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Kettenvertragsregelung des Theaterarbeitsgesetzes nicht am Maßstab des § 879 ABGB überprüfbar

GREGORKALTSCHMID
KollV für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheaterholding;
§ 5 RL 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs-RL)

Die Besonderheit der Regelungen des Theaterarbeitsgesetzes (TAG) liegt darin, dass es befristete Dienstverhältnisse nicht nur zulässt, sondern als Regelfall ansieht. Ausdrücklich ist vorgesehen, dass ein ohne Zeitbestimmung eingegangenes Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit endet. Das führt dazu, dass die Aneinanderreihung befristeter Verträge (bis zur Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung) nicht aus der Parteienvereinbarung, sondern unmittelbar aus dem Gesetz folgt.

Damit verbietet sich aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände insoweit eine Anwendbarkeit des § 879 ABGB auf solche Arbeitsverhältnisse, weil ihre (fortlaufende) Befristung nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht, sondern vom Gesetz vorgegeben wird. § 879 ABGB bietet daher keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Interpretation.

SACHVERHALT

Die Kl war seit 1.9.2008 beim „Wiener Staatsopernballett“ als „Corps de ballet“-Tänzerin auf Basis von wiederkehrenden Bühnendienstverträgen jeweils für ein Spieljahr (1.9. bis 31.8.) beschäftigt. Auf das Beschäftigungsverhältnis finden das TAG sowie der KollV für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheaterholding (KollV) Anwendung.

Nach § 24 Abs 1 TAG endet das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen worden ist. Ist das Bühnenverhältnis für bestimmte Zeit oder mindestens für ein Jahr eingegangen worden ist, hat der DG dem Mitglied gem § 27 TAG bis zum 31.1. des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, schriftlich mitzuteilen, dass das Arbeitsverhältnis nicht verlängert wird. Unterbleibt die Mitteilung oder erfolgt sie verspätet, gilt das Arbeitsverhältnis für ein weiteres Jahr verlängert, sofern das Mitglied dem DG nicht bis spätestens 15.2. schriftlich mitteilt, dass es mit einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden ist. War das Mitglied durch mehr als fünf aufeinanderfolgende Jahre in einem Ballett der Bundestheater beschäftigt, muss nach § 10 Abs 2 KollV die Verständigung seitens des DG, um mit Ablauf der laufenden Spielzeit wirksam zu sein, spätestens bis zum 15.10. dieser Spielzeit zugehen.

Mit dem Spieljahr 2020/21 übernahm ein neuer Intendant die künstlerische Leitung des Wiener Staats105opernballetts. Mit diesem Wechsel war auch eine künstlerische Neuausrichtung des Balletts geplant. Die Bekl gaben gegenüber der Kl mit Schreiben vom 13.9.2019 eine Nichtverlängerungserklärung iSd § 27 TAG ab und teilten mit, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen mit 31.8.2020 beendet sei.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Kl brachte eine Kündigungsanfechtungsklage ein und begehrte eventualiter die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis unbefristet über den 31.8.2020 hinaus aufrecht sei. Die nach § 24 TAG jeweils auf die Dauer eines Spieljahrs befristeten einzelnen Verträge stellten eine nach der RL 1999/70/EG (Befristungs-RL) mangels einer sachlichen Rechtfertigung unzulässige Kettenbefristung dar. Zur Missbrauchskontrolle sei die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen, wonach dazu besondere soziale, wirtschaftliche, organisatorische oder technische Gründe gegeben sein müssten. Solche lägen beim Dienstverhältnis zwischen der Kl und den Bekl nicht vor.

Die Bekl bestritten und wandten ein, die Aneinanderreihung von Dienstverhältnissen im Anwendungsbereich des TAG sei ein wegen der Branchenbesonderheiten normiertes Sondersystem, das nicht unter den Anwendungsbereich der Befristungs-RL falle. Selbst wenn dies anders gesehen würde, bestünde keine Gefahr des Missbrauchs. Die Nichtverlängerungserklärung sei nicht sittenwidrig nach § 879 ABGB. Im Anlassfall sei die Beendigung auch sachlich aufgrund der künstlerischen Neuausrichtung des Balletts und dafür mangelnder tänzerischer Eignung der Kl gerechtfertigt.

