Carinci/Dorssemont (eds)Platform Work in Europe – Towards Harmonisation?

Intersentia Verlag, Cambridge (UK) 2021, XX, 266 Seiten, broschiert, € 69,–

SASCHAOBRECHT (WIEN)

Bereits im Vorwort wird die Entstehungsgeschichte dieses Werkes erläutert: die AutorInnen trafen sich auf einer Konferenz in Mailand, um sich über die Entwicklungen in der Plattformarbeit auszutauschen. Daraus entstand eine Sammlung von sieben nationalen Berichten (Belgien, Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Niederlande und dem Vereinigten Königreich), in denen vor allem die gesetzgeberischen Initiativen und gerichtlichen Entscheidungen aufgearbeitet wurden. Abgerundet wird diese Sammlung mit drei Kapiteln zu den europäischen Perspektiven der Plattformarbeit.

Den Start mit den nationalen Berichten macht Kéfer mit einem ambivalenten Bild aus Belgien: Einerseits wurden in mehreren administrativen (Vor-)Verfahren die Verträge von Deliveroo-EssenszustellerInnen als Arbeitsverträge eingestuft. Andererseits versuchte der belgische Gesetzgeber parallel dazu Plattformarbeitende pauschal von der Anwendung des Arbeitsrechts auszuschließen. Bisweilen ohne Erfolg, da die Regelung binnen kürzester Zeit vom belgischen Verfassungsgericht aufgehoben wurde.

Der deutsche Bericht von Krause führt zunächst in die wichtigsten empirischen Daten zur Plattformarbeit ein, um anschließend die Überlegungen zur gesetzlichen Regulierung in Deutschland zu erläutern. Er weist auf das richtungsweisende BAG-Urteil (BAG 1.12.2020, 9 AZR 102/20) hin, in dem ein Clickworker als AN qualifiziert wurde und widmet sich zuletzt den gewerkschaftlichen Bemühungen, Crowdworker zu organisieren.

Besonders aufschlussreich ist der nationale Bericht der Mitherausgeberin Carinci über Italien. Während erste Urteile EssenszustellerInnen aufgrund der formal freien Selbsteinteilung zur Arbeit noch als Selbstständige qualifizierten, wurde diese Ansicht rasch revidiert: Durch Sanktions- und Belohnungsmechanismen der verwendeten Algorithmen entstehe eine De-facto-Arbeitspflicht. Eine Argumentation, die der zeitlich mehr als ein Jahr später ergangenen, deutschen BAG-E nicht unähnlich ist. Anders als in Deutschland führte dies jedoch in Italien nur zur Einreihung in eine stark geschützte Subkategorie Selbstständiger (lavoro eterorganizzato). Die Autorin kritisiert, dass der Gesetzgeber im Jahr 2019 zwar Rechte für selbstständige Plattformarbeitende beschlossen habe, die Regelungen jedoch aufgrund ihrer Kollektivvertragsdispositivität bereits derogiert sind.

Die Autorinnen Gomes und Sachs schildern die Situation in Frankreich als einen Kampf zwischen Legislative und Judikative. Den Anfang machte der Gesetzgeber im Jahr 2016 mit dem loi travail, welches für Plattformarbeitende ein Arbeiten in persönlicher Unabhängigkeit suggerierte. Konträr dazu wurden folgend Plattformarbeitende gleich mehrfach von Gerichten als AN eingestuft. Diese Requalifizierungsmöglichkeit wollte der Gesetzgeber den Gerichten im Jahr 2019 mit dem loi d‘orientation des mobilités nehmen, solange Plattformen bestimmte vorgeschriebene soziale 167 Pflichten gegenüber den AN erfüllten. Eine Regelung, die wiederum das französische Verfassungsgericht noch im selben Jahr aufhob. Ein Ende sei nicht in Sicht.

