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Kein Entgelt nach Verweigerung der Zustimmung zur Kurzarbeit – berechtigter Austritt

SOPHIESCHWERTNER (WIEN)
  1. Die Treuepflicht geht nicht so weit, dass der AN am unternehmerischen Risiko seines AG partizipieren und bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens auf einen Teil seines Einkommens verzichten müsste. Aus der Treuepflicht lässt sich keine Verpflichtung des AN zur Einwilligung in Kurzarbeit ableiten.

  2. Gem § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I 2020/16 hat der AN, dessen Dienstleistungen aufgrund von Verboten oder Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID-19-MaßnahmenG (BGBl I 2020/12) nicht zustande kamen, seinen Entgeltanspruch behalten. Leistet der AG das Entgelt nicht vertragsgemäß, ist der AN gem § 26 Z 2 AngG zum Austritt berechtigt.

[1] Die Kl war seit 8.6.1995 beim Bekl beschäftigt und mit der Leitung eines Souvenirshops betraut. Da die Betriebsstätte des Bekl aufgrund der COVID-Maßnahmen geschlossen war, vereinbarten die Parteien für die Zeit von April bis September 2020 Kurzarbeit. Der Bekl forderte die Kl mehrfach auf, der Verlängerung der Kurzarbeit bis Dezember 2020 zuzustimmen, womit die Kl aber nicht einverstanden war. Da die Betriebsstätte des Bekl weiterhin geschlossen war, erbrachte die Kl keine Arbeitsleistung. Der Bekl leistete deshalb ab Oktober 2020 keine weiteren Zahlungen, obwohl die Kl das offene Entgelt mehrfach urgierte. Schließlich endete das Dienstverhältnis am 30.12.2020 durch den vorzeitigen Austritt der Kl.

[2] Die Kl begehrt mit ihrer Klage 19.683,84 € brutto sA an Entgelten bis Dezember 2020, Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigung und den fälligen Abfertigungsteil, die Feststellung ihres weiteren Abfertigungsanspruchs sowie die Ausstellung eines Dienstzeugnisses.

[3] Der Bekl wendete ein, dass die Kl aufgrund der Schließung der Betriebsstätte keine Arbeitsleistungen erbringen habe können und durch die Verweigerung der Kurzarbeit gegen ihre Treuepflicht verstoßen habe.

[4] Das Erstgericht gab der Klage – mit Ausnahme eines auf eine Entgeltdifferenz entfallenden Teilbetrags des Zahlungsbegehrens von 311,08 € brutto sA – statt. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass die Kl zum Austritt berechtigt gewesen sei, weil sie der Kurzarbeit nicht zustimmen habe müssen und sie nach § 1155 Abs 3 ABGB trotz Schließung des Betriebs des Bekl ihre Entgeltansprüche behalten habe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

[6] Der Bekl strebt mit seiner Revision die Aufhebung der Entscheidung und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht an.

[7] Die Kl beantragt in der ihr freigestellten Rechtsmittelbeantwortung die Revision ab-, in eventu zurückzuweisen.

[8] Die Revision ist wegen des Fehlens von Rsp des OGH zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Kurzarbeit ist eine arbeitsmarktpolitisch geförderte Maßnahme zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, mit der Kündigungen bei vorübergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten vermieden werden sollen (Pfeil, Corona-Kurzarbeit und Bestandsschutz, DRdA 2021, 179; Wolf/Potz/Krömer/Jöst/Stella/Hörmann/Holuschka/Scharf, Kurzarbeit und Kurzarbeitsbeihilfe, in Resch, Corona-HB1.06 Kap 4 Rz 1). Die Voraussetzungen, unter denen Kurzarbeitsbeihilfen beansprucht werden können, sind in § 37b AMSG (vgl zu den Richtlinien § 37b Abs 4 AMSG) und den Sozialpartnervereinbarungen geregelt. Während der COVID-19-Pandemie bestand etwa die Möglichkeit, dass dem AG die über das Entgelt für die tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen hinausgehenden Kosten ersetzt werden und die AN – gestaffelt nach der Höhe des früheren Nettoentgeltes – trotz der Reduktion ihrer Arbeitszeit zumindest 80 % ihres bisherigen Nettogehalts beziehen (dazu Zechner, Die Corona-Kurzarbeit, DRdA-infas 2020, 206 [208 f] und Brokes, Phase III – Die Corona-Kurzarbeit geht in die Verlängerung, DRdA-infas 2020, 461 [462]).

