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Bezug einer vorzeitigen Alterspension neben de facto Geschäftsführer-Tätigkeit

PIA ANDREAZHANG

Ein Prokurist ist wie ein formeller Geschäftsführer zu behandeln und hat sich nach § 539a Abs 3 ASVG wie ein Gesellschafter-Geschäftsführer in dem Umfang etwaige nicht entnommene Gewinne anrechnen lassen, als diese zusammen mit dem tatsächlich bezogenen Einkommen einem angemessenen Entgelt für die von ihm entfaltete Tätigkeit entspricht, wenn eine Konstruktion allein deshalb gewählt wurde, um die Befugnisse zur (faktischen) Geschäftsführung zu vermitteln, ihm jedoch gleichzeitig einen Pensionsbezug zu ermöglichen.

Sachverhalt

Der Kl war und ist Alleingeschäftsführer der E GmbH, bis 30.6.2017 erzielte er als Geschäftsführer ein selbstständiges Einkommen von rund € 5.300,- monatlich.

Von 28.6.2017 bis 22.11.2018 war die Ehefrau des Kl Geschäftsführerin der E GmbH und er selbst Prokurist mit einem geringfügigen Gehalt. Seit 23.11.2018 ist nunmehr wieder der Kl Geschäftsführer. Die E GmbH wies für das Geschäftsjahr 2017 € 218.341,41 und für 2018 € 249.266,15 als Bilanzgewinn aus.

Verfahren und Entscheidung

Der Antrag des Kl auf Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab Stichtag 1.7.2017 wurde von der Bekl mit Bescheid vom 16.1.2019 abgelehnt und der Kl zum Rückersatz des entstandenen Überbezugs an vorläufig geleisteter Pension verpflichtet. Dagegen erhob der Kl Klage und beantragte die Feststellung, dass die vorzeitige Alterspension im strittigen Zeitraum nicht weggefallen und er nicht zum Rückersatz der vorläufigen Pensionszahlungen verpflichtet sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es folgerte unter Verweis auf den Anspruch auf ein angemessenes Entgelt, dass aus dem Vorgehen des Kl, nur ein geringfügiges Einkommen zu beziehen, seine mit der Führung der Geschäfte völlig unerfahrene Gattin zur Geschäftsführerin der E GmbH zu bestellen, diese Tätigkeit de facto aber weiter selbst auszuüben, und keine Gewinne auszuschütten, auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme der gewählten Konstruktion zu schließen sei. Er müsse sich daher nicht nur jene Gewinne anrechnen lassen, die er nicht entnommen habe, sondern auch ein seiner Tätigkeit entsprechendes Einkommen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und änderte das Ersturteil klagsstattgebend ab. Die Rsp stelle bei der Anrechnung des Gewinns als Einkommen nur auf Gesellschafter ab, die gleichzeitig Geschäftsführer seien. Da der Kl im maßgeblichen Zeitraum nicht Geschäftsführer der E GmbH gewesen sei, sei ihm auch der Gewinn nicht als Einkommen anzurechnen. Nur in den Konstellationen, in denen ein Gesellschafter gleichzeitig auch Geschäftsführer ist, sei es zur Vermeidung des Missbrauchs von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten gerechtfertigt, nicht zwischen dem Einkommen als Geschäftsführer und jenem als Gesellschafter zu unterscheiden. Auf Gesellschafter, die nur Prokuristen der Gesellschaft seien, sei diese Rsp nicht zu übertragen.

Über die Revision der Bekl sprach der OGH aus, dass sie zulässig und im Umfang des Aufhebungsantrag auch berechtigt ist.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[15] 2. Im Verfahren sind die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b 118ASVG aF unstrittig: Die Pension ist nur zuzuerkennen, wenn der Versicherte am Stichtag weder der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG, dem GSVG, dem BSVG und (oder) dem FSVG unterliegt noch aus sonstigen selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeiten ein Erwerbseinkommen bezieht, das das gemäß § 5 Abs 2 ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen übersteigt (§ 253b Abs 1 Z 4 ASVG aF). Mit dem Tag, an dem der Versicherte eine Erwerbstätigkeit ausübt, die das Entstehen eines Anspruchs gemäß Abs 1 Z 4 ausschließen würde, fällt die Pension weg (§ 253b Abs 2 ASVG aF). Hier stützt die Beklagte die Rückforderung ausschließlich auf den zweiten, von einer Pflichtversicherung unabhängigen Tatbestand des § 253b Abs 1 Z 4 ASVG aF, weil der Kläger im relevanten Zeitraum in Wahrheit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, für die er einen die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Entgeltanspruch gehabt habe. Die weitere Prüfung hat sich somit darauf zu beschränken.

