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Sozialwidrigkeit einer Entlassung: Auch Ehegatten-Einkommen zu berücksichtigen

LYNNROTHFISCHER
§§ 105 Abs 3 Z 2
iVm 106 Abs 2 ArbVG

Während eines laufenden Kündigungsanfechtungsverfahrens des AN sprach die bekl AG gegenüber dem AN für den Fall der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung dessen Entlassung aus, weil der AN ihr gegenüber den Vorwurf der Rufschädigung erhoben und ihr sohin ein strafbares Verhalten unterstellt habe.

Der Kl begehrte, die von der Bekl ausgesprochene Entlassung mangels Vorliegens eines Entlassungsgrundes für rechtsunwirksam zu erklären. Die Entlassung beeinträchtige zudem seine wesentlichen Interessen, weil ihm nicht möglich sei, in absehbarer Zeit einen annähernd gleichwertigen Arbeitsplatz zu erlangen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Auch wenn der Kl keinen Entlassungsgrund gesetzt habe, sei eine Sozialwidrigkeit der Entlassung unter Berücksichtigung des Einkommens der Ehefrau des Kl und des Umstands, dass er bereits als Lehrer tätig war, zu verneinen.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass dem Klagebegehren stattgegeben wurde. Es liege eine Beeinträchtigung der wesentlichen Interessen des Kl vor, weil er als Lehrer an einer technischen Lehranstalt mit einer vollen Lehrverpflichtung einen Einkommensverlust von rund 30 % erlitten habe, den er durch eine zusätzliche Lehrtätigkeit an einer landwirtschaftlichen Fachschule nur teilweise kompensieren habe können.

Der OGH gab der außerordentlichen Revision der Bekl Folge:

Die erfolgreiche Anfechtung einer Entlassung wegen Sozialwidrigkeit bedarf nach § 105 Abs 3 Z 2 iVm § 106 Abs 2 ArbVG des Nachweises, dass wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt sind. Die mit jeder einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile reichen nicht aus, sondern es müssen Umstände vorliegen, welche die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den AN über das normale Maß hinaus nachteilig machen.

Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist erfüllt, wenn die durch die Entlassung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, dass sie eine fühlbare, 99ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne dass schon eine soziale Notlage oder Existenzgefährdung eintreten müsste.

In der Vergangenheit ist die Rsp häufig davon ausgegangen, dass Einbußen von unter 10 % hinzunehmen seien, während Einkommensverluste von 20 % und mehr auf gewichtige soziale Nachteile hindeuten würden. Die prozentuelle Einkommenseinbuße ist aber auch mit Bezug auf das absolut bezifferte Gesamteinkommen zu sehen. Bei hohen Einkommen kann nach Ansicht des OGH selbst eine Einbuße von 40 % keine Sozialwidrigkeit begründen, wenn der AN weiterhin in der Lage ist, seine individuellen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Der OGH hat deshalb immer wieder darauf hingewiesen, dass nicht auf starre Prozentsätze abgestellt werden darf. Es ist vielmehr die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des AN zu berücksichtigen.

Eine wesentliche Beeinträchtigung der Interessen des AN kann sich zwar dem OGH zufolge auch daraus ergeben, dass er eine deutlich über die Normalarbeitszeit hinausgehende Arbeitsbelastung in Kauf nehmen muss, um die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse weiter zu gewährleisten. Auf die in der Revision relevierte Frage, ob die Tätigkeit des Kl an zwei Schulen mit einem im Vergleich zu seiner bisherigen Tätigkeit erhöhten Arbeitsaufwand verbunden war, kommt es im vorliegenden Fall aber nicht an.

Bei der Untersuchung, ob wesentliche Interessen des AN beeinträchtigt sind, ist nach stRsp nämlich auch auf das Einkommen des Ehegatten abzustellen und die Sozialwidrigkeit zu verneinen, wenn in Anbetracht des hohen Einkommens des Ehegatten eine fühlbar ins Gewicht fallende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des AN nicht zu befürchten ist. Da das Einkommen des Kl und seiner Ehefrau weithin ausreicht, um die monatlichen Ausgaben der Familie zu bestreiten, ist eine wesentliche Beeinträchtigung seiner Interessen zu verneinen. Der OGH stellte daher das Urteil des Erstgerichtes wieder her.