[10] 2. Die Kurzarbeit ist mit einer Änderung des Arbeitsvertrags verbunden, die zu einer Verringerung der Normalarbeitszeit und einer entsprechenden Kürzung des Entgeltanspruchs des AN führt. Die Einführung der Kurzarbeit erfordert deshalb entweder eine BV nach § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG oder eine Einzelvereinbarung zwischen AG und AN (Winter/Thomas, Kurzarbeit – Grundsatzfragen und geplante Neuregelungen, ZAS 2009/10, 71 f; Auer-Mayer, Ausgewählte Fragen zur Kurzarbeit, ZAS 2020/36, 223). Der OGH hat bereits darauf hingewiesen, dass der AG eine solche Änderung des Umfangs der Arbeitspflicht angesichts der damit verbundenen Reduktion des Entgeltanspruchs des AN selbst dann nicht einseitig anordnen kann, wenn betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des AN im bisherigen Umfang entgegenstehen (9 ObA 54/89).

[11] 3. Im vorliegenden Fall stellt der Bekl gar nicht in Abrede, dass die Einführung von Kurzarbeit der Zustimmung der Kl bedurft hätte, meint aber, dass die Kl durch die Verweigerung ihrer Zustimmung gegen ihre Treuepflicht verstoßen habe. Richtig ist, dass den AN eine Treuepflicht trifft, die ihn dazu verhält, auf betriebliche Interessen des AG entsprechend Rücksicht zu nehmen (RIS-Justiz RS0021449). Der OGH hat aber bereits ausgesprochen, dass die Treuepflicht nicht so weit geht, dass der AN am unternehmerischen Risiko seines AG partizipieren und bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens auf einen Teil seines Einkommens verzichten müsste (9 ObA 287/92; ebenso Burger, Rechtsfragen der Kurzarbeit, DRdA 2022, 3 [4]). Stimmt der AN einer Reduktion seiner Arbeitszeit nicht zu, so bleibt dem AG nur die Mögichkeit 131 einer – allenfalls Änderungs- – Kündigung (9 ObA 54/89).

[12] 4. Der Bekl hat aber keine solche Kündigung ausgesprochen, sondern stattdessen der Kl die Fortzahlung des Entgelts verweigert. Nach § 26 Z 2 AngG ist es als ein wichtiger Grund, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritt berechtigt, anzusehen, wenn der DG das dem Angestellten zukommende Entgelt ungebührlich schmälert oder vorenthält. Von einer ungebührlichen Schmälerung oder einem ungebührlichen Vorenthalten des Entgeltes kann nur dann ausgegangen werden, wenn der AG gewusst hat oder infolge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht hätte wissen müssen, dass seine Vorgangsweise unrechtmäßig ist (RS0028896). Kein Austrittsrecht besteht etwa dann, wenn über das Bestehen gewisser Zulagen verschiedene Rechtsmeinungen vertreten werden könnten und daher der Ausgang eines diesbezüglichen Rechtsstreites nicht abzusehen war (9 ObA 115/88). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

[13] 5. Mit dem 2. COVID-19-Gesetz BGBl I 16/2020 wurde § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt, wonach AN, deren Dienstleistungen aufgrund von Verboten oder Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl I 12/2020nicht zustande kommen, ihren Entgeltanspruch behalten. Nach § 1503 Abs 14 ABGB trat § 1155 Abs 3 ABGB rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft und mit 31.12.2020 außer Kraft. Die Entgeltansprüche der Kl fallen in den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Im Übrigen wird der Fortbestand des Entgeltanspruchs nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in diesem Zusammenhang für verschiedenste Konstellationen vertreten (Gerhartl, Entgeltfortzahlung bei Coronavirus – Das Elend der neutralen Sphäre, ASoK 2020, 162 [164]; Aichberger-Beig, Entfall des Entgelts bei Arbeitsausfällen mit Ursache in der sogenannten „neutralen Sphäre“? DRdA 2020, 411 [416 f]). Die gesetzlichen Vorgaben waren jedenfalls eindeutig.