[16] 3. Nach der ständigen, von den Parteien nicht bezweifelten Rechtsprechung ist dem Gesellschafter einer GmbH, der im Hinblick auf seinen Anteil wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten auf die Beschlussfassung der Gesellschaft hat und weiterhin als Geschäftsführer tätig ist, alles das, was ihm unter welchem Titel auch immer von der Gesellschaft zufließt bzw worauf er Anspruch hat, als Einkommen dieser Tätigkeit anzurechnen (RS0111048; 10 ObS 77/15v SSV-NF 29/57 ua). Entfaltet er ohne Anspruch auf ein angemessenes Entgelt eine Tätigkeit für die Gesellschaft, kann ein (nicht entnommener) Gewinn in dem Umfang als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit zugerechnet werden, als er zusammen mit dem tatsächlichen Geschäftsführergehalt einem angemessenen Entgelt für seine Tätigkeit entspricht (RS0083793). Dies beruht auf der Überlegung, dass eine rechtsmissbräuchliche Ausübung der Möglichkeit zur Gestaltung von Einkünften nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen darf. Konstruktionen, die im Zusammenhang mit § 253b ASVG aF nicht auf den Ersatz von verlorenem Erwerbseinkommen, sondern darauf abzielen, dem Anspruchswerber ein weiteres (zusätzliches) Einkommen zu verschaffen, sollen so verhindert werden (10 ObS 79/16i SSV-NF 30/52; 10 ObS 330/98x SSV-NF 12/154).

[17] 4. Darauf aufbauend hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Oberste Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Zurechnung nicht ausgeschütteter Gewinne auf Gesellschafter beschränkt hat, die gleichzeitig Geschäftsführer sind und auch maßgeblichen Einfluss auf die Gestion der Gesellschaft haben. […] Das formale Merkmal der Geschäftsführerstellung ist angesichts des § 539a Abs 2 und 3 ASVG für sich aber nicht entscheidend, weil für die Beurteilung von Sachverhalten nicht allein die äußere Erscheinungsform maßgebend ist.

[18] 4.1. Legt man den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde, würde die gewählte Konstruktion einen Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts darstellen, weil sie anders als mit der Absicht der Umgehung gesetzlicher Regelungen nicht erklärt werden könnte (vgl VwGHRa 2016/08/0074, 2009/08/0010 ua; Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 539a ASVG Rz 25;Derntl in Sonntag, ASVG13 § 539a Rz 3): Schon das Erstgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Kläger als Alleingesellschafter der E GmbH einen in dieser Hinsicht unerfahrenen und noch dazu zum Familienverband zählenden Dritten zum Geschäftsführer bestellte, sich gleichzeitig aber mit der Prokura ausstatten ließ und die Geschäfte gegen ein bloß geringfügiges Entgelt in (genau) der Höhe des § 5 Abs 2 ASVG zumindest überwiegend selbst weiterführte. […] Abgesehen davon, dass das Erstgericht das Motiv für dieses Modell (positiv) festgestellt hat, kann aus diesem Sachverhalt nur der Schluss gezogen werden, dass die Konstruktion allein deshalb gewählt wurde, um dem Kläger zwar die Befugnisse zur (faktischen) Geschäftsführung zu vermitteln, ihm jedoch gleichzeitig den Bezug der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer zu ermöglichen.

[19] 4.2. Konsequenz daraus ist, dass sich der Kläger nach § 539a Abs 3 ASVG wie ein formeller Geschäftsführer behandeln lassen müsste, ohne dass dies Auswirkungen auf die Position der formgerecht bestellten Geschäftsführerin zeitigt (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 539a ASVG Rz 34). Darauf aufbauend müsste er sich wie ein (Allein-)Gesellschafter-Geschäftsführer in dem Umfang etwaige nicht entnommene Gewinne der E GmbH anrechnen lassen, als diese zusammen mit seinem tatsächlich bezogenen (geringfügigen) Einkommen einem angemessenen Entgelt für die von ihm entfaltete Tätigkeit entspricht.

[20] 5. Zusammenfassend hält die Rechtsansicht des Berufungsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Eine abschließende Beurteilung ist allerdings noch nicht möglich, weil das Berufungsgericht – ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht – die den Großteil des relevanten Sachverhalts betreffende Mängel- und Beweisrüge des Klägers unbehandelt gelassen hat. Entscheidungsreif ist die Sache erst, wenn auf einem mängelfreien Verfahren und einer unbedenklichen Beweiswürdigung beruhende Feststellungen vorliegen.

[21] In Stattgebung der Revision ist das Urteil des Berufungsgerichts daher aufzuheben und die Rechtssache zur Erledigung der Berufung des Klägers an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. […]“

Erläuterung

In seiner bisherigen Rsp hat der OGH die Zurechnung nicht ausgeschütteter Gewinne auf Gesellschafter beschränkt, die gleichzeitig Geschäftsführer 119sind und auch maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Für diese Beurteilung ist aber nicht die äußere Erscheinungsform maßgebend, sondern der wahre wirtschaftliche Gehalt einer Konstruktion.

Im vorliegenden Fall geht der OGH – auf Grundlage der Feststellungen des Erstgerichts – davon aus, dass die gewählte Konstruktion einen Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten darstellt und nur gewählt wurde, um dem Kl den Bezug der Alterspension bei langer Versicherungsdauer neben der faktischen Tätigkeit als Geschäftsführer der E GmbH zu ermöglichen.

Nach § 539a Abs 3 ASVG ist ein Sachverhalt so zu beurteilen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu beurteilen gewesen wäre. Der Kl ist demnach nach Ansicht des OGH als Geschäftsführer zu beurteilen und muss sich daher nach stRsp auch nicht ausgeschüttete Gewinne bis zur Höhe eines angemessenen Entgelts für seine entfalteten Tätigkeiten anrechnen lassen.

Da die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG aF bei einem Einkommen über Geringfügigkeit wegfällt, wäre ein Bezug des Kl neben diesem anzurechnenden Einkommen nicht möglich.