhaltlich ein völlig neuer war, der von der Regierung eigentlich den Kammern zur Stellungnahme übersandt werden hätte müssen*und brachten ihn informell der AK zur Kenntnis. Am 8.3.1930 beschäftigte sich die Wiener AK in einer außerordentlichen Vollversammung, zu der auch die Vorstände und Ersten Sekretäre aller Länderkammern geladen waren, mit dem neuen Gesetzesvorschlag. * Als besonders problematisch wurde der § 1 angesehen, der alle kollektiven Arbeitsverträge für nichtig erklärte, die bewirken sollen, dass nur AN einer bestimmten Organisation beschäftigt werden und verhindern sollen, dass Nicht-Organisierte aufgenommen werden.* Im Zusammenhang mit der damals ungelösten Frage der Außerseiterwirkung von Kollektivverträgen bestand die Gefahr der Lohndrückung Tür und Tor zu öffnen. Der AG hätte die Möglichkeit, unorganisierte AN aufzunehmen und diese mit niedrigeren Löhnen zu bezahlen als in einem bestehenden KollV vorgesehen war.* In einer einstimmig von allen Gewerkschaften unterstützten Resolution erhob die AK Protest gegen das Versäumnis der Bundesregierung, den Gesetzesentwurf zur Begutachtung vorzulegen. Sie forderte die Bundesregierung und den NR auf, der AK bis 13.3. Zeit für die Möglichkeit zur Prüfung und Begutachtung zu geben. Denn „die neue Regierungsvorlage berührt stärkstens grundlegende Probleme des kollektiven Arbeitsrechtes, deren überstürzte Behandlung unübersehbaren Schaden verursachen müsste“
.* Am 12.3. verhandelte die AK mit den Gewerkschaften Abänderungsvorschläge und gewann den Eindruck, dass es diesbezüglich eine einheitliche Meinung gab.* Am Abend desselben Tages wurde die von den Experten der AK ausformulierte Stellungnahme der AK den Gewerkschaften übersandt. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass die deutschvölkischen Gewerkschaften nun doch auf ihre eigenen Vorschläge beharrten und von einer gemeinsamen AK-Stellungnahme Abstand zu nehmen suchten. Die Christlichen Gewerkschaften wollten das Ergebnis einer für 17.3. einberufenen Reichskonferenz abwarten. Die AK gab nun bekannt, dass der Gesetzesentwurf zwar von allen Gewerkschaften grundsätzlich einmütig abgelehnt wurde, sich man jedoch nicht auf gemeinsame Abänderungsanträge einigen konnte. Am 18.3. sollte weiter verhandelt werden. Die Bekanntgabe einer „einmütigen Ablehnung“
wurde – wie es schien – von den Christlichen Gewerkschaften zum Anlass genommen, aus der gemeinsamen Front gegen den AntiterrorG-Entwurf auszuscheren. Auch die deutschvölkischen Gewerkschaften wollten von einer gemeinsamen Stellungnahme nichts mehr wissen. Nachdem der christliche Gewerkschaftsführer Franz Spalowsky im Justizausschuss gegen die Freien Gewerkschaften argumentierte, war der AK klar, dass es nicht mehr zu einer gemeinsamen Stellungnahme kommen konnte. Das nun von der AK abgegebene Gutachten gab nun nur die Ansicht der Freien Gewerkschaften wieder. Die AK forderte in einem ausführlichen Gutachten, „das in der Regierungsvorlage verkörperte Ausnahmegesetz gegen die Arbeiter und Angestellten“
durch verschiedene Abänderungen des BetriebsräteG und des EinigungsamtsG (EAG) sowie durch eine Strafgesetznovelle zu ersetzen. Auch für die Arbeitsvermittlung schlug die Kammer eine gesetzliche Regelung vor.