[14] 6. Das Abweichen von einer klaren Gesetzeslage ohne sorgfältige Überlegungen und Darlegung der Gründe bedeutet eine unvertretbare Rechtsansicht und ein ungebührliches Vorenthalten des Entgelts (RS0028896; vgl auch RS0049969 [T1]; RS0107814). Die Behauptung, dass die Verpflichtung zur Fortzahlung des vereinbarten Entgelts einen unverhältnismäßigen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht des Bekl bedeute, ist nicht nachvollziehbar, weil er ja die Möglichkeit gehabt hätte, den Arbeitsvertrag – wenn auch unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Fristen – zu kündigen. Die Rechtsansicht des Bekl, dass die Kl ihren Entgeltanspruch verlieren soll, wenn sie einer Kurzarbeit nicht zustimmt, ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar und findet weder in der Rsp noch in der Literatur eine Stütze.

[15] 7. Im Ergebnis hätte dem Bekl infolge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht bekannt sein müssen, dass er, auch wenn die Kl eine Fortsetzung der Kurzarbeit abgelehnt hat, nach § 1155 Abs 3 ABGB zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet war, weshalb die Kl zum vorzeitigen Austritt berechtigt war.

[...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

In der zu besprechenden E setzt sich der OGH mit der Frage auseinander, ob der Austritt einer AN wegen Vorenthaltens des Entgelts nach Verweigerung der Zustimmung zur Kurzarbeit in einem aufgrund der COVID-19-Maßnahmen geschlossenen Betrieb gerechtfertigt sein kann. Der OGH bejaht dies in Bestätigung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Die Treuepflicht gehe nicht so weit, dass die AN im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Unternehmens auf einen Teil ihres Einkommens verzichten müsse. Das Urteil überrascht im Ergebnis nicht; es bietet aber die Gelegenheit, Schlaglichter auf einige interessante Themenfelder zu werfen.

2.
Kurzarbeitsvereinbarung und Treuepflicht

Für viele Unternehmen stellte die Einführung von Kurzarbeit während der Corona-Pandemie ein wichtiges Instrument zur Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen dar. Sie erlaubt eine vorübergehende Arbeitszeitverkürzung, welche mit einer Reduktion des Arbeitsentgelts einhergeht, und ermöglicht es dem AG, in Krisenzeiten Personalkosten einzusparen, ohne Arbeitsverhältnisse beenden zu müssen. Während in Betrieben mit BR § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG die gängige Rechtsgrundlage zur Einführung von Kurzarbeit ist, bedarf es in betriebsratslosen Betrieben – wie im gegenständlichen Fall – einer Einzelvereinbarung zwischen AN und AG. Diese Zustimmung zur (Fortsetzung der) Kurzarbeit verweigerte die Kl. Die bekl AG ortete darin einen Verstoß gegen die Treuepflicht.

Die E bietet daher zunächst Anlass, sich mit der Reichweite der Treuepflicht zu befassen. Diese ist im Gegensatz zur Fürsorgepflicht des AG (§ 1157 ABGB, § 18 AngG) nicht allgemein und generalklauselartig, sondern lediglich in Ansätzen im Gesetz geregelt (zB § 76 GewO 1859, § 27 Z 1 AngG). Sie steht nicht im Synallagma mit der Entgeltpflicht; entgegen dem neuzeitlichen Verständnis gebührt der Lohn heute nicht nur dem, der fideliter laboravit (Nachweise bei Mayer-Maly, Treue- und Fürsorgepflicht in rechtstheoretischer und rechtsdogmatischer Sicht, in Tomandl [Hrsg], Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht [1975] 71 [77]). Die vermögensrechtlichen Interessen des AG werden von der Rsp nur „in einem gewissen Rahmen“ als Schutzobjekt der Treuepflicht betrachtet. Diese beinhaltet zwar die Respektierung des unternehmerischen Tätigkeitsbereiches, der AN muss aber keineswegs alles tun oder unterlassen, das dem AG nützlich oder abträglich sein könnte. Vielmehr werden der Treuepflicht durch die „elementaren Interessen“ des AN Grenzen gesetzt; sie umfasst idS nicht die verbindliche Mitwirkung 132 an unternehmerischen Dispositionen durch Einkommensverzicht oder eine Beteiligung des AN am Unternehmerrisiko (OGH 27.1.1993, 9 ObA 287/92; OGH 28.9.2007, 9 ObA 46/07s).