Das Erstgericht gab dem Begehren der Kl auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision an den OGH zu. Dieser erkannte die Revision der Bekl für zulässig und auch berechtigt.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

3. Mit der Richtlinie 1999/70/EG des Rates über befristete Dienstverträge vom 28.6.1999 (Befristungs-RL) wurde die EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse vom 18.3.1999 übernommen. Das erklärte Ziel dieser Richtlinie gemäß § 1 der Rahmenvereinbarung ist es, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität der befristeten Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse verhindert (vgl 9 ObA 222/02s).

[…] Auch die automatische Verlängerung eines ursprünglich befristeten Vertrags, die sich aus Gesetzgebungsakten ergebe, ohne schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge wurde als der Richtlinie unterliegend angesehen (EuGHC-760/18, M.V. ua, Rn 44 ff, ECLI:EU:C:2021:113).

Grundsätzlich überlässt § 5 Nr 2 der Befristungs-RL es aber den Mitgliedstaaten zu bestimmen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge und -verhältnisse als aufeinanderfolgend bzw als unbefristet zu betrachten sind […].

Bei Prüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen von befristeten Arbeitsverträgen im Sinne der Richtlinie ist auf die Ergänzung des § 24 TAG durch dessen § 27 TAG Bedacht zu nehmen, der nominell zwar den Zeitablauf, aber als zwingend notwendiges Beendigungserfordernis eine subjektive Bedingung statuiert. Ohne die Abgabe einer auf Beendigung gerichteten Willenserklärung der einen oder anderen Vertragspartei bleibt das Bühnenarbeitsverhältnis ex lege gerade nicht nur bis zum nächsten Frist- oder Spielzeitende iSd § 24 TAG, sondern so lange aufrecht, bis ein Vertragsteil irgendwann erklärt, es tatsächlich beenden zu wollen. Den Beklagten ist zuzugestehen, dass die vom Gesetz geforderte Erklärung, einen befristeten Vertrag nicht fortsetzen zu wollen, ansonsten er sich (befristet) verlängert, die Situation von Arbeitnehmern, deren Dienstverhältnis §§ 24, 27 TAG unterliegt, der von Arbeitnehmern, die jederzeit ohne Begründung unter Einhaltung bestimmter Termine und Fristen gekündigt werden können, annähert.

Die Rechtsprechung des EuGH spricht dessen ungeachtet dafür, dass auch die Arbeitsverhältnisse nach §§ 24, 27 TAG nicht nur nach nationalem Recht, sondern auch iSd § 3 Abs 1 der Befristungs-RL als befristet und iSd § 5 Abs 1 der Befristungs-RL als aufeinanderfolgend zu beurteilen sind. Diese Einschränkung der nationalen Gestaltungsbefugnis über Art 3 der RL hinaus wurde vom EuGH aus dem Ansatz der Vermeidung von Missbrauch und dem Ansatz eines Beendigungsschutzes gewählt […]. Angesichts der in Österreich im Regelfall ohne besonderen Grund jederzeit möglichen Kündigung von Dienstverhältnissen ist eine konkrete Gefahr eines „Missbrauchs“ durch die Einhaltung des TAG nicht evident. Für die bei Nichtverlängerungserklärungen verschlossene Möglichkeit einer Anfechtung gemäß § 105 ArbVG gilt, dass sie auch gekündigten unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern nicht in jedem Fall offensteht oder Erfolg verspricht (ua in Kleinbetrieben, in den ersten sechs Monaten, bei guter Vermittelbarkeit oder Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe).

4. Lässt man offen, ob die Richtlinie anwendbar ist, prüft aber deren gegebenenfalls bestehende Wirkungen, so ist zu beurteilen, ob die Regelungen des TAG mit den Grundsätzen der Richtlinie in Einklang stehen.

Die Befristungs-RL geht von der Prämisse aus, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind. Gleichzeitig wird aber anerkannt, dass befristete Arbeitsverträge für die Beschäftigung in bestimmten Branchen oder 106für bestimmte Berufe und Tätigkeiten charakteristisch sind. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine oder mehrere der in § 5 Nr 1 lit a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen zu erlassen, um die missbräuchliche Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen wirksam zu verhindern […], sofern ihr innerstaatliches Recht keine „gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen“ zur Verhinderung eines solchen Missbrauchs umfasst. Die Mitgliedstaaten können nach § 5 Nr 1 der Befristungs-RL die Zulässigkeit einer mehrfachen Befristung ua vom Vorliegen sachlicher Gründe abhängig machen. […].

