Frieling/Jacobs/KroisArbeitskampfrecht – Handbuch für Wissenschaft und Praxis

C.H. Beck Verlag, München 2021, XXXIX, 548 Seiten, Leinen, € 119,–

WOLFGANGKOZAK (WIEN)

Eine Rezension als österreichischer Jurist über einen Kommentar über das deutsche Streikrecht zu ververfassen, birgt durchaus seine Tücken, geht man davon aus, dass Verständnis und Zugang zum Streikrecht in beiden Ländern unterschiedlich erfolgt. So führt Cerny (Österreichteil in Däubler/Kittner, Geschichte und Zukunft der Betriebsverfassung2 [2022] 718) aus, dass die österreichische Rechtsordnung dem Phänomen des Arbeitskampfes grundsätzlich neutral gegenüberstehe. Dieses „System der natürlichen Arbeitskampffreiheit“ besteht seit der Änderung der historischen nationalen Rechtsordnung durch das Koalitionsgesetz 1870. Diesem Befund ist auf nationaler Ebene jedenfalls zuzustimmen. Durch die Regelungen von Normen des Völkerrechts bzw der Grundrechtecharta der Union ist davon auszugehen, dass Grenzen und Räume des Arbeitskampfrechts in Österreich neu definiert werden. Felten (Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz [2015] 122) führt dazu an, dass auf nationaler Ebene der „Streik als Ausdruck allgemeiner Handlungsfreiheit“ zu akzeptieren sei. Grundsätzlich ähnlich stellt sich dieser Befund in Deutschland dar, wonach wenig bis keine einfachgesetzlichen Normen für einen Arbeitskampf existieren. Außer den europäischen, internationalen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des Grundgesetzes sorg(t)en die Gerichte in Deutschland für die Herausbildung eines Streikrechtes. Die Autoren vorliegenden Handbuches beschränken sich bei der Darstellung auf die Entwicklung seit 1949 und blenden daher Entwicklungen davor weitgehend aus. Damit unterscheidet sich vorliegender Band, der nach dem Untertitel ein „Handbuch für Wissenschaft und Praxis“ sein will, zu dem ebenfalls als „Handbuch für die Rechtspraxis“ editierten Buch „Arbeitskampfrecht“, bei dem Däubler als Herausgeber fungierte und welches einen umfangreichen Bezug auf die Entwicklung des Streikrechtes vom vorindustriellen Zeitalter an nimmt. Krejci hält zur österreichischen Rechtssituation im Jahr 2015 fest, dass in Österreich nicht nur kein gesatztes Arbeitskampfrecht, sondern auch keine von der Rsp entwickelten Grundsätze zum Phänomen Streik existieren (Krejci, Recht auf Streik [2015] 11).

Da sowohl für deutsches Recht die maßgeblichen völkerrechtlichen Normen – wenn auch in anderer Form als in Österreich – zu berücksichtigen sind, widmet sich vorliegendes Handbuch ausführlich diesen supranationalen Regeln und setzt davor eine grundlegende Darstellung der Wirkung von Völkerrecht im deutschen Recht. Im Gegensatz zur österreichischen Verfassung sieht Art 25 Grundgesetz (GG) vor, dass allgemeine Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind (Klein, § 2 Rz 6 Handbuch). Darüber hinausgehende Regeln des Völkervertragsrechts sind wie in Österreich in das nationale Recht zu transformieren. Die Schwierigkeit, die Klein in seiner Darstellung schildert, ist die Definition, welche Normen von Art 25 GG erfasst sind; so ist strittig, ob die ILO-Kernarbeitsnormen oder der UN-Sozialpakt als allgemeine Regeln des Völkerrechtes iSd GG gelten. Für Österreich hält Löschnigg (Arbeitsrecht13 [2018] Rz 13/007) fest, dass das Streikrecht in Art 6 Z 4 Europäische Sozialcharta zwar internationale Anerkennung erfahren hat, diese jedoch durch Österreich nicht ratifiziert wurde.

Zusätzlich wurde auf Unionsebene durch Art 28 Europäische Grundrechtecharta eine Norm geschaffen, die die Möglichkeit im Rahmen der Verteidigung 173 kollektiver Interessen zu streiken verbrieft und von der rechtlichen Konstruktion den „durch die österr Bundesverfassung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten – insb Art 11 EMRK – vergleichbar“ ist (Köchle in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar2 Art 28 [Stand 1.4.2019, rdb.at]). Zuvor hatte Österreich bereits die EMRK und somit auch Art 11 EMRK in Verfassungsrang gehoben. Die Rsp des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) insb zum Normengehalt eines Streikrechtes ist daher ebenfalls in der österreichischen Rechtsordnung zu beachten (vgl dazu etwa Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 13/008; Felten, Koalitionsfreiheit 123).

