Neumayr/Resch/Wallner (Hrsg)Gmundner Kommentar zum Gesundheitsrecht – GmundKomm
2. Auflage, Manz Verlag, Wien 2022 XXXIV, 3.377 Seiten, Leinen, € 528,–
Neumayr/Resch/Wallner (Hrsg)Gmundner Kommentar zum Gesundheitsrecht – GmundKomm
Die anlässlich der ersten Auflage von mir in DRdA 2017, 243, ausgesprochene Erwartung, dass mit der erstmaligen wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses für Nichtspezialist:innen eher unübersichtlichen Rechtsgebietes des Medizinrechts Maßstäbe gesetzt und ein Standardwerk vorgelegt worden ist, hat sich bewahrheitet. Mittlerweile ist das Werk in zweiter Auflage um 800 Seiten gewachsen und es bemühen sich bereits 47 Autor:innen aus Gerichtsbarkeit, Verwaltung, Universitäten und freien Berufen um – wie die Verlagswerbung schreibt – nunmehr „44 zentrale Normen des Gesundheitswesens“. In die zweite Auflage wurden das Medizinische Masseur- und Heilmasseurgesetz (MMHmG; kommentiert von Voglmaier, ÄK OÖ), das Gesundheitsqualitätsgesetz (GQG; kommentiert von Stöger, Universität Wien), das Primärversorgungsgesetz (PrimVG; kommentiert von Wallner), das Sterbeverfügungsgesetz (Neumayr/Resch), und – wie könnte es fehlen – das Covid-19-Maßnahmengesetz (kommentiert von Lisa Janko/Anna Obereder, JKU) neu aufgenommen. Neu ist auch die Medizinprodukteverordnung der EU (VO [EU] 2017/745); für diese doch eher spröde Materie wurden mit Mag.aMartina Hofmann und Mag.aYvonne Schreck174 zwei sachkundige Kommentatorinnen aus dem Bundesamt für Sicherheit und Gesundheitswesen gewonnen.
Neu sind ferner zwei an den Anfang des Kommentars gestellte Abhandlungen, die den komplexen verfassungsrechtlichen und den nicht weniger schwierigen unionsrechtlichen Rahmen in je rund 20-seitigen Überblicken darstellen: Univ.-Prof. Dr. Markus Vašek, JKU, einer aus der jüngsten Generation der österreichischen Staatsrechtslehrer, der gleichwohl aber bereits eine beachtliche Publikationsliste aufzuweisen vermag, behandelt „Verfassungsrechtliche Grundlagen des Gesundheitsrechts“, während sich Dr.inGisela Ernst, Universitätsassistentin in statu habilitandi an der WU, die – das muss hier erwähnt werden – ihre Ausbildung von der Reifeprüfung über das Diplomstudium bis zum Doktorat stets mit Auszeichnung absolviert hat, der „Unionsrechtlichen Grundlagen des Gesundheitsrechts“ annimmt. Vašek bietet einen guten Überblick über den Kompetenzdschungel, ohne sich allzu sehr in Judikaturdetails zu verlieren (der für Interessent:innen zu hebende Schatz an Rsp und weiterführender Literatur findet sich aber in den Fußnoten), während Ernst die unglaubliche Breite der Ausstrahlung des Unionsrechts in das Medizinrecht (im weiteren Sinne) gut lesbar vorführt und übersichtliche Wege durch das Dickicht der Entscheidungstätigkeit des EuGH weist. Auch hier finden sich in den Fußnoten zahlreiche wertvolle weiterführende Hinweise auf Rsp und Literatur. In der Online-Fassung werden sich die beiden einleitenden Beiträge für das rechtssuchende Publikum als praktische Linksammlung bewähren.
Die Systematik des Werkes wurde deutlich verändert: Die kommentierten Normen wurden in sechs Gruppen zum Teil neu geordnet (Berufsrecht der medizinischen Berufe, Recht der Gesundheitsbetriebe, Medizinsubstanzen, Sanitätsgesetze, Selbstbestimmungsrecht des Patienten und weitere medizinrechtliche Regelungen) und dadurch die Suche im Inhaltsverzeichnis besser strukturiert. Über die Zuordnung einzelner Gesetze ließe sich diskutieren (zB ob man das FortpflanzungsmedizinG wirklich unter „Medizinsubstanzen“ suchen würde), man kann aber wohl davon ausgehen, dass jede mögliche Zuordnung in eine dieser Gruppen ein Für und Wider hat und die letztlich gewählte Zuordnung nicht zufällig passiert ist.