5. Das Kriterium „Vorliegen eines sachlichen Grundes“ ist nach der Rechtsprechung des EuGH so zu verstehen, dass damit genau bezeichnete, konkrete Umstände gemeint sind, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung solche Verträge geschlossen wurden, und deren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat ergeben. Hingegen entspräche eine nationale Vorschrift, die sich darauf beschränken würde, den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge allgemein und abstrakt durch Gesetz oder Verordnung zuzulassen, nicht diesen Erfordernissen. Es geht um die Frage, ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist (EuGHC-16/15, López, Rn 38 ff mwN, ECLI:EU:C:2016:679 ua).

[…]

6.1. In der Entscheidung Sciotto (EuGHC-331/17, ECLI:EU:C:2018:859) hatte der EuGH die Vereinbarkeit der Befristungs-RL mit nationalen (konkret italienischen) Regelungen, die das Aufeinanderfolgen mehrerer befristeter Verträge im Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester, im Anlassfall einer als Balletttänzerin beschäftigten Arbeitnehmerin, zulassen, zu beurteilen. Die auf diesen Sektor anwendbaren nationalen Vorschriften enthielten überhaupt keine Regelungen zur Umsetzung der Richtlinie.

Vom EuGH wird dazu festgehalten, dass die Regelung keine den in § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen gleichwertige gesetzliche Maßnahme vorsehe, weshalb zu prüfen sei, ob der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge in diesem Bereich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden könne (Rn 37). Zusammengefasst kam er zu dem Ergebnis, dass allein der Umstand, dass in einem bestimmten Tätigkeitsbereich traditionell befristete Verträge abgeschlossen würden, mit der Befristungs-RL nicht in Einklang zu bringen sei. Zum Argument der Besonderheit, die dem Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester eigen sei, treffe es zu, dass die jährliche Programmplanung künstlerischer Vorstellungen für den Arbeitgeber zwangsläufig einen zeitweiligen Einstellungsbedarf mit sich bringe. Die vorübergehende Einstellung eines Arbeitnehmers, um einen provisorischen und spezifischen Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken, könne grundsätzlich einen sachlichen Grund iSd § 5 Nr 1 Buchstabe a der Befristungs-RL darstellen. Es sei jedoch nicht zulässig, dass befristete Arbeitsverträge für die Zwecke der permanenten und dauerhaften Erledigung von Aufgaben in den in Rede stehenden kulturellen Einrichtungen, die zur normalen Tätigkeit des Tätigkeitsbereichs der Stiftungen für Oper und Orchester gehörten, verlängert werden könnten (Rn 49). Die Beachtung des § 5 Nr 1 Buchstabe a der Richtlinie verlange, dass konkret überprüft werde, ob die Verlängerung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder -verhältnissen darauf abziele, einen vorübergehenden Bedarf zu decken (vgl Rn 44, 46, 49, 50). […]

6.2. Das TAG schränkt die spezifischen Regelungen betreffend die Befristung der Arbeitsverhältnisse auf die übliche Spielzeit (§ 24 Abs 3 TAG) auf Arbeitsverhältnisse von Personen ein, die sich einem Theaterunternehmen zur Leistung künstlerischer Arbeiten verpflichtet haben (§ 1 Abs 1 TAG). §§ 24, 27 TAG regeln nicht nur die Zulässigkeit aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse, sondern ist die Befristung nach der gesetzlichen Konzeption sogar der Regelfall. Als Umsetzung der Richtlinie iSd in § 5 Nr 1 der Befristungs-RL genannten Maßnahmen kommt insoweit nur das Vorliegen eines sachlichen Grundes in Betracht. Es stellt sich also die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt ist, bei künstlerischen Arbeiten eine Befristung auf die übliche Spielzeit vorzunehmen, etwa weil damit den Regisseuren eine Neubesetzung mit den ihrer Ansicht nach den Rollen entsprechenden Persönlichkeiten erfolgen soll […].

Ob dieses Konzept insbesondere auch für Chöre und Ballette als künstlerische Tätigkeiten tragfähig ist, bedarf hier jedoch keiner abschließenden Beurteilung.

6.3. Ebensowenig bedarf es einer abschließenden Beurteilung, ob ein gleichwertiger Schutz des Arbeitnehmers vor Missbrauch iSd § 5 der Richtlinie schon darin zu sehen ist, dass der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungserklärung abzugeben hat, wodurch das Arbeitsverhältnis nur zu einem bestimmten Termin einmal im Jahr und unter Einhaltung einer besonders langen Frist, die die üblichen Kündigungsfristen weit übersteigt, beendet werden kann.

