LutzWucherähnliche Verbraucherdarlehens- und Arbeitsverträge

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2021, 277 Seiten, broschiert, € 92,50

PETERJABORNEGG (LINZ)

Die vorliegende Monographie, eine Mainzer Dissertation, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die auf Grund des allgemeinen Sittenwidrigkeitstatbestandes des § 138 Abs 1 BGB und des besonderen Wuchertatbestandes des § 138 Abs 2 BGB bestehenden Grenzen der freien Vereinbarung von Leistung und Gegenleistung speziell für Verbraucherdarlehensverträge und Arbeitsverträge auszuloten. Das ist auch aus Sicht des österreichischen Privatrechts interessant, weil in ähnlicher Weise § 879 Abs 1 ABGB ganz allgemein gegen die guten Sitten verstoßende Verträge für nichtig erklärt und dies Abs 2 Z 4 „insbesondere“ für wucherische Austauschverträge konkretisiert. Zusätzlich gewährt allerdings § 934 ABGB bei zweiseitig verbindlichen Geschäften schon dann ein Vertragsaufhebungsrecht, wenn ein Teil wertmäßig nicht einmal die Hälfte dessen erhalten hat, was er dem anderen gegeben hat. Ein solcher Schutz bei rein objektiver „laesio enormis“ ist im BGB bewusst nicht eingeräumt worden. Weil aber die vom Wuchertatbestand des § 138 Abs 2 BGB geforderte „Ausbeutung“ für den Übervorteilten erhebliche Beweisschwierigkeiten verursacht, trägt die deutsche Rsp dem Bedürfnis nach weitergehendem Schutz durch Subsumtion „wucherähnlicher“ Rechtsgeschäfte unter § 138 Abs 1 BGB Rechnung, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und subjektiv der Übervorteilende die wirtschaftlich schwächere Position des anderen Teiles bewusst ausnutzt oder sich leichtfertig dieser Erkenntnis verschließt.

Es ist das Verdienst der vorliegenden Arbeit, die Judikatur zu den wucherähnlichen Rechtsgeschäften sowie die daran anknüpfende Diskussion im Fachschrifttum für Verbraucherdarlehensverträge (S 48 ff) und Arbeitsverträge (S 121 ff) umfassend darzustellen und auf ihre Stimmigkeit hin zu überprüfen.

Was zunächst die Verbraucherdarlehensverträge betrifft, so geht die deutsche Judikatur davon aus, dass ein die Sittenwidrigkeit begründendes auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Allgemeinen (also vorbehaltlich besonderer Konstellationen in 168 Einzelfällen) dann vorliegt, wenn der Vertragszins den Marktzins relativ um 100 % oder absolut um 12 Prozentpunkte übersteigt. Zusätzlich wird noch subjektiv die bereits oben erwähnte verwerfliche Gesinnung des Übervorteilenden verlangt. Dieses unmittelbar kaum beweisbare Tatbestandselement wird dabei freilich schon auf Grund des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung widerleglich vermutet.

Während Andreas Lutz die Rsp zum auffälligen Missverhältnis ohne weiteres übernimmt (insb S 97 f), weist er zum subjektiven Tatbestandsmerkmal überzeugend nach, dass dieses zur Begründung der „Wucherähnlichkeit“ völlig ungeeignet ist, namentlich in seiner moralisierenden Ausrichtung weder historisch noch systematisch begründet werden kann (S 79 ff). Demgegenüber legt er dar, dass gerade bei Verbraucherdarlehensverträgen über die generelle Unterlegenheit von Verbrauchern hinaus eine spezielle vertragsbezogene Schutzbedürftigkeit des Darlehensnehmers besteht, die als zusätzliches objektives Element der Wucherähnlichkeit anzusehen ist (S 86 ff, 91 ff, 98 ff). Konkret geht es um die rechtliche und wirtschaftliche Unerfahrenheit, die leicht zu Fehleinschätzungen der übernommenen Verpflichtungen und zur Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit führen. Solche Fehlkalkulationen erhöhen das Risiko des Zahlungsverzuges und nachfolgender Kettenverschuldung, was letztlich die wirtschaftliche Existenzgrundlage betrifft. Angesichts dessen plädiert Lutz insoweit für einen Anscheinsbeweis. Darüber hinaus verlangt er auch noch die Kausalität zwischen vertragsspezifischer Schutzbedürftigkeit und auffallendem Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen, wobei eine (wohl nur schwer) widerlegbare Vermutung Platz greifen soll (S 100 f). Zuletzt wird die viel zu unspezifische „verwerfliche Gesinnung“ durch die schlichte Kenntnis oder leichtfertige Unkenntnis des objektiven Missverhältnisses der beiderseitigen Leistungen sowie der vertragsspezifischen Schutzbedürftigkeit ersetzt, wobei auch insofern eine Beweislastumkehr gelten soll (S 82 f, 101 ff).

Was nun die Arbeitsverträge betrifft, so geht das BAG im Allgemeinen davon aus, dass ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht, wenn das vertragliche Entgelt weniger als zwei Drittel des Marktlohnes beträgt. Im Übrigen wird für die Wucherähnlichkeit nach § 138 Abs 1 BGB auch hier eine verwerfliche Gesinnung verlangt, wobei allerdings zuletzt (insb BAG 27.6.2012, 5 AZR 496/11) klargestellt wurde, dass deren (widerlegbare) Vermutung schon allein aus dem auffälligen Missverhältnis erst gelten soll, wenn der Wert der Leistung mindestens doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung. Zur Bestimmung des Marktlohnes wird den Besonderheiten des deutschen Tarifvertragssystems entsprechend entweder auf einen üblichen Tariflohn des jeweiligen Wirtschaftszweiges (Tarifbindung von mehr als 50 % der AG oder Beschäftigung von mehr als 50 % der AN durch organisierte AG) oder bei abweichender verkehrsüblicher Vergütung auf das allgemeine Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet abgestellt (vgl etwa BAG 22.4.2009, 5 AZR 436/08).