In dieses Bild fügt sich auch die vorliegende E: Selbst bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens ergibt sich aus der Treuepflicht keine Verpflichtung, wonach der AN durch Zustimmung zur Kurzarbeit Entgeltkürzungen hinnehmen müsste. Dies ist nachvollziehbar. Der Entgeltanspruch stellt für den in aller Regel auf den Lohn existentiell angewiesenen AN den entscheidenden Grund für den Arbeitsvertragsabschluss dar, die Treuepflicht begründet schon nach der bisherigen Rsp gerade keine umfassende Interessenwahrungspflicht (so ausdrücklich OGH9 ObA 46/07s) und dem AG steht als alternatives Handlungsinstrument (regelmäßig) ohnehin die (Änderungs-)Kündigung zur Verfügung.

3.
Anspruch auf Entgeltfortzahlung gem § 1155 ABGB

Die Ausbreitung von COVID-19 hat dazu geführt, dass AG AN aufgrund behördlicher Betriebsschließungen nicht zur Arbeit einsetzen konnten. Sowohl im medialen als auch im rechtswissenschaftlichen Diskurs wurde daher die Frage nach einem allfälligen Entgeltfortzahlungsanspruch der AN zu einem der zentralen Themen. Der Gesetzgeber reagierte, indem er § 1155 ABGB novellierte (BGBl I 2020/16). Mit dem neugeschaffenen Abs 3 leg cit wurde einerseits angeordnet, dass Maßnahmen aufgrund des COVID-19-MaßnahmenG, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führten, als Dienstverhinderungen aus der Sphäre des AG „gelten“ sollten. AN, deren Dienstleistungen aufgrund derartiger Maßnahmen nicht zustande kamen, waren andererseits verpflichtet, auf Verlangen des AG in dieser Zeit allfällige Urlaubs- und Zeitguthaben im durch Abs 4 leg cit festgelegten Ausmaß zu verbrauchen. Die Neuregelung trat mit 15.3.2020 rückwirkend in Kraft und war bis 31.12.2020 befristet (§ 1503 Abs 14 ABGB). In ihren zeitlichen Anwendungsbereich fallen auch die relevanten Entgeltansprüche der Kl, weshalb der OGH zutreffenderweise davon ausging, dass der AG zur Entgeltfortzahlung verpflichtet war. Die Rechtslage war aufgrund der ausdrücklichen, wenngleich zeitlich befristeten gesetzlichen Anordnung klar.

Nicht ganz so eindeutig ist hingegen, wie ähnlich gelagerte Sachverhalte außerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs der Sonderregel des § 1155 Abs 3 idF BGBl I 2020/16zu beurteilen wären. Im Zuge der Novellierung blieb mangels Begründung zum Initiativantrag ([IA] 397/A BlgNR 27. GP) ungewiss, ob der Gesetzgeber lediglich eine Klarstellung vornehmen oder eine materielle Veränderung der Rechtslage bewirken wollte. Teile des Schrifttums argumentieren, vor allem unter Berufung auf den Wortlaut des § 1155 Abs 3 ABGB („gelten als“), dass derartige Hinderungsgründe nach der nunmehr (wieder) geltenden Rechtslage nicht der Risikosphäre des AG, sondern als „allgemeine Kalamität“ der sogenannten neutralen Sphäre zuzuordnen wären und daher keinen Entgeltfortzahlungsanspruch begründen würden (Friedrich, Entgeltfortzahlung nach § 1155 ABGB und COVID- 19, ZAS 2020, 156; Kietaibl/Wolf in Resch [Hrsg], Corona-HB1.00 Kap 3 Rz 1 ff). Das könnte – zumindest auf den ersten Blick – auch im Lichte der bisherigen Judikatur naheliegen. Der OGH hat die Theorie der neutralen Sphäre aufgegriffen (OGH 16.12.1987, 9 ObA 202/87; OGH 24.2.1988, 9 ObA 42/88); das Vorliegen einer solchen allgemeinen Kalamität hat er bislang jedoch noch nicht bejaht.