6.4. Das pauschale Abstellen auf „künstlerische Tätigkeiten“ iSd § 1 Abs 1 TAG während einer „Spielzeit“ bei den Befristungen nach § 24 TAG könnte im Zusammenhang ua mit den „langen Kündigungsfristen“ in § 27 TAG allenfalls dann als unbefristeten Dienstverhältnissen „gleichwertiger Schutz“ im Sinn der Richtlinie angesehen werden, wenn man dies vor dem Hintergrund des Beendigungsschutzes des – ja auch nur eingeschränkt wirksamen – § 105 ArbVG für unbefristete Arbeitsverhältnisse betrachtet. Bei diesem Vergleich stellte sich die Frage, inwieweit andere künstlerische Vorstellungen schon als Kündigungs107gründe in der Person iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG anzusehen wären (hier wegen neuer Ausrichtung in Richtung moderner Tanz). Bejaht man diese, könnte eine Prüfung auch ergeben, dass der sichere Vorteil aus den sehr langen „Kündigungsfristen“ und der Quasi-Unkündbarkeit während der Spielzeit (mit Beschäftigungsanspruch) branchenspezifisch der fehlenden Befristung gleich„wertig“ ist.

7. Ein zur Klärung der sich daraus ergebenden Fragen dienendes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ist hier aber deswegen nicht zu stellen, weil selbst die positive Annahme einer richtlinienwidrigen Umsetzung entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen zu keiner Stattgebung des Klagebegehrens führen könnte.

7.1. Der EuGH hat bereits dazu Stellung genommen, dass sich § 5 Nr 1 der Befristungs-RL inhaltlich nicht als unbedingt und genau genug darstellt, damit sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann, schon weil es nicht möglich ist, den Mindestschutz, der in jedem Fall nach § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung gewährt werden müsste, hinreichend zu bestimmen (EuGHC-378/07, Angelidaki ua, Rn 196, ECLI:EU:C:2009:250; vgl auch EuGHC-726/19, Instituto Madrileño de Investigación y Desarrollo Rural Agrario y Alimentario, Rn 79, ECLI:EU:C:2021:439; EuGHC-103/18, Domingo Sánchez Ruiz ua, Rn 118, ECLI:EU:C:2020 219).

7.2. Die nationalen Gerichte haben bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses jedoch so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen. […]

7.3. Erst vor kurzem hat sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 216/21t mit den Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation auseinandergesetzt und dabei dem in der Literatur teilweise vertretenen Vorrang des „generellen Umsetzungswillens“ des Gesetzgebers eine Absage erteilt:

„Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht somit grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObA 47/16v [Pkt 2.3.] mwN). Eine 'interprétation conforme' der geltenden nationalen Rechtsvorschriften ist aber unzulässig, wenn diese zu einer Auslegung contra legem führen würde. Ebenso darf es nicht über diesen Umweg zu einer – sonst unzulässigen – unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen im horizontalen Verhältnis kommen (4 Ob 124/18s [Pkt 7.3.]; 9 ObA 11/19m [Pkt 4.]; EuGH C-261/20, Thelen, Rn 28).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf eine richtlinienkonforme Interpretation den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RS0114158 [T1]). Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RS0114158 [T7]; 8 ObA 63/20b [Pkt 8]). Sie kommt allein dann zur Anwendung, wenn das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt (RS0114158 [T5]). […]“

[…]

8. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit der Befristung im Hinblick auf die Befristungs-RL einer Überprüfbarkeit nach § 879 ABGB unterliegt.

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Befristungs-RL hat der österreichische Gesetzgeber bei Schaffung von § 2b AVRAG ausgeführt, dass, um den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, eine oder mehrere Maßnahmen iSd § 5 Nr 1 Buchstaben a bis c der Rahmenvereinbarung zu setzen seien, sofern keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsvermeidung bestünden. § 879 ABGB stelle eine derartige gleichwertige gesetzliche Maßnahme dar. Eine mehrmalige Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse sei aber nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 879 ABGB und der Lehre nichtig, wenn für diese mehrmalige Befristung keine sachliche Rechtfertigung gegeben werden könne. Das Arbeitsverhältnis gelte in diesem Fall als auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Die Bestimmung des § 879 ABGB und die darauf basierende ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Verbot der sogenannten „Kettenarbeitsverhältnisse“ erscheine als eine iSd § 5 der Rahmenvereinbarung gleichwertige gesetzliche Maßnahme, die einen umfassenden und ausreichenden Schutz vor Missbrauch biete. Die Gründe für eine sachliche Rechtfertigung der Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse könnten nur sehr schwer generalisiert und typisiert werden. Die Beurteilung hänge jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RV 951 BlgNR 21. GP 5).