Wiederum präzisiert Lutz seine Sicht der Wucherähnlichkeit auch für die Arbeitsverträge mit den objektiven Tatbestandsmerkmalen des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung, der vertragsspezifischen Schutzbedürftigkeit und deren Kausalität. Subjektiv verlangt er für den AG die Kenntnis oder leichtfertige Unkenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale.

Zum auffälligen Missverhältnis knüpft auch Lutz grundsätzlich an die Zwei-Drittel-Grenze des BAG an (S 189 ff). Allerdings zeigt er in ausführlicher Darlegung zahlreiche Schwierigkeiten auf, die sich für den wucherähnlich Benachteiligten beim Beweis der „üblichen Vergütung“ stellen, und zwar bereits für den üblichen Tariflohn und erst recht für den Marktlohn ohne Tarifvertrag. Dazu bringt er eine Reihe konkreter Vorschläge für die Praxis und plädiert de lege ferenda für eine Verbesserung der statistischen Grundlagen (S 192 ff).

Besonders interessant sind die grundlegenden Ausführungen des Autors zur vertragsspezifischen Schutzbedürftigkeit, die eine erweiterte Berücksichtigung auch im Rahmen des § 138 Abs 1 BGB rechtfertigen (S 227 ff). Im Einzelnen geht es dabei um die typische existenzielle Abhängigkeit auf ein Erwerbseinkommen, die einseitige Vorgabe der Arbeitsbedingungen durch den AG, die oft bestehende Schwierigkeit, nicht einfach auf andere AG ausweichen zu können und den Dauerschuldcharakter des Arbeitsverhältnisses. Wenn die Voraussetzung des auffallenden Missverhältnisses gegeben ist, soll für das Vorliegen des vertragsspezifischen Schutzbedürfnisses der Anscheinsbeweis genügen. Für das dritte objektive Erfordernis der Kausalität hält Lutz abermals eine Beweislastumkehr für geboten.

Als subjektives Tatbestandsmerkmal ersetzt Lutz die kaum greifbare „verwerfliche Gesinnung“ des AG wiederum durch dessen Kenntnis oder zumindest leichtfertigen Unkenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale (S 233 ff). Anders als das BAG nimmt er bei Unterschreitung von 2/3 des den Marktlohn prägenden Tarifvertrages wegen der dem AG zumutbaren Kenntnis einschlägiger Tarifverträge ganz allgemein eine widerlegliche Vermutung der mindestens leichtfertigen Unkenntnis an. Nur wenn es um einen Marktlohn außerhalb dominierender Tarifverträge geht, kommt auch für ihn die widerlegliche Vermutung erst bei Unterschreitung der üblichen Entlohnung um mehr als die Hälfte in Betracht.

Im Vergleich mit der BAG-Rsp sowie den Ergebnissen der vorliegenden Monographie erscheint die OGH-Judikatur mit der Annahme einer Sittenwidrigkeit bloß bei „Schuld- und Hungerlöhnen“ (vgl dazu RS0016702; zuletzt OGH 24.4.2020, 8 ObA 4/20a; allgemein mwN Dorer, Sittenwidrige Entgeltvereinbarungen in Arbeitsverträgen [2019] 49 ff; Drs/Dorer in Kozak [Hrsg], ABGB und Arbeitsrecht § 879 Rz 38 ff, 99 ff) zu streng. So wurde etwa angenommen, dass Lohnvereinbarungen, die 63 % bis 76 % vergleichbarer Kollektivverträge ausmachen, keine Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB begründen (OGH4 Ob 139/77 Arb 9665). Wenn man berücksichtigt, dass bei Unterschreiten der Hälfte der üblichen Entlohnung schon § 934 ABGB Abhilfe schafft, ist bei echtem Lohnwucher und auch bei wucherähnlichen Verhältnissen zu berücksichtigen, dass dort ohnehin zusätzliche Tatbestandselemente vorliegen müssen. Dabei könnte auch die bei Lutz ganz zentral behandelte vertragsspezifische Schutzbedürftigkeit des AN Beachtung finden. Der Sache nach gab es auch in Österreich schon entsprechende Ansätze, wenn etwa Migsch (in 169 seiner E-Glosse

) auf die mögliche Berücksichtigung der „größeren ... Lebenswichtigkeit von Austauschleistungen“ im Rahmen des § 879 ABGB hinwies, oder Kietaibl (RdW 2006, 94, 96) zum Ergebnis gelangte, dass bei größerem Kräfteungleichgewicht auch schon geringere Äquivalenzstörungen zur Sittenwidrigkeit führen können, oder Kozak (DRdA 2011, 167, 169) die stärkere Beachtung des Verhandlungsungleichgewichts zwischen AG und AN sowie die „Wertung des Gesamtumstandes des Vertragsschlusses“, namentlich auch der notwendigen Lebenshaltungskosten, verlangte.

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die hA in Österreich zur Sittenwidrigkeit von Arbeitsentgeltvereinbarungen nach § 879 ABGB durchaus überprüfungsbedürftig ist und die vorliegende Monographie zur vergleichbaren Norm des § 138 BGB dafür eine Fülle von Analysen, Anregungen und Argumenten zu liefern vermag.