Im Justizausschuss wurde der Gesetzesentwurf am 25.3.1930 einem zehnköpfigen Unterausschuss zugewiesen.* Den sozialdemokratischen Mitgliedern des Unterausschusses, Anwalt Dr. Arnold Eisler, Sekretär des Bundes der Industrieangestellten Österreichs Emil Baumgärtel, AK-Präsident Franz Domes sowie stv. Parteivorsitzender Otto Bauer, gelang es – wie später gesagt wurde – „dem Entwurf im schweren Kampfe einige Giftzähne zu ziehen“
. Allein am grundsätzlichen Gesetzesentwurf konnte nur wenig geändert werden.* Es blieb ein „Ausnahmegesetz gegen die Arbeiter und Angestellten“. Die Sozialdemokraten waren gezwungen, einen Kompromiss zu schließen. Eine Obstruktion war nicht möglich, da die Regierungsparteien mit ihrer Mehrheit dem Ausschuss eine Frist gesetzt hätten. Wäre diese verstrichen, hätte die bürgerlichdeutschnationale Mehrheit den Gesetzesentwurf ohne Ausschussbericht im Plenum des NR in Beratung gezogen und das Ergebnis wäre noch viel schlechter geworden, schrieb ein etwas verzweifelter Otto Bauer in einem Brief an Friedrich Adler am 3.4.1930.* Am 2.4.1930 beendete der Justizausschuss seine Beratungen. Der umgearbeitete Gesetzesentwurf trug nun den Titel „Bundesgesetz zum Schutz der Arbeits- und Versammlungsfreiheit“.*
Nach einer umfangreichen Debatte wurde das Gesetz am 5.4.1930 unter „lebhaften Beifall und Händeklatschen“
sowie „stürmischen Pfui!-Rufen und anhaltenden Zwischenrufen“
mit den Stimmen der Regierungsparteien angenommen.*164
Der soziapolitische Abteilungsleiter der AK Wien, Dr. Hermann Heindl, hat von Beginn an das „AntiterrorG“ begleitet und bei Bedarf über den jeweiligen Stand der Verhandlungen bzw über die jeweils aktuellen Entwürfe in den Vollversammlungen der AK referiert. In einem Artikel in „Arbeit und Wirtschaft“ gibt der Experte einen Überblick über das beschlossene Gesetz und verweist auf jene von den Sozialdemokraten durchgesetzten Änderungen:* Nach § 1 können keine „Organisations- und Absperrklauseln“ mehr in Kollektivverträgen vereinbart werden. Diesbezüglich bestehende Bestimmungen in Kollektivverträgen treten außer Kraft. Es bleibt jedoch möglich, in Kollektivverträgen zu vereinbaren, dass sich AG einer bestimmten Arbeitsvermittlung zu bedienen haben, sofern diese nicht statutarisch nur auf organisierte AN eingeschränkt ist. Die bestehenden paritätischen Arbeitsvermittlungen der Bauarbeiter und Buchdrucker können somit weiterhin arbeiten, was als nicht unbeträchtlicher Erfolg der sozialdemokratischen Verhandler bezeichnet werden kann. § 2 verbietet dem AG, Vereins-, Gewerkschafts- oder Parteimitgliedsbeiträge und Spenden vom Entgelt des AN abzuziehen. Den Sozialdemokraten gelang auch hier insofern eine „Abschwächung“ zu erreichen, als Beiträge zu betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen vom Verbot ausgenommen wurden.
Weitere Bestimmungen betreffen die von den Sozialdemokraten durchgesetzten Änderungen am EAG. Die Außenseiterwirkung wurde nun gesetzlich normiert. Ein abgeschlossener KollV hat für alle AN im Betrieb zu gelten. Es wurde jedoch auch eine Bestimmung aufgenommen, dass der BR innerhalb von 14 Tagen Einspruch erheben kann. Damit sollte verhindert werden, dass AG mit einer kleinen Minderheit einen KollV abschließen, der die Majorität gleichsam vergewaltigen würde. Auf Wunsch der Christlichen Gewerkschaften wurde die Bestimmung aufgenommen, dass sich AN im Betrieb einen KollV ihrer eigenen Gewerkschaft unterstellen können, wenn – und darauf bestanden die Sozialdemokraten – dieser KollV nicht ungünstiger ist als der für alle anderen AN im Betrieb gültige. Wichtig war auch die Bestimmung, dass ein abgeschlossener KollV auch dann weiterhin seine Gültigkeit besitzt, wenn der Betrieb durch Verkauf oder Verpachtung an einen neuen AG übergeht. Zu den Strafbestimmungen merkte der AK-Experte an, dass diese zT „hart und ungerecht“
seien, zumal der Strafsatz höher ist als im Koalitionsgesetz von 1870. „Ausnahmegesetzlichen Charakter“
tragen die Strafbestimmungen in den §§ 5 und 6 gegen die Verhinderung, Sprengung oder Störung nicht verbotener Versammlungen.
