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Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses findet § 1155 ABGB keine Anwendung mehr

RICHARDHALWAX

Die Kl war bei der Bekl als Schauspielerin in einem Gast-Bühnendienstverhältnis nach § 41 Theaterarbeitsgesetz (TAG) beschäftigt.

Der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Gastbühnenvertrag lautet auszugsweise:

„4.2 Generell werden nur tatsächlich wahrgenommene Vorstellungen honoriert.

4.3 Bei Absage der Vorstellung durch die [Bekl] wegen Krankheit im Ensemble der Produktion * oder auch bei Vorliegen von höherer Gewalt nach Anreise des Gastes in * besteht nur ein Anspruch auf tatsächlich aufgewendete Kosten durch den Gast (zB Reisekosten).“

Zwischen 26.3. und 19.5.2020 entfielen sechs bereits konkret vereinbarte Vorstellungstermine (und zwar die Vorstellungen vom 26.3., 6.5., 7.5., 8.5., 15.5. und vom 19.5.2020). Diese Vorstellungstermine wurden aufgrund eines im COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 2020/12 (COVID-19-MG), begründeten Betretungsverbots wegen der COVID-19-Pandemie abgesagt.

Außer Streit steht, dass auf das Arbeitsverhältnis der KollV für den Theatererhalterverband zur Anwendung gelangt und ein Probenhonorar in Höhe von € 3.000,- brutto sowie ein Vorstellungshonorar in Höhe von € 1.000,- brutto pro Vorstellung vereinbart war.

Die Kl machte geltend, das vom 22.8.2019 bis 19.5.2020 befristete Gast-Bühnendienstverhältnis sei von der Bekl termin- und fristwidrig am 11.3.2020 beendet worden. 95

Die Kl begehrt daher die Zahlung des Vorstellungsentgelts von € 6.000,- brutto sA (ausdrücklich) als Kündigungsentschädigung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in der Hauptsache statt; Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge. Die Revision der Bekl wurde für zulässig erklärt, weil höchstgerichtliche Rsp zur Auslegung des § 1155 Abs 3 ABGB fehle. Sie war laut OGH auch berechtigt.

Gem § 41 Abs 2 TAG finden auf Gastverträge die dort genannten Bestimmungen des TAG nicht Anwendung. Es sind daher subsidiär die §§ 1154b und 1155 ABGB anwendbar.

Ein „Gast“ iSd § 41 TAG ist auch von sämtlichen Sonderregelungen der Beendigung des Bühnendienstverhältnisses nach dem TAG ausgenommen, sodass – wenn dennoch eine Beendigungserklärung erfolgt – die allgemeinen dienstrechtlichen Beendigungsbestimmungen des ABGB (§ 1162b ABGB) zur Anwendung kommen.

Nach dem auf den Gast-Bühnenvertrag der Kl subsidiär zur Anwendung gelangenden § 1155 Abs 1 ABGB gebührt dem DN das Entgelt auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des DG liegen, daran verhindert worden ist; er muss sich jedoch anrechnen, was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.

§ 1155 ABGB gewährt als Sondernorm des Leistungsstörungsrechts dem DN weiterhin einen Entgeltanspruch. Neben dem aufrechten Bestehen eines Arbeitsvertrags ist entscheidend, ob der DN zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seiten des AG lagen, daran verhindert worden ist. Es handelt sich somit um einen Erfüllungs- und keinen Schadenersatzanspruch. Nach wirksamer Beendigung des Arbeitsvertrags ist § 1155 ABGB nicht mehr anwendbar.

Mit dem 2. COVID-19-Gesetz, BGBl I 2020/16, wurde § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt:

„(3) Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. Nr. 12/2020, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führen, gelten als Umstände im Sinne des Abs 1. Arbeitnehmer, deren Dienstleistungen aufgrund solcher Maßnahmen nicht zustande kommen, sind verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. …“

§ 1155 Abs 3 ABGB stand – vom 15.3. bis 31.12.2020 – zeitlich befristet in Geltung (§ 1503 Abs 14 [idgF: Abs 15] ABGB).

Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses kann § 1155 ABGB (und auch dessen Abs 3) keine Anwendung mehr finden, weil diese Regelung ein aufrechtes Arbeitsverhältnis voraussetzt. Hat die Kl nach Beendigung ihres Gast-Bühnendienstvertrags die auf dem „Schadenersatzprinzip“ beruhende Kündigungsentschädigung geltend gemacht, soll sie als Kündigungsentschädigung das bekommen, was ihr ohne die Auflösung bis zum fiktiven Ende des Gast-Bühnendienstvertrags (am 19.5.2020) zugekommen wäre. Sie soll wirtschaftlich so gestellt werden, als wäre das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß beendet worden. Daran ändert auch die Formulierung in § 1162b ABGB „vertragsmäßige Ansprüche auf das Entgelt“ nichts, da mit dieser Formulierung lediglich die Höhe der Entgeltansprüche umschrieben, nicht aber ein Anspruch auf Vertragserfüllung anerkannt wird.

Maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der von der Kl behaupteten vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (hier somit zum 11.3.2020). Die Frage, ob der erst danach – mit 15.3.2020 – in Kraft getretene § 1155 Abs 3 ABGB einseitig zwingend oder dispositiv ist, stellt sich im vorliegenden Zusammenhang daher nicht.

Die Pkte 4.2 und 4.3 des Gast-Bühnendienstvertrags sind ihrem objektiven Wortsinn nach dahin auszulegen, dass der Entgeltanspruch der Kl mangels Wahrnehmung der Vorstellung entfällt. Daran ändert – jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang – der Umstand nichts, dass nicht die Pandemie (Krankheit) selbst, sondern erst das gesetzlich verordnete Betretungsverbot dazu geführt hat, dass die versprochenen Dienste nicht zustande gekommen sind.