8.1. Die Besonderheit der spezielleren Regelungen des TAG liegt aber darin, dass es ebenso wie das SchSpG befristete Dienstverhältnisse nicht nur zulässt, sondern als Regelfall ansieht. Ausdrücklich ist vorgesehen, dass ein ohne Zeitbestimmung eingegangenes Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit endet (§ 24 Abs 3 TAG). Das führt dazu, dass die Aneinanderreihung befristeter Verträge (bis zur Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung) nicht aus der Parteienvereinbarung, sondern unmittelbar aus dem Gesetz folgt.

Damit verbietet sich aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände insoweit eine Anwendbarkeit des § 879 ABGB auf solche Arbeitsverhältnisse, weil ihre (fortlaufende) Befristung nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht, sondern vom Gesetz vorgegeben wird und selbst ohne gesonderte Vereinbarung bzw bei Wegfall einer solchen Vereinbarung gelten würde. § 879 ABGB bietet daher keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Interpretation.

8.2. Da der Gesetzeswortlaut selbst keine Einschränkung der Zulässigkeit der Befristung nur für 108bestimmte Konstellationen enthält, könnte eine solche nur durch eine teleologische Reduktion erreicht werden.

Diese verschafft der ratio legis nicht gegen einen zu engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung. Die (verdeckte) Lücke besteht im Fehlen einer nach der ratio notwendigen Ausnahme. Vorausgesetzt ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Unzulässig ist es dabei, eine gesetzliche Vorschrift zur Gänze ihres Inhalts zu entkleiden […].

Da, wie bereits ausgeführt, sich die Richtlinie nicht als unbedingt und genau genug darstellt, dass daraus konkrete Ansprüche abgeleitet werden können, kann eine vom Gesetz im Licht der Richtlinie „nicht mitgemeinte Gruppe“ nicht klar und eindeutig umschrieben werden. Auch würde für eine solche Gruppe, die ja nur von den Befristungsregelungen, aber nicht den übrigen Bestimmungen des TAG ausgenommen wäre, eine offene Regelungslücke mit Folgewirkungen in weitere Rechtsbereiche – etwa im Hinblick auf die dann geltenden Kündigungstermine und Kündigungsfristen – entstehen und es wären weitere im Zusammenhang stehende gesetzgeberische Entscheidungen, etwa die Beschäftigungspflicht (vgl § 18 TAG), einer Neubewertung zuzuführen.

Aus denselben Gründen verbietet sich eine inhaltliche Beschränkung der Ausübung der Nichtverlängerungserklärung.

8.3. Zusammengefasst müsste daher selbst unter der Prämisse, dass die Befristungsregelung des TAG mit ihrem System der automatischen Verlängerung den Zielen und Zwecken der Richtlinie widerspricht, eine allfällige richtlinienkonforme Interpretation in dem mit dem Klagebegehren angestrebten Sinn am ausdrücklichen gegenteiligen Wortlaut und vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der §§ 24 und 27 TAG scheitern, sodass der Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens die Grundlage entzogen ist.“

ERLÄUTERUNG

In vorliegender E wurden gleich mehrere interessante Fragen behandelt. Zunächst wurde (wiederholt) das Verhältnis zwischen Nichtverlängerungserklärung eines befristeten Vertrages zur Kündigung eines unbefristeten Vertrages angesprochen. Weiters wurde ausführlich die Kettenvertragsjudikatur, insb im Hinblick auf die europarechtlichen Vorgaben, beleuchtet. Schließlich wurde der Fall durch Anwendung der Auslegungsregeln von nationalem Recht im Verhältnis zu Europarecht gelöst.

Die Kl war seit über zehn Jahren bei den Bekl als Tänzerin beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis war aber nicht unbefristet, sondern jeweils auf die Dauer einer Spielzeit (1.9. bis 31.8. des Folgejahres) befristet. Den Regeln des TAG entsprechend gaben die Bekl im Jahr 2019 eine Nichtverlängerungserklärung für den Zeitraum nach dem Ablauf der elften Spielzeit ab.