Fita Ortega erläutert eingangs, dass es in Spanien neben AN und Selbstständigen auch als dritte Kategorie “„Selbstständige in wirtschaftlicher Abhängigkeit gibt. Die bisherigen Gerichtsentscheidungen stuften das Vertragsverhältnis zwischen Plattform und Plattformarbeitenden mehrheitlich als Arbeitsvertrag ein. Bedauerlicherweise nur in einem kurzen Absatz wird erwähnt, dass in Spanien seit März 2021 alle ZustellerInnen, die mit Plattformen kontrahieren, ex lege keine Selbstständigen sind und dass Gewerkschaften die Algorithmen der Plattformen zugänglich gemacht werden müssen. Eine paradigmenwechselnde Regelung, die aber wohl aufgrund der Zeitnähe zur Publikation des Werkes nicht ausführlicher behandelt wurde.

Der niederländische Report von Jacobs schlüsselt zunächst die Bedeutung von Plattformarbeit und die verschiedenen Ausprägungen davon auf. Er widmet sich folgend der Darstellung der Positionen der unterschiedlichen Stakeholder und auch einem Gesetzesentwurf der Opposition, der insb die widerlegbare Vermutung für ein Arbeitsverhältnis umfasst. Abschließend weist er darauf hin, dass auf Basis der Vorschläge einer Expertenkommission seitens der Regierung erwogen wird, eine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Plattformen und Plattformarbeitenden zu etablieren.

Der letzte Report von Countouris führt jenseits des Ärmelkanals in das Vereinigte Königreich. Nach einer kurzen Einführung über die Unterschiede zwischen AN, Selbstständigen und ihrer teilweise arbeitsrechtlich geschützten Subkategorie worker (verkürzt sind dies Personen, die selbstständige Tätigkeit im Rahmen eines fremden Unternehmens ausüben) widmet er sich der bereits ergangenen Judikatur. Dabei nimmt er vor allem auf die richtungsweisende Supreme Court-Entscheidung Aslam vs Uber BVBezug, in der ein Uber-Fahrer als worker eingestuft wurde. Er kritisiert, dass der Fahrer möglicherweise sogar AN gewesen sei, die Beweisführung jedoch so aufwändig ist, dass sich häufig mit dem weniger geschützten (aber leichter beweisbaren) Status des worker abgefunden werde.

Die drei abschließenden Kapitel widmen sich einer gesamtheitlicheren Betrachtung. Das erste Kapitel von Ratti zum europäischen Rechtsrahmen ist insb aufgrund des nach Erscheinen der Publikation veröffentlichten Richtlinienentwurfs der EU-Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit nicht auf aktuellem Stand. Er befasst sich jedoch mit dem vorangegangen Konsultationspapier, von dem wesentliche Eckpunkte in den Richtlinienvorschlag eingeflossen sind; insofern ist dieser Makel vernachlässigbar. Dorssemont führt anschließend ein Plädoyer für die Koalitionsfreiheit und dass sich Plattformarbeitende unabhängig ihres Status als AN oder Selbstständige auf Art 11 EMRK berufen können. Dabei lässt er das drängende Thema des Spannungsverhältnisses zum europäischen Wettbewerbsrecht bewusst außen vor, was die Aussagekraft des Beitrags unweigerlich limitiert. Gemeinsam mit seiner Co-Herausgeberin Carinci widmet er sich abschließend einem Rechtsvergleich, der die nationalen Beiträge geschickt gegenüberstellt und das Buch zusammenfassend abrundet.

Abschließend ist über das Werk zu sagen, dass es nicht nur bezogen auf Plattformarbeit aufschlussreich ist, sondern auch einen guten Einblick gibt, wie die einzelnen Staaten die Abgrenzung zwischen AN, Selbstständigen und die mancherorts vorhandenen Subkategorien regeln. Wer also gerne de lege ferenda denkt, findet unterschiedlichste Anregungen. Insgesamt kann es jedoch nur jenen empfohlen werden, die sich entweder intensiv mit Plattformarbeit auseinandersetzen oder ein ausgeprägtes rechtsvergleichendes Interesse aufweisen, da es über weite Teile die nationale Rechtslage und Judikatur anderer Staaten am metaphorischen Vorabend einer dämmernden europäischen Harmonisierung erörtert.