Die sonstigen Qualitäten des Kommentars, wie zB der Nachweis der jeweiligen Aufsatzliteratur im Zusammenhang mit den zu kommentierenden Bestimmungen, und ein ausführliches Stichwortregister blieben erhalten. Mit der Aufnahme einer noch größeren Anzahl der medizin- und gesundheitsrelevanten Gesetze vermisst man ein Gesetz umso schmerzlicher, nämlich das Arzneimittelgesetz; dies umso mehr, als im – wie Stichproben ergeben haben: gründlich überarbeiteten – Stichwortverzeichnis zahlreiche Fundstellen zu „Arzneimittel-“ die ebenso zahlreichen Schnittstellen zum Arzneimittelrecht belegen. Freilich ist fraglich, ob das Werk – ohne in die Zweibändigkeit zu wechseln – noch eine Erweiterung dieser Art vertragen würde. Das fast trotzige Beharren des Manz-Verlages auf einen Band von nunmehr über 3 kg Gewicht bewirkt, dass man in diesem Werk nur lesen kann, wenn es auf harter Unterlage liegt. Leicht handhabbar in diesem Sinne war es freilich schon in erster Auflage nicht und auch eine Aufteilung auf zwei Bände würde es nicht zur Bettlektüre eignen. An formalia wäre noch zu erwähnen, dass die von mir bei der ersten Auflage gerühmte Ausstattung des monströsen Werks mit zwei Einlegebändchen in der zweiten Auflage auf bloß ein Einlegebändchen reduziert wurde.
Eine unterschiedliche Qualität der Kommentierungen ist bei derartigen umfassenden Vorhaben unvermeidlich, da nicht an jeder Ecke gleich hervorragende Expert:innen für alle Zweige des Gesundheitsrechts warten. Aber auch bei eher knappen Kommentierungen würde man sich wünschen, dass sie sich nicht in der bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen. Ein besonders störendes Beispiel findet sich bei Art 1 der MedizinprodukteVO, bei der unmittelbar hintereinander die in Art 1 lit f und g als Ausnahmen von der Verordnung normierten Transplantate, Gewebe oder Zellen tierischen bzw menschlichen Ursprungs und ihre Derivate auch in den Erläuterungen jeweils im Volltext hintereinander noch einmal wiedergegeben werden, ohne dass daraus ein Erkenntnisgewinn gegenüber dem Verordnungstext erwüchse (Art 1 Rz 3). Das für den Leser irritierende daran ist der nahezu idente Wortlaut dieser beiden Ausnahmen, sodass man zuerst an einen redaktionellen Fehler glaubt.
Ein gutes Beispiel für eine erläuternde Kommentierung, wie sie sein sollte, ist jene des Covid-19-Maßnahmengesetzes durch Obereder, die aber den Vorteil hatte, dass sie bereits auf einiges an Rsp des VfGH zurückgreifen konnte. Man ist überrascht über die von der Autorin erwähnte Diskussion in der Literatur, ob das Verbot des Betretens auch ein Verbot des Befahrens umfasst (§ 3 Rz 5 und FN 19-21), maW ob es unter pandemischen Gesichtspunkten (!) dem Gesetzgeber ernsthaft zusinnbar ist, es darauf ankommen zu lassen, ob der Boden mit den Füßen berührt wird. Zum Glück wurde die Debatte durch eine klarstellende Novelle obsolet, ehe sich dazu weitere in Verwirrung stiftender Weise äußern konnten. Nicht überzeugt bin ich hingegen vom flotierenden Begriff der Betriebsstätte, wie ihn die Autorin bei § 3 (in Rz 7 am Ende) für einen Grill am Parkplatz eines Lebensmittelgeschäfts einführt, der zu einer fein ziselierten Differenzierung zwischen Personen in einer Warteschlange und Personen, welche diese kreuzen, führt. Man sollte auch ohne derart bemühte Konstrukte vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks zu plausiblen Lösungen, wie jener der Autorin, kommen können.
Die Kommentierung des MMHmG von Voglmair beschränkt sich nicht auf die Wiedergabe von Erläuterungen, sondern enthält auch Hinweise auf Literatur und höchstgerichtliche Rsp. Auch auf Querverbindungen einerseits zum Unionsrecht wird hingewiesen, andererseits aber auch auf solche, die sich aus der Pandemiegesetzgebung zu SARS-CoV-2 ergeben, kraft der auch Heilmasseur:innen neben anderen Gesundheitsberufen zur Durchführung von Testabstrichen ermächtigt wurden (§ 29 Rz 5). Eher knapp gehalten sind die Kommentierungen des MTD-G (BG über die Regelung der gehobenen medizinisch-technischen Dienste) von Wagner-Kreimer. Davon heben sich die Kommentierungen des Psychologengesetzes 2013 und des Psychotherapiegesetzes von Firlei, aber auch jene des GQG von Stöger durch Umfang und wissenschaftliche Tiefe deutlich ab. Den kompetenzrechtlich bedingten Eiertanz des GQG zwischen Art 10 B-VG – Gesundheitswesen und Art 12 B-VG – Krankenanstaltenrecht zeigt Stöger175 deutlich auf (Vorbemerkung Rz 2). Dasselbe Problem finden wir ja auch in der Medizinplanung, wo es zum Teil absurde Blüten treiben muss (vgl zuletzt etwa VfGH 30.6.2022, G 334/2021 ua, V 265/2021) oder aber auch bei berufsbezogenen Werbebeschränkungen (vgl VfGH 29.2.2016, VfSlg 20.048).
