59Kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für Krisenpflegeeltern bei Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft unter 91 Tagen
Kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für Krisenpflegeeltern bei Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft unter 91 Tagen
Nach der Rsp des OGH ist § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG idF der Novelle BGBl I 2019/24 so zu verstehen, dass eine Krisenpflegeperson Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das Krisenpflegekind nur dann hat, wenn sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.
Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes und der Absicht des Gesetzgebers können Zeiten der Betreuung anderer Kinder im gemeinsamen Haushalt (…) keine Berücksichtigung finden.
Die Kl betreute als Krisenpflegemutter von 23.2. bis 12.5.2021 das am 26.4.2019 geborene Krisenpflegekind. Sie lebte in diesem Zeitraum mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt, beide waren dort hauptwohnsitzlich gemeldet und sie bezog für dieses Kind Familienbeihilfe. Von 2.6. bis 17.9.2021 betreute sie als Krisenpflegemutter ein weiteres, am 8.4.2021 geborenes Krisenpflegekind, für das die Bekl Kinderbetreuungsgeld gewährte.
Mit Bescheid vom 14.9.2021 lehnte die Bekl den Antrag der Kl auf Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum 23.2. bis 12.5.2021 ab. Die Vorinstanzen wiesen das dagegen gerichtete Klagebegehren ab, da die Mindestdauer der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft gem § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG nicht erfüllt sei.
Der OGH wies die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück.
1. […]
2.1. Die Kl folgert aus der in § 3 Abs 5 KBGG angeordneten Mindestdauer eines Bezugsblocks von 61 Tagen, dass für Krisenpflegeeltern nur diese Mindestbezugsdauer erfüllt sein müsse.
2.2. Richtig ist zwar, dass der Oberste Gerichtshof § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG idF BGBl I 2019/24 teleologisch dahin reduziert, dass bei getrennt lebenden Elternteilen, die sich für die Inanspruchnahme von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld in der Bezugsvariante „365 Tage + 61 Tage“ (früher: „12 + 2“) entschieden haben, eine „dauerhafte“ Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft im Sinn des § 2 Abs 6 KBGG an derselben Wohnadresse auch dann als erfüllt anzusehen ist, wenn diese im „Verlängerungszeitraum“ nur von 61-tägiger Dauer ist und das Kind anschließend wieder in den Haushalt des anderen Elternteils zurückkehrt […].
2.3. Dieser Rsp liegt die Bezugsvariante „365 Tage + 61 Tage“ des § 24b Abs 2 KBGG […] beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld zugrunde. Die kürzere Mindestbezugsdauer sollte die Beteiligung von Vätern an der Kinderbetreuung fördern, indem ihr Zugang zum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld und damit der abwechselnde Bezug erleichtert werden. Dem Gesetzeszweck würde es widersprechen, wenn getrennt lebende Eltern aus dieser Bezugsvariante durch das Erfordernis einer mindestens 91 Tage durchgehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft ausgeschlossen wären (10 ObS 119/19a […]).
2.4. Der vorliegende Fall rechtfertigt eine solche teleologische Reduktion allerdings nicht. Erstens geht es hier nicht um getrennt lebende Eltern […] 122und ist somit nicht ersichtlich, inwiefern hier die gleichberechtigte Beteiligung an der Kinderbetreuung gefördert werden könnte. Zweitens liefe die Rechtsansicht der Kl darauf hinaus, dass es bei Krisenpflegeeltern generell nur noch auf eine Betreuungsdauer von 61 Tagen ankäme, womit der in § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG genannten Dauer von 91 Tagen kein Anwendungsbereich verbliebe. Durch teleologische Reduktion, eine gesetzliche Vorschrift zur Gänze ihres Inhalts zu entkleiden, ist aber methodisch unzulässig […].
3. Auch aus der Rsp, dass bei Überschreiten der – nicht für jedes Kind gesondert zu ermittelnden – Zuverdienstgrenze der Überschreitungsbetrag nur einmal für das Kalenderjahr zurückgefordert werden kann […], kann die Kl kein für sich günstigeres Ergebnis ableiten. Das Gesetz stellt bei der Ermittlung der Zuverdienstgrenze bzw des Überschreitungsbetrags auf das Kalenderjahr ab […]. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld wird dadurch aber nicht zu einem einheitlichen Anspruch für mehrere Kinder, sondern er ist weiterhin separat bezogen auf das jeweilige Kind zu sehen […]. Die hier gegenständliche Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 KBGG bezieht sich dementsprechend ausdrücklich auf das Kind, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll (arg: „mit diesem Kind“). Bezogen auf das Kind, für das die Kl im vorliegenden Verfahren Kinderbetreuungsgeld begehrt, gehört die Kl vielmehr der Gruppe der typischen Kurzzeitpflegepersonen an, denen der Gesetzgeber keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld einräumen wollte […]. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes und der Absicht des Gesetzgebers können Zeiten der Betreuung anderer Kinder im gemeinsamen Haushalt somit keine Berücksichtigung finden.
4. Soweit die Kl verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Erfordernis einer mindestens 91 Tage durchgehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bei Krisenpflegeeltern im Vergleich zur Situation bei Pflegeeltern erhebt, übersieht sie, dass dieses Erfordernis grundsätzlich auch für andere Personen, die Kinderbetreuungsgeld beantragen, gleichermaßen gilt (§ 2 Abs 6 Satz 1 KBGG), insbesondere auch für Pflegeeltern. […] In den Fällen, in denen nach der Rsp ausnahmsweise eine kürzere Dauer der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zugelassen wird (oben Pkt 2.2.), wird dies durch die Förderung der gleichberechtigten Kinderbetreuung gerechtfertigt (oben Pkt 2.3.). Das Erfordernis einer 91 Tage durchgehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in allen anderen Fällen ist deswegen aber nicht unsachlich.
Mit der KBGG-Novelle BGBl I 2019/24 wurde in § 2 Abs 1 KBGG erstmals auch der Anspruch einer Krisenpflegeperson auf Kinderbetreuungsgeld für ein Krisenpflegekind geregelt. Zugleich wurde in § 2 Abs 6 KBGG eine Sonderregelung für Krisenpflegeeltern getroffen, indem dem Abs 6 ein fünfter Satz hinzugefügt wurde. Nach diesem besteht für eine Krisenpflegeperson unabhängig davon, dass nie eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Krisenpflegekind vorliegt, Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das Krisenpflegekind, sofern sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.
Der OGH hat sich bereits in seiner E 10 ObS 13/21s vom 26.2.2021 mit dieser Neuregelung auseinandergesetzt und ausgesprochen, dass die Voraussetzung einer mindestens 91 Tage bestehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut, den Gesetzesmaterialien, den bisher dazu in der Rsp getroffenen Aussagen sowie dem Schrifttum steht. Eine teleologische Reduktion der Bestimmung wurde auch damals ausgeschlossen. Diese Rsp führt der OGH in der gegenständlichen E wenig überraschend fort.