Schneider-DörrCrowd Work und Plattformökonomie – Eine arbeitsrechtliche Fallstudie

Nomos Verlag, Baden-Baden 2021, 479 Seiten, kartoniert, € 109,–

SASCHAOBRECHT (WIEN)

Das deutsche Bundesarbeitsgericht (BAG) ließ im Dezember 2020 aufhorchen: Ein Nutzer einer Online-Plattform, der kontinuierlich Kleinstaufträge (sogenannte Mikrojobs) aufgrund einer Rahmenvereinbarung erfüllte, wurde als AN qualifiziert, obwohl er vertraglich nicht zur Erfüllung dieser Mikrojobs verpflichtet war. Das BAG argumentierte dabei, dass dieser Crowdworker durch den gezielten Einsatz von Anreiz- und Strafsystemen durch die Plattform nur formal über Selbstbestimmung hinsichtlich seiner Arbeitspflicht verfügt (BAG 1.12.2020, 9 AZR 102/20).

Zumindest eine Person überraschte das Urteil sicherlich nur in geringem Ausmaß: Schneider-Dörr kam in ihrer – in Form dieses Werkes – publizierten Dissertation bereits zuvor zum selben Ergebnis, begleitete das Verfahren und ließ viele ihrer Erwägungen einfließen. Das zu rezensierende Werk ist daher bereits vor diesem Hintergrund von besonderem Interesse und praktischer Relevanz.

Der erste Teil der dreigliedrigen Arbeit führt dabei ins Thema ein, klärt die Begrifflichkeiten und fasst die umfassenden empirischen Studiendaten zusammen. Im zweiten Teil folgt eine Fallanalyse der beiden Crowdwork- Plattformen clickworker und Roamler. Beide Plattformen gelten als Microwork-Plattformen: Dabei werden via der Plattformen Kleinstaufträge erfüllt, wie bspw die Verschlagwortung und Kategorisierung von Produkten eines Online-Shops. Schneider-Dörr schildert ihre persönlichen Erfahrungen aus Selbstversuchen auf den Plattformen, um in Zusammenschau mit den AGB der Plattformen jenen Sachverhalt zu generieren, der ihre umfassende rechtliche Beurteilung erst ermöglicht.

Im letzten Teil der Arbeit wird sich der Gretchenfrage bei Crowdwork gewidmet: Liegt ein Arbeitsverhältnis zwischen CrowdworkerInnen und Plattform vor? Sie zeigt dabei zunächst Modelle zur Bestimmung des AN-Begriffs auf, widmet sich folgend dem europäischen Arbeitsrecht und schließt mit Überlegungen, wie CrowdworkerInnen in ihrer speziellen Situation geholfen werden kann.

Insb bei der Einführung ins Thema im ersten Teil wählt sie dabei einen erfrischenden Weg, den man in vergleichbaren österreichischen Werken nicht allzu oft antrifft: Um die Relevanz von Crowdwork herauszuarbeiten, geht sie nämlich über eine rein rechtliche Analyse des Phänomens hinaus und beschäftigt sich immer wieder auch mit Fragen der Sozial- und Wirtschaftsforschung. Welche Unternehmen greifen auf Crowdwork zurück, welche positiven und negativen Effekte kann dies für Unternehmen haben und führt der Prozess des Crowdsourcing von Aufgaben gegen Entgelt immer zu besseren Ergebnissen? Dabei ist eine der spannendsten und über das Thema hinausgehenden Schlussfolgerungen, dass es vor allem auf die Ausgestaltung eines Prozesses ankommt, ob die in einem Crowdsourcing- Prozess immanent eingesetzte „Schwarmintelligenz“ einer Vielzahl von Personen zu einem besseren Ergebnis führt als die herkömmliche Verrichtung der Tätigkeit durch Einzelpersonen.

Die Lektüre des Werks zeigt darüber hinaus auch recht eindrucksvoll wie tiefgehend die internationale empirische Forschung zu diesem jungen Thema bereits geht. Dies erreicht die Autorin durch eine detaillierte Aufbereitung der Forschungslage, in deren Rahmen sie insb die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Formen plattformbasierten Arbeitens nachvollziehbar und mit unterstützenden Grafiken aufschlüsselt.

Dabei gelingt es ihr auch stets, eine ausgewogene Sichtweise zu behalten. So findet sich an mehreren Stellen der Vermerk, dass eine Person, die Microwork verrichtet, AN sein kann, aber keinesfalls sein muss. Das mag im ersten Moment wie der Versuch wirken, sich vor der relevanten Frage zu drücken, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Für die korrekte Klärung der Statusfrage bedarf es schlicht einer Gesamtbetrachtung der Umstände, weshalb pauschalierende Aussagen regelmäßig zu falschen Ergebnissen führen. So kann es durchaus sein, dass zwei Personen über dieselbe 172 Plattform Mikrojobs verrichten, jedoch aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen voneinander abweichend als AN und Selbstständiger einzustufen sind. Ein Gedanke, der in der analogen Welt völlig unbestritten ist: So kann bspw die Fertigung eines Tisches zum Inhalt eines Werkvertrages mit einem selbstständigen Tischler werden und die konkrete Herstellung desselben Tisches im Tischlereibetrieb von einer AN im Rahmen eines Arbeitsvertrags mit dem Tischler erfolgen. Die Argumentation der Autorin für die virtuelle Welt ist daher nur folgerichtig und stellt eine der wichtigsten Feststellungen der Arbeit dar. Gerade im Zusammenhang mit der Lösung dieser gelegentlich schwierigen Abgrenzungsfrage ist aber natürlich auch auf den Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vom Dezember 2021 (Europäische Kommission, COM[2021] 762 final) der Europäischen Kommission zu verweisen. Herzstück dieses Vorschlags ist eine widerlegliche Vermutung für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, wenn zwei von fünf in dem Vorschlag definierten Kriterien erfüllt sind (zB die Festlegung der Vergütungshöhe durch die Plattform oder das Vorschreiben eines bestimmten Erscheinungsbildes); ein Vorschlag, der durchaus geeignet ist, praktische Erleichterungen in genau dieser Frage herbeizuführen.

Wie vermutlich aus den bisherigen Zeilen schon zu entnehmen war, kann dieses Werk bedenkenlos all jenen empfohlen werden, die sich mit Digitalisierung, Crowdwork und neuen Formen der Arbeitsorganisation bereits befasst haben oder dies künftig tun wollen. Aufgrund der Fertigstellung der Dissertation vor dem BAG-Urteil und dem erwähnten Richtlinienvorschlag konnten die beiden jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet von der Autorin zwar noch nicht berücksichtigt werden, das Werk bietet aber dennoch multiplen Mehrwert: Einerseits ist die Aufbereitung der vorliegenden Studien zum Thema Crowdwork und der bisherigen juristischen Debatte sowie die Klärung der Begrifflichkeiten für die grundlegende Auseinandersetzung mit dem Thema wärmstens zu empfehlen. Andererseits ist sie vor dem Hintergrund, dass das BAG in vielen Bereichen der in der Dissertation dargelegten Argumentation folgte, auch für die Praxis von höchster Relevanz.

Und sollte es bei jemanden mal schneller mit der Lektüre gehen müssen, gibt es von Schneider-Dörr noch ein besonderes Zuckerl obendrauf: Die wichtigsten elf Schlussfolgerungen ihrer Arbeit sind der Chronologie der Arbeit folgend auf den letzten 13 Seiten in komprimierter Fassung nachzulesen. Prägnantere Zusammenfassungen hätten wohl selbst erprobte Clickworker nicht geliefert.