Das erstmals kommentierte PrimVG 2017 zeigt die juristische, aber auch die praktische Expertise der Autoren Felix Wallner (oö. Ärztekammer) und Michael Cerha, einem auf Arztrecht spezialisierten Rechtsanwalt. Im „Vorspann“ der Kommentierung des § 1 findet sich ein für die kurze Zeit seit dem Inkrafttreten erstaunlich umfangreiches Literaturverzeichnis.
Neumayr kommentiert in gewohnt souveräner Manier die gesetzliche KV nach dem ASVG. Warum die KV eine Leistungspflicht für Haarwuchsmittel trifft, wenn der natürliche Haarausfall bei einem Mann zu einer Depression führt (und nicht nur in Bezug auf die Behandlung der Depression), ist mir immer noch ein Rätsel (so aber die bei §§ 116-121 ASVG Rz 27 zitierte Rsp des OGH), wobei – nach diesem Maßstab – die „Lifestyle-Medizin“ überhaupt ein Fall für die SV werden kann, und zwar immer dann, wenn aus einem vermeintlichen ästhetischen oder funktionalen Defekt (wie zB bei erektiler Dysfunktion) glaubhaft eine Depression wuchert. Aber möglicherweise handelt es sich doch um Einzelfallentscheidungen, zumal man seit fast 20 Jahren von solchen Fällen nicht mehr gehört hat.
Um die E des VfGH vom 11.12.2020, G 139/2019, kreist die Kommentierung des Sterbeverfügungsgesetzes von Neumayr/Resch. Auch bei dieser Kommentierung überrascht der umfangreiche Literaturnachweis zu diesem erst 2021 verabschiedeten Gesetz. Die Autoren zeigen grundsätzlich Verständnis für die auch im internationalen Maßstab sehr restriktive Regelung der Sterbehilfe, halten diese aber zum Teil für zu bürokratisch, sodass – ihrer Erwartung nach – Sterbewillige eher andere Möglichkeiten zur Selbsttötung bevorzugen würden (wie zB eine Überdosis Schlaftabletten). Die gesetzliche Regelung der „Sterbehilfe“ geht tief in emotionale Schichten der Menschen; man erinnert sofort Euthanasieverbrechen der NS-Zeit, obwohl gerade der Euthanasie-Gedanke in einem weit stärkeren Ausmaß als dies heute überhaupt denkbar ist, bereits vor der NS-Zeit allgemeiner Diskussionsgegenstand in politischen, juristischen und medizinischen Zirkeln gewesen ist. Die historische Erfahrung des massenhaften Missbrauchs prägt jedoch unsere Gesellschaft im besonderen Maße, sodass die – gemessen an der sonstigen Praxis des VfGH eher ungewöhnlichen – zur Restriktion ermunternden Ratschläge des Höchstgerichts an die legistische Praxis und die daran anknüpfende restriktive Regelung durch den Gesetzgeber wenig überraschen. Der Rezensent kann auf dem Boden seiner persönlichen Haltung mit diesen restriktiven Regelungen gut leben; ob er damit auch gut sterben könnte, ist eine andere Frage.
Der enorme Umfang des Werkes wurde einleitend beschrieben; mehr als zufällige Brosamen inhaltlicher Erörterung können daher für eine Rezension nicht abfallen. Die Kommentierungen mögen Anstoß für weitere Forschungsarbeiten und Diskurse geben. Das Medizinrecht hat das althergebrachte Krankenanstaltenrecht zu einem sachlich zusammenhängenden, sehr umfangreichen, aber auch nachgefragten Rechtsgebiet des Gesundheitsrechts weiter entwickelt, wie die Literatur aber auch die Zahl der Forschenden zeigt. Dazu leistet der vorliegende umfassende Kommentar einen wichtigen Beitrag. Zu diesem Unternehmen ist der Manz-Verlag daher zu beglückwünschen, umso mehr, wenn dieses Werk auch in zweiter Auflage so gut gelingt wie hier. Es ist für die juristische, aber auch für die berufliche Praxis der Medizinberufe ein unverzichtbares Standardwerk. 176