Da die Kl die Beendigung bekämpfen wollte, brachte sie eine Klage auf Kündigungsanfechtung gem § 105 ArbVG ein und eventualiter auf Feststellung des aufrechten Fortbestands über den 31.8.2020 hinaus. Offensichtlich ging die Kl davon aus, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der langjährigen Beschäftigung und der vielfachen Verlängerung rechtlich als unbefristet gelten musste. Konsequenterweise qualifizierte sie daher die Nichtverlängerungserklärungserklärung der Bekl als einseitige Beendigungserklärung und damit als Kündigung.

Der OGH bekräftigte die stRsp zu diesem Thema und hielt fest, dass eine Nichtverlängerungserklärung keine Kündigung darstelle. Vielmehr werde durch diese Erklärung der Abschluss eines neuen Vertrages abgelehnt. Eine Kündigungsanfechtung ist daher nicht das geeignete Rechtsinstrument, um Beendigungen aufgrund von Fristablauf zu bekämpfen, und zwar auch dann nicht, wenn die Beendigung nur durch Erklärung eines Vertragsteiles eintritt, weil sich das Arbeitsverhältnis ohne entsprechende Erklärung automatisch befristet verlängern würde.

Das eventualiter gestellte Feststellungsbegehren wäre ein mögliches Rechtsinstrument für die Bekämpfung der Beendigung gewesen. Die Kl stützte ihr Begehren auf die Rechtsansicht, dass bei einer Prüfung ihrer Kettenverträge gem § 879 ABGB und der europarechtlichen Vorgaben zu befristeten Verträgen (Befristungs-RL) die sachliche Rechtfertigung für die wiederholte befristete Verlängerung verneint werden müsste, sodass das Arbeitsverhältnis als unbefristet und als aufrecht fortbestehend anzusehen sei.

Die Prüfung nach § 879 ABGB konnte nicht erfolgreich sein, weil das TAG selbst sowohl die Aneinanderreihung der einzelnen befristeten Verträge vorsieht als auch die von den Bekl eingehaltene Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Prüfung gem § 879 ABGB wäre nur bei vertraglicher Vereinbarung solcher Regeln möglich gewesen. Werden die Regeln jedoch vom Gesetz selbst geschaffen, ist § 879 ABGB nicht anzuwenden.

Hinsichtlich der Richtlinienkonformität erachtete der OGH tatsächlich einige Argumente, die für einen Widerspruch der Regelungen des TAG zur Befristungs-RL sprechen würden, als diskussionswürdig, was eine Vorlage an den EuGH gerechtfertigt hätte. So stelle sich die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt ist, bei künstlerischen Arbeiten (wie im TAG vorgesehen ist) eine Befristung auf die übliche Spielzeit vorzunehmen, etwa weil damit den Regisseuren eine Neubesetzung mit den ihrer Ansicht nach den 109Rollen entsprechenden Persönlichkeiten erfolgen soll. Ebenso stellte der OGH in Frage, ob ein gleichwertiger Schutz des AN vor Missbrauch iSd § 5 der RL schon darin zu sehen ist, dass der AG eine Nichtverlängerungserklärung abzugeben hat, wodurch das Arbeitsverhältnis nur zu einem bestimmten Termin einmal im Jahr und unter Einhaltung einer besonders langen Frist, die die üblichen Kündigungsfristen weit übersteigt, beendet werden kann.

Die Vorlage an den EuGH unterblieb dennoch. Aufgrund der Auslegungsregeln von nationalem Recht im Verhältnis zum Europarecht bleibt nämlich kein Spielraum, innerhalb dessen der EuGH zur Lösung der berechtigten Fragen angerufen werden könnte. Nationales Recht ist zwar grundsätzlich möglichst richtlinienkonform auszulegen, damit der Zweck der RL erreicht werden kann. Ein eindeutiger Wortlaut des nationalen Gesetzes bietet jedoch keinen Raum für eine unionsrechtskonforme Auslegung, wenn das Ergebnis dem Wortlaut widersprechen würde. Die richtlinienkonforme Interpretation darf den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen.

Der eindeutige Wortlaut der §§ 24 und 27 TAG verhinderte daher letztlich auch eine Vorlage an den EuGH zur Überprüfung der Richtlinienkonformität. Aufgrund der Einhaltung der Regeln des TAG war die Beendigung durch Bekl daher nicht zu beanstanden.

Zu 9 ObA 11/22s vom 24.11.2022 hatte der OGH einen identen Fall zu entscheiden.