Vor diesem Hintergrund bemerkenswert ist der Hinweis des OGH im gegenständlichen Urteil darauf, dass der Fortbestand des Entgeltanspruchs in dieser Konstellation auch nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen vertreten würde. Diese Randbemerkung könnte daraufhin deuten, dass das Höchstgericht auch abseits der zeitlich befristeten Sonderregelung davon ausgeht, dass Hinderungsgründe, welche mit den Betretungsverboten aufgrund der Corona-Pandemie vergleichbar sind, der AG-Sphäre iSd § 1155 Abs 1 ABGB zuzuordnen sind. Dies stünde in Einklang mit jenen Stimmen im Schrifttum, welche mit im Detail unterschiedlichen Begründungen vertreten, die Anlassgesetzgebung sei bloß klarstellender Natur gewesen. Nach dieser Ansicht gebührt, wenn AG aufgrund staatlicher Maßnahmen ihre Betriebe vorübergehend stilllegen, (weiterhin) Entgeltfortzahlung (etwa Aichberger-Beig, Entgeltfortzahlung bei Betriebsschließungen in der COVID-19-Pandemie, DRdA 2020, 292; Felten/Pfeil, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der COVID-19-Gesetze – ausgewählte Probleme, DRdA 2020, 295; Mazal, Entgeltfortzahlung bei pandemiebedingter Einschränkung des sozialen Lebens, ecolex 2020, 280; Gruber-Risak, Die Seuche, das Risiko und der Arbeitsvertrag, ÖJZ 2021, 165). Der Entscheidung eine Stellungnahme des OGH zur grundsätzlichen (Nicht-)Existenz einer neutralen Sphäre entnehmen zu wollen, ginge mE freilich zu weit; die Frage war weder entscheidungswesentlich noch hat sich der Gerichtshof auf Details der Begründung festgelegt. Festhalten lässt sich an dieser Stelle aber, dass die befristete Novellierung des § 1155 ABGB der bezweckten Rechtssicherheit kurzfristig sicherlich dienlich war; ein gewisser Klarstellungsbedarf besteht allerdings – wie die Anzahl der Stellungnahmen in der Literatur belegt – nunmehr (wiederum) nach Auslaufen der Sonderregelung.

4.
Der Austrittsgrund des ungebührlichen Schmälerns oder Vorenthaltens des Entgelts

Gem § 26 Z 2 AngG bildet das ungebührliche Schmälern oder Vorenthalten des Entgelts einen wichtigen Grund, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritt berechtigt. Annähernd gleichlautende Bestimmungen finden sich in § 82a lit d GewO 1859, § 109 Abs 1 Z 2 LandarbeitsG, § 32 Z 4 TheaterarbeitsG sowie in § 21 Z 2 HausbesorgerG. Ferner bildet die Verletzung der Entgeltpflicht nach der Rsp auch im Vertragsbedienstetenrecht, wenngleich dort eine vergleichbare Vorschrift fehlt, 133 einen Grund zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (OGH 4 Ob 124/62 Arb 7.644; OGH 7.5.2003, 9 ObA 6/03b). Die Relevanz der nachfolgenden Ausführungen geht insofern über den Anwendungsbereich des AngG hinaus.

Das in Rede stehende Austrittsrecht beruht auf dem Gedanken, dass das Vorenthalten des gebührenden Lohns einen der gravierendsten Störfaktoren im Arbeitsverhältnis überhaupt darstellt. Der Entgeltanspruch ist für den AN von so entscheidender Bedeutung, dass die einseitige Beeinträchtigung desselben durch den AG dem rechtsstaatlichen Prinzip der Vertragstreue widerspricht und daher für den AN einen wichtigen Grund zur vorzeitigen Beendigung darstellt (OGH 27.1.1993, 9 ObA 287/92). Das ungebührliche Schmälern und das ungebührliche Vorenthalten des Arbeitsentgelts iSd § 26 Z 2 AngG sind dabei – trotz Ähnlichkeit und obwohl der OGH auch in der vorliegenden E nicht differenziert – zwei voneinander getrennt zu beurteilende Austrittstatbestände. Während ersterer verwirklicht wird, wenn das dem AN (aufgrund von Einzelvertrag, KollV oder Gesetz) zustehende, fällige Entgelt einseitig rechtswidrig herabgesetzt wird (OGH 13.2.1997, 8 ObA 2285/96d), versteht die Rsp unter letzterem, dass der Anspruch dem Umfang nach zwar weder bestritten noch bezweifelt, das Entgelt bei Fälligkeit aber dennoch nicht oder nicht vollständig geleistet wird (OGH 10.7.2002, 9 ObA 115/02f).