Es müssen daher sowohl in Deutschland als auch in Österreich die Entscheidungen der internationalen Gerichte bei Auslegung der nationalen Rechtsordnung beachtet werden. So lösten Entscheidungen des EuGH (zB Rs Viking) in den Unionsstaaten durchaus größere Verwerfungen aus (Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 13/008 mwN). Die Stellungnahme von Klein in vorliegendem Handbuch, dass die Annahme des EuGH, dass ein unbeschränkter Schrankenvorbehalt zugunsten der Marktfreiheiten im Unionsrecht vorliegt, jedenfalls durch das Inkrafttreten der europäischen Grundrechtecharta obsolet ist, ist jedenfalls zuzustimmen und hebt das Unbehagen zumindest zum Teil auf, welches der EuGH durch gegenständliche Entscheidungen ausgelöst hatte.

Die Spezialität deutschen Streikrechts zeigt das Handbuch durch die Darstellungen des sogenannten „Beamtenstreikverbotes“, welches zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht 2018 bestätigt wurde, oder des zumindest partiellen Streikverbotes bei Arbeitsverhältnissen zu Kirchen auf. Letzteres soll im kirchlichen Selbstbestimmungsrecht fußen und dann gelten, wenn kirchliches Arbeitsrecht im Rahmen des Selbstbestimmungsrechtes etabliert wurde und dieses eine neutrale und verbindliche Schlichtungsmöglichkeit enthält, ohne dass darauf in dieser Besprechung auf nähere Details eingegangen werden kann.

Wie ist nun der Nutzen des Handbuches für den österreichischen Leser zu bewerten? Krecji (Recht auf Streik 17) ist zuzustimmen, dass für die österreichische Rechtsordnung durch Rechtsvergleichung wenig zu gewinnen ist, weil (nationale) Lösungen nicht unbedingt für „den österreichischen Zugang“ zum Streikrecht bedeutsam sein müssen. Hier ist sicherlich vielmehr in Zukunft die Weiterentwicklung durch die Judikatur des EGMR und vielleicht auch des EuGH und somit internationale Rechtsvergleichung bei der Implementierung dieser (zukünftigen) Judikate von Bedeutung.

Interessanterweise führt eine der spärlichen Entscheidungen des OGH zum Streikrecht (hier zum BR: OGH 19.11.2003, 9 ObA 125/03b) zu einer Art Übereinstimmung mit der deutschen Rechtslage, da nach Ansicht des OGH § 39 ArbVG so auszulegen ist, dass zwischen Betriebsinhaber und BR Arbeitskämpfe verboten sind (kritisch dazu Felten, Koalitionsfreiheit 408). So wird ein Gleichlauf zur deutschen Betriebsverfassung hergestellt, die das Arbeitskampfverbot ausdrücklich in § 74 Abs 2 S 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) enthält. Lässt der OGH die Tätigkeit eines Betriebsratsmitglieds als Gewerkschaftsmitglied im Rahmen eines Streiks als Ausübung der Gewerkschaftsfunktion ausdrücklich zu, stellt sich die deutsche Rechtslage hier ungleich differenzierter dar, wie Husemann (§ 8 Rz 29 ff) schildert. Doppelfunktionen von Betriebsratsmitgliedern als Gewerkschaftsfunktionäre sind demnach auch (zumindest in Industriebetrieben) in Deutschland typisch. Das Streikverbot trifft aber nicht nur das Belegschaftsvertretungsorgan, sondern auch die einzelnen Betriebsratsmitglieder. Dazu kommt noch, dass das durch Art 9 Abs 3 GG garantierte Streikrecht durch die Wahl zum BR nicht verloren geht. Handlungen, die durch die Person als AN und nicht als Betriebsratsmitglied gesetzt werden, sind also nicht vom Streikverbot des Betriebsverfassungsgesetzes umfasst. Eine Lösungsmöglichkeit stellt laut Huseman dar, dass zumindest von freigestellten Betriebsratsmitgliedern eine Erklärung, dass sie als „einfache Arbeitnehmer sprechen“, verlangt werden könne.

Abschließend ist zu bemerken, dass das Handbuch sehr kompakt und dicht verfasst ist, und so gerade den mit den deutschen Problemen und Überlegungen zum Streikrecht nicht so vertrauten Leser:innen einiges an Energie abverlangt. Man bekommt dafür aber eine zwar knappe, aber detaillierte Wiedergabe des Normen- und Judikaturstandes in Deutschland und zu supranationalen Regeln aus deutscher Sicht, wobei eine klare Trennung der Wiedergabe von einzelnen Rechtsmeinungen, Stand der Rsp und eigenen durchaus kritischen Stellungnahmen zu deren Ergebnissen vorgenommen wird. Für jene unter den österreichischen Jurist:innen, die sich mit Streikrecht beschäftigen wollen bzw müssen, bietet das Buch daher eine gute Grundlage, sich einzuarbeiten.