Wie sich in den folgenden Jahren zeigen sollte, schützte das „AntiterrorG“ anfangs der 1930er-Jahre weniger die Christlichen Gewerkschaften, sondern ermöglichte vielmehr mit Unterstützung der AG, den Einfluss der sogenannten „unpolitischen“, „gelben“ sowie letztlich auch der nationalsozialistischen Gewerkschaften zu stärken. Mit Gründung des austrofaschistischen Gewerkschaftsbundes wurde § 2 des „AntiterrorG“ für ungültig erklärt.* Im Austrofaschismus 1933 bis 1938 wurden jene selbst zu „Betriebsterroristen“, die vormals vorgaben, gegen „Betriebsterror“ ankämpfen zu wollen: Durch die Gründung des Einheitsgewerkschaftsbundes und die Verfolgung freigewerkschaftlicher und kommunistischer FunktionärInnen, Vertrauensleute und BetriebsrätInnen wurde der „Betriebsterror“ vielerorts grausliche Realität.
Das „Gesetz gegen Arbeits- und Versammlungsfreiheit“
wurde 1945 in den Rechtsbestand der 2. Republik übernommen. Die Änderungen im EAG wurden in geänderter Form in das KollVG 1947 übernommen.* Erst 1954 einigten sich die Fraktionen FSG und FCG durch einen gemeinsamen Antrag von Johann Böhm (SPÖ) und Erwin Altenburger (ÖVP) auf eine Novellierung des „AntiterrorG“.* Dem Wunsch der Sozialdemokraten, das Gesetz als Ganzes abzuschaffen, konnte die FCG nicht nachkommen. Zu tief saß – wie Erwin Altenburger in der Nationalratsdebatte ausführte – die Angst der FCG, auf betrieblicher Ebene von den Sozialdemokraten an den Rand gedrängt zu werden: „Solange nicht wirklich die Persönlichkeit anerkannt wird, solange auch nicht der gute Wille des Herrn Präsidenten Böhm verwirklicht ist, solange Sie als Sozialisten in Ihrer Führung zum Teil nicht die Kraft haben, auch beim Vertrauensmann in den Betrieben diesen Ihren Willen durchzusetzen, solange brauchen wir den Schutz der Gesinnungsfreiheit, und wir sind bei Gott nicht so weit, auf diesen Schutz verzichten zu können! (Beifall bei der ÖVP) Ich sage das ganz offen und ohne Beschönigung.“
* Dadurch blieb es bei der Entfernung der Bestimmung, dass Gewerkschaftsbeiträge nicht vom AG abgezogen werden dürfen,* was von der KPÖ heftig kritisiert wurde, da sie für die Abschaffung des gesamten Gesetzes eintrat.* Die WdU (Wahlpartei der Unabhängigen) war für die Beibehaltung der Bestimmung.* Zu Beginn des Jahres 1970 forderte die AK Wien im Rahmen der Verhandlungen zu einer Anpassung strafrechtlicher Nebengesetze die Abschaffung der Strafbestimmungen des Koalitions- wie auch des AntiterrorG. Durch das Strafrechtsanpassungsgesetz vom 11.7.1974 wurde der § 5 des Arbeits- und Versammlungsfreiheitsgesetzes eliminiert, nachdem dieser Tatbestand im StGB zur Gänze erfasst war.*165