In seiner jüngeren Rsp betont der OGH, es sei unerheblich, ob der AG in Benachteiligungsabsicht, aus Nachlässigkeit oder aus Unvermögen gehandelt hat (krit Löschnigg,

; zur älteren Rsp siehe zB OGH 21.9.1954, 4 Ob 144/54). Der Tatbestand ist jedenfalls erfüllt, wenn der AG wusste oder infolge der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht hätte wissen müssen, dass seine Vorgangsweise unrechtmäßig ist (OGH 2.2.2005, 9 ObA 7/04a mwN). Der AG kann sich daher zB auch nicht auf „andere, im Interesse des Unternehmens vorrangige Zahlungsverpflichtungen“ ausreden (OGH4 Ob 77/82
[Löschnigg]
). Allerdings wird das Austrittsrecht bei bloß objektiver Rechtswidrigkeit verneint. Das ist etwa der Fall, wenn über das Bestehen eines Anspruches unterschiedliche, zumindest plausible Rechtsauffassungen vertreten werden oder widersprüchliche Entscheidungen vorliegen und der Ausgang des diesbezüglichen Rechtsstreits nicht absehbar ist (OGH 2.2.2005, 9 ObA 7/04a; OGH 15.6.1988, 9 ObA 115/88). Davon konnte, wie der OGH zutreffenderweise festhält, im vorliegenden Fall nicht die Rede sein (siehe schon oben unter Pkt 3).

Im Übrigen gilt auch für den Austrittstatbestand des § 26 Z 2 AngG der Grundsatz der Unverzüglichkeit. Obwohl der AG ab Oktober 2020 keine Zahlungen mehr leistete, die AN jedoch erst am 30.12.2020 ihren Austritt erklärte, kann im gegenständlichen Fall von einer Verwirkung des Austrittsrechtes indes nicht die Rede sein: Ungebührliches Vorenthalten bzw Schmälern des Entgelts stellt nämlich einen Dauertatbestand dar, der durchgängig geltend gemacht werden kann. Lediglich wenn der AN die Entgeltschmälerung bereits einige Zeit hingenommen hat, muss er dem AG den Austritt unter Setzung einer Nachfrist androhen (OGH 25.11.1980, 4 Ob 21/80). Da die Kl die offenen Gehaltszahlungen mehrfach urgierte, konnte die Austrittserklärung den AG jedoch kaum überraschen und war die Nachfristsetzung nicht erforderlich. Davon zu unterscheiden ist freilich die praxisrelevante Frage, wie lange Entgelt vorenthalten werden „darf“, ohne dass der AG einen Austrittsgrund setzt. Während das TheaterarbeitsG und das HausbesorgerG diesbezüglich eine Drei- bzw Acht-Tages-Frist vorsehen, sind im AngG und in der GewO 1859 keine expliziten zeitlichen Grenzen normiert. Abseits der Sonderbestimmungen ist daher wie bei den übrigen Austrittsgründen auf die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung abzustellen. Diese ergibt sich aus der Intensität, mit welcher der AG auf seinem rechtswidrigen Verhalten beharrt sowie aus der Höhe des ausständigen Entgelts (Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer [Hrsg], AngG § 26 Rz 49, Stand 1.3.2005, rdb.at). Im gegenständlichen Fall ist davon auszugehen, dass die Unzumutbarkeit für den OGH – zu Recht – offenkundig war, sodass er es nicht für notwendig erachtete, diese zu thematisieren.

5.
Fazit

Die E ist hinsichtlich des Austrittstatbestands des § 26 Z 2 AngG in Einklang mit der bisherigen Rsp und enthält auch keine unerwarteten Aussagen. Wie der OGH Entgeltfortzahlungsansprüche iZm staatlich veranlassten Betriebsschließungen nunmehr nach Auslaufen der Sonderregelung beurteilen wird – man denke etwa an zukünftige Pandemieszenarien oder vergleichbare Anordnungen aufgrund von Energieknappheit –, bleibt freilich abzuwarten. 134